VIa ZR 270/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 270/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 16. April 2024 Breit Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:160424UVIAZR270.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger und die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. Januar 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 13. Mai 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über ein sogenanntes Thermofenster und über eine KühlmittelSolltemperatur-Regelung (KSR). Es ist nicht von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Er könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er sei von der Beklagten im Sinne des § 826 BGB sittenwidrig vorsätzlich geschädigt worden. Selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, arbeite dieses vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand. Hinsichtlich der KSR lasse der Vortrag des Klägers nicht den Rückschluss darauf zu, dass es sich bei der konkret im Motor seines Fahrzeugs enthaltenen Wirkungsweise um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Der geltend gemachte Anspruch lasse sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Das Interesse,
nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision rügt vergeblich, das Berufungsgericht habe verkannt, dass sich bei der im Fahrzeug des Klägers verbauten KSR um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung handele. Das Berufungsgericht hat dem Vortrag des Klägers keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür zu entnehmen vermocht, dass die in seinem Fahrzeug zum Einsatz kommende KSR in einer Weise funktioniere, die die Voraussetzungen für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfülle. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die insoweit von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des von der Revision angeführten Thermofensters getroffen.
3. Die Ausführungen der Revisionsbegründung führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie geben dem Senat keinen Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens abzugehen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang im Hinblick auf das Thermofenster lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Rensen Krüger Götz Katzenstein Vorinstanzen: LG Deggendorf, Entscheidung vom 10.08.2021 - 22 O 761/20 OLG München, Entscheidung vom 27.01.2022 - 3 U 6513/21 -