VII ZR 327/21
BUNDESGERICHTSHOF VII ZR 327/21 BESCHLUSS vom 29. Juni 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:290622BVIIZR327.21.0 Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2022 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, den Richter Dr. Kartzke sowie die Richterinnen Sacher, Dr. Brenneisen und Dr. C. Fischer beschlossen:
Der Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.
Der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt vom 22. März 2021 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: bis 25.000 €
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
2 Er erwarb im Dezember 2013 von der A.
GmbH einen von der Beklagten hergestellten VW Sharan als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von
28.800 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestattet. Der Motor enthielt eine Steuerungssoftware, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb ("Umschaltlogik").
Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 - über den sogenannten Dieselskandal betreffend Motoren des Typs EA 189 in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung veröffentlichte die Beklagte eine aktienrechtliche Ad-hocMitteilung, mit der sie darüber informierte, dass sie mit Hochdruck daran arbeite, die bei dem Motor EA 189 bestehende auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen betroffen seien. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte auf ihrer Website einen Link zu einer Suchmaschine frei, mit deren Hilfe durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) festgestellt werden konnte, ob das betreffende Fahrzeug mit der beanstandeten Motorsteuerungssoftware ausgestattet war. Zu der Freischaltung gab die Beklagte ebenfalls im Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus. Darin wies sie auf den vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beschlossenen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge hin und kündigte an, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet.
Mit seiner im Jahr 2019 eingereichten Klage hat der Kläger die Erstattung des Kaufpreises nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und behauptet, der Kläger habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der in seinem Fahrzeug enthaltenen unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben und die Revision nicht zugelassen worden.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Klagebegehren im vollem Umfang weiter und rügt unter anderem eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Der angefochtene Beschluss beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Das Berufungsgericht hat - soweit von Interesse - ausgeführt, dem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB stehe die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gemäß § 214 BGB entgegen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2015 begonnen, weil der Kläger in diesem Jahr Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erlangt habe. Seine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal allgemein und konkret von der Betroffenheit seines Fahrzeugs sei als unstreitig zu bewerten. Der Kläger habe zwar eine bereits im Jahr 2015 vorhandene positive Kenntnis von der Betroffenheit seines Pkw vom sogenannten Dieselskandal in dem Schriftsatz vom 14. November 2019 bestritten. Sein Vortrag genüge indes nicht den Substantiierungsanforderungen des § 138 Abs. 2 ZPO. Die Beklagte habe in ihrem Schriftsatz vom 19. September 2019 über mehrere Seiten zu der positiven Kenntnis des Klägers im Jahr 2015 vorgetragen und die hierauf gegründete Verjährungseinrede zu einem zentralen Argument ihrer Verteidigung gegen die Klage gemacht. Diesen Vortrag habe der Kläger nur pauschal bestritten; den Ausführungen der Beklagten zur öffentlichen Bekanntmachung und zur Presseberichterstattung über den sogenannten Dieselskandal und zu den weiteren im Jahr 2015 ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen sei er nicht substantiiert entgegengetreten. Insbesondere habe der Kläger es unterlassen, zu den von der Beklagten vorgetragenen äußeren Umständen vorzutragen, die einen Rückschluss auf seine - der direkten Wahrnehmung der Beklagten als innere Tatsache naturgemäß entzogene - Kenntnis zugelassen hätten. Der Vortrag der Beklagten sei daher als zugestanden anzusehen, § 138 Abs. 3 ZPO.
Das Verhalten der Beklagten sei in der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 nicht relativiert worden, weil mit der Gewinnwarnung eine auffällige, elf Millionen Fahrzeuge des Motortyps EA189 betreffende Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb offengelegt worden sei. Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren der Baureihe EA189 hätten aufgrund der Ad-hoc-Mitteilung die Erfüllung der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben nicht mehr als selbstverständlich voraussetzen können.
Eine nähere Kenntnis des Klägers, wer im Haus der Beklagten die entsprechenden Entscheidungen getroffen habe, sei nicht erforderlich, weil es sich bei dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundsätzliche Strategieentscheidung der Beklagten gehandelt habe. Eine Klageerhebung sei auch nicht deswegen unzumutbar gewesen, weil noch keine höchstrichterliche Entscheidung im sogenannten Dieselskandal vorgelegen habe.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen die Anforderungen an ein wirksames Bestreiten des Klägers überspannt und ihn in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat.
a) Die Erklärungslast des Gegners ist in Bestehen und Umfang davon abhängig, wie die darlegungspflichtige Partei vorgetragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2014 - VI ZR 271/13 Rn. 7, NJW-RR 2014, 830). In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des Darlegungspflichtigen das einfache Bestreiten des Gegners. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2014 - VI ZR 271/13 Rn. 7, NJW-RR 2014, 830). Eine darüberhinausgehende Substantiierungslast trifft die nicht beweisbelastete Partei nur ausnahmsweise dann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt und ergänzende Angaben zuzumuten sind (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 11. Juni 1990 - II ZR 159/89, WM 1990, 1844, juris Rn. 10; Urteil vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 293/95, WM 1996, 2253, juris Rn. 17 Beschluss vom 25. März 2014 - VI ZR 271/13 Rn. 7, NJW-RR 2014, 830; jeweils m.w.N.). Die der Beweiserhebung vorgeschaltete Handhabung der Substantiierungsanforderungen verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (BGH, Beschluss vom 22. August 2012 - VII ZR 2/11 Rn. 14, BauR 2012, 1822; Beschluss vom 16. November 2010 - VIII ZR 228/08 Rn. 14 m.w.N., juris).
b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat das Berufungsgericht die Anforderungen an das Bestreiten des Klägers offenkundig überspannt.
Der Kläger hat erstinstanzlich in dem Schriftsatz vom 14. November 2019 vorgetragen, er habe im Jahre 2015 keine positive Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs von dem Abgasskandal gehabt und eine solche Kenntnis auch nicht aus Presseberichten aus dem Jahre 2015 herleiten können. Auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 29. Januar 2021 hat der Kläger in dem Schriftsatz vom 15. März 2021 Bezug auf seinen erstinstanzlichen Vortrag genommen und weiter vorgetragen, er habe im Jahr 2015 keine Kenntnis davon gehabt, dass sein Fahrzeug von einem irregulären Verhalten der Beklagten betroffen sei. Ihm sei auch nicht bekannt gewesen, dass in sein Fahrzeug ein Motor EA 189 eingebaut sei. Erst im Jahr 2016 sei er von der Beklagten durch ein Schreiben aufgefordert worden, ein Software-Update durchzuführen zu lassen,
wodurch er Kenntnis davon erlangt habe, dass sein Fahrzeug einem Rückruf des KBA unterliege, der im Zusammenhang mit der Abgassoftware stehe.
Ausgehend von diesem Vortrag hat der Kläger hinreichend substantiiert den Vortrag der Beklagten bestritten, wonach er schon im Jahr 2015 Kenntnis von dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in sein Fahrzeug gehabt haben soll. Der Kläger hat ausdrücklich den Zeitpunkt der Kenntnisnahme in Abrede gestellt, indem er vorgetragen hat, erst durch ein im Jahr 2016 zugesandtes Schreiben der Beklagten Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs von dem Dieselskandal erlangt zu haben.
c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre.
III.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).
Der Senat weist daraufhin, dass ausgehend von einer schon im Jahr 2015 vorliegenden allgemeinen Kenntnis des Klägers vom sogenannten Dieselskandal zur Vermeidung des Vorwurfs einer grob fahrlässigen Unkenntnis im Sinne von
§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB für ihn bis Ende 2016 Veranlassung bestand, die Betroffenheit seines Fahrzeugs zu ermitteln (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 692/21 Rn. 25 ff., MDR 2022, 559).
Pamp Brenneisen Kartzke C. Fischer Sacher Vorinstanzen: LG Darmstadt, Entscheidung vom 21.04.2020 - 9 O 168/19 OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 22.03.2021 - 13 U 155/20 -