4 StR 80/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 80/24 BESCHLUSS vom 27. März 2025 in der Strafsache gegen wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:270325B4STR80.24.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 27. März 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 5. September 2023 a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe jeweils des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
aa) soweit der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
bb) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe,
cc) soweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von mehr als 23.800 Euro angeordnet worden ist; in Höhe von 1.000 Euro entfällt die Einziehungsanordnung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer „Freiheitsstrafe“ von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen den Angeklagten die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 28.800 Euro angeordnet, davon in Höhe von 9.000 Euro als Gesamtschuldner. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte zur Finanzierung seines Lebensunterhalts in der Zeit vom 26. April 2020 bis zum
23. März 2021 mit Amphetaminöl und Marihuana. Im Fall 1 der Urteilsgründe verkaufte der Angeklagte am 26. April 2020 an den Zeugen K.
zehn Liter Amphetaminöl. Das Rauschgift wurde von beiden gemeinsam am 27. April 2020 in den Niederlanden abgeholt und nach Deutschland verbracht. Für diese Lieferung bezahlte der Zeuge K.
insgesamt 8.000 Euro in bar; zusätzlich erließ er dem Angeklagten Schulden in Höhe von 1.000 Euro. Im Fall 2 der Urteilsgründe verkaufte der Angeklagte zwischen November und Dezember 2020 an den Zeugen weitere fünf Liter Amphetaminöl zum Preis von 4.000 Euro. Bei zwei weiteren Gelegenheiten zwischen November 2020 und dem 23. März 2021 belieferte der Angeklagte den Zeugen mit drei Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 16,2 % THC zum Preis von 13.800 Euro (Fall 3 der Urteilsgründe) und zwei Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 0,3 % THC zum Preis von 2.000 Euro (Fall 4 der Urteilsgründe).
II.
In den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe war der Schuldspruch zu ändern, weil sich die Tathandlungen auf Marihuana beziehen. Seit dem 1. April 2024 unterfällt der Umgang mit Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern dem Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG, BGBl. I Nr. 109). Hiernach sind die rechtsfehlerfrei festgestellten Handlungen des Angeklagten in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe jeweils als Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) zu bewerten. Dass sich die Tat im Fall 3 der Urteilsgründe auf Cannabis in nicht geringer Menge bezieht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2024 – 4 StR 111/24 Rn. 5 mwN), findet im Schuldspruch keinen Ausdruck mehr (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2024 – 4 StR 387/24 Rn. 2). Diese Gesetzesänderung ist vom Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO auch noch im Revisionsverfahren zu beachten, weil sich die danach ergebenden Strafrahmen hier als milder erweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2024 – 4 StR 305/24 Rn. 2).
Der Schuldspruchänderung durch den Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der – insoweit geständige – Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
III.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall 2 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die zugrunde liegende Beweiswürdigung (vgl. zum Prüfungsmaßstab nur BGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – 4 StR 28/22 Rn. 9 mwN) durchgreifend lückenhaft ist.
1. Der im Übrigen geständige Angeklagte hat die ihm unter Fall 2 vorgeworfene Tat in Abrede gestellt. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung vom Tatgeschehen ‒ Verkauf von Amphetaminöl an den Zeugen K.
– allein auf dessen Bekundungen gestützt. Zur Begründung hat sie lediglich ausgeführt, dass seine Angaben schlüssig, nachvollziehbar und ohne überschießende Belastungstendenzen gewesen seien. Zudem bestünden keine Anhaltspunkte dafür,
dass der Zeuge den Angeklagten zu Unrecht belastet habe. Schließlich könne die Kammer auch eine Verwechslung der Taten in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe durch den Zeugen ausschließen, da dieser die Geschehnisse hinsichtlich der Örtlichkeiten, Abläufe und Zeitpunkte klar voneinander habe abgrenzen können.
2. Diese Erwägungen reichen unter den hier gegebenen Umständen nicht aus, weil maßgebliche Gesichtspunkte nicht in den Blick genommen werden. So hat derselbe Zeuge nach den Ausführungen in der Beweiswürdigung das Tatgeschehen im Fall 1 der Urteilsgründe in Abrede gestellt und lediglich eine gemeinsame Fahrt mit dem Angeklagten in die Niederlande eingeräumt. Dabei ist die Strafkammer insoweit von einer vorsätzlichen Falschaussage ausgegangen. In den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe hat der Zeuge – abweichend von den Feststellungen – nur den Erwerb von jeweils einem Kilogramm Marihuana eingeräumt. Hängt – wie hier im Fall 2 der Urteilsgründe – die Überzeugung von der Täterschaft eines bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Aussage eines einzigen Belastungszeugen ab und werden dessen Angaben an anderer Stelle teilweise als unglaubhaft bewertet, bedarf dies jedenfalls ausdrücklicher Erörterung. Zwar existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt werden darf. Jedoch müssen die Urteilsgründe dann erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 5 StR 391/19 Rn. 16). Dies gilt umso mehr, wenn sich der einzige Belastungszeuge – wie hier – durch das Tatgeschehen selbst strafbar gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – 2 StR 355/19 Rn. 11). Hieran fehlt es.
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Schuldspruch in diesem Fall.
IV.
Aufgrund der Schuldspruchänderung können auch die Einzelstrafen in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. Da der nach den Feststellungen im Hinblick auf die Gewerbsmäßigkeit des Handeltreibens mit Cannabis (§ 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 KCanG) in beiden Fällen bzw. das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) im Fall 3 der Urteilsgründe nunmehr einschlägige Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG gegenüber dem vom Landgericht angewandten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG (Fall 3 der Urteilsgründe) bzw. des § 29 Abs. 3 BtMG (Fall 4 der Urteilsgründe) niedrigere Strafober- und -untergrenzen vorsieht, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des milderen Rechts auf geringere Strafen erkannt hätte. Dies und die Aufhebung der Verurteilung im Fall 2 der Urteilsgründe haben die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
V.
Soweit die Strafkammer in Bezug auf Fall 2 der Urteilsgründe eine Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 4.000 Euro angeordnet hat, war auch der Einziehungsausspruch aufzuheben.
Dieser weist in Höhe von 1.000 Euro einen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Strafkammer hat einen Einziehungsteilbetrag in dieser Höhe aus dem Schuldenerlass durch den Zeugen K.
im Fall 1 der Urteilsgründe hergeleitet. Dem kann nicht gefolgt werden. Denn der Angeklagte hat den festgestellten Erlass als Gegenleistung für gelieferte Betäubungsmittel erhalten. Ein Schuldenerlass für die Beteiligung an einem verbotenen Rechtsgeschäft ist nichtig (§ 134 BGB) und damit wertlos. Dies hat zur Folge, dass der Angeklagte – insoweit – auch nichts erlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – 2 StR 491/21 Rn. 6; Beschluss vom 14. März 2007 – 2 StR 54/07 Rn. 7). Der Einziehungsausspruch war daher auch in dieser Höhe aufzuheben; insoweit hatte die diesbezügliche gesamtschuldnerische Einziehungsanordnung zu entfallen.
VI.
Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das neue Tatgericht wird jedoch im Hinblick auf die Dauer des Revisionsverfahrens die Frage der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen haben (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
Quentin Maatsch Ri‘inBGH Dr. Dietsch ist urlaubsbedingt an der Unterschriftsleistung gehindert.
Quentin Scheuß Marks Vorinstanz: Landgericht Dortmund, 05.09.2023 ‒ 35 KLs-500 Js 198/21-4/23