VIa ZR 1145/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 1145/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 14. April 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Messing, Dr. F. Schmidt und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 5. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten das am 23. Juli 2021 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich abgeändert und die Klage abgewiesen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Januar 2016 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 Avant 3,0 TDI quattro, der mit einem V6-Dieselmotor der Baureihe EA 897 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0 Der Kläger begehrt im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat - unter Klageabweisung im Übrigen - die Beklagte verurteilt, an den Kläger 34.889,65 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung des Rechtsmittels des Klägers das landgerichtliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision, mit welcher er die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung begehrt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB komme nicht in Betracht. Bei den vom Kläger behaupteten Funktionen, soweit sie nicht ins Blaue hinein vorgetragen seien, handele es sich, so auch beim unstreitig implementierten sogenannten Thermofenster, nicht um evident unzulässige Abschalteinrichtungen, weil sie nicht danach unterschieden, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Unter diesen Umständen müssten weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche lägen nicht vor. Ebenso wenig bestünden Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, da diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0 II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0 Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer F. Schmidt Möhring Messing Pastohr Vorinstanzen: LG Aurich, Entscheidung vom 23.07.2021 - 5 O 1169/20 OLG Oldenburg, Entscheidung vom 05.07.2022 - 2 U 188/21 - ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0
-6VIa ZR 1145/22 Verkündet am: 14. Mai 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0