III ZB 73/20
BUNDESGERICHTSHOF III ZB 73/20 BESCHLUSS vom 2. September 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:020921BIIIZB73.20.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. September 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Reiter, die Richterin Dr. Arend sowie die Richter Dr. Kessen und Liepin beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. Oktober 2020 - 1 U 206/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert beträgt bis 8.000 €.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verletzung von Pflichten aus einem Schuldverhältnis auf Schadensersatz in Höhe von 7.241,47 € in Anspruch.
Das seine Klage abweisende Urteil des Landgerichts wurde der vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigen des Klägers am 4. August 2020 zugestellt. Diese legte mit an das Landgericht adressiertem und dort per Telefax am 4. September 2020 um 15.23 Uhr eingegangenem Schriftsatz Berufung ein. Mit Verfügung vom 10. September 2020 wurde die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht weitergeleitet, bei dem zwischenzeitlich am 9. September 2020 eine - an dieses gerichtete - Berufungsschrift verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag eingegangen war.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers unter anwaltlicher Versicherung und Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihrer Mitarbeiterin J. S. ausgeführt, dass sie bei der Kontrolle der von dieser entworfenen Berufungsschrift die falsche Adressierung an das Landgericht bemerkt habe. Deshalb habe sie handschriftlich auf der ersten Seite des Schriftsatzes das Landgericht als Adressat durchgestrichen, daneben das Oberlandesgericht vermerkt und die zweite Seite unterschrieben. Sodann habe sie die Berufungsschrift der Mitarbeiterin mit der Anweisung zurückgegeben, die erste Seite gegen eine im Hinblick auf die Adressierung berichtigte "auszutauschen", wobei sie auf die bereits geleistete Unterschrift auf der zweiten Seite hingewiesen habe. Die Mitarbeiterin habe daraufhin zwar "die erste Seite noch einmal ausgedruckt", jedoch - infolge einer auf Arbeitsüberlastung wegen urlaubsbedingter Abwesenheit ihrer einzigen weiteren Kollegin beruhenden Unaufmerksamkeit - ohne vorherige Adressenkorrektur. Da sie ein Mandantengespräch nicht habe stören wollen, habe die Mitarbeiterin sodann die Berufungsschrift ohne nochmalige anwaltliche Durchsicht an das Landgericht übermittelt, was erst durch dessen Anruf am 9. September 2020 aufgefallen sei. Bei der Mitarbeiterin handele es sich um eine geschulte und zuverlässige Bürokraft, die, wie regelmäßige Kontrollen ergeben hätten, den Anweisungen seit mehr als drei Jahren sorgfältig und fehlerlos nachgekommen sei. Die Mitarbeiterin hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung bestätigt, dass sie die Korrektur der vierfach ausgefertigten Berufungsschrift "nach Anweisung" habe vornehmen wollen. Da sie abgelenkt gewesen sei, habe sie aber letztlich ohne Korrektur "erneut viermal die erste Seite ausgedruckt" und diese "sowie die bereits unterzeichnete zweite Seite" gefaxt. Weiter heißt in ihrer eidesstattlichen Versicherung: "Sodann heftete ich die anderen Exemplare ebenfalls zusammen und legte sie in einen Briefumschlag zum Versand".
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde.
II.
Der Senat hat die Parteien darauf hingewiesen, dass das in der Akte befindliche Original der an das Landgericht adressierten Berufungsschrift vom 4. September 2020 (GA 164 f) nur aus einem einzigen doppelseitig bedruckten Blatt Papier besteht, das auf seiner Vorderseite den teilweise farbig ausgeführten Briefkopf der Kanzlei der klägerischen Prozessbevollmächtigten und auf seiner Rückseite deren mit blauem Kugelschreiber ausgeführte Originalunterschrift trägt, und dieser - vorinstanzlich unbeachtet gebliebene - Umstand gegen einen Austausch nur der ersten Seite des Schriftsatzes unter Weiterverwendung seiner unterschriebenen zweiten Seite spreche. Deshalb sei das entsprechende Wiedereinsetzungsvorbringen unwahrscheinlich und unglaubhaft. Hierauf hat der Kläger unter Vorlage einer zweiten eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin J. S. vom 13. August 2021 "in Ergänzung" vorgetragen, dass die falsch adressierte Berufungsschrift nur ursprünglich aus zwei Blättern bestanden habe. Denn die Mitarbeiterin habe auf die Anweisung, nach Korrektur des Adressaten die erste Seite "auszutauschen", das zweite, bereits unterschriebene Blatt des Schriftsatzes wieder in den Drucker eingelegt und dessen Vorderseite mit der auf ihrem Computerbildschirm geöffneten, aber nicht mehr korrigierten ersten Seite der Berufungsschrift bedruckt.
III.
Die rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung mit einer Begründung versagt, die die Anforderungen an die Darlegung der bisherigen Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin der klägerischen Prozessbevollmächtigten überspannt und gehörswidrig außer Acht lässt, dass insoweit konkret und nicht bloß floskelhaft vorgetragen worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis in der Sache als richtig erweist (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn der Kläger hat keinen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Kläger hat auf den Hinweis des Senats der Sache nach eingeräumt, dass sein ursprüngliches Wiedereinsetzungsvorbringen vor dem Berufungsgericht, zu dessen Glaubhaftmachung die erste eidesstattliche Versicherung vom 9. September 2020 vorgelegt worden ist, unrichtig gewesen ist. Darin ist nämlich unmissverständlich behauptet worden, dass auf Anweisung der klägerischen Prozessbevollmächtigten das erste, mit der falschen Adresse versehene Blatt der aus zwei Blättern bestehenden Berufungsschrift gegen ein neues - versehentlich nicht korrigiertes - Blatt ausgetauscht und nachfolgend der (damit weiterhin) aus zwei Blättern bestehende Schriftsatz übermittelt worden sei. Dies legt nicht nur die Versicherung der Mitarbeiterin der klägerischen Prozessbevollmächtigten nahe, sie habe die Korrektur der vierfach ausgefertigten Berufungsschrift "nach Anweisung", also unter "Austausch" des ersten Blattes des Schriftsatzes, vornehmen wollen, weshalb sie "erneut viermal die erste Seite ausgedruckt" und diese
"sowie die bereits unterzeichnete zweite Seite" gefaxt habe. Vor allem ergibt es sich aus ihrer Angabe, sie habe zur Vorbereitung des Briefversands die anderen Exemplare der Berufungsschrift "ebenfalls zusammengeheftet". Denn ein "Zusammenheften" der Ausdrucke des Schriftsatzes einschließlich des gefaxten Druckexemplars - wie aus der Formulierung "ebenfalls" folgt - setzt denknotwendig voraus, dass die Berufungsschrift auch noch zum Zeitpunkt ihrer Faxübermittlung aus zwei Blättern und nicht nur aus einem einzigen beidseitig bedruckten Blatt bestanden hat. Ebendies wird aber nunmehr unter Vorlage der zweiten eidesstattlichen Versicherung vom 13. August 2021 behauptet. Damit wird ein widersprechender neuer Sachverhalt im Rahmen eines unzulässigen "Nachschiebens" neuer Wiedereinsetzungsgründe nach Ablauf der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO geschildert und keine zulässige "Ergänzung" des fristgerechten Wiedereinsetzungsvorbringens vorgenommen, das als solches weder unklar noch unvollständig und damit auch nicht im Sinne des § 139 ZPO ergänzungsbedürftig gewesen ist (vgl. dazu nur Senat, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - III ZB 47/12, juris Rn. 9 und vom 27. Juli 2017 - III ZB 76/16, NJW 2017, 3309 Rn. 9 jew. mwN).
Der Senat kann die Würdigung, dass ein Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist, als Rechtsbeschwerdegericht selbst vornehmen, da Grundlage für die Entscheidung, ob Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zu gewähren ist, die im Antrag vorgetragenen Tatsachen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2012, aaO). Insoweit kommt neuer Sachvortrag nicht mehr in Betracht (s.o.).
Herrmann Reiter Arend Kessen Liepin Vorinstanzen: LG Magdeburg, Entscheidung vom 07.07.2020 - 9 O 740/19 OLG Naumburg, Entscheidung vom 15.10.2020 - 1 U 206/20 -