XIII ZB 71/24
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 71/24 BESCHLUSS vom 27. Mai 2025 in der Überstellungshaftsache Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:
ja nein ja nein GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; FamFG § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34, § 420 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 227 Abs. 1 Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt nicht vor, wenn ein verfahrensbevollmächtigter Rechtsanwalt in einem Freiheitsentziehungsverfahren kurz vor einem Anhörungstermin zwar einen Verlegungsantrag stellt, jedoch keinen erheblichen Grund für die beantragte Terminsverlegung nennt und die Anhörung dann ohne ihn erfolgt.
BGH, Beschluss vom 27. Mai 2025 - XIII ZB 71/24 - LG Dortmund AG Unna ECLI:DE:BGH:2025:270525BXIIIZB71.24.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Mai 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt, die Richterinnen Dr. Vogt-Beheim und Dr. Holzinger sowie den Richter Dr. Kochendörfer beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 4. September 2024 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 22. Juli 2023 erstmals nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag am 14. Dezember 2023 als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung nach Österreich an. Seit dem 30. Dezember 2023 ist der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Nach Bestimmung des Überstellungstermins auf den 5. September 2024 wurde der Betroffene am 21. August 2024 bei der beteiligten Behörde festgenommen. Auf Bitte des Amtsgerichts informierte die beteiligte Behörde den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am Nachmittag desselben Tages über die für den 22. August 2024 um 9:30 Uhr vorgesehene Anhörung. Ausweislich des Haftantrags vom 22. August 2024 war das persönliche Erscheinen des Verfahrensbevollmächtigten zum Anhörungstermin beabsichtigt. Am 22. August 2024 hat der Bevollmächtigte des Betroffenen dem Amtsgericht telefonisch seine Verhinderung für diesen Termin angezeigt und um Verlegung gebeten. Er hat außerdem gegen 8:50 Uhr schriftsätzlich mitgeteilt, er könne den Termin nicht wahrnehmen und beantrage Verlegung. Das Amtsgericht hat den Termin nicht verlegt, den Betroffenen in Abwesenheit seines Bevollmächtigten angehört und Haft bis zum 5. September 2024 angeordnet. Das Anhörungsprotokoll enthält folgenden Hinweis: "[Der Betroffene] erklärte: Mir ist hier gesagt worden, dass mein Anwalt, der zuvor mit dem Richter telefoniert hat, mir empfohlen hat, mich zunächst nicht zu äußern. (…)". Die gegen die Haftanordnung am selben Tag eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 4. September 2024 zurückgewiesen. Mit seiner nach Überstellung des Betroffenen am 5. September 2024 eingelegten Rechtsbeschwerde begehrt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft.
II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung - angenommen, eine Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Der Bevollmächtigte des Betroffenen habe die Möglichkeit gehabt, an dem Anhörungstermin teilzunehmen. Im Übrigen sei es aufgrund der Eilbedürftigkeit in Überstellungshaftsachen im Allgemeinen und im hier vorliegenden Verfahren im Besonderen nicht verfahrensfehlerhaft gewesen, den Anhörungstermin nicht zu verlegen, zumal der Bevollmächtigte besondere Hinderungsgründe nicht vorgetragen habe.
2. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere als Entscheidung in der Hauptsache ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft. Allein die Erwähnung des § 427 FamFG im Tenor lässt nicht den Schluss zu, dass das Amtsgericht lediglich eine einstweilige Anordnung erlassen wollte. Die gebotene (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. September 2015 - V ZB 40/15, InfAuslR 2016, 55 Rn. 9; vom 20. April 2021 - XIII ZB 47/20, juris Rn. 7) - Auslegung der Haftanordnung ergibt, dass sie im Hauptsacheverfahren ergangen ist. Der Beschluss des Amtsgerichts enthält keine Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung und stellt den Haftgrund der Fluchtgefahr abschließend fest. Zudem weist die erteilte Rechtsmittelbelehrung auf die Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG hin und nicht auf die - im Falle der einstweiligen Anordnung maßgebliche - zweiwöchige Frist nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Auch der Entscheidung des Beschwerdegerichts sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die für die Annahme sprechen, dass diese im einstweiligen Verfahren ergehen sollte.
3. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die Rüge, das Amtsgericht habe den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt, greift nicht durch. Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Ablehnung der Verlegung aufgrund des fehlenden Vortrags zu den Hinderungsgründen nicht verfahrensfehlerhaft war.
a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2022 - XIII ZB 34/21, juris Rn. 5 bis 7; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 18/20, juris Rn. 6). Im Rechtssinn nicht ermöglicht wird dem über den Anhörungstermin gemäß § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG rechtzeitig informierten Bevollmächtigten eine Teilnahme allerdings nur dann, wenn eine ermessensgerechte Entscheidung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 227 Abs. 1 ZPO die Verlegung des Termins auf einen anderen Tag erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 17).
b) Das war hier nicht der Fall, weil der vom Bevollmächtigten des Betroffenen gestellte Verlegungsantrag den tatbestandlichen Voraussetzungen der § 32 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 227 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 34, § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht genügte.
aa) Die Gründe für eine Terminsverlegung müssen im Terminsverlegungsantrag - ungeachtet dessen, dass sie nach § 227 Abs. 2 ZPO (erst) auf Verlangen des Vorsitzenden glaubhaft zu machen sind - schlüssig vorgetragen werden, um dem Gericht eine Prüfung ihrer Erheblichkeit zu ermöglichen. Zwar ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller auf Lücken im Antrag hinzuweisen. Das gilt indes nicht im Fall eines - wie hier - kurz vor dem Termin gestellten Verlegungsantrags, zumal die Voraussetzungen des § 227 Abs. 1 ZPO dem Bevollmächtigten bekannt sein mussten (vgl. BSG, Beschlüsse vom 7. November 2017 - B 13 R 153/17 B, juris Rn. 7 bis 10; vom 21. März 2018 - B 13 R 401/15 B, juris Rn. 19; BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2021 - 1 BvR 1997/18, NJW 2021, 3384 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 24. März 2025 - AnwZ (Brfg) 48/24, juris Rn. 12; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl., § 227 Rn. 5a; Jokisch in Sternal, FamFG, 21. Aufl., § 34 Rn. 18).
bb) Erhebliche Gründe in diesem Sinn hat der Bevollmächtigte des Betroffenen nicht genannt. In seinem schriftsätzlichen Antrag hat er ohne weitere Begründung angeführt, er könne den Anhörungstermin nicht wahrnehmen und bitte um Verlegung. Auch im Telefonat mit der Geschäftsstelle hat er ausweislich des Telefonvermerks lediglich mitgeteilt, er sei verhindert. Schließlich hat das Gericht den Verfahrensbevollmächtigten ausweislich des Anhörungsprotokolls auch darüber informiert, dass der Anhörungstermin gleichwohl stattfinden werde. Dass in diesem Telefonat nunmehr erhebliche Gründe vorgetragen worden seien, macht der Verfahrensbevollmächtigte nicht geltend; Verfahrensrügen gegen die Feststellung des Beschwerdegerichts, besondere Hinderungsgründe seien nicht vorgetragen worden, hat die Rechtsbeschwerde nicht erhoben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Roloff Holzinger Tolkmitt Vogt-Beheim Kochendörfer Vorinstanzen: AG Unna, Entscheidung vom 22.08.2024 - 06 XIV(B) 29/24 LG Dortmund, Entscheidung vom 04.09.2024 - 9 T 271/24 -