18 W (pat) 4/18
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 4/18
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(Aktenzeichen)
BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2015 008 600.6
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hat der 18. Senat (Techn. Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 22. Juni 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dipl.-Ing. Wickborn, die Richter Kruppa und Dipl.-Phys. Dr. Schwengelbeck sowie die Richterin Dipl.-Phys. Dr. Otten-Dünnweber beschlossen:
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 10 D des Deutschen Patent- und Marken- ECLI:DE:BPatG:2018:220618B18Wpat4.18.0 amts vom 15. Februar 2016 aufgehoben und das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen erteilt:
- Patentanspruch 1, eingegangen am 16. April 2018, - Beschreibung Seite 1, eingegangen am 14. November 2015, - Figuren 1 bis 3, eingegangen am 6. Februar 2016, und Figur 4, eingegangen am 14. November 2015.
Gründe I.
Die am 2. Juli 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung 10 2015 008 600.6 mit der geltenden Bezeichnung
„Neue Bauweise einer Violine, dargestellt am Modell einer Trapezoid-Violine“
ist durch die Prüfungsstelle für Klasse G 10 D des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluss vom 15. Februar 2016 zurückgewiesen worden. Zur Begründung der Zurückweisung hat die Prüfungsstelle ausgeführt, dass der Gegenstand eines Anspruchs 2 in der am 14. November 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Fassung nicht neu sei gegenüber dem Stand der Technik gemäß Druckschrift D2 US 1 588 730 A.
Als Stand der Technik ist im Prüfungsverfahren zudem folgende Druckschrift genannt worden:
D1 US 2011 / 0 162 506 A1.
Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2015, eingegangen am 14. November 2015, hat der Anmelder auf folgende Nichtpatentliteratur hingewiesen:
D3: Apian-Bennewitz, P. O.: Die Geige. Verlag Simon & Wahl, 85116 Egweil (1998, ISBN 3-923330-34-0),
welche eine Neuauflage der Originalausgabe von 1892 darstellt.
Die Beschwerde des Anmelders richtet sich gegen den Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 10 D.
Der Anmelder beantragt mit Schreiben vom 8. April 2018, eingegangen am 16. April 2018, sinngemäß,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 10 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Februar 2016 aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen zu erteilen:
- Patentanspruch 1, eingegangen am 16. April 2018, - Beschreibung, Seite 1, eingegangen am 14. November 2015, - Figuren 1 bis 3, eingegangen am 6. Februar 2016, und Figur 4, eingegangen am 14. November 2015.
Patentanspruch 1 (einziger Anspruch) lautet unter senatsseitiger Hinzufügung einer Merkmalsgliederung wie folgt:
„Violine,
dadurch gekennzeichnet,
M1 dass die Decke nicht fest angeleimt ist, sondern durch Blöckchen an der Unterseite am seitlichen Verrutschen gehindert wird,
M2 dass der sonst übliche Bassbalken an der Unterseite der Decke fortgelassen und durch einen zweiten Stimmstock (Stimme) hinter dem Stegfuß der g-Saite ersetzt wird, und M3 dass der Wirbelkasten die Form eines Trapezoiden hat.“
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Denn der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist im Lichte der im Verfahren befindlichen Druckschriften neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit; auch die übrigen Kriterien zur Patenterteilung sind erfüllt (§§ 1 bis 5, 34 und 38 PatG).
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft gemäß geltender Beschreibung eine Violine, die es ermöglicht, den Standort des Stimmstockes (Stimme) auf dem Boden der Violine bei abgenommener Violinen-Decke mühelos auszuprobieren (vgl. geltende Beschreibung, erster Abs.). Bei der Erfindung könne die Decke der Violine freier schwingen, wodurch der Klang voller und schöner werde. Als erstes falle der sonst übliche Bassbalken unter der Decke fort, wobei die Decke nicht festgeleimt werde. Das seitliche Verrutschen der Decke der Violine werde durch das Anleimen von kleinen Blöckchen aus Holz unter der Decke verhindert. Die Blöckchen seien möglichst dicht in Nähe der Zargen (Wände) der Violine nach einem Ausprobieren anzubringen. Der zusätzliche Druck der Saiten auf den Steg mache ein Verschieben der Decke zusätzlich unmöglich. Um eine bessere Tonübertragung von der Decke auf den Boden zu ermöglichen, wird eine zweite Stimme bzw. ein zweiter Stimmstock eingesetzt, der auf den Boden der Violine hinter dem Stegfuß an der g-Saite, rechte Seite, gestellt wird (vgl. geltende Beschreibung, Ziffern 1 bis 3).
Die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe ist darin zu sehen, eine Violine so zu konstruieren, dass eine Positionierung eines für den Klang bedeutsamen Stimmstocks in einfacher Weise möglich ist, ohne in üblicher Weise durch das Schallloch (F-Loch) zu greifen. Zudem soll die Schwingung der Decke einer Violine und die Übertragung von Schwingungen von der Decke zum Boden einer Violine verbessert werden.
Als zuständiger Fachmann ist ein ausgebildeter Musikinstrumentenbauer bzw. Geigenbauer anzusehen, der über eine mehrjährige Berufserfahrung im Bau von Streichinstrumenten verfügt.
2. Zur Lösung der Aufgabe ist gemäß Anspruch 1 vorgesehen, dass die Decke der Violine nicht fest angeleimt ist und durch Blöckchen an der Unterseite der Decke an einem seitlichen Verrutschen gehindert wird (Merkmal M1). Der bei Violinen sonst übliche Bassbalken an der Unterseite der Decke soll entfallen, wobei jedoch im Gegenzug ein zweiter Stimmstock (Stimme) hinter dem Stegfuß der g-Saite der Violine eingesetzt wird (Merkmal M2). Der Wirbelkasten der Violine soll eine trapezoide Form aufweisen (Merkmal M3).
3. Der geltende Patentanspruch und die geltenden Beschreibungsunterlagen mitsamt Figuren sind zulässig (§ 38 PatG).
Der geltende Anspruch 1 entspricht inhaltlich den Merkmalen des ursprünglich in drei Absätzen formulierten Patentbegehrens, was als ursprünglich eingereichter Anspruch anzusehen ist.
Die am 14. November 2015 eingegangene Fassung der Beschreibung stimmt inhaltlich mit der ursprünglich eingereichten Beschreibung überein. Des Weiteren stimmen die geltenden Figuren 1 bis 4 mit den ursprünglich eingereichten Figuren (4 Blatt Zeichnungen) überein.
4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu gegenüber dem Stand der Technik (§ 3 PatG).
Druckschrift D1 beschreibt eine Violine (violin), die eine Decke (top plate portion 16), einen Bassbalken (bass bar 21) und einen einzigen Stimmstock (sound post 13) aufweist (vgl. Fig. 13a-c, Abs. 0004 und 0005 sowie Abs. 108115). In der Draufsicht der Violine gemäß Figur 13c sind kleine Blöcke (blocks 19a, 19b, […]) zu erkennen, die – für den Fachmann offensichtlich – zur Stabilisierung der geschwungenen Zargenstücke (side plate portions 18a, 18b, […]) der Violine dienen. Des Weiteren wird in Druckschrift D1 allgemein auf Violinen hingewiesen, bei denen der Geigenkasten (box), die Decke (top plate portion), der Bassbalken (bass bar) sowie die Zargen (side plate portions) und die Blöcke (blocks) mitsamt Boden (back plate portion) aus einem Stück gearbeitet sind (vgl. Abs. 0205, letzter Satz: For example, a method in which the semiresonance box is manufactured by integrally forming the top plate portion integrally including […] the bass bar, all of the side plate portions, […] all of the blocks, and the back plate portion integrally). Da die vorstehend genannten Teile der Violine aus einem Stück gearbeitet sind, entfällt auch zwangsläufig deren Verleimung. Dies bedeutet für den Fachmann, dass die Decke nicht durch Blöcke bzw. Blöckchen an der Unterseite am seitlichen Verrutschen gehindert wird, wie es in Merkmal M1 aufgeführt ist. Ein Hinweis auf das weitere Merkmal M2 des geltenden Anspruchs 1, dass der sonst übliche Bassbalken an der Unterseite der Decke fortgelassen und stattdessen ein zweiter Stimmstock (Stimme) hinter dem Stegfuß der g-Saite eingesetzt wird, ist Druckschrift D1 ebenfalls nicht zu entnehmen. Dazu wird auch auf vorstehende Ausführungen zu einem hier vorhandenen Bassbalken (bass bar 21) verwiesen, der für den Fachmann in Figur 13c zwischen den Schalllöchern („f“ holes 15) zu erkennen ist (Merkmal M2 fehlt). Darüber hinaus ist Druckschrift D1 auch nicht das Merkmal eines trapezförmigen Wirbelkastens bzw. eines Wirbelkastens in Form eines Trapezoiden zu entnehmen (vgl. u. a. Abs. 121 i. V. m. Fig. 13b (scroll 53) mit schneckenförmigem Wirbelkasten, Fig. 7a-7d / Merkmal M3 fehlt).
Die in Anspruch 1 aufgeführte Violine ist damit neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß Druckschrift D1.
Aus Druckschrift D2 ist eine Violine (violin) mitsamt einer Decke (top 11) bekannt (vgl. Sp. 1, Z. 46-50 sowie Fig. 1 und 2). Dass die Decke entgegen der fachüblichen Befestigung nicht fest angeleimt ist, sondern durch Blöckchen an der Unterseite am seitlichen Verrutschen gehindert wird, ist Druckschrift D2 nicht zu entnehmen (vgl. insbes. Fig. 1 sowie den zugeh. Text / Merkmal M1 fehlt).
Die Violine weist im Hinblick auf Merkmal M2 einen ersten und einen zweiten Stimmstock auf (sound posts 28), die jeweils durch ein Gelenk verdrehbar sind, so dass mittels beider Stimmstöcke eine direkte Verbindung zwischen der Decke und dem Boden der Violine hergestellt wird (vgl. Fig. 1, 2 und 9 sowie S. 2, Z. 11-21). Des Weiteren erkennt der Fachmann in den Figuren 1 und 2 jeweils Verstrebungen (side members 15) unter der Decke der Violine, welche wie übliche Bassbalken angeordnet sind und offensichtlich auch als solche dienen (vgl. Fig. 1 bis 3 sowie S. 1, Z. 51-79). Das Merkmal M2 ist damit nur insoweit bekannt, dass ein zweiter Stimmstock vorhanden ist, jedoch ohne das Merkmal, dass der zweite Stimmstock anstelle eines Bassbalkens eingesetzt wird bzw. dass ein zweiter Stimmstock den Bassbalken ersetzt. Auch das weitere Merkmal M3, dass der Wirbelkasten der Violine die Form eines Trapezoiden hat, ist in Druckschrift D2 nicht offenbart (Merkmal M3 fehlt). Die im geltenden Anspruch 1 aufgeführte Violine ist damit auch neu gegenüber dem aus Druckschrift D2 bekannten Streichinstrument. Druckschrift D3 beschreibt u. a. eine trapezförmige Violine in der Bauart nach Félix Savart (vgl. S. 89, Abbildung 8).
Einen Hinweis, dass die Decke dieser trapezförmigen Violine nicht in üblicher Weise fest angeleimt ist, sondern durch Blöckchen an der Unterseite am seitlichen Verrutschen gehindert wird, ist Druckschrift D3 nicht zu entnehmen (Merkmal M1 fehlt). Im Querschnitt der Violine erkennt der Fachmann einen mittig angeordneten Bassbalken (vgl. S. 89, Abb. 3, Bezugszeichen A), der unterhalb der Decke befestigt ist – im Gegensatz zu Merkmal M2, in dem gefordert ist, dass der sonst übliche Bassbalken an der Unterseite der Decke fortgelassen und durch einen zweiten Stimmstock hinter dem Stegfuß der gSaite ersetzt wird. Dabei gibt es auch keinerlei Hinweis auf einen zweiten Stimmstock (Merkmal M2 fehlt). Ein Wirbelkasten in Form eines Trapezoiden ist der Druckschrift ebenfalls nicht zu entnehmen; vielmehr ist in Abbildung 3 ein schneckenförmiger Wirbelkasten zu erkennen (vgl. insbes. Seitenansicht der Violine in Abb. 3 auf S. 89 / Merkmal M3 fehlt).
Die Violine gemäß Anspruch 1 ist damit auch neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß Druckschrift D3.
5. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).
Wie vorstehend ausgeführt, ist aus dem Stand der Technik keine Violine bekannt, welche sämtliche Merkmale des geltenden Anspruchs 1 aufweist (vgl. Ausführungen unter Abschnitt II, Ziffer 4).
Auch eine Zusammenschau der aus dem Stand der Technik gemäß den Druckschriften D1 bis D3 bekannten Konstruktionen von verschiedenartigen Violinen führt nicht in naheliegender Weise zu einer Violine in der Bauart gemäß Anspruch 1, da weder das Merkmal M1 noch das vollständige Merkmal M2 bezüglich dem Weglassen des üblichen Bassbalkens unter Einsatz eines zweiten Stimmstocks in der beanspruchten Merkmalskombination aus dem Stand der Technik bekannt ist. Darüber hinaus ist auch Merkmal M3 in keiner der Druckschriften D1 bis D3 offenbart. Auch eine Zusammenschau der im Verfahren befindlichen Druckschriften D1 bis D3, die unterschiedliche Konstruktionen von Violinen offenbaren, führt damit nicht zu einer Violine mit sämtlichen Merkmalen M1 bis M3. Dabei ergibt sich der Anspruchsgegenstand mit sämtlichen Merkmalen M1 bis M3 auch nicht in naheliegender Weise unter Berücksichtigung des Fachwissens.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist daher patentfähig.
6. Da die vorgelegten Unterlagen auch den Anforderungen des § 34 PatG genügen, war das Patent im Umfang der geltenden Anspruchs 1, der geltenden Beschreibung sowie der geltenden Figuren zu erteilen.
III.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht dem am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist. Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Wickborn Kruppa Dr. Schwengelbeck Dr. Otten-Dünnweber prö