VIa ZR 538/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 538/23 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR538.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 4. November 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Wille, die Richter Liepin und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 16. März 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Revision wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Oktober 2017 einen Gebrauchtwagen des Typs VW Golf Sportsvan mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euro 6).
Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die zuletzt gestellten Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Hinsichtlich des "Thermofensters" und der "Fahrkurvenerkennung" fehle, unzulässige Abschalteinrichtungen unterstellt, die Sittenwidrigkeit, weil sie im Straßenbetrieb unter gleichen Bedingungen genauso wie auf dem Prüfstand funktionierten. Hinsichtlich der "Fahrkurvenerkennung" fehle es auch an der Darlegung der Grenzwertkausalität. Auch habe die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt nicht getäuscht, weil dort der Einsatz von "Thermofenstern" bekannt gewesen sei und der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Verschleierung im Typgenehmigungsverfahren vorgetragen habe. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil das geltend gemachte Interesse nicht in dem Schutzbereich der Normen liege.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Es hat in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich des "Thermofensters" und der "Fahrkurvenerkennung" einen Anspruch des Klägers mangels Prüfstandsbezogenheit und wegen Fehlens weiterer für die Sittenwidrigkeit sprechender Umstände ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 48; Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.). Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Liepin Möhring Katzenstein Wille Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 02.03.2021 - 4 O 6968/20 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 16.03.2023 - 16 U 1099/21 - Verkündet am: 20. November 2024 Bachmann, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle