6 StR 265/25
BUNDESGERICHTSHOF StR 265/25 BESCHLUSS vom 25. September 2025 in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
zu 2.: Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2025:250925B6STR265.25.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 6. Februar 2025, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben a) im Fall II.2 der Urteilsgründe; b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe; c) soweit eine Einziehung des Wertes von Taterträgen über 1.754,42 Euro hinaus angeordnet worden ist.
2. Auf die Revision des Angeklagten B.
wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten G. wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.2 der Urteilsgründe) und wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels (Fall II.3 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einem Monat verurteilt. Den Angeklagten B.
hat es wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.2 der Urteilsgründe)
zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen beide Angeklagte Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Die Revision des Angeklagten B.
hat in vollem Umfang, die des Angeklagten G. in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist die Revision des Angeklagten G.
unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Während Schuld- und Rechtsfolgenaussprüche im Fall II.3 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten G. aufweisen, haben die Schuldsprüche im Fall II.2 der Urteilsgründe keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
aa) Die Angeklagten verkauften in der Zeit von Anfang August 2022 bis zum 14. Februar 2024 aus den Räumlichkeiten eines Kulturvereins heraus arbeitsteilig und gewerbsmäßig Kokain. Dazu setzten sie verschiedene, ihren Weisungen unterworfene und von ihnen in einem Hotel untergebrachte Verkäufer ein, die im Wechsel Tag- und Nachtschichten übernahmen und den Abnehmern das Kokain portionsweise in Plastikfolien verpackt zu 0,4 Gramm gegen Bezahlung übergaben. Die Angeklagten waren täglich vor Ort; gelegentlich verkauften sie auch selbst. Ferner beschafften sie weiteres Kokain aus einem in der Nähe befindlichen „Lager“, wenn die Vorräte im Café abverkauft waren. Dies übernahm insbesondere der Angeklagte B.
„oft vormittags“. Das Landgericht hat für den Tatzeitraum von etwa eineinhalb Jahren 123 Verkaufsgeschäfte festgestellt, davon 122 Verkaufsgeschäfte mit dem Zeugen F.
über jeweils
1,2 Gramm Kokain und eines mit dem Zeugen Ba. über 0,4 Gramm. Das Rauschmittel wies jeweils einen Wirkstoffanteil von 60 Prozent auf.
bb) Das Landgericht hat diese Verkaufsgeschäfte als eine Tat des mittäterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bewertet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB). Sämtliche unter II.2 der Urteilsgründe festgestellten Handlungen der Angeklagten erwiesen sich als natürliche Handlungseinheit, so dass – entgegen der Anklageschrift – nicht von 427 Einzeltaten, sondern lediglich von einer Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln auszugehen sei. Die über die festgestellten 123 Verkaufsgeschäfte hinausgehenden weiteren Anklagevorwürfe finden in den Urteilsgründen keine Erwähnung.
b) Die konkurrenzrechtliche Bewertung der festgestellten Verkaufsvorgänge als eine Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist rechtsfehlerhaft.
aa) Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt materiell-rechtlich Tateinheit vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Von einer Tat im Rechtssinne kann auch auszugehen sein, wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinne zu einer Handlungseinheit zusammengefasst werden. Das ist der Fall, wenn zwischen mehreren menschlichen, strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (sog. natürliche Handlungseinheit; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 6 mwN; Urteile vom 29. März 2012 – 3 StR 422/11, StV 2013, 382, 383; vom 20. März 2025 – 3 StR 447/24, Rn. 12).
Mehrere Handelsgeschäfte können zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit auch dann verbunden sein, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung zuvor bereits gelieferter Betäubungsmittel kommt. Stehen zwei Betätigungsakte – ohne tatbestandliche Überschneidung in zumindest einem Teil der Ausführungshandlung, sondern aufeinander folgend – in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang und erscheinen sie vor dem Hintergrund einer zwischen den Beteiligten bestehenden Lieferbeziehung als ein einheitliches, zusammengehöriges Tun, ist nicht lediglich von einem nur gelegentlichen Zusammentreffen zweier Tatbestände auszugehen, sondern von einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 10; Urteil vom 23. Oktober 2024 – 5 StR 318/24, Rn. 5).
Mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stehen zueinander auch dann in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB, wenn sich ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen – teilweise – überschneiden (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2018 – 3 StR 88/18, Rn. 7 mwN). Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, vermag der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit in diesem Sinne zu begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 10; Urteil vom 2. April 2015 – 3 StR 642/14, Rn. 7 f.) – die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Juni 2019 – 2 StR 287/18, NStZ 2020, 227).
bb) Gemessen hieran rechtfertigen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Annahme nur einer Tat im Sinne von § 52 StGB nicht. Bereits die zeitlichen Abläufe stehen der vom Landgericht nicht näher begründeten Annahme einer natürlichen Handlungseinheit entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2024 – 2 StR 443/23, Rn. 3). Die Verkaufsvorgänge erstreckten sich von August 2022 bis Februar 2024; worin das Landgericht vor diesem Hintergrund den notwendigen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang der Taten erblickt hat, erschließt sich auch in der Gesamtschau der Urteilsgründe nicht. Es fehlt nach den getroffenen Feststellungen schließlich an jedem Anhalt für sich zumindest teilweise überschneidende Ausführungshandlungen, etwa durch vorgenommene Kommissionsgeschäfte der Angeklagten, oder eine Gesamtmenge, aus der heraus der Verkauf von sämtlichen Teilmengen erfolgte.
c) Eine Beschwer der Angeklagten durch die Zusammenfassung der von ihnen gehandelten Kokainmenge im Fall II.2 der Urteilsgründe, die das Landgericht anhand der festgestellten Einzelverkäufe hochgerechnet hat, ist hier nicht auszuschließen. Es liegt nahe, dass bei der Annahme von Tatmehrheit in keinem der angeklagten Fälle der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne von
§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG überschritten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 – 5 StR 12/12, NStZ 2012, 517, 518). Darüber hinaus lassen die Urteilsfeststellungen eine revisionsgerichtliche Nachprüfung nicht zu, ob die Strafkammer hinsichtlich des Angeklagten B.
– infolge des angenommenen späten Beendigungszeitpunkts der einzigen angenommenen Tat – zu Recht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§§ 55, 53, 54 StGB) mit Einzelstrafen aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Rinteln vom 4. April 2023 abgesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2023 – 1 StR 57/23, wistra 2024, 288,
290).
2. Die Aufhebung der Schuldsprüche im Fall II.2 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafen, hinsichtlich des Angeklagten G. überdies des Ausspruchs über die Gesamtstrafe, sowie der für diesen Fall jeweils auf § 73c Satz 1 StGB gestützten Einziehungsanordnungen über 29.440 Euro nach sich. Der Senat hebt die jeweils zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung zu ermöglichen.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Den Angeklagten wird mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 427 Fällen zur Last gelegt. Das angefochtene Urteil erschöpft die Anklage insoweit nicht; es wurden lediglich 123 Fälle des Handeltreibens festgestellt. Ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung hinsichtlich der weiteren mit dem Zeugen F.
und der weiteren mit dem Zeugen Ba. getätigten Verkaufsgeschäfte erfolgte ebenso wenig, wie in den Fällen 1. und 21. bis 27. der Anklageschrift, die Verkaufsgeschäfte mit anderen Abnehmern betreffen. Aufgrund der umfassenden Kognitionspflicht des Tatgerichts (§ 264 StPO) hätte die Strafkammer die Taten, so wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellten, ohne Bindung an die dem Eröffnungsbeschluss und der unverändert zugelassenen Anklage zugrunde liegende rechtliche Beurteilung erschöpfend aburteilen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2009 – 3 StR 280/09, Rn. 18). Weil sie dies unterlassen hat, sind die bislang nicht abgeurteilten Taten beim Landgericht anhängig geblieben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2001 – 2 StR 7/01; vom 21. November 2024 – 2 StR 453/24, Rn. 13). Sie unterliegen nicht der Überprü- fung durch das Revisionsgericht, sondern weiterhin der Kognition des Landgerichts. Es wird zu erwägen sein, dieses – noch bei der bisher zuständigen Strafkammer anhängig gebliebene – Verfahren zu dem zurückverwiesenen Verfahren entsprechend § 4 StPO hinzuzuverbinden (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 2000 – 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 138; vom 20. Juli 2022 – 2 StR 474/21, Rn. 16; Beschluss vom 20. Juni 2024 – 2 StR 449/23, Rn. 12).
b) Eine einheitliche Tat des unerlaubten Handeltreibens ist anzunehmen, wenn ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 1981 – 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28, 31; vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, NJW 2002, 1810; Urteil vom 9. Januar 2025 – 3 StR 239/24, Rn. 27). Alle Betätigungen, die sich auf den Vertrieb desselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittels richten, sind dann als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zwecke gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, bereits den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, NJW 2002, 1810 mwN). Vor diesem Hintergrund wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht gegebenenfalls näher als bislang geschehen in den Blick zu nehmen haben, ob sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das über den Tatzeitraum gewinnbringend weiterveräußerte Kokain aus einer oder mehreren angelieferten Drogenmengen stammte. Lassen sich insoweit genauere Feststellungen mit angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen, wäre innerhalb des feststehenden Gesamtschuldumfangs die Zahl der Einkäufe und Abverkäufe aus den einzelnen Erwerbsmengen zu schätzen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 345/12, NStZ-RR 2013, 46, 47).
c) Die Abfassung der Urteilsgründe gibt schließlich Anlass zu dem Hinweis, dass in den Feststellungen zur Sache nur die für erwiesen erachteten Tatsachen anzugeben sind, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll ein geschlossenes Ganzes bilden und – unter Weglassung alles Unwesentlichen – kurz, klar und bestimmt sein
(vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 30. Aufl., Rn. 271). Beruht die Überzeugung des Landgerichts auf zahlreichen Beweiszeichen – wie hier auf Daten über Barabhebungen des Zeugen F.
an einem Geldautomaten –,
so ist es im Interesse der Verständlichkeit des Urteils dringend angezeigt, diese nicht in den Feststellungen, sondern ausschließlich im Rahmen der Beweiswürdigung abzuhandeln. Dies vermeidet eine umfangreiche, das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund drängende Darstellung von zuerst mehr oder minder belanglos erscheinenden Umständen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2005 – 3 StR 238/05, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 14; vom 25. Juli 2017 – 3 StR 111/17).
von Schmettau Wenske Fritsche Arnoldi Dietsch Vorinstanz: Landgericht Bückeburg, 06.02.2025 - 4 KLs 204 Js 11960/22 (16/24)