2 StR 531/25
BUNDESGERICHTSHOF StR 531/25 BESCHLUSS vom 4. November 2025 in der Strafsache gegen wegen bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ECLI:DE:BGH:2025:041125B2STR531.25.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 4. November 2025 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25. März 2025, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg.
1. Die Rüge, mit welcher der Angeklagte einwendet, die Dolmetscherin, die für ihn am neunten Hauptverhandlungstag in die albanische Sprache übersetzt habe, sei weder vereidigt worden noch habe sie sich auf einen allgemein geleisteten Eid berufen, so dass sie unter Verstoß gegen §§ 189, 185 Abs. 1 Satz 1 GVG hinzugezogen worden sei, dringt durch.
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
In der mehrtägigen Hauptverhandlung waren für den Angeklagten durchgehend Dolmetscher für die albanische Sprache tätig. Der neunte Hauptverhandlungstag wurde mit Hilfe der Dolmetscherin V. aus B. durchgeführt, die in dieser Hauptverhandlung erstmals auftrat. Diese Dolmetscherin wurde an diesem Tag weder vereidigt noch berief sie sich auf einen allgemein geleisteten Eid.
b) Der Angeklagte rügt zurecht eine Verletzung des § 189 GVG.
aa) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist die Rüge zulässig erhoben. Zwar weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass bei Verfahrensrügen die auf die jeweilige Angriffsrichtung bezogenen Verfahrenstatsachen so vorzutragen sind, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung die einzelne Rüge darauf überprüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Februar 2019 – 1 StR 604/17, StV 2019, 808, 810 Rn. 41). Daher setzt die zulässige Erhebung einer Rüge eines Verstoßes gegen §§ 185, 189 GVG unter anderem die konkrete Darstellung voraus, dass der Dolmetscher tatsächlich im Verfahren tätig geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 1993 – 4 StR 17/93, Rn. 3; BeckOK-GVG/Allgayer, 28. Ed., § 189 Rn. 7).
Diesen Anforderungen wird das Revisionsvorbringen jedoch gerecht. Ihm ist die bestimmte Behauptung zu entnehmen, dass die Hauptverhandlung am neunten Hauptverhandlungstag mit Hilfe der Dolmetscherin für die albanische Sprache durchgeführt wurde. Darin liegt die Behauptung, dass die Dolmetscherin an diesem Tag für den aus Albanien stammenden Angeklagten, dem, was die Revision ebenfalls vorträgt, seitens des Landgerichts fortlaufend Dolmetscher zur Seite gestellt waren, tätig geworden ist.
bb) Die Rüge ist auch begründet.
Nach § 189 GVG ist jeder Dolmetscher in der Hauptverhandlung zwingend vor seinem Einsatz zu vereidigen. Ein Verzicht auf die Vereidigung ist aufgrund ihrer Bedeutung in Strafsachen nicht statthaft. Der gesetzlichen Vorgabe kann nach § 189 Abs. 1 GVG durch individuellen Eid oder durch Berufung auf den Eid nach § 189 Abs. 2 GVG genügt werden, sofern der Dolmetscher für die Übertragung der betreffenden Art nach dem Gerichtsdolmetschergesetz oder in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt ist. Die Beachtung dieser Förmlichkeit kann nach § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 2024 – 2 StR 431/23, NStZ 2025, 118, 119 Rn. 13, und vom 19. Dezember 2024 – 2 StR 389/24, NStZ-RR 2025, 176 f. Rn. 6; jew. mwN).
Daran gemessen war das Vorgehen der Strafkammer rechtsfehlerhaft. Die am neunten Hauptverhandlungstag für den Angeklagten tätige Dolmetscherin ist weder individuell nach § 189 Abs. 1 GVG vereidigt worden noch hat sie sich auf einen allgemein geleisteten Eid nach § 189 Abs. 2 GVG berufen.
cc) Das Urteil beruht auf der unterbliebenen Vereidigung (§ 337 StPO).
Der Verstoß gegen § 189 GVG ist ein relativer Revisionsgrund. Mit Blick auf den Zweck der Eidesleistung, dem Dolmetscher seine besondere Verantwortung für die Wahrheitsfindung im konkreten Fall zu verdeutlichen und bewusst zu machen, beruht ein Urteil in der Regel auf einem Verstoß gegen § 189 GVG. Zumeist kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein vom Gericht einzelfallbezogen vereidigter oder ein allgemein beeidigter Dolmetscher, der sich zudem unmittelbar vor seinem Tätigwerden in der Hauptverhandlung auf die allgemeine Beeidigung berufen und sich damit seine Eidespflicht noch einmal vergegenwärtigt hat, sorgfältiger als ein nicht vereidigter Dolmetscher übersetzt hätte (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 9. September 2024 – 2 StR 431/23, NStZ 2025, 118, 119 Rn. 16, und vom 19. Dezember 2024 – 2 StR 389/24, NStZ-RR 2025, 176, 177 Rn. 9; jew. mwN). In Ausnahmefällen kann das Beruhen zwar ausgeschlossen werden. Ausgehend vom Schutzzweck des § 189 GVG hat die Rechtsprechung insoweit zahlreiche „Gegenindizien“ und Ausnahmefälle benannt. Kennzeichnend für diese Fallgestaltungen ist aber, dass die Zuverlässigkeit des Dolmetschers auf andere Weise sichergestellt werden kann, so dass lediglich ein formaler, den Zweck des § 189 GVG nicht berührender Verstoß vorliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 2024 – 2 StR 431/23, NStZ 2025, 118, 119 f. Rn. 17, und vom 19. Dezember 2024 – 2 StR 389/24, NStZ-RR 2025, 176, 177 Rn. 10; jew. mwN).
Ein Ausnahmefall, in dem das Beruhen ausgeschlossen werden kann, liegt hier nicht vor. Umstände, die als „Qualitätssurrogat“ losgelöst vom Eid die Zuverlässigkeit der Dolmetscherin gewährleisteten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2024 – 2 StR 431/23, NStZ 2025, 118, 120 Rn. 19), sind nicht ersichtlich. Eine Gegenerklärung zu der erhobenen Verfahrensrüge, die Aufschluss über die Qualifikation und Zuverlässigkeit oder eine allgemeine Beeidigung der eingesetzten Dolmetscherin (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2013 – 4 StR 441/13, NStZ-RR 2014, 91, 92) ergeben könnte, ist nicht zu den Akten gelangt.
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs mitsamt den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Auf die weiteren Beanstandungen der Revision kommt es nicht an. Die Sache bedarf umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegen den Angeklagten am 20. Dezember 2021 durch ein Gericht in Belgien rechtskräftig eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten wegen eines Betäubungsmitteldelikts verhängt wurde, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese Freiheitsstrafe wäre, sofern ein deutsches Gericht sie ausgesprochen hätte, nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verurteilung gemäß § 55 Abs. 1 StGB gesamtstrafenfähig. Den Umstand, dass eine im Ausland verhängte Strafe aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Vollstreckungshoheit des ausländischen Staates nicht gesamtstrafenfähig ist, muss der Tatrichter regelmäßig unter dem Gesichtspunkt des Härteausgleichs berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2024 – 2 StR 44/24, StV 2025, 463, 465 Rn. 24 mwN; Beschluss vom 24. Oktober 2024 – 2 StR 229/24, Rn. 16). Dies gilt für die hier gegebenenfalls zuzumessende Einzelstrafe jedenfalls solange, als nicht sichergestellt ist, dass der gebotene Härteausgleich im Zuge einer Gesamtstrafenbildung mit dem ebenfalls gegen den Angeklagten beim Landgericht Aachen anhängigen Verfahren 67 KLs 35/23 gewährleistet ist.
Menges Schmidt Zeng Grube Lutz Vorinstanz: Landgericht Aachen, 25.03.2025 - 68 KLs 6/24 (903 Js 287/24)