5 StR 542/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 542/23 URTEIL vom 8. Mai 2024 in der Strafsache gegen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2024:080524U5STR542.23.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Mai 2024, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Gericke als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Köhler, Richterin am Bundesgerichtshof Resch, Richter am Bundesgerichtshof von Häfen, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Werner, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof W.
als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. Mai 2023 in den Fällen II.3 bis 6 und 10 mit den zugehörigen Feststellungen zur inneren Tatseite sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision in den Fällen II.3 bis 6 und 10 der Urteilsgründe zusätzlich eine tateinheitliche Verurteilung wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das Rechtsmittel führt insoweit mit den zugehörigen Feststellungen zum inneren Tatbestand – im Fall II.6 der Urteilsgründe auch zugunsten des Angeklagten – und im Ausspruch über die Gesamtstrafe zur Aufhebung des Urteils; im Übrigen ist es unbegründet.
I.
Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte schloss sich zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor März 2020 mit drei gesondert Verfolgten und einem namentlich nicht bekannten Encrochatnutzer zu einer unternehmensähnlich strukturierten Gruppierung zusammen, die Kokain, Marihuana und Amphetamin mit Wirkstoffgehalten von 70 Prozent (Kokain), 15 Prozent (Marihuana) und 10 Prozent (Amphetamin) im zwei- bis dreistelligen Kilobereich über See und Land einführte, um die Betäubungsmittel in Deutschland und im europäischen Ausland gewinnbringend zu verkaufen. Sie verfügte über Drogenbunker im Stadtgebiet und in der Umgebung von H.
sowie in B. . In dem Gefüge nahm der gesondert Verfolgte D. die zentrale und leitende Rolle ein. Er organisierte und koordinierte Einund Verkauf sowie Einfuhr, Lagerung und Übergabe der Drogen. Auf seine Anweisung verschoben die übrigen Mitglieder die Betäubungsmittel untereinander,
brachten sie zu Abnehmern und nahmen dabei auch Bargeld entgegen, das sie verwahrten. Für die Kommunikation wurden überwachungssichere Encrochatgeräte verwendet.
Der Angeklagte, den mit D. eine jahrelange und vertrauensvolle Freundschaft verband, beteiligte sich an dem Drogenhandel, weil ihm dieser
50.000 Euro zur Begleichung von Schulden gegeben hatte. Er verwaltete einen Bunker in H.
und war in den Absatz und Transport von Betäubungsmitteln eingebunden. Gegenüber D. war er weisungsgebunden und rechenschaftspflichtig; trotz seiner eher untergeordneten Rolle hatte er ein eigenes Tatinteresse. Über die Rolle der weiteren Gruppenmitglieder war er informiert. Soweit er nicht mit einem von ihnen gemeinsam tätig wurde, waren ihm deren Tatbeiträge im Einzelnen nicht bekannt.
a) Ende April 2020 verfügte die Gruppierung über 30 Kilogramm Kokain,
die Mitte des Monats per Schiff aus Südamerika nach H.
transportiert worden waren. Der Angeklagte erhielt 2 Kilogramm, die er am 7. Mai 2020 an zwei Encrochatnutzer weitergab. An diesem und am nächsten Tag erlangte er insgesamt 437.000 Euro aus nicht näher bestimmbaren Betäubungsmittelgeschäften der Gruppierung (Fall II.3).
b) Am 5. Mai 2020 vereinbarte D. mit einem namentlich nicht bekannten Encrochatnutzer die Abnahme von 100 Kilogramm Amphetamin. Wie vereinbart, erhielt der Angeklagte am 11. Mai 2020 hiervon 25 Kilogramm direkt vom Verkäufer. Am nächsten Tag übergab er 5 Kilogramm an einen Encrochatnutzer, mit dem D. Menge und Preis verhandelt hatte. Die übrigen 20 Kilogramm verkaufte er an unbekannte Abnehmer. Die restlichen 75 Kilogramm Amphetamin wurden ab dem 12. Mai 2020 fertiggestellt (Fall II.4).
c) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 7. Mai 2020 kaufte D. in den Niederlanden 59,9 Kilogramm Kokain, die zwei Gruppenmitglieder am 9. Mai 2020 nach Deutschland transportierten und zunächst bei sich verwahrten. In der Folgezeit erhielt der Angeklagte 11 Kilogramm, an deren Verkauf er mitwirkte oder sie zu diesem Zweck verwahrte. Zudem war er in einen Transport von 13 Kilogramm aus der eingeführten Menge in einen Bunker eines gesonderten Verfolgten im H.
er Umland am 16. Mai 2020 eingebunden.
Am selben Tag übergab der Angeklagte dem Gruppenmitglied, das den Transport durchgeführt hatte, 100.000 Euro aus nicht näher feststellbaren Betäubungsmittelgeschäften (Fall II.5).
d) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 11. Mai 2020 kaufte D. in Spanien 180 Kilogramm Marihuana, von denen am 15. Mai 2020 111 Kilogramm nach Deutschland geliefert wurden. Noch am selben Tag erhielt der Angeklagte vom Empfänger der Lieferung 24 Kilogramm der Drogen. 20 Kilogramm verkaufte er namentlich nicht bekannten Abnehmern; 4 Kilogramm übergab er an ein gesondert verfolgtes Gruppenmitglied (Fall II.6).
e) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 6. Juni 2020 erwarb D. in den Niederlanden 100 Kilogramm Kokain, die hälftig nach B.
und H.
gebracht wurden. Hiervon erhielt der Angeklagte 40 Kilogramm,
die in der Folgezeit unter seiner Beteiligung vollständig verkauft wurden. Das restliche Kokain wurde ebenfalls gewinnbringend verkauft (Fall II.10).
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt, soweit er unmittelbar in den Absatz der Drogen eingebunden war. Es hat sich jedoch nicht davon überzeugen können, dass sich der Angeklagte – hierzu in Tateinheit stehend – hinsichtlich des übersteigenden Teils der tatgegenständlichen Betäubungsmittel jeweils wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht hat. Zwar sei ihm „natürlich bewusst“ gewesen, dass er D. durch seine – diesem bekannte – Bereitschaft zur Mitwirkung am Drogenhandel der Gruppierung darin bestärkt haben könnte, größere Mengen Betäubungsmittel zu beschaffen und weitere Taten zu begehen. Es fehle aber am (konkretisierten) Gehilfenvorsatz. Denn es genüge nicht, wenn der Hilfeleistende die „deliktische Verwendung seiner Unterstützung nur allgemein für möglich“ halte. So liege der Fall hier. Der Angeklagte habe zwar gewusst, dass D. „mit größeren Mengen handelte“. Es sei ihm aber nicht „bekannt“ gewesen, ob über die ihm übergebenen Mengen hinaus jeweils weitere Drogen an D. geliefert worden seien. Da sich aus den ausgewerteten Chatnachrichten keine gegenteiligen Hinweise ergeben hätten, hat das Landgericht die Einlassung des Angeklagten für glaubhaft erachtet, dass er über die Hintergründe der Einfuhr, die konkreten Mengen und deren Übergaben nicht „informiert“ gewesen sei.
II.
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat im Anfechtungsumfang weitgehend Erfolg.
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf Schuld- und Strafausspruch in den Fällen II.3 bis 6 und 10 der Urteilsgründe ist wirksam. Dies gilt auch im Hinblick auf die Einziehungsentscheidung, weil dem Angeklagten durch oder für diese Taten nichts zugeflossen ist. Die 50.000 Euro zur Begleichung seiner Schulden hat ihm D. für seine generelle Mitwirkung an dem Drogenhandel zukommen lassen. Die Gelder, die er im Zusammenhang mit den Fällen II.3 und 5 erlangt hat, stammten aus anderen (nicht näher feststellbaren) Betäubungsmittelgeschäften der Gruppierung. Mit der rechtskräftigen Verurteilung bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den weiteren Fällen liegen die nach § 73a StGB erforderlichen Anlasstaten vor.
2. Die Verneinung des Gehilfenvorsatzes bezogen auf den Umfang der jeweiligen Handelstaten (vgl. zum doppelten Gehilfenvorsatz BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 521/18, NJW 2020, 1080, 1082) hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand; die an einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgerichtete Beweiswürdigung weist insoweit – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – 3 StR 185/22; NStZ-RR 2022, 372 f.) – durchgreifende Rechtsfehler auf.
a) Nach den für das Revisionsgericht allein maßgeblichen Urteilsgründen ist das Landgericht insoweit von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2023 – 1 StR 394/22, wistra 2024, 34).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs sind an den Vorsatz des Gehilfen geringere Anforderungen als an denjenigen des Täters zu stellen. Derjenige, der lediglich eine fremde Tat fördert, braucht Einzelheiten dieser Tat nicht zu kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr zu haben. Es ist lediglich ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen (BGH, Urteil vom 18. April 1996 – 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135, 137 f.; Beschluss vom 28. November 2017 – 3 StR 272/17 Rn. 33).
Gemessen daran hat das Landgericht die Anforderungen an die Überzeugungsbildung zum Gehilfenvorsatz überspannt. Es hat seine Auffassung im Kern wie folgt begründet: Zwar habe der Angeklagte – ausweislich seiner vom Landgericht als glaubhaft erachteten Einlassung – „allgemein gewusst“, dass D. mit größeren Mengen Betäubungsmittel handelte. Soweit er nicht selbst am Absatz beteiligt gewesen sei, ergebe sich aber weder aus seiner – insoweit geständigen – Einlassung noch aus den Encrochatinhalten, dass er über die Hintergründe der Einfuhr, konkrete Mengen und deren Übergabe an die jeweiligen Abnehmer „informiert“ gewesen sei. Damit hat es seinen Blick auf den dolus directus zweiten Grades (Wissen um die Tatbestandsverwirklichung) verengt. Es hat mithin außer Betracht gelassen, dass auch für die innere Tatseite der Beihilfe der dolus eventualis genügt. Danach ist der Vorsatz gegeben, wenn der Gehilfe den von ihm als möglich erkannten Taterfolg billigend in Kauf nimmt. Bei Betäubungsmittelstraftaten kann es hierfür ausreichen, wenn einem Tatbeteiligten die Menge der tatgegenständlichen Betäubungsmittel gleichgültig ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2017 – 2 StR 110/17, StraFo 2017, 433 zu Kurierfällen).
b) Ausgehend von dem derart verkürzten rechtlichen Maßstab hat die Strafkammer die auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller Umstände gebotene getrennte Prüfung des Wissens- und des Willenselements des bedingten Vorsatzes unterlassen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 351/16, NStZ 2017, 277, 279). Die Beweiswürdigung ist mithin lückenhaft. Zu Recht hat die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass das Landgericht weder erörtert hat, dass der Angeklagte in zwei Fällen Bargeld in Höhe von 437.000 Euro und 100.000 Euro aus Betäubungsmittelgeschäften der Gruppierung erhalten und verwahrt, noch, dass er in mehreren der nicht angefochtenen Taten täterschaftlich am Absatz außergewöhnlich großer Mengen Betäubungsmittel (50 Kilogramm Kokain und 44 Kilogramm Marihuana) mitgewirkt hatte. Beide Umstände hätte das Landgericht erörtern müssen, weil sie darauf hindeuten, dass es dem Angeklagten gleichgültig war, auf welche Mengen der eingeführten Betäubungsmittel sich das jeweilige Handeltreiben der Gruppierung bezog.
III.
Die aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft in deren Anfechtungsumfang veranlasste umfassende rechtliche Nachprüfung (§ 301 StPO) führt im Fall II.6 der Urteilsgründe auch zugunsten des Angeklagten zur Aufhebung des Schuldspruchs. Der am 1. April 2024 in Kraft getretene § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 4 KCanG (BGBl. 2024, Teil I, Nr. 109) droht für das bandenmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nurmehr eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren an. Es handelt sich im Vergleich zur Strafvorschrift des § 30a Abs. 1 BtMG, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vorsieht, um das mildere Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB); dies hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin zu beachten (BGH, Urteile vom 27. Oktober 1964 – 1 StR 358/64, BGHSt 20, 77, 78 f.; vom 26. Februar 1975 – 2 StR 681/74, BGHSt 26, 94; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 354 Rn. 2).
IV.
1. Die für sich genommen rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilungen des Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen II.3 bis 5 und 10 können nicht bestehen bleiben. Eine Änderung des Schuldspruchs im Fall II.6 entsprechend § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO kommt wegen des rechtlichen Zusammentreffens mit einer etwaigen Beihilfestrafbarkeit nicht in Betracht. Der Wegfall der Verurteilungen in den Fällen II.3 bis 6 und 10 entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Feststellungen zum äußeren Tatbestand können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
2. Das neue Tatgericht wird zu beachten haben:
a) Die Annahme einer psychischen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben der Mehrmenge durch die unmittelbare Beteiligung des Angeklagten am Absatz einer Teilmenge der jeweils verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel bedarf genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 – 2 StR 64/20 Rn. 8). Solche Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen, weil es sich sogleich auf den Beihilfevorsatz fokussiert hat.
b) Eine vom Vorsatz nicht erfasste Mehrmenge darf dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin als strafschärfend berücksichtigt werden, wenn den Angeklagten insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2019 – 5 StR 325/19, NStZ 2020, 553, 554).
Gericke Köhler Resch von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Hamburg, 03.05.2023 - 613 KLs 1/23 6540 Js 4/22