VIa ZR 1318/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1318/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 19. März 2024 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:190324UVIAZR1318.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu I., zu III. und zu IV. zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb im September 2017 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q5 3.0. TDI Quattro, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor mit der Typbezeichnung EA 896 Gen2 ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt unter Verwendung einer Abgasrückführung, welche nach klägerischem Vortrag innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert wird ("Thermofenster").
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen (Berufungsantrag zu I.) und ausgerechneter Deliktszinsen (Berufungsantrag zu II.) Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu III.) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV.). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu I., zu III. und zu IV. weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Selbst wenn es sich bei dem "Thermofenster" um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, folge eine Haftung der Beklagten daraus noch nicht. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände, an denen es vorliegend ebenso fehle wie an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz der Beklagten. Die Verwendung weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen im klägerischen Fahrzeug sei nicht substantiiert dargetan.
Auch scheide ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV aus, weil der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, dass die Beklagte gegen die Verbote zumindest fahrlässig verstoßen habe. Zudem bleibe der Senat bei seiner bisherigen Rechtsauffassung, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der §§ 6, 27 EG-FGV liege. Selbst wenn die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen angenommen würden, scheitere ein Schadensersatzanspruch des Klägers an einem fehlenden Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB. Denn dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug drohe weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat.
Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass ein in die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs implementiertes "Thermofenster" eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat es dennoch eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB abgelehnt, weil die eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, sondern in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet, und es weitere Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, nicht festgestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 48; Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.). Soweit die Revision insoweit Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat diese geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung im Hinblick auf das "Thermofenster" ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.
a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27).
Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
b) Mit den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum der Beklagten kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat. Dem steht schon entgegen, dass der Fahrzeughersteller, will er sich zur Widerlegung der Verschuldensvermutung (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 f.) auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen, einen Irrtum konkret darlegen und beweisen muss (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63), und zwar in Bezug auf die nach § 31 BGB Verantwortlichen (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 14).
c) Ebenso wenig kann die Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB mit der Begründung abgelehnt werden, es fehle an einem Schaden, weil dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung drohe. Vielmehr hat der Senat nach der angefochtenen Entscheidung sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Kraftfahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245, Rn. 41 und 71 ff.).
III.
Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 562 ZPO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) und des Urteils vom 25. September 2023 (VIa ZR 1/23,
NJW 2023, 3796 Rn. 13) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Wille Möhring Liepin Krüger Vorinstanzen: LG Bad Kreuznach, Entscheidung vom 14.01.2022 - 3 O 165/21 OLG Koblenz, Entscheidung vom 11.08.2022 - 7 U 306/22 -