8 W (pat) 9/11
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 9/11
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(Aktenzeichen)
BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 198 25 113.0-14 …
hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 8. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Zehendner sowie die Richter Kätker, Dipl.-Ing. Rippel und Dr.-Ing. Dorfschmidt beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F15B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Juli 2008 aufgehoben und das Verfahren zur weite- BPatG 152 08.05 ren Bearbeitung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe I.
Die Anmelderin hat am 5. Juni 1998 die Patentanmeldung mit der Bezeichnung „Verfahren und Vorrichtung zur Modellierung eines Hydrauliksystems“ beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Mit Prüfungsbescheid vom 27. Juni 2006 hat die Prüfungsstelle die ursprünglichen, auf ein Verfahren gerichteten Patentansprüche 1 bis 8 für nicht gewährbar erachtet, da ihre Gegenstände keine technische Lehre enthielten. Beim Anmeldegegenstand handele es sich lediglich um ein Verfahren für gedankliche Tätigkeit. Auch der gegenständliche Patentanspruch (ursprünglicher Vorrichtungsanspruch 9) zeige keine technischen Mittel auf, mit denen ein technischer Effekt oder eine technische Wirkung erzielt werden könne.
Mit Eingang vom 8. August 2006 hat die Anmelderin neue Ansprüche 1 - 8 eingereicht, die nach ihrer Auffassung eine Reihe redaktioneller Änderungen enthalten, um die Klarheit der Patentansprüche zu verbessern. Sie meint, dass die Patentanmeldung sehr wohl auf einem technischen Gebiet liege.
Mit Beschluss vom 11. Juli 2008 hat die Prüfungsstelle die Anmeldung ohne weiteren Bescheid nach § 48 PatG zurückgewiesen. Sowohl die beanspruchten Verfahren wie auch der neu formulierte Vorrichtungsanspruch seien mangels einer auf technischem Gebiet liegenden Erfindung nicht patentfähig.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 29. Juli 2008. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass der Anmeldegegenstand auf einem technischen Gebiet liege und insbesondere die in der Anmeldung zentral enthaltenen Beziehungen zwischen Druck und Volumen die Technizität klar erfüllen würden und beantragt,
das Patent auf Basis der neuen Patentansprüche zu erteilen,
hilfsweise den Zurückweisungsbeschluss aufzuheben und den Vorgang zur weiteren Prüfung an die Prüfungsstelle zurückzuverweisen,
weiter hilfsweise eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet wörtlich (einschließlich der offensichtlich unrichtigen Bezugnahme auf andere Verfahrensschritte im Schrift d)):
1. "Verfahren zum Ermitteln einer Druckänderung in einem Hydrauliksystem mit einem ersten Volumenspeicher (A) und wenigstens einem zweiten Volumenspeicher (B), der mit dem ersten Volumenspeicher (A) über ein Ventil (3) verbindbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Schritte umfasst:
a) Ermitteln einer Druckdifferenz (p1 - p0) zwischen erstem Volumenspeicher (A) und zweitem Volumenspeicher (B),
b) Ermitteln eines in einem vorgegebenen Zeitintervall (T) zwischen erstem Volumenspeicher (A) und zweitem Volumenspeicher (B) durch das Ventil (3) ausgetauschten Volumens (∆V) anhand eines zu Beginn des Zeitintervalls (T) geltenden Werts der Druckdifferenz (p1 - p0),
c) Ermitteln eines zur Erzielung gleicher Drücke in beiden Volumenspeichern (A, B) zwischen diesen auszutauschenden Volumens (∆Veq) unter Verwendung einer Beziehung (fA) zwischen Druck (p) und Volumen (V) für den ersten Volumenspeicher (A) und einer Beziehung (fA+B) zwischen Druck (p) und Volumen (V) für das gesamte Hydrauliksystem (A+B),
d) wenn der Betrag des in Schritt d) berechneten ausgetauschten Volumens (∆V) grösser ist als der des in Schritt e) berechneten auszutauschenden Volumens (∆Veq): Ersetzen des Werts des ausgetauschten Volumens (∆V) durch den desauszutauschenden Volumens (∆Veq), und e) Ermitteln der Druckänderungen der Volumenspeicher anhand des in Schritt d) erhaltenen Volumenwerts (∆Veq bzw. ∆V)." Hinsichtlich der weiteren Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Akte verwiesen.
Im Prüfungsverfahren wurden keine Druckschriften ermittelt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1, Abs. 2 PatG). Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als der angegriffene Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung der Anmeldung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen ist (§ 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG).
In der jüngeren Rechtsprechung des BGH wird darauf verwiesen, dass einerseits erforderlich ist, dass der Gegenstand zumindest mit einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (GRUR 2011, 610, Webseitenanzeige, auch GRUR 2009, 479, Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten). Ferner ist danach zu prüfen, ob die Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen (1. Leitsatz der erstgenannten Entscheidung) oder ob das Verfahren lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches darstellt.
1. Die beanspruchte Erfindung nach den Patentansprüchen 1 und 8 liegt auf technischem Gebiet (§ 1 Abs. 1 PatG).
Bei dem Verfahren zum Ermitteln einer Druckänderung in einem Hydrauliksystem nach Patentanspruch 1 handelt es sich um ein Verfahren, bei dem ein Hydrauliksystem modelliert wird, das wenigstens zwei durch ein Ventil verbundene Volumenspeicher umfasst. Damit sollen Druck- und/oder Volumenänderungen eines derartigen Systems in Reaktion auf äußere Veränderungen abgeschätzt werden (Beschreibungseinleitung der Offenlegungsschrift). Als Anwendungsbeispiel wird das Bremssystem eines Kraftfahrzeuges genannt, wobei das hierbei eingesetzte Antiblockiersystem eine zyklisch arbeitende elektronische Schaltung sei, die über Sensoren den Druck in den verschiedenen Radbremszylindern erfasse, um daraufhin einen entsprechenden Bremsdruck einzustellen, damit die gewünschte Drehgeschwindigkeit der Räder erreicht werden könne (Spalte 1, Zeilen 23 - 32). Hierzu sei es erforderlich, den Druck in den Radbremszylindern zu kennen, der sich bei wiederkehrendem Öffnen der entsprechenden Ventile mit Teilen des übrigen Bremskreissystems ergäbe (Spalte 1, Zeilen 32 - 38).
Bei einer entsprechenden Abbildung dieser Prozesse mittels eines (Rechen-) Modells würde sich bisher zeigen, dass sich ein zu großer Volumenstrom beim kurzzeitigen Druckausgleich zwischen zwei Volumenspreichern ergeben würde. Dies würde zu Dauerschwingungen des Modells führen, die seine Brauchbarkeit für die Druckregelung einschränken würde (Spalte 1, Zeilen 64 bis 67). Deshalb sei es Aufgabe der Erfindung (Spalte 2, Zeilen 3 ff.), ein Verfahren und/oder eine Vorrichtung zur Abschätzung von Druck- und/oder Volumenänderungen in einem Hydrauliksystem einzugeben, bei dem diese Dauerschwingungen ausgeschlossen seien.
Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beschreibt ein Verfahren zum Ermitteln einer Druckänderung in einem Hydrauliksystem, das zumindest zwei Volumenspeicher aufweist. Ferner werden in den weiteren Verfahrensschritten Druckdifferenzen und Volumenänderungen ermittelt, die allesamt „technisch“ – auf einem technischen Gebiet liegend – sind (vgl. zum Begriff der Technik: Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 1, Rdn. 31 ff.).
Dies gilt auch für den Vorrichtungsanspruch 8, denn bei einer Mikroprozessorsteuerung – zudem mit einem Speicher – handelt es sich zweifellos um einen technischen Gegenstand.
2. Es liegt auch keiner der Patentierungsausschlüsse gemäß § 1 Abs. 3, Abs. 4 PatG vor.
Insbesondere handelt es sich nicht um ein Programm für eine Datenverarbeitungsanlage als solches. Der Anmeldegegenstand betrifft die Druckregelung in einem hydraulischen System. Dabei soll die Brauchbarkeit eines mathematischen Modells verbessert werden, indem die bisher auftretenden Dauerschwingungen verhindert werden. Hierbei handelt es sich um ein konkretes technisches Problem, das mit technischen Mitteln gelöst wird. Diese technischen Mittel werden im Patentanspruch 1 durch die Verfahrensschritte der Ermittlung der Druckdifferenz, eines ausgetauschten und auszutauschenden Volumens und von Druckänderungen verwirklicht. Im Anspruch 8 kommen zu diesen Verfahrensschritten noch die technischen Mittel einer Prozesssteuerung und eines Speichers hinzu.
Das Verfahren ist zwar nach der Bezeichnung und der Beschreibungseinleitung (und insofern auch in der ursprünglichen Anspruchsfassung) als reines Modellierungsprogramm anzusehen ist, bei dem das Ergebnis lediglich eine Abschätzung durch eine Modellierungsrechnung ist, die durch ein Annäherungsverfahren (Iteration) erhalten wird (vgl. Figur 3). Das Programm wird jedoch nicht losgelöst von einer konkreten Umsetzung beansprucht, sondern zur Lösung eines konkreten technischen Problems verwendet (§ 1 Abs. 3 und 4 PatG, Schulte, Rdn. 173). Der Patentierungsausschluss nach § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG (hier: Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche) entfällt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichshofs dann, wenn die beanspruchte Lehre nicht nur die bloße datenverarbeitungsmäßige Abarbeitung von Verfahrensschritten in technischen Geräten wie Computern lehrt und insoweit das Erfordernis der Technizität i.S.d. § 1 Abs. 1 PatG erfüllt (BGH GRUR 2011, 612, Rn. 15, 16 Webseitenanzeige), sondern über diese (unabdingbare) Technizität hinaus Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen (BGH a.a.O., Rn. 17, 21 f.). Dies ist vorliegend der Fall, denn das fragliche Programm dient, wie oben dargelegt, der Druckermittlung in Hydrauliksystemen. Ferner wird bereits als eine ausreichende Technizität aufweisend bewertet, wenn bei technischen Überlegungen diese beim Einsatz eines Computers lediglich bei einer "Phase der Lehre (z.B. Zwischenschritt) erforderlich sind" (Schulte, a.a.O., Rdn. 174). Derartige technische Überlegungen treten im vorliegenden Fall beispielsweise bei der Entwicklung neuer oder der Weiterentwicklung bestehender Antiblockiersysteme auf, wobei die Modellierung eine technische Hilfestellung in Entwicklung und Konstruktion darstellt. Diese Hilfestellung dient dabei als Entwicklungsschritt im Rahmen des technischen Entwicklungsprozesses in der betrieblichen Praxis.
Es liegt außerdem kein Verfahren für eine gedankliche Tätigkeit bzw. der Einsatz der menschlichen Verstandestätigkeit als solche vor. Im Patentanspruch 1 ist zwar keine Beziehung zwischen Druck und Volumen ausdrücklich angegeben, dies entspricht jedoch lediglich der üblichen Praxis, Patentansprüche allgemein zu formulieren, so dass sie mehrere Ausführungsbeispiele umfassen. Als ein mögliches Ausführungsbeispiel wird in Patentanspruch 5 die Bernoulli-Gleichung genannt. Das Auffinden und Festlegen geeigneter Beziehungen zwischen Druck und Volumen gemäß anderer Ausführungsvarianten erfordert zwar menschliche Verstandestätigkeit, ist jedoch nicht Teil des Patentanspruchs 1.
Die beanspruchte Lehre beruht auch nicht auf lediglich mathematischen Überlegungen, sondern es sind konkrete technische Überlegungen des erstellten Modells erkennbar, die zur optimierten Steuerung des mit Druckänderungen beaufschlagten hydraulischen Systems herangezogen werden. So wie der Patentanspruch 1 in seiner geltenden Fassung formuliert ist, werden die Druckänderungen und die ausgetauschten und auszutauschenden Volumina sowie die entsprechenden Zeitintervalle „in einem Hydrauliksystem“ ermittelt – das somit konkret vorhanden sein kann – so dass in der derzeit geltenden Fassung des Patentanspruchs 1 zumindest an einem Real-Modell ein Teil der Prozesse mittels Messwertaufnehmer (Druck, Zeit) auch konkret ablaufen können.
Die Erfindung enthält somit Anweisungen, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Der von der Prüfungsstelle angeführte Zurückweisungsgrund trifft daher nicht zu.
3. Im Hinblick auf die Zulässigkeit der geltenden Anspruchsfassung bestehen jedoch gewisse Bedenken. So wird u.a. in den gegliederten Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 durchgehend der Begriff „Ermitteln“ für die ursprünglich eingesetzten Begriffe „Vorgeben“, „Berechnen“ sowie „Annehmen“ verwandt, wobei die Semantik des Begriffs „Ermitteln“ auch unter Hinzuziehung der Beschreibung sowie des ursprünglichen Patentanspruchs 5 gegebenenfalls nicht in jeder Ausgestaltung offenbart wird. Beispielsweise ist der Begriff des „Ermittelns“ einer Größe bereits wesentlich breiter als der des „Berechnens“.
4. Die Zurückverweisung zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens ist durch § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG veranlasst. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Das Patentamt hat insbesondere die Patentfähigkeit der in der vorliegenden Anmeldung beanspruchten Erfindung nach den §§ 3 und 4 PatG noch nicht geprüft. Der relevante Stand der Technik wurde noch nicht ermittelt, wofür die Prüfungsstelle grundsätzlich zuständig ist.
Dr. Zehendner Kätker Rippel Dr. Dorfschmidt Hu