VIa ZR 144/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 144/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:300425UVIAZR144.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 4. April 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen sowie die Richter Messing, Dr. Katzenstein und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 4. Januar 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im März 2018 bei einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Passat Variant Highline, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme des Feststellungsantrags im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen, nachdem die Beklagte der vom Kläger im Termin vor dem Berufungsgericht erklärten Klagerücknahme nicht zugestimmt hatte. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe: 3 Die Revision hat Erfolg.
I. 4 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: 5 Dem Kläger stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB zu, weil es an der Darlegung eines Schadens fehle. Entgegen der Annahme des Landgerichts drohten dem Kläger keine Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FVZ und damit auch nicht der Verlust oder die Einschränkung der ständigen Verfügbarkeit und Gebrauchsfähigkeit seines Fahrzeugs. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe hinsichtlich des in dem Fahrzeug verbauten Motors EA 288 keinen Grund zum Einschreiten gesehen. Es habe vielmehr gegenüber unterschiedlichen Gerichten wiederholt zum Motor des Typs EA 288 (Euro 6) mitgeteilt, dass es umfassende Untersuchungen durchgeführt und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt habe, weshalb behördliche Maßnahmen hinsichtlich der Typgenehmigung nicht getroffen worden seien. Vor diesem Hintergrund bestehe keine latente Gefahr, dass das Fahrzeug des Klägers stillgelegt werde. Solange ein Widerruf oder eine Rücknahme der Typgenehmigung vom KBA nicht ausgesprochen sei, komme es nicht darauf an, ob diese rechtmäßig oder rechtswidrig erteilt worden sei. Es müsse deswegen auch nicht zu der Frage Stellung bezogen werden, ob die Ansicht des KBA zutreffend sei, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung des EA 288 der Schadstoffklasse Euro 6 verbaut sei.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenso wenig gegeben wie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus § 826 BGB abgelehnt.
a) Ein Anspruch kann zwar nicht mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines fehlenden Schadens verneint werden. Für die Beurteilung, ob ein Schaden vorliegt, kommt es darauf an, dass die Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 48 iVm 21, 52 ff.; Urteil vom 27. November 2023 - VIa ZR 1425/22, WM 2024, 1140 Rn. 28; Urteil vom 11. Dezember 2024 - VIa ZR 458/21, juris Rn. 7). Ein Vermögensschaden setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 26. September 1997 - V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 304; Urteil vom 25. Mai 2020, aaO, Rn. 46; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 21). Gerechtfertigt ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer, der - wie hier der Kläger - ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, aaO, Rn. 51; Urteil vom 7. November 2022 - Via ZR 325/21, WM 2023, 138 Rn. 19; Urteil vom 26. Juni 2023 - Via ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 30). Für den Eintritt eines Schadens kommt es nicht darauf an, ob sich die Stilllegungsgefahr verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, aaO, Rn. 54; Urteil vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 21). Anders als das Berufungsgericht annimmt, kann aus dem Verhalten des KBA, insbesondere aus dem Umstand, dass dieses nicht einschritt, nicht auf eine fehlende Gefahr der Betriebs-beschränkung oder -untersagung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geschlossen werden.
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch den streitgegenständlichen Motortyp bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und die vom Kläger gerügten Funktionen nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2025 - VIa ZR 282/22, juris Rn. 8 mwN).
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Messing Brenneisen Katzenstein F. Schmidt Vorinstanzen: LG Itzehoe, Entscheidung vom 24.06.2021 - 6 O 358/20 OLG Schleswig, Entscheidung vom 04.01.2022 - 8 U 19/21 - VIa ZR 144/22 Verkündet am: 30. April 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle