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X B 167/13

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 23.6.2014, X B 167/13 Verzicht auf mündliche Verhandlung - Auslegung einer Prozesshandlung Tatbestand I. Der anwaltlich nicht vertretene Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob am 28. Februar 2011 vor dem Finanzgericht (FG) Untätigkeitsklage. Er beantragte, den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) zu verurteilen, zum einen den Einkommensteuerbescheid 2009 unter Berücksichtigung von bestimmten Aufwendungen zu ändern und zum anderen das anhängige Rechtsbehelfsverfahren abzuschließen. Im Schriftsatz vom 9. März 2011 erklärte der Kläger, er sei in dem Klageverfahren "wegen Untätigkeit der Einspruchsbearbeitung zur Einkommensteuer 2009" mit der Entscheidung durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Nachdem das FA die Einspruchsentscheidung am 14. Dezember 2011 erlassen hatte, zeigte der Kläger am 27. Dezember 2011 "Klageerledigung für die Untätigkeit des Beklagten durch Erlass der Einspruchsentscheidung" an und formulierte die Anträge neu. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2013 widerrief der Kläger seine Verzichtserklärung, da sich die Prozesslage seit dem 9. März 2011 bei objektiver Betrachtung in diesem Verfahren nachträglich wesentlich geändert habe. Die Erklärung sei für das Verfahren der Untätigkeitsklage erteilt worden; diese sei erledigt. Derzeit werde die Klage mit geänderten Klageanträgen als Verpflichtungsklage fortgeführt.

Am 25. Juli 2013 wies das FG die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Es war der Auffassung, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei möglich gewesen, da der Kläger sein erteiltes Einverständnis nicht habe wirksam widerrufen können. Ein Verzicht auf die mündliche Verhandlung könne nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert habe. Dies sei im Streitfall indes nicht gegeben gewesen.

Zur Begründung seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision trägt der Kläger u.a. vor, das FG habe dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör versagt, da es ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Auslegung des Schriftsatzes vom 9. März 2011 lasse lediglich eine Teileinverständniserklärung für das Verfahren bezüglich der Untätigkeitsklage zu. Das FG habe zudem den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht; auch sei die Revision zur Sicherung der Rechtseinheit zuzulassen.

Entscheidungsgründe II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der von dem Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt vor. Das FG hat dem Kläger rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) versagt, indem es den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl die Voraussetzungen für eine Entscheidung des FG ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO nicht gegeben waren (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. November 1992 X R 7/92, BFH/NV 1993, 372; vom 5. Juli 1995 X R 39/93, BFHE 178, 301, BStBl II 1995, 842, und vom 31. August 2010 VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126, jeweils m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger --entgegen der Auffassung des FG-- nicht wirksam auf die mündliche Verhandlung verzichtet.

a) Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist eine Prozesshandlung; bei ihrer Auslegung und Beurteilung ist der Senat nicht an die Feststellungen des FG gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5). Als Prozesshandlung muss der Verzicht klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 9. Januar 2006 XI B 176/04, BFH/NV 2006, 1105, m.w.N.).

b) Dem Schriftsatz des nicht vertretenen Klägers vom 9. März 2011 kann ein dergestalt klarer, umfassender und unbedingter Verzicht auf die mündliche Verhandlung nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit entnommen werden.

aa) Die --vom Wortlaut fast unmissverständliche-- Verzichtserklärung kann nur dahingehend verstanden werden, dass der Kläger lediglich in Bezug auf die künftige Entscheidung des FG wegen der Untätigkeit des FA auf eine mündliche Verhandlung verzichten wollte und verzichtet hat.

Dem Kläger war im Zeitpunkt seiner Verzichtserklärung durchaus bewusst, dass es in dem FG-Verfahren ggf. auch zu einer materiellen Prüfung der Rechtslage kommen konnte, da er den Aspekt der Untätigkeit des FA ausdrücklich von der Frage, welche Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid 2009 ggf. noch zu berücksichtigen waren, getrennt hat. Dies ergibt sich zum einen aus seinem Klageantrag vom 28. Februar 2011, in dem er seine beiden Begehren unter zwei unterschiedlichen Ziffern aufgeführt hat. Zum anderen hat der Kläger auch in seinem Schreiben vom 28. März 2011 ausdrücklich zwischen der Untätigkeit des FA differenziert, indem er den diesbezüglichen Antrag zurückgenommen hat, und der angestrebten Abziehbarkeit von weiteren Aufwendungen, indem er diesen Punkt ergänzt und neu gefasst hat.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, die auf die Untätigkeit des FA bezogene Verzichtserklärung des nicht beratenen Klägers über den Wortlaut hinaus so auszulegen, dass sie auch die gerichtliche Prüfung der materiellen Rechtslage mitumfassen sollte (vgl. auch Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 90 FGO Rz 9, der darauf hinweist, dass bei durch Auslegung nicht zu überwindenden Zweifeln darüber, wie die Verzichtserklärung aufzufassen ist, nicht wirksam verzichtet wurde).

bb) Diese wortlautgetreue und restriktive Auslegung der Verzichtserklärung ist aufgrund der besonderen Interessenlage der Beteiligten auch geboten. Denn der Verzicht hat für die Beteiligten weitreichende Folgen, weil er als Prozesshandlung nach der Rechtsprechung des BFH nicht wegen Irrtums anfechtbar und auch nicht frei widerrufbar ist (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil in BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126, m.w.N.; Mai in Beermann/Gosch, FGO § 90 Rz 23).

2. Da die Verzichtserklärung des Klägers nach den vorstehenden Maßgaben das weitere über das Verfahren wegen der Untätigkeit des FA hinausgehende prozessuale Geschehen nicht mitumfasste und insoweit keine Wirkung zeitigen konnte, war der Kläger nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten (§ 119 Nr. 4 FGO; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. Januar 2007 II B 41/06, BFH/NV 2007, 755, und vom 8. Februar 2008 XI B 190/07, juris; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 19, m.w.N.).

Dieser Verfahrensfehler ist ein absoluter Revisionsgrund, bei dem gemäß § 119 Nr. 4 FGO davon auszugehen ist, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Daher hält es der Senat für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

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