XI ZB 4/21
BUNDESGERICHTSHOF XI ZB 4/21 BESCHLUSS vom 21. September 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:210921BXIZB4.21.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. September 2021 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, den Richter Dr. Grüneberg sowie die Richterinnen Dr. Menges, Dr. Derstadt und Ettl beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Dezember 2020 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert beträgt bis zu 230.000 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die von der Beklagten betriebene Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuldbestellungsurkunde. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 27. Juli 2020 zugestellt worden. Hiergegen hat sie am 18. August 2020 Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist am Montag, dem 28. September 2020, abgelaufen. Mit Schriftsatz vom 28. September 2020, der im Original am 30. September 2020 bei dem Berufungsgericht eingegangen ist, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Berufung begründet.
Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung, der den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12. Oktober 2020 zugestellt worden ist, haben letztere mit am 21. Oktober 2020 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, im Rahmen der Büroorganisation sei den Mitarbeiterinnen vorgegeben, dass im Falle des Versands von Schriftsätzen in Form von Telefaxen die Telefaxnummer ausschließlich von dem jeweils letzten Schreiben des Gerichts oder, falls ein solches noch nicht vorhanden sei, von der Internetseite des zuständigen Gerichts auf den Schriftsatz zu übernehmen sei. Die Mitarbeiterinnen seien gehalten, auf die Schriftsätze die Telefaxnummer des vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfängergerichts in das Adressfeld einzutragen und nach dieser Übertragung die eingefügte Telefaxnummer einer erneuten Kontrolle zu unterziehen, indem sie diese nochmals mit der Telefaxnummer des letzten gerichtlichen Schreibens sorgfältig abgleichen. Im Rahmen der Versendung von fristgebundenen Schriftsätzen, die fristwahrend vorab per Telefax übermittelt werden sollen, sei nach einer Versendung per Telefax anhand des Sendeprotokolls durch Abgleich zu überprüfen, ob der Schriftsatz an das richtige Gericht gesendet worden sei. Dazu sei die Faxnummer auf dem Sendebericht mit der Faxnummer auf dem Schriftsatz, die im Rahmen der Erstellung von dem letzten gerichtlichen Schreiben übernommen und dabei auf Richtigkeit kontrolliert worden sei, abzugleichen.
Hier sei die Berufungsbegründungsschrift am 24. September 2020 durch die Rechtsanwaltsfachangestellte L. nach Diktat erstellt worden. Diese habe sich dabei an die kanzleiinterne Anweisung gehalten, die Faxnummer von dem letzten gerichtlichen Schreiben zu übernehmen, aufgrund eines Übertragungsfehlers aber die Faxnummer anstelle der richtigen Faxnummer eingetragen. Dieser Schreibfehler sei der Rechtsanwaltsfachangestellten L. auch bei der anschließenden nochmaligen Kontrolle nicht aufgefallen.
Am 28. September 2020 habe die Rechtsanwaltsfachangestellte M. die bereits erstellte Berufungsbegründungsschrift für die Versendung ausgefertigt und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Unterschrift vorgelegt. Dieser habe bei der Unterzeichnung nochmals die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts kontrolliert und die Faxnummer auf Plausibilität überprüft. Aufgrund der Angabe der ihm bekannten Vorwahl für Dresden auf dem Schriftsatz sei er von der Richtigkeit der Telefaxnummer ausgegangen. Nach Unterzeichnung habe die Rechtsanwaltsfachangestellte M. die Berufungsbegründungsschrift per Telefax versandt und dabei die auf der Berufungsbegründungsschrift angegebene Telefaxnummer eingegeben. Sie habe trotz der aufgrund des Schreibversehens falschen Faxnummer einen positiven Sendebericht erhalten und entsprechend der Kanzleiorganisation die auf dem Sendebericht angegebene Faxnummer mit der auf der Berufungsbegründungsschrift angegebenen Faxnummer abgeglichen. Da diese übereingestimmt hätten, habe sie die erfolgreiche Übertragung bestätigt und die Berufungsbegründungsschrift kuvertiert und versandt. Erst durch den Hinweis des Berufungsgerichts sei bekannt geworden, dass die Berufungsbegründungsschrift vorab per Telefax nicht an das Berufungsgericht übermittelt worden sei. Bei beiden Kanzleiangestellten handele es sich um sorgfältig ausgewählte und gut überwachte Rechtsanwaltsfachangestellte.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zwar zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe das ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht ausgeräumt.
Ein Rechtsanwalt müsse eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet werde, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig an den richtigen Adressaten herausgehen. Das setze in allen Fällen den Abgleich mit einer zuverlässigen Quelle voraus, weil nur so Ermittlungs- und Eingabefehlern wirksam begegnet werden könne. Den danach gebotenen Organisationsanforderungen genüge ein Abgleich des Sendeberichts nur mit der Faxnummer, die ein Kanzleimitarbeiter aus der Akte auf den zu versendenden Schriftsatz übertragen hat, nicht. Denn eine solche Handhabung führe in nicht akzeptabler Weise dazu, dass - durch nur geringfügigen Mehraufwand vermeidbare - Übertragungsfehler unentdeckt blieben und damit die Gefahr entstehe, dass eine in der Praxis relativ häufig auftretende Fehlerquelle nicht beherrscht werde. Gemessen an der Bedeutung fristgemäßer Verfahrensabläufe und dem geringen Mehraufwand des Abgleichs, der bei der Ermittlung der Faxnummer aus anderen Quellen ohnehin bestehe, stelle dies keine Überspannung der Anforderungen, die an die Kanzleiorganisation eines Rechtsanwalts zu stellen seien, dar. Denn diese Art der Ausgangskontrolle solle nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer und ihrer Übertragung in den Schriftsatz ausschließen.
Die Anweisung, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der in dem versandten Schriftsatz angegebenen zu vergleichen, genüge nur dann, wenn darüber hinaus die generelle Anordnung bestehe, vor der Versendung die auf den Schriftsatz übertragene Faxnummer mit der zuverlässigen Ausgangsquelle abzugleichen, und auf diese Weise sichergestellt sei, dass sowohl Ermittlungs- als auch Eingabefehler rechtzeitig aufgedeckt werden können. Eine solche Anordnung habe die Klägerin nicht dargelegt. Nicht ausreichend sei insoweit der Abgleich der in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer unmittelbar nach der Einfügung. Vielmehr müsse im Zusammenhang mit der Versendung eine Kontrolle erfolgen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht vielmehr in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt weder den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch ihren Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Denn die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Dabei darf sich die Kontrolle des Sendeberichts grundsätzlich nicht darauf beschränken, die auf diesem ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, etwa in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle, etwa anhand eines geeigneten Verzeichnisses, vorgenommen werden, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist. Denn diese Art der Ausgangskontrolle soll nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer und ihrer Übertragung in den Schriftsatz ausschließen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, NJW-RR 2013, 1467 Rn. 7, vom 19. Dezember 2017 - XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 7 mwN, vom 15. Januar 2019 - XI ZB 20/18, juris Rn. 7 und vom 30. März 2021 - VIII ZB 37/19, MDR 2021, 830 Rn. 26).
Dem Erfordernis, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer erfasst werden, kann allerdings auch durch die Anweisung genügt werden, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Faxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - V ZB 154/12, WM 2014, 427 Rn. 8 und 12, vom 27. Juni 2017 - VI ZB 32/16, NJW-RR 2017, 1139 Rn. 7, vom 19. Dezember 2017 - XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 8 mwN, vom 15. Januar 2019 - XI ZB 20/18, juris Rn. 8 und vom 30. März 2021 - VIII ZB 37/19, MDR 2021, 830 Rn. 27). Der Sendebericht muss dann nicht mehr zusätzlich mit der zuverlässigen Ausgangsquelle verglichen werden. Infolge des vorangegangenen Abgleichs der auf den Schriftsatz übertragenen Faxnummer mit der zuverlässigen Ausgangsquelle ist die Nummer auf dem Schriftsatz nach diesem Abgleich selbst als ausreichend zuverlässige Quelle anzusehen (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2017, aaO, vom 15. Januar 2019, aaO und vom 30. März 2021, aaO).
2. Die nach dieser - vom Berufungsgericht in zutreffender Weise zugrunde gelegten - Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht erfüllt.
Weder dem Vorbringen der Klägerin noch den Ausführungen in den eidesstattlichen Versicherungen der beiden Rechtsanwaltsfachangestellten ihrer Prozessbevollmächtigten lässt sich entnehmen, dass in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die ausdrückliche anwaltliche Anweisung bestanden hätte, im Zusammenhang mit dem Faxversand eines fristgebundenen Schriftsatzes anhand einer zuverlässigen Quelle die Richtigkeit der Telefaxnummer des im Schriftsatz angegebenen Gerichts zu überprüfen.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde genügt es nicht, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte bei Erstellung des Schriftsatzes die Faxnummer des Berufungsgerichts entsprechend den ihr erteilten Anweisungen anhand des letzten Schreibens des Berufungsgerichts ermittelt, auf die Berufungsbegründung übertragen und sodann im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang erneut auf ihre Richtigkeit kontrolliert hat. Dies wahrt die anwaltliche Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nicht, weil diese bei einer Faxübersendung - wie dargelegt - nur durch eine nochmalige Überprüfung der Faxnummer entweder vor der Versendung oder mit dem Sendebericht anhand einer zuverlässigen Quelle erfüllt werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Dezember 2017 - XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 10 und vom 15. Januar 2019 - XI ZB 20/18, juris Rn. 10).
3. Das Fehlen der Anordnung einer solchen erneuten Kontrolle der Telefaxnummer im Zusammenhang mit der Versendung von fristgebundenen Schriftsätzen kann als Ursache für die Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2020 - XI ZB 17/19, juris Rn. 12 mwN). Auch wenn nur eine Ziffer der insgesamt aus elf Ziffern bestehenden Telefaxnummer unrichtig in den Schriftsatz übertragen worden ist, ist nicht auszuschließen, dass dieser Fehler aufgefallen wäre, wenn die auf der Berufungsbegründung angegebene Faxnummer im zeitlichen Zusammenhang mit der Versendung der Berufungsbegründung erneut mit der Faxnummer auf dem letzten Schreiben des Berufungsgerichts verglichen worden wäre.
Ellenberger Derstadt Grüneberg Menges Ettl Vorinstanzen: LG Görlitz, Entscheidung vom 17.07.2020 - 1 O 437/19 OLG Dresden, Entscheidung vom 15.12.2020 - 5 U 1670/20 -