NotZ (Brfg) 7/21
BUNDESGERICHTSHOF NotZ(Brfg) 7/21 BESCHLUSS vom 11. Juli 2022 in dem Rechtsstreit wegen Übertragung einer Notarstelle ECLI:DE:BGH:2022:110722BNOTZ.BRFG.7.21.0 Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juli 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Reiter, die Richterin Dr. Böttcher, den Notar Dr. Frank sowie die Notarin Kuske beschlossen:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Köln vom 23. August 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der damals 57jährige Kläger bewarb sich auf eine von 13 im Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai 2020 ausgeschriebene Notarstellen für den Amtsgerichtsbezirk Essen. Die Bewerbungsfrist endete mit Ablauf des 15. Juni 2020.
Der Kläger ist seit 1993 als Rechtsanwalt zugelassen und war als solcher bis zum 31. Oktober 2019 in Düsseldorf tätig. Zum 1. November 2019 verlegte er seine Düsseldorfer Kanzlei nach Essen, wo er nunmehr ausschließlich tätig ist.
In dem Bewerbungsformular führte er zur Frage "Welche Tätigkeiten als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt haben Sie seit der Erlangung der Befähigung zum Richteramt wo und in welchem organisatorischen Rahmen (…) ausgeübt?" für den Zeitraum ab 2000 aus: "seit 2000 bis heute Einzelanwalt der Kanzlei L. - in Düsseldorf und Essen".
Ob und seit wann er bereits vor dem 1. November 2019 in Essen eine Zweigstelle dieser Kanzlei betrieben hat, ist streitig. Der Kläger behauptet dazu, bereits seit 1995 eine Zweigstelle unter seiner damaligen Wohnanschrift O. in Essen betrieben und entsprechende Kanzleiräume seit 2003 errichtet zu haben. Diese habe er zu einem nicht näher bezeichneten - mehr als drei Jahre vor seiner Bewerbung liegenden - Zeitpunkt nach Wegfall des Zweigstellenverbots im Jahr 2007 der Rechtsanwaltskammer gemeldet. Eine Verlegung dieser Zweigstelle innerhalb Essens habe er am 20. März 2019 anzeigt.
Die Bewerbung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 teilte die Beklagte ihm mit, es sei beabsichtigt, die Stellen an 13 andere Bewerber zu vergeben - drei davon mit schlechteren Gesamtnoten als der Kläger -, denn er erfülle die örtliche Wartezeit nicht. Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von diesem Regelerfordernis lägen nicht vor. Darüber hinaus könne die persönliche Eignung des Klägers für das in Aussicht genommene Notaramt nicht festgestellt werden.
Die vom Kläger gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten erhobene Klage ist erfolglos geblieben. Die Berufung hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag. Nach Zulassung der Berufung möchte er sein Begehren, die Stelle übertragen zu bekommen, weiterverfolgen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Ein Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 VwGO iVm § 111d Satz 2 BNotO liegt nicht vor.
1. Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO iVm § 111d Satz 2 BNotO).
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat, was zudem die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen muss (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 16. November 2020 - NotZ(Brfg) 6/20, NJW-RR 2021, 564 Rn. 5; vom 23. April 2018 - NotZ(Brfg) 6/17, NJW 2018, 2567 Rn. 11 und vom 20. Juli 2015 - NotZ(Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872 Rn. 19; jew. mwN). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberlandesgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die dagegen vom Kläger vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihm eine der ausgeschriebenen Notarstellen zu übertragen, zutreffend als Antrag auf Neubescheidung seiner Bewerbung ausgelegt. Dies nimmt der Kläger hin.
Ein solcher Anspruch auf erneute Bescheidung (§ 111b BNotO, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) steht ihm jedoch nicht zu. Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig.
Dem Kläger kann die ausgeschriebene Notarstelle bereits deshalb nicht übertragen werden, weil die besondere Bestellungsvoraussetzung der - verfassungsmäßig unbedenklichen (vgl. zuletzt Senat, Beschlüsse vom 14. März 2022 - NotZ(Brfg) 10/21 S. 6 ff - zur Veröffentlichung bestimmt und vom 16. November 2020 aaO Rn. 10; jew. mwN) - örtlichen Wartezeit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO in der vorliegend anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung (Neuregelung des Zugangs zum Anwaltsnotariat) vom 2. April 2009 - im Folgenden: aF - (BGBl. I S. 696; nunmehr § 5b Abs. 1 Nr. 2 BNotO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021, BGBl. I S. 2154) nicht vorliegt und auch nicht ausnahmsweise davon abgesehen werden kann.
a) In der Regel soll ein Rechtsanwalt, der persönlich und fachlich geeignet ist, nur zum Notar bestellt werden, wenn er nicht nur die allgemeine, sondern auch die örtliche Wartezeit erfüllt, mithin seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich (§ 10a BNotO) tätig war (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF). Dieses Regelerfordernis der örtlichen Wartezeit ist der Auswahl unter den geeigneten Bewerbern vorgelagert (st. Rspr.; vgl. zB Senat, Urteile vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12, NJW-RR 2013, 695 Rn. 18 und vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 14/11, NJW 2012, 1888 Rn. 5 mwN; Beschluss vom 21. Februar 2011 - NotZ(Brfg) 6/10, NJW 2011, 1517 Rn. 2). Die örtliche Wartezeit setzt voraus, dass der Rechtsanwalt während einer bestimmten, der angestrebten Notarbestellung unmittelbar vorangehenden Zeit durchgängig bei dem Amtsgericht tätig war, das für den künftigen Amtsbereich zuständig ist (siehe zu den mit dieser Regelung verfolgten Zwecken: BT-Drs. 11/6007 S. 10 und 16/11906 S. 13; vgl. weiter zB Senat, Urteil vom 5. März 2012 aaO Rn. 6; Beschlüsse vom 14. März 2022 - NotZ(Brfg) 10/21 aaO; vom 22. März 2021 - NotZ(Brfg) 9/20, NJOZ 2021, 762 Rn. 10 und vom 21. Februar 2011 aaO).
Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die Wartezeit von drei Jahren im Bezirk des Amtsgerichts Essen nicht erfüllt hat. Gemäß dem bis zum 31. Juli 2021 geltenden, für den Streitfall noch maßgeblichen § 6b Abs. 4 Satz 1 BNotO (jetzt § 6 Abs. 1 Satz 2 BNotO) sind bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern um ein Notaramt nur solche Umstände zu berücksichtigen, die bei Ablauf der Bewerbungsfrist vorlagen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Vorliegen dieser Umstände innerhalb dieser Frist auch nachzuweisen (Senat, Beschlüsse vom 3. November 2003 - NotZ 14/03, NJW-RR 2004, 708, 709; vom 16. März 1998 - NotZ 13/97, NJW-RR 1998, 1599, 1600 und vom 14. Juli 1997 - NotZ 48/96, NJW-RR 1998, 57, 58). Dies hat der Kläger versäumt. Aus seinen Angaben in dem Bewerbungsformular zu seinen anwaltlichen Tätigkeiten ergibt sich nicht, dass er im Amtsgerichtsbezirk Essen in dem erforderlichen Zeitraum tätig war. Seiner undifferenzierten Mitteilung, er sei seit dem Jahr 2000 in Düsseldorf und Essen als Rechtsanwalt tätig gewesen, lässt sich nicht entnehmen, seit wann er in Essen praktiziert hat. Deshalb ist es nicht mehr entscheidungserheblich, ab welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang der Kläger tatsächlich in Essen anwaltlich tätig war. Auf die Frage, ob die Tätigkeit in nicht angemeldeten Zweigstellen überhaupt bei der Berechnung der örtlichen Wartezeit berücksichtigungsfähig ist, kommt es ebenfalls nicht mehr an.
b) Mit Recht hat das Oberlandesgericht auch die Voraussetzungen verneint, unter denen ausnahmsweise von der (vollständigen) Einhaltung der örtlichen Wartezeit abgesehen werden kann.
Das Gesetz macht die Einhaltung der Wartezeit zwar nur zur Regel, weshalb in besonders begründeten Fällen bei einem Bewerber davon abgesehen werden kann (st. Rspr.; vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 16. November 2020 aaO Rn. 9; vom 3. Dezember 2001 - NotZ 17/01, NJW 2002, 968, 969 und vom 31. Juli 2000 - NotZ 4/00, NJW-RR 2001, 207, 208). Die Sollvorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO eröffnet der Landesjustizverwaltung aber kein uneingeschränktes Ermessen. Vielmehr sind diesem nach der ständigen Rechtsprechung des Senats enge Grenzen gesetzt. Die Bestellung eines Bewerbers, der die örtliche Wartezeit nicht erfüllt, ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Sie kommt nur in Betracht, wenn angesichts eines ganz außergewöhnlichen Sachverhalts die Abkürzung der Regelzeit aus Gerechtigkeits- oder Bedarfsgründen zwingend erscheint (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 16. November 2020 aaO; vom 19. November 2018 - NotZ(Brfg) 6/18, BeckRS 2018, 34462 Rn. 3; vom 14. März 2016 - NotZ(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 879 Rn. 11 und vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 6/12 aaO Rn. 17; jeweils mwN).
Diese Voraussetzungen lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Bewerbungsfrist nicht vor.
Insbesondere konnte der Bedarf an Notaren durch die Bestellung von Bewerbern, die auch das Erfordernis der örtlichen Wartezeit erfüllten, ausreichend gedeckt werden. Ein im Aspekt der Bestenauslese liegendes öffentliches Interesse, von der Einhaltung der Wartezeit ausnahmsweise abzusehen, besteht - ungeachtet dessen, dass der Kläger eine bessere Gesamtnote aus den Ergebnissen des zweiten Staatsexamens sowie der notariellen Fachprüfung erzielt hat als drei der an seiner Stelle ausgewählten Kandidaten - nicht. Allein ein besseres Punkteergebnis im Vergleich zu den Mitbewerbern begründet noch keinen Anspruch auf eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO aF/§ 5b Abs. 1 Nr. 2 BNotO nF. Wie ausgeführt, ist das Erfordernis der Einhaltung der allgemeinen und örtlichen Wartezeit der Auswahl unter den geeigneten Bewerbern vorgelagert. Würde schon die bessere Eignung als solche genügen, von den Erfordernissen des § 6 Abs. 2 BNotO aF/§ 5b Abs. 1 BNotO nF abzusehen, verlören diese ihre eigenständige Bedeutung (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 19. November 2018 aaO Rn. 5; vom 26. November 2012 - NotZ(Brfg) 7/12, BeckRS 2012, 25160 Rn. 8 und vom 21. Februar 2011 aaO mwN). Ein im Prinzip der Bestenauslese begründetes öffentliches Interesse, im Fall des Klägers ausnahmsweise von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit abzusehen, besteht in Anbetracht der von ihm erzielten - insgesamt im mittleren Bereich liegenden - Gesamtpunktzahl nicht. Einen ganz außergewöhnlichen Sachverhalt stellt dies im Vergleich zu den schlechter bewerteten Konkurrenten nicht dar. Ebenso wenig gebieten sonstige Gerechtigkeitserwägungen den - weitgehenden - Verzicht auf die örtliche Wartezeit. Insgesamt gibt es keinen Grund für die Annahme, es handele sich bei der Verweisung des Klägers auf die Wartezeit um ein "sinnloses Beharren auf einer Formalie" (vgl. dazu Senat, Beschlüsse vom 16. November 2020 aaO Rn. 19 und vom 19. November 2018 aaO, mwN).
2. Auch der - vom Kläger weiter geltend gemachte - Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO iVm § 111d Satz 2 BNotO liegt nicht vor. Eine Rechtssache weist dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zugrundeliegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen Streitigkeiten deutlich abhebt (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 5/19, ZNotP 2020, 480 Rn. 17 und vom 13. November 2017 - NotZ(Brfg) 2/17, DNotZ
2018, 469 Rn. 29 mwN). Derlei Umstände macht der Kläger bereits nicht geltend. Soweit er in diesem Zusammenhang die Frage aufwirft, welche Anforderungen an eine "vollständige Bürostruktur" einer Rechtsanwaltskanzlei oder einer Zweigstelle zu stellen sind, begründet dies weder eine Schwierigkeit im vorstehenden Sinne noch ist dieser Punkt entscheidungserheblich.
3. Sonstige Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO iVm § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen, die am Zulassungsverfahren durch Zustellung der Antragsbegründung und Gelegenheit zur Stellungnahme, die sie wahrgenommen hat, beteiligt worden ist, dem unterlegenen Kläger aufzuerlegen (vgl. dazu zB BVerwG, NVwZ-RR 2001, 276). Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 111g Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 52 Abs. 2 GKG.
Herrmann Reiter Böttcher Frank Kuske Vorinstanz: OLG Köln, Entscheidung vom 23.08.2021 - Not 14/20 -