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2 Ni 3/15 (EP)

BUNDESPATENTGERICHT Ni 3/15 (EP) (Aktenzeichen)

…

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am

19. Januar 2017 …

In der Patentnichtigkeitssache BPatG 253 08.05

…

betreffend das europäische Patent 1 165 329 (DE 600 24 792)

hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Guth, der Richterin Hartlieb sowie der Richter Dr.-Ing. Fritze, Dipl.-Ing. Fetteroll und Dipl.-Ing. Wiegele für Recht erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die teilweise Nichtigerklärung des europäischen Patents 1 165 329 B9 im Umfang der Ansprüche 1 und 2. Die Beklagte ist Inhaberin dieses am 6. April 2000 angemeldeten und am 14. Dezember 2005 veröffentlichten Patents (im Folgenden: Streitpatent), das auf die internationale Anmeldung PCT/NO/2000/000113 zurückgeht und für das die Priorität der norwegischen Patentanmeldung NO 991631 vom 6. April 1999 in Anspruch genommen wird. Das in der Verfahrenssprache Englisch abgefasste Streitpatent mit der Bezeichnung „A Gliding Preventer for Vehicle Wheels” (Gleitschutzvorrichtung für Fahrzeugräder) wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 600 24 792 geführt. Eine korrigierte Fassung des Patents wurde am 22. März 2006 veröffentlicht. Das Streitpatent umfasst den Anspruch 1 und die darauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 14 sowie den nebengeordneten Anspruch 15.

Anspruch 1 des erteilten Streitpatents in der Fassung gemäß der korrigierten EP 1 165 329 B9 lautet:

„A device to be fitted on a vehicle wheel (1) of a predetermined size in order to increase the friction between the wheel and the road surface during winter conditions, comprising a belt (3) made substantially from textile material and intended to encircle the tread (4) of the wheel (2) and be held in place by means of flexible inner and outer side portions (5,8) which, at least on the inner side of the wheel, is tightened by means of an elastic member (7), characterized in that the belt (3) is to encircle the tread (4) with a clearance resulting from the interval circumference of the belt (3) being at least 4% larger than the largest circumference of the tread (4) of the wheel (1).“

In der deutschen Übersetzung gemäß EP 1 165 329 B9, hier gegliedert wie von den Parteien vorgeschlagen, lautet der Anspruch 1:

a) Vorrichtung zum Anbringen an einem Fahrzeugrad (1) vorgegebener Größe, um unter den Winterverhältnissen, die Reibung zwischen dem Rad und der Straßenoberfläche zu erhöhen,

b) die ein wesentlich aus textilem Material hergestelltes Band (3) umfasst, c) das dafür vorgesehen ist, die Lauffläche (4) des Rades (1) zu umgeben d) und mittels flexibler innerer und äußerer seitlicher Abschnitte (5,8) festgehalten zu werden, e) die, mindestens an der inneren Seite des Rades, mittels eines elastischen Gliedes (7) festgespannt ist, dadurch gekennzeichnet, dass f) das Band (3) vorgesehen ist, die Lauffläche (4) in einem sich durch den inneren Umfang (3) ergebenden Abstand zu umgeben, der g) mindestens 4% größer als der größte Umfang der Lauffläche (4) des Rades (1) ist.

Der rückbezogene Anspruch 2 des erteilten Streitpatents lautet gemäß der korrigierten EP 1 165 329 B9:

„A device according to claim 1, characterized in that the internal circumference of the belt (3) is 4-10%, preferably 5-6% larger than the largest circumference of the tread (4) of the wheel (1).“

In der deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 2:

Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der innere Umfang des Bandes (3) um 4-10%, bevorzugt 5-6% größer als der größte Umfang der Lauffläche (4) des Rades (1) ist.

Hinsichtlich des Wortlauts der rückbezogenen Ansprüche 3 bis 14 sowie des nebengeordneten Anspruchs 15, die nicht angegriffen sind, wird auf die Patentschrift EP 1 165 329 B9 verwiesen.

Die Klägerin macht hinsichtlich der angegriffenen Ansprüche 1 und 2 den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend, da es dem Patent insoweit an Neuheit und erfinderischer Tätigkeit mangele.

Zur Stützung ihres Vorbringens nennt sie folgende Druckschrift:

Anlage K3: US 2,682,907 Die Klägerin ist der Ansicht, die Merkmale f) und g) des Hauptanspruchs 1 seien in K3 offenbart. Dort sei an keiner Stelle die Rede davon, dass die darin beschriebene Vorrichtung eng an einem Reifen anliege. Bei einer – wie bei industrieller Massenproduktion und breiter Verwendbarkeit erforderlich – für neue Reifen vorkonfektionierten und nicht dehnbaren Vorrichtung gemäß der K3 ergäben sich, wenn man sie auf verschlissene Reifen aufziehe, zwangsläufig eine Übergröße des Bandes und somit die Merkmale f) und g), wie auch das OLG Düsseldorf im Verletzungsprozess festgestellt habe. Im Übrigen habe es für den Fachmann auch nahegelegen, ausgehend von K3 bei der Suche nach wirtschaftlich herstellbaren Gleitschutzvorrichtungen auf eine Dimensionierung der bekannten Gleitschutzvorrichtungen zu kommen, bei denen sich die Merkmale f) und g) gemäß Streitpatent automatisch einstellten.

Die Klägerin beantragt,

das europäische Patent 1 165 329 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Ansprüche 1 und 2 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie hält den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig und meint, das Streitpatent lehre eine planmäßige Übergröße der Vorrichtung. Dieses Merkmal sei durch die K3 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Im Gegenteil sprächen die Zeichnungen und die Beschreibung bei sachgemäßem, funktionellem Verständnis bezogen auf das Veröffentlichungsdatum der Entgegenhaltung dafür, dass kein planmäßiger Abstand zwischen Lauffläche und Überzug vorliege. Auch sei keine konkrete Veranlassung für den Fachmann ersichtlich, von der Entgegenhaltung K3 ausgehend zu der Lehre der angegriffenen Ansprüche des Streitpatents zu gelangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe Die Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 und Artikel 56 EPÜ geltend gemacht wird, ist zulässig.

Die Klage ist jedoch erfolglos, weil der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht vorliegt.

Die mit den Patentansprüchen 1 und 2 beanspruchte Lehre war zum maßgeblichen Prioritätszeitpunkt patentfähig. Gegenüber dem Stand der Technik ist sie neu, und sie beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die gewerbliche Anwendbarkeit der Vorrichtung steht außer Frage.

I.

1. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Anbringen an einem Fahrzeugrad vorbestimmter Größe, die unter winterlichen Verhältnissen die Reibung zwischen Rad und Straßenoberfläche erhöhen soll. Sie umfasst einen Gürtel aus im Wesentlichen Textil, der die Lauffläche des Rades umgibt, und der, mit flexiblen seitlichen Innen- und Außenteilen versehen, wenigstens auf der Innenseite des Rades mittels eines elastischen Gliedes festgespannt ist.

Aus der Druckschrift US 2,682,907 bekannte derartige Vorrichtungen hätten laut Patentschrift den Nachteil, dass sie nicht auf das Rad aufgebracht werden können, wenn sie an einem Fahrzeug montiert seien, ohne das Rad vom Boden abzuheben. Da die bekannte Vorrichtung symmetrisch sei mit flexiblen Seitenbereichen und beidseitig darin enthaltenen Federn, könnte sie zudem dann, wenn durch eine Kurve auf einer trockenen Straßenfläche gefahren werde, möglicherweise zu der Innenseite vom Rad herunterlaufen und das Fahrzeug beschädigen. Die Vorrichtung könne dann auch nicht entfernt werden, ohne sie zu zerstören oder das Rad vom Fahrzeug zu entfernen.

2. Eine Aufgabe des Streitpatents ist daher, eine Vorrichtung zu schaffen, die an dem Rad auch dann befestigt werden kann, wenn das Rad auf der Straßenfläche mit dem vollen Gewicht des Fahrzeugs ruht, vorzugsweise auch dann, wenn das Rad in mehr oder weniger tiefem Schnee steckt.

3. Als Fachmann ist ein Hochschulabsolvent der Fachrichtung Maschinenbau (Fahrzeugtechnik) anzusehen, der über mehrjährige Erfahrung in der Konstruktion von Traktionshilfen für Fahrzeugräder verfügt und gegebenenfalls einen Fachmann aus dem Bereich der Textiltechnik zu Rate zieht.

4. Die Lösung besteht in einer Vorrichtung mit den im Anspruch 1 angegebenen Merkmalen a) bis g). Zu deren Wortlaut wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf den Tatbestand verwiesen.

Gemäß Merkmal a) ist die patentgemäße Vorrichtung zum Anbringen an einem Fahrzeugrad vorgesehen. Ein Fahrzeugrad im Sinne des Streitpatents ist hier ein aus Radschüssel oder -scheibe sowie der Felge mit darauf montiertem, aufgepumptem Reifen bestehendes komplettes Rad, wie es gebräuchlich für Kraftwagen ist. Die Fig. 1A und 1B in der Streitpatentschrift zeigen ein Ausführungsbeispiel einer montierten Vorrichtung aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Die Bedeutung des Ausdrucks vorgegebene Größe erschließt sich aus den Merkmalen a) und g). Demnach ist damit der größte Umfang der Lauffläche des Rades gemeint. Zur Umsetzung der patentgemäßen Lehre kann ihn der Fachmann ohne weiteres aus auf den Reifenflanken angebrachten Dimensions- und Bauartangaben ermitteln. Bekanntlich beziehen sie sich auf Nenngrößen, die für den Neuzustand des Reifens gelten. Herstellungsbedingte Abweichungen davon sind bekanntlich zulässig. Laut dem vom Verletzungsgericht berücksichtigten Sachverständigengutachten liegen diese im Bereich zwischen 1,5% über und 2,5% unter dem Nennumfang.

Bezüglich der Merkmale f) und g) ist festzustellen, dass die Übertragung ins Deutsche ungenau ist und zu einer missverständlichen Formulierung geführt hat, wonach der Abstand zwischen dem inneren Umfang des Bandes und dem der Lauffläche des Rades mindestens 4% beträgt. Der - hier maßgebliche - englische Text lautet „…the belt is to encircle the tread with a clearance resulting from the internal circumference of the belt being at least 4% larger than the largest circumference of the tread oft he wheel.“ Das Band soll also die Lauffläche mit einem Abstand umgeben, der daraus resultiert, dass sein innerer Umfang wenigstens 4% größer ist, als der größte Umfang der Lauffläche des Rades.

Diese Bemessungsangabe bildet den Kern der Erfindung. Sie definiert eine Übergröße des inneren Umfangs des Bandes der Vorrichtung gegenüber dem größten Radumfang, die bewirken soll, dass die Vorrichtung sich zumindest teilweise auf das auf der Straßenoberfläche stehende Rad aufziehen lässt und sich beim Anfahren nach vorne oder hinten quasi selbsttätig vollständig auf das Rad zieht. Damit die Vorrichtung in jedem Fall die Maßgaben der Merkmale f) und g) erfüllt, ist für den größten Umfang der Lauffläche der Radumfang zu Grunde zu legen, welcher sich aus dem Nenndurchmesser des Reifens zuzüglich 1,5% davon ergibt (vgl. die obigen Anmerkungen zu den Merkmalen a) und g)).

Der gemäß Anspruch 1 nach oben offene Wertebereich für die prozentuale Abweichung zwischen dem Innenumfang des Bandes und dem größten Laufflächenumfang trägt den Tatsachen Rechnung, dass einerseits schon der Durchmesser des Neureifens und folglich dessen Laufflächenumfang um 2,5% geringer als der Nenndurchmesser sein kann (vgl. wiederum die obigen Anmerkungen zu den Merkmalen a) und g)), und dass andererseits davon auszugehen ist, dass die Vorrichtung an Fahrzeugräder mit gebrauchten Reifen angebracht wird, die bereits einen Verschleiß erfahren haben und folglich einen geringeren Umfang aufweisen als ungebrauchte Reifen.

Der Umfangsunterschied ist aber nicht beliebig groß. Vielmehr grenzt der Fachmann mit dem Blick auf reale Einsatzbedingungen die Differenz zwischen dem Innenumfang des Bandes und dem größten Laufflächenumfang so weit ein, dass jedenfalls der gewünschte Effekt der quasi selbsttätigen Montage eintritt und zudem die Vorrichtung auch dann vollständig auf dem Rad verbleibt, wenn auf trockener und kurvenreicher Straße mit der montierten Gleitverhinderungsvorrichtung gefahren wird. Das findet seinen Niederschlag im rückbezogenen Anspruch 2, wonach die Übergröße gegenüber dem Laufflächenumfang 4-10%, vorzugsweise 5-6% beträgt.

Nicht zuletzt ist hier aus fachmännischer Sicht vernünftigerweise zu unterstellen, dass die Vorrichtung während des Einsatzes so widerstandsfähig und insbesondere hinsichtlich des Übergrößenmaßes so weit formstabil bleibt, dass sie wiederholt mit Erfolg einsetzbar ist. Entsprechend sieht das Streitpatent Textilgewebe aus Cordura für das Band vor, die dem gerecht werden.

II.

Die Zulässigkeit der geltenden Ansprüche ist unstreitig und gegeben.

Die Erteilung des Patents erfolgte auf Grundlage der ursprünglich zur Anmeldung eingereichten Unterlagen. Patentanspruch 1 wurde gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung eingeschränkt erteilt. Die Änderungen betrafen die Aufnahme zusätzlicher Merkmale, die dort auf S. 4, Z. 13 bis S. 6, Z. 12, als zur Erfindung gehörig offenbart waren. In der nunmehr geltenden Fassung gemäß der EP 1 165 329 B9 wurde der Anspruch 1 gegenüber der erteilten Fassung gemäß der EP 1 165 329 B1 sprachlich überarbeitet. Weitere geringfügige Änderungen in den Ansprüchen 10 und 15 betreffen redaktionelle Änderungen.

Das Streitpatent erweist sich in der geltenden Fassung als rechtsbeständig.

1. Die Vorrichtung gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents ist neu.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, eine Vorrichtung mit sämtlichen im Streitpatentanspruch 1 angegebenen Merkmalen sei bereits aus der Druckschrift K3 bekannt.

Die Druckschrift K3 betrifft traktionserhöhende Mittel für Reifen (vgl. Bezeichnung „traction increasing means for tires“). Sie wird im Streitpatent als der Stand der Technik gewürdigt, von dem die Patentanmeldung ausging. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sie eine Vorrichtung mit den Merkmalen a) bis e) gemäß obiger Gliederung offenbart, die den Oberbegriff des Anspruchs 1 bilden. Diesbezüglich sei auf die Abs. [0002] und [0003] in der korrigierten Streitpatentschrift verwiesen. Streitig ist aber, ob die Merkmale f) und g) ebenfalls aus der Druckschrift K3 hervorgehen.

Nach der Meinung der Klägerin soll dies der Fall sein, da sich bei einer für neue Reifen vorkonfektionierten Vorrichtung gemäß der Druckschrift K3, wenn man sie auf verschlissene Reifen aufziehe, bereits zwangsläufig die Merkmale f) und g) ergäben. Auch unter Berücksichtigung, dass der Stand der Technik Diagonalreifen betreffe, stellten sich besagte Unterschiede zwischen dem Innenumfang der Lauffläche der bekannten Vorrichtung und dem größten Außenumfang des Rades während des Gebrauchs ein.

Dem ist insoweit zuzustimmen, als bei einer für neue Reifen vorkonfektionierten Vorrichtung gemäß der Druckschrift K3, wenn man sie auf verschlissene Reifen aufzieht, nicht auszuschließen ist, dass eine gemäß Streitpatent vorgesehene Umangsdifferenz zwischen dem größten Umfang der Lauffläche des Reifens und dem Innenumfang des Bandes auftreten könnte. Die Klägerin hat ihre Schlussfolgerung, wonach der Erfindung deswegen die Neuheit abzusprechen sei, allerdings erst kraft ihres Fachwissens und aufgrund ergänzender Überlegungen aus dem Inhalt der Druckschrift K3 herleiten können. Schlussfolgerungen, die der Fachmann auf diese Weise aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag, gehören jedoch nicht zum Offenbarten (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 – X ZR 89/07 –, BGH 179, 168-186, Rn. 26 – Olanzapin). Die Klägerin ist zudem erst im Zuge weit nach der Veröffentlichung der Druckschrift K3 liegender, gezielter Überprüfungen der bekannten Lehre auf das vom Streitpatent beanspruchte Merkmal hin zu ihrer Erkenntnis gelangt und konnte diese also nur nachträglich dem Gedankeninhalt der Offenbarung der Druckschrift K3 hinzuzufügen. Ein fehlender Gedankeninhalt darf jedoch nicht vom Standpunkt jüngerer Erkenntnis ergänzt werden (vgl. Schulte, PatG, 9. Aufl., § 3 Rn. 95, BGH BlPMZ 55, 153 Holzschutzmittel; GRUR 89, 899 Sauerteig). Bei der Neuheitsprüfung kommt es vielmehr grundsätzlich darauf an, was einer Vorveröffentlichung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 – X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 – Olanzapin). An einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung der konkreten Ausführungsform, die auch die Merkmale f) und g) aufweist, fehlt es hier aber.

Der Klägerin ist zwar insoweit zuzustimmen, dass in der Druckschrift K3 nicht die Rede davon ist, dass die Vorrichtung eng am Rad anliegt, die Verhältnisse sind dort aber jedenfalls so dargestellt, als liege sie unmittelbar und vollumfänglich an der Reifenoberfläche an, und auch die Beschreibung offenbart an keiner Stelle Gegenteiliges. So lassen die Fig. 1 bis 3, insbesondere Fig. 2 und die zugehörige Beschreibung Spalte 1, Z. 39 bis Sp. 2, 14, nicht erkennen oder den Rückschluss zu, dass bei der dortigen Vorrichtung – wie es der Anspruch 1 des Streitpatents verlangt – eine Differenz von mehr als 4% zwischen dem Innenumfang des zentralen Gürtels oder Bandes (band region 22) des antriebskrafterhöhenden Mittels und dem Außenumfang der Lauffläche (tread 13) des Reifens vorzusehen ist. Aus keiner Stelle erschließen sich eine Durchmesserdifferenz und ein daraus resultierender Abstand zwischen der Laufflächenoberfläche und der Innenfläche des zentral angeordneten Bandbereiches (central longitudinal band region 22) und folglich auch kein Umfangsunterschied.

Soweit die Klägerin auf die Entscheidung „Leflunomid“ (BGH, Urteil vom 24. Juli 2012 – X ZR 126/09, GRUR 2012, 1130) Bezug nimmt, ist diese hier nicht einschlägig. Zur Frage der Neuheit hat der erkennende Senat darin nicht Stellung bezogen. Der Fall betraf einen Wirkstoff, der die immanente, in seiner chemischen Struktur begründete Eigenschaft hatte, sich ohne weiteres naturgesetzlich zwingend im Laufe der Zeit in das Abbauprodukt umzuwandeln. Zum Einen ging es um ein pharmazeutisches Patent. Die spezielle Rechtsprechung des BGH auf dem chemischen und pharmazeutischen Gebiet und insbesondere bei Patenten, die chemische Stoffe betreffen, lässt sich aber nicht ohne weiteres verallgemeinern. Zum Anderen entstand die dort beanspruchte Stoffkombination ausgehend von dem bekannten Stoff mit der Zeit zwangsläufig immer, während sich die Differenzen zwischen dem Außenumfang der Reifenlauffläche und dem Innenumfang des Bandes bei der aus dem der Druckschrift K3 bekannten Vorrichtung nur zufällig und unabsichtlich ergeben können. Nach dem Streitpatent sind sie dagegen als Bestandteil der erfindungsgemäßen Lehre planmäßig vorzusehen.

2. Die Vorrichtung gemäß dem Anspruch 1 des Streitpatents beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, in der Druckschrift K3 werde auf die Anpassungsfähigkeit der Vorrichtung an eine wirtschaftliche Herstellung hingewiesen. Für den Fachmann ergebe sich daraus, dass die bekannte Vorrichtung in dem Sinne vorzukonfektionieren sei, dass sie sich auf jeden Reifen eines durch die Norm definierten Typs aufziehen lasse. Angesichts der in der Druckschrift K3 herausgestellten mangelnden Dehnbarkeit des Materials sei dabei von dem maximal möglichen Reifenumfang der Reifen auszugehen.

Dies als zutreffend unterstellt, ergibt sich eine Vorrichtung, welche die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents genannten Merkmale aufweist, für einen Fachmann dennoch nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik.

Wie der Neuheitsvergleich bereits zeigt, offenbart die Druckschrift K3 nicht, dass sich bei planmäßigem Einsatz der bekannten Vorrichtung eine Differenz zwischen dem Innenumfang des zentralen Gürtels oder Bandes absichtlich ergeben soll und schon gar nicht, dass von vornherein eine bestimmte Bemessungsregel, die eine Übergröße einer Komponente der Vorrichtung vorsieht, eingehalten werden muss.

Die Druckschrift K3 lehrt in erster Linie die Anbringung traktionserhöhender Mittel an die Vorrichtung - beispielsweise um die Lauffläche eines Reifens angeordnete Bandbereiche mit einer äußerlichen Beschichtung mit Aluminiumoxid, imprägniert mit abrasiven Teilchen (Sp. 2, Z. 8 bis 10). Die Befestigung an den Reifenflanken erfolgt dort je nach Ausgestaltung über ringförmige Spiralfedern oder Ketten (Sp. 1, Z. 47 bis 50 bzw. Sp. 2, Z. 22 bis 27). Damit soll eine Vorrichtung zur Verfügung stehen, die bequem und effektiv in Position auf dem Reifen befestigt werden kann, um dessen Kraftschluss beim Fahren über Matsch, Schnee, Eis oder glitschige Oberflächen wesentlich zu erhöhen (Sp. 1, Z. 1 bis 9). Neben der Verbesserung des Spurhaltungsvermögens werden Vorteile der bekannten Vorrichtung in der Einfachheit ihrer Konstruktion, ihrem verlässlichen Funktionieren und ihrer Anpassbarkeit an eine wirtschaftliche Fertigung gesehen (Sp. 1, Z. 10 bis 13). Letzteres Kriterium stellt nach Überzeugung des Senats – anders als es die Klägerin auffasst – nicht auf die ohnehin bei derartigen Gegenständen übliche Vorkonfektionierung ab, sondern auf die Möglichkeit einer gleichermaßen kostengünstigen Produktion der in diesem Stand der Technik in einer Vielzahl von Varianten aufgezeigten Vorrichtungen ab.

Einen Hinweis, wie von der aus der Druckschrift K3 bekannten Vorrichtung ausgehend die Aufgabe des Streitpatents gelöst werden könnte, deren Befestigung an einem Fahrzeugreifen auch dann zu ermöglichen, wenn das Rad auf der Straßenfläche mit dem vollen Gewicht des Fahrzeugs ruht, vorzugsweise auch dann, wenn das Rad in mehr oder weniger tiefem Schnee steckt, enthält Druckschrift K3 jedenfalls nicht. Dass unter diesen Bedingungen die Handhabung und die Betriebssicherheit der Vorrichtung überhaupt problematisch sein könnten, findet darin keine Beachtung. Mithin bietet der Stand der Technik keinen Anlass, die bekannte Vorrichtung fortzuentwickeln.

Die spezielle Lehre des Streitpatents, wonach sich eine Vorrichtung nach Art der Druckschrift K3, wenn sie die nach dem Streitpatent planmäßig vorzusehenden kennzeichnenden Merkmale aufweist, quasi eigenständig beim Anfahren des Fahrzeugs auf das Rad zieht, und dennoch sichergestellt ist, dass sie auf dem Rad während einer Kurvenfahrt und auf trockener Straße verbleibt, ist somit aus der Druckschrift K3 auch nicht nahe gelegt. Das Streitpatent hat daher mit dem erteilten Patentanspruch 1 Bestand.

3. Der Patentanspruch 1 stützt den ebenfalls angegriffenen Anspruch 2, der folglich zusammen mit dem Anspruch 1 bestehen bleiben kann, zumal er auf vorteilhafte, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Streitpatentgegenstands gerichtet ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

IV.

Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG statthaft.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils - spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt schriftlich beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.

Die Berufungsschrift muss

- die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet ist, sowie - die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde,

enthalten. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Auf die Möglichkeit, die Berufung nach § 125a PatG in Verbindung mit § 2 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) auf elektronischem Weg beim Bundesgerichtshof einzulegen, wird hingewiesen (www. bundesgerichtshof.de/erv.html).

Guth Hartlieb Dr. Fritze Guth (für den wegen Urlaubs an der Unterschrift gehinderten Richter Fetterroll)

Wiegele Pr

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1 54 EPÜ
1 56 EPÜ
1 84 PatG
1 110 PatG
1 125 PatG
1 91 ZPO
1 709 ZPO

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