2 StR 363/25
BUNDESGERICHTSHOF StR 363/25 BESCHLUSS vom 9. September 2025 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:090925B2STR363.25.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 1., 2.b) und 3. auf dessen Antrag – am 9. September 2025 gemäß § 44 Satz 1, § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4, entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 28. Januar 2025 auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 24. April 2025, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 28. Januar 2025 a) in den Einzelstrafaussprüchen zu den Fällen II.2.1 bis II.2.3 und II.2.52 bis II.2.81 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; b) im Adhäsionsausspruch unter III.1 der Urteilsformel dahin abgeändert, dass an den Adhäsionskläger R, W straße , J, Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz erst ab dem 23. Januar 2025 zu zahlen ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, die im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 83 Fällen, davon in 55 Fällen tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Kindern und in 26 Fällen tateinheitlich mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern, unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Siegburg vom 29. September 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung drei Monate dieser Gesamtstrafe für vollstreckt erklärt, unter Absehen von einer Entscheidung im Übrigen dem Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Januar 2025 zugesprochen und festgestellt, dass der Anspruch aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen herrührt. Die auf eine nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Dem Angeklagten war auf seinen Antrag und seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Der Beschluss des Landgerichts vom 24. April 2025, mit dem es die Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen hat, ist damit gegenstandslos.
2. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt zur Aufhebung der Einzelstrafaussprüche in den Fällen II.2.1 bis II.2.3 und II.2.52 bis II.2.81 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch, zu den verbleibenden Einzelstrafaussprüchen und zum Kompensationsausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Die Jugendschutzkammer ist bei der Festsetzung der Einzelstrafen auch in den Fällen II.2.1 bis II.2.3 und II.2.52 bis II.2.81 der Urteilsgründe, wie in den übrigen abgeurteilten Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, jeweils von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Sie hat dabei aus dem Blick verloren, dass sie die Taten in jenen Fällen, insoweit rechtsfehlerfrei, nicht als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in der seit dem 1. April 2004 geltenden Fassung, sondern nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 bzw. Nr. 2 und 4 StGB (die Angaben des „§ 176 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 4 StGB“ auf S. 11 und 12 der Urteilsabschrift beruhen ersichtlich auf Schreibversehen) gewürdigt hat, der in der zu den Tatzeiten in den Jahren 2014 und 2015 geltenden Fassung vom 31. Oktober 2008 Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren vorsah. Der Senat kann angesichts der erkennbar am Unterrand des angewendeten Strafrahmens orientierten Zumessung von Einzelfreiheitsstrafen von jeweils acht Monaten in diesen Fällen nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne den Rechtsfehler niedrigere Einzelstrafen verhängt hätte.
b) Die Aufhebung von 33 der Einzelstrafen entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
c) Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann, wie stets, ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
4. Der Adhäsionsausspruch hält der revisionsrechtlichen Überprüfung auf die Sachrüge weitgehend stand.
a) Insoweit war lediglich der Ausspruch über die Zinsen entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu berichtigen. Der Adhäsionskläger hat Anspruch auf Prozesszinsen auf den zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag gemäß § 404 Abs. 2 StPO, § 291 Satz 1, entsprechend § 187 Abs. 1 BGB erst ab dem Tag, der auf den Eintritt der Rechtshängigkeit folgt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 4 StR 431/19, BGHR StPO § 357 Erstreckung 15 mwN). Dies war hier der 23. Januar 2025, denn am 22. Januar 2025 ist der Schmerzensgeldanspruch durch Antragstellung in der Hauptverhandlung erstmals ohne den Vorbehalt der Gewährung von Prozesskostenhilfe geltend gemacht worden, wodurch er rechtshängig geworden ist (§ 404 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO). Da der Adhäsionskläger ausdrücklich die Gewährung von Rechtshängigkeitszinsen begehrt hat, entspricht eine Verzinsung (erst) ab dem 23. Januar 2025 seinem Antrag, ohne dass Anlass bestünde, in einem weiteren (geringen) Umfang nach § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen.
b) Der Zahlungsausspruch bedarf zudem zu seiner Vollstreckbarkeit einer eindeutigen Bezeichnung des Adhäsionsklägers in Urteilsformel oder -rubrum gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., § 406 Rn. 28; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2025 – 2 StR 228/25). Der Senat hat die Angabe der Anschrift des Adhäsionsklägers im Tenor nachgeholt.
5. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass bei einer erneuten Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus der Verurteilung vom 29. September 2021 die Berücksichtigung der auf die Bewährungsauflage erbrachten Leistungen des Angeklagten gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2, § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB durch eine Anrechnung auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe im Urteilstenor vorzunehmen sein wird (BGH, Beschlüsse vom 20. März 1990 – 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 382 f., und vom 22. Februar 2017 – 1 StR 555/16, Rn. 3 mwN).
Menges Zimmermann Zeng Herold Grube Vorinstanz: Landgericht Bonn, 28.01.2025 - 22 KLs-782 Js 1027/21 SE-20/24