XIII ZB 56/19
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 56/19 BESCHLUSS vom 31. August 2021 in der Überstellungshaftsache ECLI:DE:BGH:2021:310821BXIIIZB56.19.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. August 2021 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Prof. Dr. SchmidtRäntsch, den Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff und den Richter Dr. Tolkmitt beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 8. Oktober 2018 und der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 23. November 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Niedersachen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein nigrischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2017 in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: "Bundesamt") als unzulässig ab, weil der Betroffene bereits in Italien ein Asylverfahren durchlaufen hatte. Das Bundesamt ordnete die Überstellung des Betroffenen nach Italien an. Nachdem mehrere Versuche einer Überstellung gescheitert waren, weil dieser in der ihm zugewiesenen Unterkunft nicht angetroffen werden konnte, ließ ihn die beteiligte Behörde am 8. Oktober 2018 anlässlich einer Vorsprache vorläufig in Gewahrsam nehmen.
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht noch am selben Tag Überstellungshaft bis zum 17. Dezember 2018 an. Auf die Beschwerde des Betroffenen änderte das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 23. November 2018 die Anordnung des Amtsgerichts dahingehend ab, dass die Haft längstens bis zum 7. Dezember 2018 andauert, weil die Überstellung nunmehr für den 6. Dezember 2018 geplant war. Nachdem der Betroffene nach Italien überstellt worden ist, begehrt er mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung, durch die Anordnung der Haft in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
II. Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Beschlüsse des Amtsgerichts sowie des Beschwerdegerichts haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil die Voraussetzungen für die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorgelegen haben.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Anordnung der Überstellungshaft sei rechtmäßig. Der Haftantrag der beteiligten Behörde sei zulässig. Die sechswöchige Überstellungsfrist nach Art. 28 Abs. 3 Unterabsatz 3 Dublin-III-VO sei nicht anwendbar, weil keine der dort angeführten Bedingungen eingetreten sei, während sich der Betroffene in Haft befunden habe.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Haftantrag war unzulässig.
a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).
b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht. Zwar erläutert die beteiligte Behörde, dass eine Vorlaufzeit von neun Werktagen für die Anmeldung der Rücküberstellung bei den italienischen Behörden notwendig sei, die Fluggesellschaften nur ein begrenztes Kontingent an Plätzen für Rückführungen nach Italien zur Verfügung stellten und die Anforderung von Personal für die erforderliche Sicherheitsbegleitung nach Auskunft von Landeskriminalamt und Bundespolizei weitere zehn Wochen in Anspruch nehme. Diese Ausführungen erklären jedoch den beantragten Haftzeitraum von zehn Wochen nicht hinreichend. Eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwands ist zwar in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle oder entsprechende eigene Erfahrungswerte beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Ist aber - wie hier - ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa durch Angaben zur Art des Fluges, zur Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, zur Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation; st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7). Daran fehlt es hier. Den allgemein gehaltenen, nicht, wie geboten, auf den Fall des Betroffenen bezogenen Ausführungen der beteiligten Behörde lässt sich nicht entnehmen, weshalb die Bereitstellung des erforderlichen Sicherheitspersonals für eine Rückführung nach Italien zehn Wochen in Anspruch nehmen soll.
c) Diese Mängel sind auch nicht durch weitere Ausführungen der beteiligten Behörde im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
Zwar können Mängel des Haftantrags behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder der Haftrichter selbst die erforderlichen Tatsachen in seiner Entscheidung feststellt. In einem solchen Fall wird der Mangel des Haftantrags allerdings nur geheilt, wenn der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, InfAuslR 2011, 471 Rn. 8, und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 12). Weder erfolgte eine weitere Erläuterung des sechs Wochen überschreitenden Zeitraums für die Bereitstellung des Sicherheitspersonals, noch hat das Beschwerdegericht den Betroffenen erneut angehört.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Meier-Beck Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch ist infolge Versetzung an eine oberste Bundesbehörde an der Unterschrift gehindert.
Meier-Beck Kirchhoff Roloff Tolkmitt Vorinstanzen: AG Osnabrück, Entscheidung vom 08.10.2018 - 200 XIV 3 B LG Osnabrück, Entscheidung vom 23.11.2018 - 11 T 656/18 -