10 W (pat) 1/10
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 1/10
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(Aktenzeichen)
BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
betreffend das Patent 198 05 155 wegen Wiedereinsetzung hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 13. September 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden BPatG 152 08.05 Richters Rauch, der Richterin Püschel und des Richters Prof. Dr. Dr. Ensthaler beschlossen:
1. Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts - Patentabteilung 54 - vom 28. September 2009 wird aufgehoben.
2. Der Patentinhaberin wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der 11. Jahresgebühr mit Verspätungszuschlag gewährt.
Gründe I.
Auf ihre Anmeldung vom 10. Februar 1998 wurde der Patentinhaberin vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) das Patent 198 05 155 mit der Bezeichnung „Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten für Koordinatenmessgeräte“ erteilt; die Veröffentlichung der Erteilung erfolgte am 27. September 2007. Gegen das Patent wurde ein Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden worden ist.
Das DPMA übersandte der Anmelderin eine vom 8. Juli 2008 datierte „Wichtige Mitteilung“, wonach für das Patent die 11. Jahresgebühr nicht innerhalb der zuschlagfreien Zahlungsfrist gezahlt worden sei und das Schutzrecht erlöschen werde, sofern nicht die Gebühr samt einem Verspätungszuschlag (insgesamt 520,- €) bis zum 1. September 2008 nachentrichtet werde. Nachdem bis zu dem genannten Datum keine Zahlung erfolgte, wurde in der betreffenden Akte des DPMA das Erlöschen des Patents vermerkt.
Am 15. Dezember 2008 ging beim DPMA ein auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gerichteter Antrag der Patentinhaberin ein; die versäumte Gebührenzahlung hatte sie bereits zuvor im Wege einer Bareinzahlung vom 10. Dezember 2008 nachgeholt. Zur Antragsbegründung trug sie vor, sie sei bislang - entsprechend einer mit der Kanzlei ihres anwaltlichen Vertreters getroffenen Vereinbarung - stets von der Kanzlei an die Fälligkeit von Jahresgebühren erinnert worden; die Zahlungen habe sie hingegen selbst vorgenommen. Die patentamtliche Mitteilung vom 8. Juli 2008 sei in der Kanzlei am 17. Juli 2008 eingegangen. Daraufhin habe die Kanzlei an sie per Post ein Schreiben mit Datum vom 18. Juli 2008 mit einem nochmaligen Gebührenhinweis sowie einem Doppel der Mitteilung übersandt. Dieses Schreiben habe sie aber nicht erhalten. Vom Erlöschen des Patents hätten sowohl die Vertreterkanzlei als auch sie selbst erst durch eine am 2. Dezember 2008 vorgenommene Überprüfung des Patentregisters erfahren. Diese Überprüfung sei erfolgt, weil die Kanzlei nunmehr auch mit der Gebührenzahlung beauftragt worden sei.
Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags legte die Patentinhaberin u. a. eine Abschrift des Schreibens vom 18. Juli 2008 sowie den damaligen Bearbeitungsvorgang dokumentierende Wiedergaben vom Computerbildschirm der mit der Sachbearbeitung betrauten Kanzleimitarbeiterin vor. Auf Grund der Tatsache, dass das Schreiben gefertigt worden sei, könne auch von seiner Versendung ausgegangen werden; etwas anderes hätte keinen Sinn gemacht. Die in der Kanzlei erstellten Schreiben würden generell anschließend kuvertiert, frankiert und zur Post aufgegeben.
Außerdem fügte die Patentinhaberin ihrem Wiedereinsetzungsgesuch eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers, ihres für die Korrespondenz mit der Anwaltskanzlei zuständigen Mitarbeiters sowie der Sekretärin ihrer Geschäftsleitung bei. Diese bekunden übereinstimmend, dass die in der Firma eingehenden Schreiben von der Sekretärin an den zuständigen Mitarbeiter weitergeleitet werden. Alle übrigen Mitarbeiter seien verpflichtet, etwaige Post-Irrläufer an die Sekretärin zurückzuleiten. Unklare oder nicht eindeutige Schreiben seien der Geschäftsleitung vorzulegen. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass die ankommende Post auch tatsächlich den zuständigen Mitarbeiter erreiche. Daher könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass das Schreiben des anwaltlichen Vertreters vom 18. Juli 2008 in ihrem Hause verloren gegangen sei.
Auf einen Zwischenbescheid des Patentamts trug die Patentinhaberin mit Schreiben vom 8. Juni 2009 ergänzend vor, bereits Anfang Dezember 2007 sei sie von der Vertreterkanzlei erstmals auf die Zahlungsfrist betreffend die 11. Jahresgebühr hingewiesen worden. Sie habe sich auf die Fristenüberwachung durch die Kanzlei verlassen und sei deshalb nicht auf die amtliche Mitteilung angewiesen gewesen. Im vorliegenden Fall hätte das Schreiben vom 18. Juli 2008 die letzte Maßnahme im Rahmen einer ausreichenden Fristenkontrolle sein sollen.
Durch Beschluss des DPMA - Patentabteilung 54 - vom 28. September 2009 wurde der Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Patentinhaberin selbst hätte - nachdem sie Anfang Dezember 2007 an die Zahlung der 11. Jahresgebühr erinnert worden sei - durch organisatorische Maßnahmen die rechtzeitige Gebührenzahlung sicherstellen müssen. Hierzu sei aber nichts vorgetragen worden. Bei der „Wichtigen Mitteilung“ des DPMA vom 8. Juli 2008 habe es sich nur um eine Serviceleistung gehandelt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und ihr Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der 11. Jahresgebühr zu gewähren.
Zur Begründung trägt die Patentinhaberin u. a. vor, eine erste Fälligkeitserinnerung für Jahresgebühren erfolge in der Vertreterkanzlei üblicher Weise immer drei Monate vor dem Fälligkeitstag, eine zweite Erinnerung erfolge entweder bei Eingang der „Wichtigen Mitteilung“ des DPMA oder einen Monat vor Ablauf der zuschlagsbehafteten Frist, je nachdem welcher Vorgang als erster eintrete. Vorliegend sei die „Wichtige Mitteilung“ Anlass für die nochmalige Erinnerung an die Zahlungsfrist gewesen. Da die Fristen zuverlässig durch die Kanzlei überwacht würden, benötige sie kein eigenes zusätzliches Fristenüberwachungssystem.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet. Die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung liegen vor.
1. Der Antrag ist statthaft, weil die Patentinhaberin die Frist zur Zahlung der 11. Jahresgebühr (§ 17 Abs. 1 PatG) versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erlitten hat (§ 123 Abs. 1 Satz 1 PatG). Die Gebühr in Höhe von 470,- € (Nr. 312110 der Anlage zu § 2 Abs. 1 PatKostG) war am 29. Februar 2008 fällig geworden (§ 3 Abs. 2 PatKostG) und hätte bis zum 30. April 2008 zuschlagfrei bezahlt werden können (§ 7 Abs. 1 Satz 1 PatKostG). Nachdem dies nicht geschehen war, wäre eine Zahlung mit einem Zuschlag in Höhe von 50,- € (Nr. 312112 der Anlage zu § 2 Abs. 1 PatKostG) bis Montag, den 1. September 2008 möglich gewesen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 PatKostG, § 222 Abs. 2 ZPO analog). Das Verstreichenlassen auch dieser Nachfrist führte zum Erlöschen des Patents (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 PatG).
2. Der Antrag ist auch zulässig, weil er innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses gestellt und begründet wurde (§ 123 Abs. 2 Satz 1, 2 Halbsatz 1 PatG), und weil innerhalb dieser Frist auch die versäumte Handlung nachgeholt wurde (§ 123 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 PatG). Das Hindernis war weggefallen, als die Patentinhaberin auf Grund der am 2. Dezember 2008 vorgenommenen Überprüfung des Patentregisters vom Erlöschen ihres Schutzrechts erfahren hat.
3. Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet, weil die Patentinhaberin unter Zugrundelegung ihres glaubhaften Vortrags keine Schuld an der Fristversäumung trifft.
a) Nach den Darlegungen der Patentinhaberin im Wiedereinsetzungsgesuch vom 15. Dezember 2008, die durch ihr weiteres Vorbringen in dem Schriftsatz vom 8. Juni 2009 und in der Beschwerdebegründung in zulässiger Weise ergänzt wurden, hat sie ausreichende organisatorische Vorkehrungen bzgl. der Überwachung der Fristen zur Zahlung der Jahresgebühren für ihre Schutzrechte getroffen. Nach der mit ihrem anwaltlichen Vertreter getroffenen Absprache erinnerte dieser sie zwei Mal an die Zahlung, zunächst bereits drei Monate vor Fälligkeit, und dann noch einmal spätestens einen Monat vor Ablauf der endgültigen, mit einem Verspätungszuschlag behafteten Zahlungsfrist. Die Patentinhaberin konnte somit davon ausgehen, dass ihr in jedem Fall ausreichend Zeit zur Verfügung stand, die betreffende Jahresgebühr rechtzeitig vor Fristablauf entrichten zu können, sei es ohne oder mit Verspätungszuschlag. Auch wenn sie nicht bereits auf Grund der ersten Erinnerung von der Möglichkeit der Zahlung ohne Zuschlag Gebrauch machen wollte, war sie nicht gehalten, selbst Vorkehrungen für die Einhaltung der zweiten Zahlungsfrist (mit Zuschlag) zu treffen. Sie konnte schließlich davon ausgehen, dass die Vertreterkanzlei sie noch einmal rechtzeitig an den Ablauf dieser Frist erinnern würde.
b) Es ist davon auszugehen, dass auf Seiten des anwaltlichen Vertreters im vorliegenden Fall kein Verschulden vorliegt, das sich die Patentinhaberin entsprechend § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste. Durch den vorgelegten Ausdruck des in der Vertreterkanzlei gespeicherten Schreibens vom 18. Juli 2008 sowie durch die ebenfalls vorgelegte Dokumentation des Bearbeitungsvorgangs im Textverarbeitungssystem der Kanzlei ist ausreichend dargetan, dass das Schreiben an diesem Tag auch tatsächlich erstellt worden ist. Ferner kann nach der in der Kanzlei üblichen Vorgehensweise und bestehenden Büroroutine - entsprechend der anwaltlichen Versicherung des Vertreters - auch davon ausgegangen werden, dass das Schreiben anschließend zur Versendung an die Patentinhaberin gelangt ist.
c) Ebenso hat die Patentinhaberin glaubhaft dargetan, dass das Schreiben der Vertreterkanzlei vom 18. Juli 2008 nicht bei ihr eingegangen ist. Durch die aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen ersichtlichen, den Posteingang bei der Patentinhaberin betreffenden Vorkehrungen ist in ausreichender Weise sichergestellt, dass kein eingehendes Schreiben verlorengeht bzw. nicht den zuständigen Mitarbeiter erreicht. Sollte dies auf Grund außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall doch vorkommen, hat es seine Ursache jedenfalls nicht in einem der Patentinhaberin anzulastenden Organisationsverschulden.
d) Die Versäumung der Zahlungsfrist beruht somit im vorliegenden Fall auf unaufklärbaren Umständen und ist der Patentinhaberin nicht als schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen. Der Senat hat auch keinen Anlass, an der Richtigkeit der vorgelegten Dokumente, insbesondere am Wahrheitsgehalt der eidesstattlichen Versicherungen, zu zweifeln.
Rauch Püschel Prof. Ensthaler prö