XI ZB 24/21
BUNDESGERICHTSHOF XI ZB 24/21 BESCHLUSS vom 17. Mai 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:170522BXIZB24.21.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, den Richter Dr. Grüneberg sowie die Richterinnen Dr. Menges, Dr. Derstadt und Ettl am 17. Mai 2022 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 7. September 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: bis 30.000 €
Gründe: I.
Der Kläger verlangt von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines mit ihr geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 3. August 2021 begründet. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genüge. Die Berufungsbegründung sei nicht auf das Urteil im konkreten Streitfall zugeschnitten, sondern bestehe aus einer Aneinanderreihung von dem Berufungsgericht aus anderen Berufungsverfahren bekannten, an das angefochtene Urteil nicht angepassten Textbausteinen. Eine Vielzahl der Berufungsangriffe bezöge sich auf ein anderes Urteil, weil die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zu den Angaben zur Aufsichtsbehörde, zur Unentgeltlichkeit des Tilgungsplans, zu den Verzugszinsen und zur vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens denkbar knapp gestaltet seien und in der Berufungsbegründung keinen Widerhall fänden.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Soweit die Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Datums der Entscheidung von der Urschrift (dort: 1. Oktober 2021) abweicht, lässt dies die Wirksamkeit der Zustellung unberührt, weil - mangels Vorliegens eines schwerwiegenden Fehlers der Ausfertigung - allein die nach außen in Erscheinung tretende Ausfertigung maßgeblich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2001 - XII ZB 75/00, NJW 2001, 1653, 1654 und vom 9. Juni 2010 - XII ZB 132/09, BGHZ 186, 22 Rn. 15). Die Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung des Klägers den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - IX ZR 228/02, WM 2003, 1581, 1582 mwN, insoweit in BGHZ 155, 199 nicht abgedruckt). Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 7/20, WM 2020, 1945 Rn. 7 mwN). Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt (BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - IX ZR 228/02, aaO mwN). Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2018 - I ZB 57/17, NJW 2018, 2894 Rn. 10, vom 11. Februar 2020 - VI ZB
54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5 und vom 6. Juni 2021 - VI ZB 22/20, WM 2021, 1354 Rn. 6 mwN).
2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers gerecht. Sie lässt hinreichend erkennen, welche Gründe der Kläger den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt.
Dem Berufungsgericht ist zwar darin zuzustimmen, dass die im ersten Abschnitt der Berufungsbegründung ausgeführten Beanstandungen hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Angaben zur Europäischen Zentralbank als Aufsichtsbehörde, zur Unentgeltlichkeit des Tilgungsplans, zu den Verzugszinsen und zur vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens nicht nur die sehr knappen Ausführungen des Landgerichts wiedergeben, sondern diese mit eigenen Rechtsauffassungen des Klägers vermischen. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass diese Ausführungen ein anderes Verfahren betreffen. Dass in dem angekündigten Berufungsantrag anstelle des Landgerichts Dresden das Landgericht Leipzig aufgeführt ist, ist unschädlich, weil insoweit - was das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - im Hinblick auf die zutreffende Angabe von Entscheidungsdatum und Aktenzeichen und der richtigen Benennung in der Berufungsschrift lediglich ein Schreibfehler vorliegen dürfte. Im Übrigen wird in der Berufungsbegründung vom Kläger beanstandet, dass das landgerichtliche Urteil in zahlreichen Punkten auf einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung beruhe. In den weiteren Abschnitten der Berufungsbegründung (insbesondere "zu Fehlern in der Widerrufsinformation und fehlenden Pflichtangaben" und "kein Rechtsmissbrauch") legt der Kläger im Einzelnen und unter zutreffender Wiedergabe der einschlägigen Passagen in der streitgegenständlichen Darlehensvertragsurkunde dar, warum nach seiner Ansicht einzelne Pflichtangaben von der Beklagten nicht oder fehlerhaft erteilt worden seien und deshalb das von ihm ausgeübte Widerrufsrecht nicht verfristet sei und ihm auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht entgegengehalten werden könne. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, welche Gründe der Kläger insoweit den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt.
III.
Das Berufungsgericht hat die Berufung daher rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Ellenberger Grüneberg Derstadt Ettl Vorinstanzen: LG Dresden, Entscheidung vom 28.05.2021 - 9 O 2422/20 OLG Dresden, Entscheidung vom 07.09.2021 - 5 U 1286/21 - Menges