VIa ZR 277/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 277/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:070824UVIAZR277.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 9. Juli 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 34. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 11. Januar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich der Berufungsanträge zu 3a und zu 5 zum Nachteil des Klägers erkannt hat. Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufungsanträge zu 2 und zu 3b als unzulässig verworfen werden.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren trägt der Kläger.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2 (künftig: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2017 von der Beklagten zu 1 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A7 Sportback 3.0 TDI. In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der Bezeichnung EA 897 eingebaut (Schadstoffklasse Euro 6 plus). Am 17. September 2019 - vor Einreichung der Klage - verkaufte der Kläger das Fahrzeug nach einem Motorschaden zu einem Preis von 12.000 €.
Der Kläger hat von der Beklagten zuletzt in der Hauptsache die Feststellung einer Schadensersatzpflicht wegen aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen resultierender Schäden begehrt (Berufungsantrag zu 2), hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 2 unzulässig sei, die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Nutzungsentschädigung (berechnet auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km) und abzüglich eines von der Beklagten noch darzulegenden "Wertersatzes statt der Rückgabe des Fahrzeugs" nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 3a) verlangt, und ebenso hilfsweise die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz wegen weiterer Schäden, welche aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen resultieren (Berufungsantrag zu 3b). Schließlich hat der Kläger die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 5) verlangt. Das Landgericht hat die den Weiterverkauf des Fahrzeugs zunächst nicht berücksichtigende Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen und das Versäumnisurteil nach Einspruch aufrechterhalten. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 2, 3a, 3b und 5 weiter.
Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Beklagte zu 1 (Berufungsanträge zu 1 und 4) hat der Kläger zurückgenommen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat hinsichtlich der Berufungsanträge zu 3a und zu 5 Erfolg. Hinsichtlich der Berufungsanträge zu 2 und zu 3b war die Revision zurückzuweisen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Feststellungsklagen als unzulässig verworfen werden.
A.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Klage erweise sich insgesamt als unbegründet. Im Hinblick auf den Feststellungsantrag zu 2 und den Hilfsfeststellungsantrag zu 3b fehle es überdies am notwendigen Feststellungsinteresse, nachdem der Kläger das Fahrzeug am 17. September 2019 veräußert habe. Einer weitergehenden Vertiefung dessen bedürfe es aber nicht. Denn es handele sich bei dem Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO nicht um eine echte Sachurteilsvoraussetzung. Sei die Klage in der Sache abweisungsreif, erfolge auch bei fehlendem Feststellungsinteresse die Abweisung der Klage als unbegründet. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Es mangele sowohl an der Anspruchsvoraussetzung der Sittenwidrigkeit als auch an notwendigen Feststellungen zum Schädigungsvorsatz.
Ein Schadensersatzanspruch folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Mangels Anspruchs erwiesen sich auch die Hilfsanträge als unbegründet.
B.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
I.
Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht hinsichtlich des Feststellungshauptantrags das Feststellungsinteresse verneint. Soweit der Kläger den Differenzschaden geltend macht, ist wegen des Vorrangs der Leistungsklage mangels Feststellungsinteresses des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) die Feststellungsklage unzulässig, weil er den Differenzschaden beziffern kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2023 - VIa ZR 1083/22, WM 2024, 278 Rn. 16). Dies gilt auch, wenn der Kläger über § 826 BGB weiter den "großen" Schadensersatz geltend macht. Mit der Veräußerung des Fahrzeugs vor Einreichung der Klage ist die Schadensentwicklung abgeschlossen und können ihm keine weiteren Schäden entstehen. Die schlichte Behauptung möglicher Steuerschäden ist ohne Substanz und "ins Blaue hinein" erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - VII ZR 160/21, juris Rn. 16; BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 - VIII ZR 110/21, juris Rn. 12).
II.
Mithin ist wegen Eintritts der innerprozessualen Bedingung über die Hilfsanträge zu entscheiden, wobei der Feststellungshilfsantrag zu 3b aus den nämlichen Gründen wie der Feststellungshauptantrag unzulässig ist. Doch hat die Revision mit dem Leistungshilfsantrag zu 3a und dem Freistellungshauptantrag zu 5 Erfolg.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
C.
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR
335/21, BGHZ 237, 245 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Rensen Möhring Vogt-Beheim Götz Vorinstanzen: LG Bielefeld, Entscheidung vom 21.12.2020 - 6 O 410/19 OLG Hamm, Entscheidung vom 11.01.2022 - I-34 U 18/21 - Verkündet am: 7. August 2024 Heger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle