5 StR 733/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 733/24 BESCHLUSS vom 26. Februar 2025 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:260225B5STR733.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Februar 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 12. Juli 2024 mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind diejenigen zum äußeren Tatgeschehen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte greift dieses Urteil mit der Sach- und einer Verfahrensrüge an. Sein Rechtsmittel hat mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts klingelte der Angeklagte bei der 84 Jahre alten Geschädigten, die mit ihrer Freundin zusammensaß. Unter einem Vorwand brachte er die Damen dazu, ihn in die Wohnung zu bitten und sich mit ihm zu unterhalten. Als seine Bemerkungen immer anzüglicher wurden, baten sie ihn zu gehen; dem folgte der Angeklagte, hatte aber zuvor heimlich den Wohnungsschlüssel der Geschädigten eingesteckt, um später wiederkommen zu können. Tatsächlich kehrte er wenige Stunden später zurück und verschaffte sich mit dem entwendeten Schlüssel Zutritt zur Wohnung. Spätestens jetzt entschloss er sich, sexuelle Handlungen an der Geschädigten vorzunehmen. Er stürzte sich auf die im Sessel sitzende überraschte Frau und drückte an ihren bekleideten Brüsten, sodann stieß er zweimal nach einer weit ausholenden Armbewegung mit voller Wucht seinen Finger durch die zweilagige Bekleidung in deren Scheide. Hierdurch erlitt die Geschädigte Verletzungen. Als sie versuchte, den Angeklagten wegzuschubsen, zog dieser sie aus dem Sessel und schleifte sie in den Flur, wo er sie auf den Boden stieß, ihr ein Knie ins Kreuz stemmte und ihren Kopf mit beiden Händen auf den Boden drückte, so dass die Geschädigte kaum mehr Luft bekam. Plötzlich ließ der Angeklagte von ihr ab und versuchte, ihr hochzuhelfen, was ihm wegen ihres Gewichts nicht gelang. Während sich die Geschädigte selbst am Türrahmen hochzog, ging der Angeklagte zur Toilette und verließ anschließend die Wohnung.
Das Landgericht hat dies als Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 223 Abs. 1, 52 StGB gewertet. Dabei sei die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht erheblich beeinträchtigt gewesen.
2. Die Verfahrensrüge erweist sich aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigten Gründen als unbegründet.
3. Während die Feststellungen zum äußeren Tatablauf rechtsfehlerfrei getroffen sind, kann die Beurteilung der Schuldfähigkeit keinen Bestand haben.
a) Hierzu hat das Landgericht die Ausführungen der Sachverständigen wiedergegeben, wonach beim Angeklagten hirnorganische Abbauprozesse festzustellen seien und er zudem an einer Persönlichkeitsakzentuierung mit dissozial-narzisstischen und emotional-instabilen Zügen vom impulsiven Typ leide. Eine eindeutige Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sei wegen der Überlappung der Symptomatik mit den jetzt nachweisbaren hirnorganischen Abbauerscheinungen nicht möglich. „Aufgrund des Zusammenwirkens und der gegenseitigen negativen Beeinflussung von Alkoholabhängigkeit, situativer Alkoholisierung und Persönlichkeitsfaktoren mit eingeschränkter Impulskontrolle, verminderter Frustrationstoleranz und unzureichenden Lösungskompetenzen“ sei von einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB auszugehen. Die Steuerungsfähigkeit sei allenfalls vermindert, diese Verminderung aber nicht erheblich gewesen. Denn Voraussetzung hierfür sei eine impulsgesteuerte Reaktion, woran es angesichts des planerischen Vorgehens fehle. Dies gelte gleichermaßen für eine etwaige nach dem Zweifelssatz über die Persönlichkeitsakzentuierung hinaus anzunehmende dissozial-narzisstische und emotional-instabile Persönlichkeitsstörung wie auch für die Hypothese eines möglichen Zusammenwirkens von hirnorganischer Vorschädigung oder Persönlichkeitsakzentuierung und akuter Intoxikation. Dem hat sich die Strafkammer angeschlossen.
b) Dem kann schon die gebotene eigene Prüfung der Rechtsfrage, ob die Verminderung der Schuldfähigkeit erheblich gewesen ist, nicht entnommen werden.
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei der Tat infolge einer festgestellten schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, hat das Tatgericht ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (st. Rspr; vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310; vom 19. November 2014 – 4 StR 497/14, NStZ-RR 2015, 71; vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, NStZ-RR2015,137; vom 13. Februar 2024 – 5 StR 561/23). Dem wird das Urteil nicht gerecht, da es sich darin erschöpft, die Bewertungen der Sachverständigen zu referieren, eine eigene kritische Überprüfung der durch die Sachverständige vorgenommenen Abschichtung nach erheblicher und nicht erheblicher Beeinträchtigung aber vermissen lässt. Soweit die Sachverständige meint, dies allein nach dem Kriterium der „Impulssteuerung“ beurteilen zu können, hätte zudem für das Landgericht Anlass bestanden, sich mit dem Umstand auseinanderzusetzen, dass der Angeklagte nach den Feststellungen den Tatentschluss nicht bereits bei dem Entwenden des Schlüssels, sondern erst dann gefasst hat, als er bereits in die Wohnung der Geschädigten zurückgekehrt war, insoweit ein planerisches Vorgehen für die Tat also nicht festgestellt ist. Schließlich hätte angesichts des Störungsbilds in den Blick genommen werden müssen, dass auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein kann, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom
30. September 2021 – 5 StR 325/21, NStZ-RR 2022, 7 f. mwN; vom 13. Februar 2024 – 5 StR 561/23).
4. Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen bereits dem Schuldspruch die Grundlage. Der Senat hebt die Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht die Möglichkeit zu geben, umfassende und widerspruchsfreie Feststellungen zur Schuldfähigkeit zu treffen.
Das neu zuständige Tatgericht wird Folgendes zu beachten haben:
Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, muss in der Regel – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2014 – 4 StR 497/14; vom 14. Juni 2016 – 1 StR 221/16) – in einem ersten Schritt die Frage beantwortet werden, ob und gegebenenfalls welche relevante Störung beim Angeklagten vorlag. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob diese tatsächlich festgestellte Störung rechtlich unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Auf dieser Grundlage ist in einem dritten Schritt zu klären, ob sich eine von § 20 StGB erfasste Störung auf die Einsichtsoder auf die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung in einem relevanten Ausmaß ausgewirkt hat (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 99/22, NJW 2022, 1966).
Bei der Feststellung, ob eine seelische Störung so schwerwiegend ist, dass sie eine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstellt, handelt es sich ebenso um eine Rechtsfrage. Diese Frage wird das neue Tatgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten haben. Dabei wird es in den Blick zu nehmen haben, dass das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung überhaupt nur dann in Betracht kommt, wenn gewichtige Symptome vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2023 – 2 StR 158/23, NStZ-RR 2023, 272 f.; vom 2. März 2021 – 4 StR 543/20, NStZ-RR 2021, 138 f.). Es liegt nahe, dass eine solche Störung zur Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB führt. Die Feststellung einer gleichwohl nicht erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit bedarf dann einer besonderen Begründung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2021 – 5 StR 325/21, NStZ-RR 2022, 7 f.; vom 13. Februar 2024 – 5 StR 561/23).
Cirener Gericke RiBGH Köhler ist im Urlaub und kann nicht unterschreiben.
Cirener von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Itzehoe, 12.07.2024 - 2 KLs 315 Js 28179/22