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4 StR 281/25

BUNDESGERICHTSHOF StR 281/25 BESCHLUSS vom 14. Juli 2025 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a.

ECLI:DE:BGH:2025:140725B4STR281.25.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. Juli 2025 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 6. Dezember 2024 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten (grausamen und heimtückischen) Mordes in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit versuchter Todesfolge sowie in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte entschloss sich, den ehemaligen Intimpartner seiner Ehefrau mithilfe einer Sprengfalle erheblich – möglicherweise sogar tödlich – zu verletzen. Zu diesem Zweck stellte der Angeklagte eine „unkonventionelle Sprengund Brandvorrichtung“ (USBV) her, für die er als Brennstoff Magnesiumpulver verwendete und die mithilfe eines Druckentlastungsschalters – also bei ihrem Anheben – zündete. Äußerlich erschien sie als Weinkarton. Der Angeklagte plante, die USBV vor der Fahrertür des ihm bekannten Pkw des angestrebten Geschädigten abzustellen, damit dieser das Paket vor Fahrtantritt zur Seite stellen und hierdurch die Explosion auslösen würde. Der Angeklagte nahm in Kauf, das Opfer bei vollem Bewusstsein in Brand zu setzen und ihm in der Folge tödliche Verletzungen zuzufügen. Dem Angeklagten war zudem bewusst, dass sich das Opfer keines Angriffs auf sein Leben versah und den Karton daher ohne Argwohn hochheben würde, was er ausnutzen wollte. In der Nacht auf den 8. März 2024 platzierte der Angeklagte die USBV tatplangemäß auf dem Bürgersteig vor der Fahrertür und entfernte sich. Ihm war bekannt, dass das ausgewählte Opfer am Tattag einen Auftritt mit seiner Musikgruppe hatte. Er ging daher davon aus, dass das Opfer an diesem Tag zu dem Pkw kommen und das Explosionsgeschehen in Gang setzen würde. Der Angeklagte sah zudem die nicht völlig fernliegende Möglichkeit und billigte es, dass nicht das erstrebte Opfer, sondern ein unbeteiligter Passant das Paket anheben und den Folgen der Explosion ausgesetzt sein würde.

Letzteres geschah. Gegen 6.30 Uhr ging der in der Nachbarschaft wohnhafte Geschädigte mit seinem Hund spazieren. Das vor dem fremden Pkw abgestellte Paket weckte die Aufmerksamkeit des Geschädigten. Er hob es leicht an, wodurch der Spreng- und Brandsatz zündete. Der Geschädigte, dessen Kleidung in Flammen geriet, verspürte starke Schmerzen und trug trotz der Hilfe mehrerer Anwohner Verbrennungen im Umfang von ca. 25 Prozent der Körperoberfläche davon. Am schwersten betroffen waren die unteren Extremitäten. Es bestand potentielle Lebensgefahr. Der Geschädigte musste sich Hauttransplantationen unterziehen und kann bis heute nicht lange stehen oder laufen. Zudem leidet er an erheblichen psychischen Folgen und wird seinen erlernten Beruf voraussichtlich nicht mehr ausüben können.

2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Ihnen liegt auch eine im Ergebnis tragfähige Beweiswürdigung zugrunde. Zu erörtern ist das Folgende:

a) Zunächst kann dahinstehen, ob die Feststellung belegt ist, dass der Angeklagte die Verletzung und mögliche Tötung eines Passanten erkannt und gebilligt habe. Denn der Schuldspruch – auch wegen einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung – ist bereits deshalb nicht zu beanstanden, weil die Strafkammer mit Recht von einem für den Tatvorsatz ohnehin unbeachtlichen Identitätsirrtum (error in persona) ausgegangen ist, soweit durch die Sprengfalle eine andere Person als von dem Angeklagten beabsichtigt zu Schaden kam.

aa) Erliegt ein Täter bei der Bestimmung des angegriffenen Tatobjekts einem Identitätsirrtum, ist dies für ihn unbeachtlich, wenn die Tatobjekte gleichwertig sind. Denn zum gesetzlichen Tatbestand gehören nur die tatbestandlichen Voraussetzungen und gerade nicht die Identität des Handlungsobjekts (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 – 4 StR 488/23 Rn. 29; Urteil vom 5. August 2010 – 3 StR 210/10 Rn. 11; Fischer/Anstötz, StGB, 72. Aufl., § 16 Rn. 8; Puppe in NK-StGB, 6. Aufl., § 16 Rn. 93; Kudlich in BeckOK-StGB, 65. Ed., § 16 Rn. 6; Kulhanek in MüKo-StGB, 5. Aufl., § 16 Rn. 114). Diese Grundsätze gelten auch bei sog. Distanzdelikten, in denen der Täter es nicht in der Hand behält, welche konkrete Person getroffen werden wird (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1997

– 1 StR 635/96 Rn. 16; Bülte in LK-StGB, 13. Aufl., § 16 Rn. 87; TK-StGB/Schuster, 31. Aufl., § 15 Rn. 59a; Gaede in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 16 Rn. 23; Kindhäuser/Hilgendorf, LPK-StGB, 10. Aufl., § 16 Rn. 30; Roxin/Greco, Strafrecht AT I, 5. Aufl., § 12 Rn. 197; jew. mwN).

bb) Mit dem Geschädigten war im Sinne eines Identitätsirrtums des Angeklagten ein gleichwertiges Tatobjekt („Mensch“ bzw. „Person“) betroffen. Auch wenn der Kausalverlauf ebenfalls zu den Tatbestandsvoraussetzungen zählt, auf die sich der Vorsatz im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB erstrecken muss (vgl. Fischer/Anstötz, StGB, 72. Aufl., § 16 Rn. 13 ff.), ist ein hierin begründetes Fehlgehen der Tat (aberratio ictus; vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08 Rn. 7) im vorliegenden Fall zu verneinen. Denn der maßgebliche Kausalverlauf entsprach dem Tatplan des Angeklagten. Die notwendige Tätervorstellung hierzu ist tatbestandsbezogen und mit Bezug auf das eingesetzte Tatmittel zu beurteilen. Die Tat ereignete sich wie vom Angeklagten geplant und vorgestellt, d.h. durch Anheben des frei zugänglichen Pakets. Mithilfe dieses Tatmittels hatte er das Opfer mittelbar individualisiert. Dass der Geschädigte ‒ anders als vom Angeklagten erdacht ‒ nicht sodann auch das daneben geparkte Fahrzeug zu benutzten gedachte, ist für das Ablaufen der Tat im Blick auf die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale unerheblich und vermag daher nur einen unbeachtlichen Motivirrtum zu begründen.

b) Die Überzeugungsbildung der Strafkammer zur Täterschaft des Angeklagten weist einen Rechtsfehler auf, auf dem das Urteil allerdings nicht beruht. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft zum Nachteil des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten als belastendes Indiz herangezogen, dass er kein Alibi habe.

aa) Die Strafrechtsordnung, die für jede Verurteilung den vollen Beweis der Tat fordert und Zweifel daran stets zugunsten des Angeklagten ausschlagen lässt, kann es nicht hinnehmen, wenn schon das bloße Fehlen entlastender Umstände wie geschehen als Belastungsindiz gewertet wird. Der Angeklagte darf nicht nur schweigen, sondern ebenso auf den Antritt eines Entlastungsbeweises verzichten, ohne deshalb in Kauf nehmen zu müssen, dass dieses Verhalten als belastender Umstand bewertet wird und ihm damit zum Nachteil gereicht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1995 – 2 StR 137/95, BGHSt 41, 153, 155 mwN; s. zudem etwa BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 4 StR 293/14 Rn. 16; Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03 Rn. 17 [insoweit in BGHSt 49, 56 nicht abgedruckt]). Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist mithin einen Rechtsfehler auf, denn es hat die Tatsache, dass der Angeklagte kein Alibi hat, nicht etwa nur als das Fehlen eines Umstands bewertet, der seiner schon aus dem sonstigen Beweisergebnis gewonnenen Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten den Boden entziehen würde, sondern diesen Umstand als Belastungsindiz zur Bildung eben dieser Überzeugung verwendet.

Die Urteilsgründe lassen sich auch nicht dahin verstehen, dass die Strafkammer in einem nachweislich erlogenen Alibi aufgrund besonderer Umstände wie der hiermit verbundenen Offenbarung von Täterwissen ausnahmsweise einen belastenden Umstand gesehen hat und sehen durfte (vgl. hierzu näher BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03 Rn. 18 [insoweit in BGHSt 49, 56 nicht abgedruckt]; Urteil vom 31. März 1999 – 5 StR 689/98 Rn. 12). Zwar hat der noch als Zeuge mit dem Tatgeschehen konfrontierte Angeklagte damals seine Anwesenheit in seinem Wohnmobil in der Tatnacht behauptet. Auf eine widerlegte Alibibehauptung stellen die Urteilsgründe aber schon nicht ab. Zudem ließen sie die zwingende Erörterung vermissen, aus welchen – für sich nicht ersichtlichen –

Gründen hier besondere Umstände vorliegen sollten, die eine Bewertung als Belastungsindiz gestatten könnten.

bb) Der Senat vermag jedoch auszuschließen (vgl. § 337 Abs. 1 StPO), dass die Strafkammer zu einem anderen, für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn sie den genannten Gesichtspunkt bei ihren Überlegungen zur Schuldfrage ausgeklammert hätte. Denn das Landgericht hat seine ansonsten sorgfältig begründete Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf eine Vielzahl gewichtiger weiterer Indizien gestützt, insbesondere die ihm zur Verfügung stehenden seltenen Bauteile der USBV wie ein bestimmter Druckentlastungsschalter und die besonderen Aderendhülsen, das mit vorgefundenen individuellen Abdrücken korrespondierende Herstellungswerkzeug (Crimpzange) sowie die von ihm vorgenommenen Internetrecherchen, Besuche am Tatort und seine Handynutzung in der Tatnacht.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge des Angeklagten keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Quentin Sturm Ri‘inBGH Dr. Tschakert ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert.

Quentin Scheuß Gödicke Vorinstanz: Landgericht Münster, 06.12.2024 ‒ 2 Ks 8/24 (30 Js 87/24)

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