5 StR 55/25
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 55/25 URTEIL vom 13. August 2025 in der Strafsache gegen
1. 2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge ECLI:DE:BGH:2025:130825U5STR55.25.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. August 2025, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Cirener,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher, Richterin am Bundesgerichtshof Resch, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Werner,
Richter am Landgericht als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin As. Rechtsanwalt R.
,
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwältin D. Rechtsanwalt Me.
,
als Verteidiger der Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt U. B.
als Vertreter der Nebenklägerin T. ,
Rechtsanwalt J.
B.
als Vertreter der Nebenklägerin Am. ,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-4-
1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Juli 2024, soweit es ihn betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil betreffend die Angeklagte M.
mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebungen zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge sowie auf Verfahrensbeanstandungen gestützten Revision. Die Angeklagte M.
ist durch das Landgericht vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen worden.
Insoweit erstrebt die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision die Aufhebung des Urteils. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. hat teilweise, dasjenige der Staatsanwaltschaft umfassend Erfolg.
I.
Gegenstand des Urteils ist der Tod des seinerzeit 18-jährigen Geschädigten D.
A. , Sohn der Nebenklägerin Am. und Vater der Nebenklägerin T. , der am 27. Mai 2016 im Rahmen einer durch den Angeklagten A. als Anästhesist betreuten Vollnarkose ein Lungenödem erlitt und hieran verstarb. Die Narkose war für Zwecke einer umfangreichen Zahnsanierung eingeleitet worden, die an diesem Tag durch die Angeklagte M.
ambulant in ihrer Zahnarztpraxis durchgeführt wurde.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Geschädigte litt aufgrund einer starken kariösen Schädigung seiner Zähne unter ständigen Zahnschmerzen, war aber bereits längere Zeit nicht mehr bei einem Zahnarzt gewesen, weil er große Angst vor einer Zahnbehandlung hatte. Auf Initiative seiner Mutter fand er sich jedoch zu einer Behandlung unter Vollnarkose bereit, wie sie von der Angeklagten M.
angeboten wurde.
Hierzu fanden in deren Praxis drei Beratungs- und Erörterungstermine statt, wobei der Geschädigte nur am ersten teilnahm, an dem seine Zähne mit dem zahnmedizinischen Spiegel und anhand von Röntgenbildern untersucht wurden, während er eine weitergehende Klärung mit Instrumenten verweigerte. Alles Weitere überließ der zu diesem Zeitpunkt noch 17-jährige Geschädigte seiner Mutter. Die Angeklagte rechnete vorläufig mit einer zahnärztlichen Behandlungsdauer von sechs Stunden; einschließlich Ein- und Ausleitung der Narkose sowie einer Aufwachphase ging sie von einem zeitlichen Bedarf von etwa acht Stunden aus.
5 Der Angeklagte A. , den die Angeklagte M.
als sehr erfahrenen Anästhesisten einschätzte, erklärte sich bereit, die Narkose vorzunehmen. Er teilte dabei mit, dass auch bei einer Behandlung von etwa sechs Stunden eine Vollnarkose bei einem jungen, gesunden Patienten kein besonderes Risiko beinhalte. Bei der Durchführung der Behandlung am 27. Mai 2016 verwendete der Angeklagte ein Narkosegerät mit kleinem Tubus. An apparativer Überwachung setzte er ein am Finger angeschlossenes Pulsoxymeter ein, dagegen weder ein EKG-Messgerät noch ein Kapnometer. Jedenfalls zu Beginn der Narkose überwachte er den Blutdruck mittels Blutdruckmessgerät. Das von dem Angeklagten eingesetzte Narkosegerät zeigte zudem auf einer runden Uhr das Atemzugvolumen und das Atemminutenvolumen an. Ein Beatmungsgerät führte der Angeklagte nicht mit.
Der Angeklagte A. teilte nicht mit, dass die von ihm bei der Narkose vorgesehene und verwendete apparative Ausstattung nicht den schon damals geforderten Mindestanforderungen an einen anästhesiologischen Arbeitsplatz entsprach. Er informierte auch nicht darüber, dass kein begleitendes und geschultes Personal eingesetzt werden würde, obwohl dies nach den zum Behandlungszeitpunkt geltenden Richtlinien erforderlich gewesen wäre. Über die bestehenden Mindestanforderungen hatten die Nebenklägerin Am. und der Geschädigte auch aus anderen Quellen keine Erkenntnisse; ihnen waren lediglich die „allgemeinen Narkoserisiken“ aufgrund früherer Eingriffe unter Vollnarkose bekannt. Hätten sie um die geplante Unterschreitung medizinischer Standards gewusst, hätte der Geschädigte eine Behandlung unter diesen Umständen abgelehnt.
Die morgens gegen 9 Uhr begonnene Behandlung unter Narkose verlief zunächst komplikationslos. Die Sauerstoffversorgung wurde während der Narkose durch spontanes, natürliches Atmen und, soweit vom Angeklagten A. für erforderlich erachtet, durch manuelles Beatmen über einen nasalen Tubus durchgeführt. Der Angeklagte protokollierte zwischen 8:10 Uhr und 14 Uhr auf einem von ihm mitgebrachten Vordruck in Abständen von etwa zehn Minuten Messwerte für Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Sinusrhythmus. Ab spätestens 14 Uhr nahm der Angeklagte keine laufenden Aufzeichnungen im Narkoseprotokoll mehr vor, weil das Seitenende erreicht war und er keinen weiteren Vordruck bei sich führte.
Nach Reinigung der Zähne des Geschädigten wurde deutlich, dass ein größerer Sanierungsbedarf gegeben war als ursprünglich gedacht. Die Angeklagte M. wollte die Behandlung jedoch trotzdem, weil vom Geschädigten vorher so gewünscht, in einer Sitzung abschließen und bat gegen 15 Uhr eine bei ihr angestellte Zahnärztin, sie bei der Zahnbehandlung am Patienten abzulösen, während sie selbst Laborarbeiten durchführte.
Nach achteinhalb Stunden Behandlung stellte der Angeklagte gegen 17:30 Uhr aufgrund eines Alarmsignals des Pulsoxymeters fest, dass die Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz des Geschädigten abfielen, woraufhin er diesem Atropin verabreichte. Der Zustand stabilisierte sich zunächst vermeintlich wieder.
Der Angeklagte äußerte, dass es gut wäre, nun zum Schluss zu kommen, und begann damit, die Narkose auszuleiten. Etwa zehn Minuten später verschlechterte sich der Zustand des Geschädigten jedoch erneut. Auf Aufforderung des Angeklagten betätigte die Angeklagte M. um 18:10 Uhr den Notruf. Ein von den Sanitätern angeschlossenes EKG-Gerät zeigte eine Nulllinie (Asystolie) an. Auf Aufforderung einer Notärztin ergänzte der Angeklagte A. die Narkosedokumentation freihändig auf der blanken Rückseite des Narkoseprotokolls. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus gebracht, wo aber trotz durchgängiger Reanimation letztlich um 19:50 Uhr der Tod festgestellt wurde.
Der Tod des Geschädigten beruhte auf der Narkose, während der es, bedingt durch den engen Beatmungstubus, bei der Spontanatmung zu einem Atemwegsunterdruck und in der Folge zu einem schweren Lungenödem gekommen war. Neben der Überwachung der Sauerstoffsättigung durch das eingesetzte Pulsoxymeter hätte die Überwachung des Kohlendioxyds in der Ausatemluft mittels Kapnometer nach den Feststellungen des Landgerichts „das beste Parameter“ dargestellt, einen solchen Unterdruck frühzeitig zu bemerken. Indes vermochte es nicht mehr aufzuklären, ob der Tod bei Einsatz eines Kapnometers hätte verhindert werden können.
Dem Angeklagten A. war bewusst, dass der anästhesiologische Eingriff ohne Einsatz qualifizierten Assistenzpersonals sowie ohne Einsatz eines EKG-Geräts, eines Kapnometers und einer maschinellen Beatmungsmöglichkeit standardwidrig war und dass er dies nicht mitgeteilt hatte. Er ging jedoch im Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten davon aus, die Behandlung trotzdem durchführen zu können, ohne dass sich die einer Vollnarkose inhärenten Risiken realisieren würden. Es war für ihn aber vorhersehbar, dass der Eingriff zu einer Verwirklichung der typischerweise bei einer Vollnarkose bestehenden Risiken und infolgedessen zu einem Versterben des Patienten führen konnte. Ihm war es möglich wie auch zumutbar, über die Standardwidrigkeit seiner personellen und apparativen Ausstattung zu informieren.
12 Die Angeklagte M.
erkannte nicht, dass die von dem Angeklagten eingesetzte apparative und personelle Ausstattung die Mindestanforderungen unterschritt. Sie vertraute darauf, dass der Angeklagte die Narkoseaufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllen werde.
2. In rechtlicher Hinsicht hat das Landgericht zum Schuldspruch des Angeklagten A. ausgeführt, dass die mit der Vollnarkose verbundenen körperlichen Eingriffe jeweils den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung in Gestalt einer das Leben gefährdenden Behandlung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) erfüllt hätten. Der Angeklagte habe insoweit auch mit Vorsatz gehandelt. Die Tat sei rechtswidrig, da der Geschädigte in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt habe. Die Einwilligung sei jedenfalls unwirksam, weil nicht darüber aufgeklärt worden war, dass während des Eingriffs vom üblichen medizinischen Standard mit der Folge vermeidbarer Risiken abgewichen werden sollte. Die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung lägen nicht vor. Zudem habe der Angeklagte selbst erkannt, dass seine personelle und apparative Ausstattung am Behandlungstag nicht den Mindestanforderungen entsprach. Damit habe er auch subjektiv erfasst, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung fehlten, so dass eine Bestrafung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht wegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums ausscheide.
In der für den Angeklagten voraussehbaren Todesfolge habe sich die einer Vollnarkose eigentümliche Gefahr für das Leben des Geschädigten verwirklicht, so dass auch ein qualifizierter Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt der Körperverletzung und der Todesfolge gegeben sei. Denn bei einem Lungenödem handele es sich um eine ganz spezifische Gefahr einer Patientenbehandlung in Vollnarkose.
15 Die Angeklagte M.
hat das Landgericht aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dass der Angeklagte A.
in mehrfacher Hinsicht standardwidrig vorging, habe sich ihr nicht derart aufdrängen müssen, dass der sogenannte Vertrauensgrundsatz keine Anwendung finde. Mithin bleibe auch kein Raum für den Vorwurf einer fahrlässigen Tötung.
II.
16 Die Revision des Angeklagten A.
dringt, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, nicht durch. Die Sachrüge sowie eine Verfahrensrüge führen jedoch insgesamt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
1. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils deckt einen Rechtsfehler allein im Strafausspruch auf.
a) Der Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) hat dagegen Bestand. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen sowohl die Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung als auch die Zurechnung der fahrlässig verursachten Todesfolge.
19 aa) Der Angeklagte A.
hat sich der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht, indem er den Geschädigten in eine Vollnarkose versetzte.
(1) Die Verabreichung eines bewusstseinstrübenden Mittels erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung, wenn dieses den Betroffenen in einen Zustand versetzt, bei dem das Bewusstsein verloren geht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1992 – 1 StR 456/92 mwN, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Bewusstseinsverlust 1). Wie bei jedem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gilt das auch dann, wenn dieser im Rahmen einer ärztlichen Behandlung vorgenommen wird, unabhängig davon, ob diese lege artis durchgeführt wird und erfolgreich ist (zur Narkose durch einen bewusst sorgfaltswidrig handelnden Narkosearzt vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 – 1 StR 576/07, NStZ 2008, 278; allgemein zur Erfüllung des Tatbestands des § 223 Abs. 1 StGB durch ärztliche Heileingriffe vgl. BGH, Urteile vom 19. November 1997 – 3 StR 271/97, BGHSt 43, 306; vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10, NStZ 2011, 343; vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277; TK-StGB/Sternberg-Lieben, 31. Aufl., § 223 Rn. 44; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 223 Rn. 16).
(2) Der Angeklagte handelte hierbei rechtswidrig, da sein Vorgehen nicht durch eine wirksame Einwilligung des Geschädigten gedeckt war. Insoweit gilt:
Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt die Aufklärung über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen voraus, um das aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) abgeleitete Selbstbestimmungsrecht des Patienten sowie sein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu wahren. Inhaltlich ist der Patient daher über die Chancen und Risiken der Behandlung im „Großen und Ganzen“ aufzuklären, ihm muss ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt werden, die für seine körperliche Integrität und seine Lebensführung auf ihn zukommen können (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10 mwN, NStZ 2011, 343).
Diesen Anforderungen hat der Angeklagte A. nicht genügt. Zwar wusste der Geschädigte nach den Feststellungen jedenfalls aufgrund früherer Eingriffe unter Vollnarkose um die „allgemeinen Narkoserisiken“. Ohne weitergehende Aufklärung bezog sich seine Einwilligung aber nur auf eine lege artis, das heißt nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung (BGH, Urteile vom 19. November 1997 – 3 StR 271/97, BGHSt 43, 306; vom 5. Juli 2007 – 4 StR 549/06, NStZ-RR 2007, 340). Um sein Selbstbestimmungsrecht wirksam ausüben zu können, wäre es für den Geschädigten aber essentiell gewesen, auch über die gesteigerten Risiken informiert zu werden, die sich aus der vom Angeklagten geplanten Standardunterschreitung ergaben (vgl. zu Fällen einer schon zum Zeitpunkt der Aufklärung vorgesehenen Standardunterschreitung BGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10, NStZ 2011, 343 für eine im Krankenhaus etablierte Behandlung von Wundheilungsstörungen mittels Zitronensaft; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 für die Durchführung einer Operation unter Vollnarkose ohne Anästhesisten; BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 – 4 StR 549/06, NStZ-RR 2007, 340 für eine Operation ohne Assistenzpersonal; BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07, NStZ 2008, 150 für eine unzureichende Narkoseüberwachung allein durch den behandelnden Arzt; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 – 1 StR 576/07, NStZ 2008, 278 für die regelmäßige Weiterverwendung angebrochener Flaschen eines Narkosemittels durch einen Narkosearzt; vgl. ferner auch – dort im Ergebnis offen bleibend – BVerfG, Beschluss vom 23. März 2020
– 2 BvR 1615/16 Rn. 69, NJW 2020, 1877 für eine mangelhafte Praxisorganisation; aus dem Schrifttum Kudlich/Neelmeier, NJW 2021, 1185, 1188; LK-StGB/Grünewald, 13. Aufl., § 223 Rn. 89 f.; zu Risiken aus der Sphäre des behandelnden Arztes Valerius medstra 2024, 275, 277 f.; zum Zivilrecht vgl. auch Staudinger/Gutmann, BGB, Neubearbeitung 2021, § 630e Rn. 95, 101; MüKo-BGB/Wagner, 9. Aufl., § 630e Rn. 32, 45).
bb) Die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) sind nach den Feststellungen ebenfalls erfüllt. Insbesondere ist der erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang zwischen dem Grundtatbestand der Körperverletzung und dem Todeserfolg (vgl. nur BGH, Urteile vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96; vom 30. Oktober 2008 – 4 StR 235/08; NStZ-RR 2009, 78; TK-StGB/Sternberg-Lieben, 31. Aufl., StGB § 227 Rn. 3) gegeben, da sich mit einem Lungenödem gerade eine typische Folge einer Vollnarkose – mithin der Erfüllung des Tatbestands der Körperverletzung – als todesursächlich erwiesen hat.
Soweit der Bundesgerichtshof in Fällen ärztlicher Heileingriffe mit unwirksamer Einwilligung zusätzlich für erforderlich erachtet hat, dass das verwirklichte Risiko vom Schutzzweck der verletzten Aufklärungspflicht erfasst wird (BGH, Urteile vom 29. Juni 1995 – 4 StR 760/94, NStZ 1996, 34; vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277; vgl. ferner BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07, MedR 2008, 435; zur vergleichbaren Wertung im Zivilrecht BGH, Urteil vom 15. Februar 2000 – VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1; aus dem Schrifttum Widmaier in FS Roxin 2011, 439, 446 f.; kritisch Valerius, medstra 2024, 275, 281 f.), ist auch dies gegeben. In dem Tod des Geschädigten hat sich gerade die der Vollnarkose innewohnende Gefahr realisiert, auf deren – durch die Standardunterschreitung erhöhtes – Ausmaß er durch den Angeklagten nicht genügend hingewiesen worden ist (vgl. Spickhoff/Knauer/Brose, Medizinrecht, 4. Aufl., 2022, StGB § 227 Rn. 4).
Zwar vermochte das Landgericht nicht festzustellen, dass der Tod des Geschädigten mit Sicherheit vermieden worden wäre, wenn der Angeklagte ein Kapnometer eingesetzt hätte. Bei der Bewertung des Zurechnungszusammenhangs zwischen einer Vollnarkose und dem Tod des Patienten lässt sich die potentielle Wirkung dieser und weiterer, ebenfalls unterlassener Kontrollmaßnahmen aber nicht trennen vom sedierenden Effekt der Betäubung, welcher die Notwendigkeit einer lückenlosen Überwachung gerade begründet. Dass sich diese spezifische Gefahr einer Narkose im Tod des Geschädigten erfüllt hat, ist durch das Landgericht festgestellt worden. Sie liegt im Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht, weil auch hier keine Trennbarkeit besteht zwischen den allgemeinen Narkoserisiken und den Risiken einer mangelhaften Überwachung, über die der Geschädigte nicht informiert worden war und die wiederum maßgeblichen Einfluss auf das allgemeine Narkoserisiko hatten.
cc) Entgegen der Revision liegt kein Rechtsfehler darin, dass sich das Landgericht nicht weitergehend als geschehen mit der Möglichkeit eines Erlaubnistatbestandsirrtums befasst hat.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte selbst erkannt, dass sein Vorgehen bei der Behandlung nicht den medizinischen Mindestanforderungen entsprach und er hierüber den Patienten nicht informiert hatte. Dass damit die tatsächlichen Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung fehlten, war ihm folglich bewusst.
Der Geschädigte hätte in die standardwidrige Behandlung auch nicht eingewilligt, wenn er von der Standardunterschreitung gewusst hätte, so dass auch eine hypothetische Einwilligung nicht in Betracht kam. Für nähere Erwägungen dazu, ob der Angeklagte irrtümlich von einer hypothetischen Einwilligung (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 5. Juli 2007 – 4 StR 549/06, NStZ-RR 2007, 340; vom 20. Februar 2013 – 1 StR 320/12, NJW 2013, 1688) ausgegangen sein könnte, gaben die Feststellungen keinen Anlass. Zwar war der Geschädigte danach „fest entschlossen, eine Zahnbehandlung ausschließlich unter einer Vollnarkose ausführen zu lassen“. Zudem hatte seine Mutter für ihren seinerzeit noch minderjährigen Sohn die Möglichkeit einer Aufspaltung des Eingriffs auf mehrere Termine als nicht dessen Wunsch entsprechend abgelehnt. Dies drängte jedoch entgegen der Revision nicht zur Erörterung der Möglichkeit, der Angeklagte könne davon ausgegangen sein, dass der Geschädigte sich auch nach vollständiger Aufklärung auf eine die Mindeststandards unterschreitende Narkoseüberwachung eingelassen hätte. Denn hierbei handelt es sich gerade angesichts der erheblichen Ängste des Geschädigten, die ihn trotz ständiger Schmerzen seit Jahren von einer Zahnbehandlung abgehalten hatten, um eine rein theoretische Annahme.
b) Der Strafausspruch kann auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21, StV 2023, 522 f. mwN) keinen Bestand haben, weil die Bestimmung des Strafrahmens einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist.
Die Strafkammer hat im Rahmen ihrer rechtlichen Bewertung ausgeführt, dass es den Angeklagten nicht entschuldige, „soweit ihm bei Begehung der Tat die Einsicht gefehlt habe, Unrecht zu tun, weil er aufgrund der Einschätzung seiner persönlichen Fähigkeiten kein erhöhtes Risiko“ gesehen habe. Denn das Unrechtmäßige seines Verhaltens habe er in zumutbarer Weise erkennen können. Damit hat das Landgericht das Vorliegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums – offenbar aufgrund einer Fehlvorstellung des Angeklagten über den für die Aufklärungspflicht des Arztes im Rahmen einer rechtfertigenden Einwilligung anzuwendenden rechtlichen Maßstab – nicht ausgeschlossen. Der damit im Raum stehende vermeidbare Verbotsirrtum würde aber dazu führen, dass die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann; ein Urteil muss erkennen lassen, dass sich der Tatrichter dieser Milderungsmöglichkeit bewusst gewesen ist und sie geprüft hat (BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 1996 – 2 StR 294/96 mwN; vom 15. November 2012 – 3 StR 295/12, NZWiSt 2013, 113). Folglich hätte sich die Strafkammer mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der hier allein aufgrund allgemeiner Zumessungsgesichtspunkte angewandte Strafrahmen für minder schwere Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 2 StGB) noch gemäß § 17 Satz 2 iVm § 49 Abs. 1 StGB zu mildern gewesen wäre.
Letztlich lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, ob das Landgericht überhaupt vom Vorliegen eines Verbotsirrtums ausgegangen ist. Weil auch die Feststellungen hierzu unklar sind, unterliegen sie der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).
2. Mit seinen Verfahrensrügen erzielt der Angeklagte lediglich einen Teilerfolg in Bezug auf das Unterbleiben einer Kompensationsentscheidung wegen möglicher überlanger Verfahrensdauer.
a) Die gegen den Schuldspruch gerichtete Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO), mit der Feststellungen zur subjektiven Tatseite angegriffen werden, bleibt ohne Erfolg. Sie knüpft an der Feststellung von Indiztatsachen an, auf die das Landgericht seine Überzeugung gestützt hat, wonach der Angeklagte die Standardunterschreitung selbst erkannt habe. Zu diesen rechnet die Revision auch Wahrnehmungen eines Rechtsanwalts, der den Angeklagten in einem im Jahr 2010 gegen ihn durchgeführten approbationsrechtlichen Verfahren vertrat und dem gegenüber sich der Angeklagte zu seinen subjektiven Eindrücken und Folgerungen aus diesem Vorgang sowie aus einem Strafbefehlsverfahren geäußert haben soll. Rechtsfehlerhaft habe die Strafkammer zu diesen Äußerungen aber nicht den Anwalt als Zeugen vernommen, sondern lediglich einen von ihm verfassten Schriftsatz verlesen.
Das Urteil beruht nicht auf der unterbliebenen Zeugeneinvernahme (§ 337 Abs. 1 StPO). Denn die Strafkammer hat die indizielle Bedeutung, welche sie dem gegen den Angeklagten durchgeführten berufsrechtlichen Verfahren beigemessen hat, zusätzlich auf Hinweise gestützt, welche dem Angeklagten in einem Anhörungsschreiben der zuständigen Behörde erteilt worden waren.
b) Die zulässig erhobene Beweisantragsrüge, mit der geltend gemacht wird, dass die Ablehnung eines Antrags auf Einvernahme eines Sachverständigen wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache in Widerspruch mit den Urteilsausführungen zur Strafzumessung stehe, bedarf angesichts der Aufhebung des Strafausspruchs aufgrund der Sachrüge keiner Entscheidung mehr.
c) Die Verfahrensrüge, mit der eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) geltend gemacht wird, führt dagegen zur weiteren Aufhebung des Urteils, soweit eine Kompensationsentscheidung unterblieben ist.
Die Rüge ist zulässig, da zum Verfahrensgang in zeitlicher Hinsicht lückenlos vorgetragen wurde, was dem Senat in Übereinstimmung mit den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu prüfen erlaubt, ob das Landgericht die für die Bewertung eines Kompensationserfordernisses erforderlichen Feststellungen getroffen hat. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts war dazu nicht erforderlich, sämtliche inhaltlichen Erwägungen und Ergebnisse auch zu solchen Verfahrensschritten vorzutragen, mit denen kein relevanter zeitlicher Aufwand verbunden war.
Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Sie zeigt auf, dass mehrere Begutachtungen durch Sachverständige erst in fortgeschrittenen Stadien des – rund acht Jahre vor der Urteilsverkündung begonnenen – Ermittlungsverfahrens in Auftrag gegeben wurden, obwohl entsprechende Empfehlungen durch Sachverständige anderer Professionen schon lange vorher gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ausgesprochen worden waren. Ob hierdurch bei der Kompensationsentscheidung zu berücksichtigende Verfahrensverzögerungen entstanden sind, bleibt im Urteil unerörtert. Schon dies ist rechtsfehlerhaft, ohne dass es hier darauf ankommt, ob das Verfahren insgesamt rechtsstaatswidrig verzögert worden ist. Die hierzu getroffenen Feststellungen unterliegen ebenfalls der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).
3. Die Sache bedarf daher hinsichtlich des gesamten Rechtsfolgenausspruchs neuer Verhandlung und Entscheidung.
III.
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die den Freispruch der Angeklagten M. angreift, hat Erfolg.
1. Allerdings ist auf Basis der bisherigen Feststellungen nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer eine positive Kenntnis der Angeklagten von den Versäumnissen des Angeklagten A.
verneint hat. Diese Annahme wird durch die insoweit rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung getragen. In der Konsequenz war jedenfalls eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch Beteiligung an der Durchführung der Vollnarkose zu verneinen, da die Angeklagte irrtümlich von einer inhaltlich ausreichenden Aufklärung und daher fälschlich vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung ausging, sich mithin hinsichtlich dieses Eingriffs in einem analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Vorsatzausschluss führenden Erlaubnistatbestandsirrtum befand (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2024 – 4 StR 304/24 mwN, StV 2025, 372).
2. Die Wertung des Landgerichts, wonach die Angeklagte das sorgfaltswidrige Handeln des Angeklagten A. auch nicht erkennen musste, mit der es die auch in Fällen eines Erlaubnistatbestandsirrtums verbleibende Möglichkeit einer Bestrafung aus einem Fahrlässigkeitstatbestand (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. November 2019 – 4 StR 166/19 Rn. 13 mwN, NStZ 2020, 725) – hier aus § 222 StGB – verneint hat, hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht hierbei von dem so genannten Vertrauensgrundsatz ausgegangen, wonach ein Arzt in der Regel auf die kor- rekte Vorarbeit eines Kollegen oder – bei arbeitsteiliger Zusammenarbeit von Ärzten verschiedener Fachrichtungen – auf die Sorgfalt des fachfremden Kollegen vertrauen darf, ohne die ärztliche Leistung seiner Kollegen jeweils selbst überprüfen zu müssen (BGH, Urteil vom 4. Oktober 1999 – 5 StR 712/98, NJW 2000, 885, 887). Vielmehr sollen sich im Interesse eines geordneten Ablaufs der Operation die dabei beteiligten Fachärzte grundsätzlich auf die fehlerfreie Mitwirkung des Kollegen aus der anderen Fachrichtung verlassen können (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1979 – 1 StR 440/79, NJW 1980, 649). Überwachungspflichten der Beteiligten untereinander würden dagegen dem Sinn der Arbeitsteilung bei einem gleichberechtigten Zusammenwirken entgegenlaufen (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19 Rn. 34 f., BGHSt 66, 270). Dabei gilt dieser Grundsatz nur, solange keine Anhaltspunkte für ernste Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Arbeit des Kollegen erkennbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 3 StR 271/97, BGHSt 43, 306; MüKo-StGB/Duttge, 5. Aufl., § 15 Rn. 148; Sternberg-Lieben in Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 52 Rn. 92; zum Gebot wechselseitiger Information und Koordination vgl. zudem BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19 Rn. 71, BGHSt 66, 270).
b) Das Landgericht ist in Anwendung dieser Grundsätze davon ausgegangen, dass die Angeklagte M.
auf eine sorgfaltsgemäße Durchführung der Narkose durch den Angeklagten A. habe vertrauen dürfen, obwohl dieser auf den Einsatz eines EKG-Geräts, eines Kapnometers, eines Beatmungsgeräts sowie auf personelle Assistenz verzichtete. Hierzu hat sich das Landgericht darauf gestützt, dass von einem Zahnarzt keine Kenntnis der essenziellen apparativen Ausstattung eines Anästhesisten bei ambulanter Vollnarkose zu erwarten sei. Der hierzu gehörte Sachverständige habe zwar ausgeführt, dass ein Zahnarzt bei einem fehlenden EKG-Messgerät skeptisch werden müsse,
habe dies aber insoweit relativiert, als die Überwachung allein mittels Pulsoxymeter bei einer Kurzzeitnarkose machbar sei. Zudem habe der Sachverständige als Grund für die Erkennbarkeit der Notwendigkeit eines EKG-Messgeräts auf die technische Sicherheit des eingesetzten Pulsoxymeter abgestellt, dessen Befestigung am Patienten mittels Fingerclip sich lösen könne. Dies verdeutliche, dass es „primär um das Vorhandensein überhaupt einer (funktionierenden) Überwachung der Vitalparameter“ gehe. Auch der fehlende Einsatz geschulten Personals habe für die Angeklagte nicht offensichtlich werden müssen, da auch bei vorherigen Vollnarkosen in ihrer Praxis weder durch den Angeklagten A. noch durch andere Anästhesisten weitere Kräfte zugezogen worden seien. Die ebenfalls fehlende mechanische Beatmungsmöglichkeit schließlich sei hier ohnehin „nur aufgrund der spezifischen Umstände der Behandlung indiziert“ gewesen.
Diese Bewertung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, da das Landgericht hierfür relevante tatsächliche Umstände außer Betracht gelassen hat.
aa) So hat die Strafkammer insbesondere nicht erkennbar berücksichtigt,
dass die Narkose des Geschädigten sich schon nach der Planung der Angeklagten von der Einleitung bis zur Aufwachphase über acht Stunden erstrecken sollte.
Anhand der Feststellungen wird deutlich, dass es sich hierbei – auch nach eigener Einschätzung der Angeklagten M.
– um eine außergewöhnliche zeitliche Ausdehnung handelte. Denn sie äußerte im dritten Beratungstermin vor der Behandlung gegenüber der Nebenklägerin Am. , dass noch mit einem Anästhesisten abgestimmt werden müsse, ob die erforderliche Behandlungsdauer unter Vollnarkose „medizinisch vertretbar“ sei. Die Nebenklägerin ihrerseits war „erschrocken“ und „besorgt“ über die „lange Dauer“ der geplanten Vollnarkose, so dass sie vor der Behandlung mindestens einmal mit dem Angeklagten telefonierte.
A.
Es liegt auf der Hand, dass mit der zeitlichen Dimension einer Narkose nicht nur die Belastung für die Physis des Patienten, sondern auch die Anforderungen an das Durchhaltevermögen des die Narkose allein überwachenden Anästhesisten wachsen. Illustriert wird dies nicht nur durch die besorgte Reaktion der medizinisch nicht vorgebildeten Nebenklägerin, sondern auch dadurch, dass in der Hauptverhandlung ausweislich der Urteilsgründe mehrfach die – sich für diese Situation jedem Laien stellende – Frage der Durchführbarkeit von Toilettengängen thematisiert wurde. Dass mit der Beanspruchung des Anästhesisten die Gefahr menschlicher Fehlleistungen und damit zugleich die Bedeutung der technischen Ausrüstung sowie der Unterstützung durch Assistenzpersonal steigt, drängt sich auf.
Bei der Entscheidung darüber, ob bei der Angeklagten ernsthafte Zweifel an einer ausreichenden apparativen und personellen Ausstattung der Anästhesie hätten entstehen müssen, hätte daher die außergewöhnliche Dauer der Vollnarkose berücksichtigt werden müssen. Stattdessen ist die Strafkammer bei ihrer Argumentation teilweise explizit vom Gegenteil einer zeitlich überschaubaren Anästhesie („Kurzzeitnarkose“) ausgegangen. Soweit im Übrigen auf frühere, komplikationslos verlaufene Behandlungen unter Vollnarkose in der Praxis der Angeklagten abgestellt wurde, ist nicht ersichtlich, dass sich darunter solche mit einer vergleichbar langen Ausdehnung befanden. Hiergegen spricht vielmehr, dass sich die Angeklagte über die medizinische Vertretbarkeit der achtstündigen Dauer im vorliegenden Fall erst noch informieren musste. Allenfalls hinsichtlich der fehlenden Verfügbarkeit eines Beatmungsgeräts hat die Strafkammer mög- licherweise auf die zeitliche Dimension der Narkose abgestellt, als sie darauf hingewiesen hat, dass dieses Gerät „nur“ aufgrund der „spezifischen Umstände“ der Behandlung indiziert gewesen sei. Selbst in diesem Fall hat sie aber der damit verbundenen, sich aufdrängenden Risikosteigerung keine gefahrmindernden Umstände entgegengesetzt.
bb) Die Notwendigkeit, den zeitlichen Umfang der Narkose als offen zutage tretenden Risikofaktor in den Blick zu nehmen, bestand hier umso mehr, als die Angeklagte die jahrelang unbehandelten Zähne des Geschädigten zuvor nur mittels eines zahnmedizinischen Spiegels und anhand von Röntgenbildern hatte untersuchen können. Die Prognose des Sanierungsbedarfs und damit zugleich der Dauer der Behandlung beruhte demnach – für die Angeklagte ersichtlich – auf einer nur vorläufigen Erkenntnisgrundlage. Wie unsicher die bisherige Einschätzung war, zeigte sich hier während der Behandlung des Geschädigten darin, dass erst jetzt die Notwendigkeit deutlich umfangreicherer Maßnahmen als zunächst erwartet erkennbar wurde. Entsprechend hatte die Behandlung bei Auftreten erster Probleme schon deutlich länger als geplant, nämlich bereits achteinhalb Stunden, angedauert.
cc) In diesem Zusammenhang wäre zudem zu prüfen gewesen, ob die Angeklagte im Zusammenwirken mit dem Angeklagten A.
dem Gebot wechselseitiger Information und Koordination (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19 Rn. 71, BGHSt 66, 270) ausreichend Rechnung trug.
Das Landgericht hat sich schon nicht eindeutig zu der Frage verhalten, ob, wann und mit welchem Inhalt die Angeklagte den Anästhesisten nach Beginn der Behandlung über deren von ihr nunmehr vorgesehene zeitliche Verlängerung informierte. In den Urteilsgründen wird hierzu allein die – von der Strafkammer insge- samt als glaubhaft befundene – Einlassung der Angeklagten M.
referiert, wonach sie sich nach Feststellung eines umfassenderen Behandlungsbedarfs überlegt habe, „so zügig wie möglich zu arbeiten und notfalls einen weiteren Termin anzusetzen“, was sie auch dem Angeklagten A.
mitgeteilt habe.
In dessen eigener Einlassung, soweit im Urteil wiedergegeben, findet diese zeitlich nicht näher verortete Mitteilung keine Entsprechung. Zur Kommunikation unter den behandelnden Ärzten im Verlauf des Eingriffs beschränken sich die Urteilsgründe im Übrigen auf die Feststellung, dass der Angeklagte A. gegenüber der die Angeklagte M. gegen 15 Uhr am Patienten ablösenden Zahnärztin mitgeteilt habe, dass man sich „noch im zeitlichen Rahmen befinde“.
Dabei wird nicht mitgeteilt, wann er dies in der langen Phase bis zum nächsten im Urteil genannten Ereignis – dem Alarmsignal des Pulsoxymeters um 17:30 Uhr – äußerte.
Insgesamt bleibt somit offen, zu welchem Zeitpunkt dem Angeklagten A. im Verlauf der Behandlung welcher zusätzliche zeitliche Bedarf für die weitere Anästhesie mitgeteilt wurde. Dies wäre angesichts der mit der Dauer der Betäubung steigenden Risiken und des Umstands, dass der Angeklagte A. für die Planung seiner Vorkehrungen nur vom ursprünglich mitgeteilten zeitlichen Horizont hatte ausgehen können, zu erörtern gewesen.
3. Die Sache bedarf somit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die für den Freispruch der Angeklagten M.
relevanten Feststellungen waren schon deshalb aufzuheben, weil die Angeklagte diese nicht hat überprüfen lassen können.
Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird sein Augenmerk stärker als bisher geschehen auch auf die Frage zu richten haben, ob die Behandlung durch die Angeklagte M. jenseits der unzureichenden Narkoseüberwachung und des damit verbundenen Aufklärungsdefizits während ihres gesamten Verlaufs durch eine wirksame Einwilligung des Geschädigten gedeckt war.
Nach den bisherigen Feststellungen liegt dies zwar nahe, soweit die Zahnbehandlung in ihrer ursprünglich vorgesehenen Dimension in Rede steht. Dabei musste insbesondere nicht über Umstände aufgeklärt werden, die dem Geschädigten – wie etwa hinsichtlich der „allgemeinen“ Narkoserisiken der Fall – ohnehin bereits bekannt waren. Zudem bestand für den volljährigen Geschädigten, der sich „so wenig wie möglich“ mit dem Eingriff befassen wollte, grundsätzlich die Möglichkeit, auf Teile der an sich gebotenen Aufklärung ganz oder, wie hier geschehen, zugunsten einer „Aufklärung“ seiner Mutter zu verzichten (vgl. zur Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht bei vorhandenem Vorwissen und bei Aufklärungsverzicht LK-StGB/Grünewald, 13. Aufl., § 223 Rn. 93 mwN).
Dass die erteilte Einwilligung die deutliche zeitliche und naheliegend auch inhaltliche Ausdehnung des Eingriffs nach Entdeckung des – im Urteil nicht näher konkretisierten – „größeren“ Behandlungsbedarfs ebenfalls abzudecken vermochte, versteht sich dagegen nicht von selbst (vgl. zur Reichweite der Einwilligung bei Operationserweiterungen TK StGB/Sternberg-Lieben, 31. Aufl., § 223 Rn. 97). Inwieweit der Geschädigte über die Vorläufigkeit der bisherigen Einschätzung des Sanierungsumfangs informiert worden war und einer möglichen Behandlung weiterer Zahndefekte zugestimmt hatte, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Daneben bestand beim Geschädigten zwar der Wunsch, die Behandlung in nur einem Termin durchzuführen. Dass er willens war oder bei entsprechender Information jedenfalls gewesen wäre, für die Erreichung dieses Ziels auch Risikosteigerungen hinsichtlich der Narkose in Kauf zu nehmen, wird durch die bisherigen Feststellungen jedoch nicht belegt.
Sollte sich anhand der Feststellungen des neuen Tatgerichts insoweit ein Einwilligungsdefizit ergeben, wird für die Angeklagte M.
wie im ersten Rechtsgang schon für den Angeklagten A. geschehen die Möglichkeit etwaiger Irrtümer über tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen einer
(hypothetischen) Einwilligung zu prüfen sein (vgl. auch hierzu TK StGB/Sternberg-Lieben aaO). Dabei wird gegebenenfalls auch darüber zu entscheiden sein,
inwieweit dem Umstand indizieller Wert beizumessen ist, dass die Angeklagte M. der Mutter des Geschädigten noch mittags und damit nach Sichtbarkeit der erhöhten Behandlungsnotwendigkeit mitteilen ließ, dass „alles nach Plan“
verlaufe.
Cirener Ri’inBGH Resch ist im Urlaub und kann nicht unterschreiben.
Cirener Gericke Werner Mosbacher Vorinstanz: Landgericht Hamburg, 12.07.2024 - 602 Ks 2/23 7200 Js 147/16