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5 StR 729/24

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 729/24 URTEIL vom 24. April 2025 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.

ECLI:DE:BGH:2025:240425U5STR729.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. April 2025, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Cirener,

Richter am Bundesgerichtshof Köhler, Richterin am Bundesgerichtshof Resch, Richter am Bundesgerichtshof von Häfen, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Werner,

Richter am Landgericht als Vertreter des Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt B. als Verteidiger,

der Nebenkläger K. , Rechtsanwältin H.

als Vertreterin des Nebenklägers K. ,

Rechtsanwalt C. als Vertreter des Nebenklägers M.

,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-3-

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 22. Juli 2024 mit den Feststellungen zur inneren Tatseite aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchter Körperverletzung verurteilt worden ist.

2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers K. wird das vorbenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist.

3. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen - Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Körperverletzung und Nötigung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Erkenntnis zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen. Mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung statt versuchter (einfacher) Körperverletzung und wegen Totschlags. Auf letzteres zielt auch das mit der Sachrüge geführte Rechtsmittel des Nebenklägers K. ab. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der zur Tatzeit 19 Jahre alte und bereits wegen Körperverletzungs- und Waffendelikten in Erscheinung getretene Angeklagte führte eine konfliktträchtige Liebesbeziehung mit seiner früheren Schulkameradin L. K. ; die Konflikte rührten vor allem aus seiner Eifersucht auf den Nebenkläger M.

. Sie vereinbarten daher am Wochenende vor dem Tattag eine Beziehungspause. Der Angeklagte war hierüber verzweifelt und hilflos. Am Nachmittag des 18. Oktober 2023 entschloss er sich deshalb, das Gespräch mit ihr zu suchen, und teilte ihr mit, sie nach Feierabend am Bahnhof abzuholen. L. K. und der Nebenkläger M. , die im Begriff waren, eine Beziehung miteinander einzugehen, hatten sich allerdings mit ihrem gemeinsamen Freund Cl. verabredet, der sie mit dem Auto am Bahnhof abholen sollte. Als der Angeklagte die beiden zusammen am Bahnhof sah, war er überrascht und stark gekränkt. Dennoch sprach er vor dem Bahnhof einige Zeit mit L. K. , wobei sie Zärtlichkeiten austauschten. Anschließend stiegen sie in das Auto zu den darin wartenden Cl.

und M.

; gemeinsam fuhren sie zur Wohnung der Familie des Angeklagten.

Dort angekommen blieb Cl. im Auto, während die Mitfahrer in die Wohnung gingen, wo sie von der Mutter des Angeklagten empfangen wurden. Dieser holte sofort eine Schreckschusspistole aus seinem Zimmer und schoss aus Wut auf M.

. Ihm war bewusst, dass eine Schreckschusspistole bei diesem Einsatz jedenfalls Plastikteile mit großem Druck abfeuern und einer hiervon getroffenen Person zumindest Schmerzen bereiten kann. Dies war ihm angesichts seiner Wut auf den Nebenkläger recht. Allerdings ging der Schuss fehl, weil L. K. den Arm des Angeklagten nach unten drückte. M.

flüchtete unverletzt aus dem Haus.

Frustriert, wütend und verzweifelt schoss der Angeklagte nun aus nächster Nähe auf den Kopf der zu Fall gekommenen L. K. und verletzte sie hierdurch an der Wange. Der jungen Frau gelang es, sich zu dem im Auto wartenden Cl. zu flüchten. Der Angeklagte holte ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zwölf Zentimetern aus seinem Zimmer und verfolgte sie. Er stellte sich mit dem Messer sichtbar in der Hand vor das Auto und forderte Cl. auf, die Fahrzeugschlüssel heraus zu werfen und auszusteigen. Cl. tat wie geheißen und entfernte sich mit erhobenen Armen.

Der Angeklagte, der – wie er wusste – keine Fahrerlaubnis besaß, fuhr mit der verängstigten L. K. davon. Dabei hielt er das Messer zunächst so, dass die Klinge nach oben aus der Hand hervorsah. Da ihn das Messer beim Schalten störte, drehte er es um, sodass die Klinge nunmehr am kleinen Finger aus der Faust ragte. Um eine Ortung zu verhindern, forderte er die immer hysterischer schreiende L. K. auf, ihm ihr Mobiltelefon zu geben. Um sie dazu zu bringen innezuhalten, schlug der emotional überforderte, das Messer wie zuvor in der Faust haltende Angeklagte seinen ausgestreckten Arm nach rechts in Richtung ihres Oberkörpers. Er traf mit der Messerklinge mit mäßiger Wucht zwischen zwei Rippen senkrecht zum Brustkorb die linke Seite des Oberkörpers. Das Messer drang acht Zentimeter in den Oberkörper und in das Herz der jungen Frau ein. Der Stich verursachte eine tödliche Öffnung der rechten Herzkammer. Dem stark erregten und gestressten Angeklagten war nicht bewusst, ob und wo seine Hand mit welcher Ausrichtung der Messerklinge den Körper des Opfers treffen würde. Er hatte jedoch nicht vergessen, das Messer in der Hand zu halten. Es war in seiner Situation erkennbar, dass er bei seinem Vorgehen die Geschädigte auch tödlich verletzen könnte.

Nachdem er die Blutanhaftungen am Messer bemerkt hatte, entschloss er sich, ins Krankenhaus zu fahren. Dabei überfuhr er eine rote Ampel, infolgedessen er mit einem Auto kollidierte, dessen Fahrer und Beifahrer hierdurch leichte Verletzungen erlitten. Der kurzzeitig ohnmächtige Angeklagte wurde von einem Polizisten aus dem Fahrzeug befreit. Er sagte zu ihm, er habe seine Freundin „abgestochen“, damit diese versorgt würde. Trotz schneller notärztlicher Hilfe verstarb L.

K. kurz darauf infolge der Stichverletzung.

II.

Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat im Anfechtungsumfang weitgehend Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ist wirksam beschränkt worden. Zwar hat die Staatsanwaltschaft einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Ausweislich der Revisionsbegründung greift sie aber lediglich an, dass das Landgericht den Angeklagten nicht auch wegen eines Totschlags an L. K. und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gegen den Nebenkläger M.

verurteilt hat. Widersprechen sich Revisionsantrag und Revisionsbegründung ist letztere maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022,

mwN).

2. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit es das Landgericht unterlassen hat, den Angeklagten auch wegen Totschlags zu verurteilen.

a) Insoweit dringt die Staatsanwaltschaft bereits mit der Verfahrensrüge durch, mit der sie zum einen beanstandet, das Landgericht habe ihre Frage an den Zeugen Wu. nach den Angaben des Angeklagten am 18. Oktober 2023 im Krankenhaus zu Unrecht zurückgewiesen, und zum anderen, dass es den Zeugen nicht darüber vernommen und dadurch seine Amtsaufklärungspflicht verletzt hat.

aa) Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Am Unfallort wollte sich der Angeklagte gegenüber einem Polizisten zum Sachverhalt äußern. Dieser belehrte ihn dahingehend, er solle vor der Polizei ohne rechtlichen Beistand keine Angaben machen. Der Angeklagte gab an, die Belehrung verstanden zu haben. Anschließend wurde er zunächst vor Ort und dann im Krankenhaus medizinisch versorgt. Da er während der CT-Untersuchung Abwehrbewegungen machte und auf Ansprache nicht reagierte, wurde ihm eine geringe Dosis eines Benzodiazepins verabreicht. Die CT-Untersuchung von Kopf und Körper blieb ohne Befund. Bei der Aufnahme in die Überwachungsstation der Klinik war er ansprechbar und orientiert. Die diensthabende Ärztin diagnostizierte ein nach einem Unfall mit kurzer Bewusstlosigkeit typisches Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades. Es wurde ihm ein mildes Schmerzmittel gegeben. Fragen beantwortete er adäquat. Die Ärztin hatte den Eindruck, dass er die Konsequenzen seiner Antworten überblicken konnte.

Noch am selben Abend begaben sich der Zeuge Wu. in seiner Eigenschaft als Polizist und zwei weitere Beamte zum Krankenhaus, wo sie sich zunächst bei der diensthabenden Ärztin über den Gesundheitszustand des Angeklagten informierten. Diese unterrichtete sie über das Ergebnis der Untersuchungen und ihre Diagnose. Zudem teilte sie ihnen mit, dass der Angeklagte zeitlich und örtlich orientiert sei, es aber den allgemeinen Grundsatz und die allgemeine Anweisung gebe, wonach ein Patient mit einem Schädel-Hirn-Trauma nach einer Bewusstlosigkeit als nicht vernehmungs- und einwilligungsfähig gelte.

Anschließend suchte der Zeuge Wu. mit den beiden anderen Beamten den Angeklagten auf. Der Zeuge stellte sich und seine Kollegen vor und informierte ihn über das Ableben von L. K. . Er eröffnete ihm, dass er verdächtigt werde, sie getötet zu haben. Er belehrte ihn ordnungsgemäß als Beschuldigten, teilte ihm aber mit, dass angesichts seines Gesundheitszustandes von einer Vernehmung abgesehen werde und lediglich Maßnahmen der Spurensicherung und eine rechtsmedizinische Untersuchung durchgeführt würden. Der Angeklagte erklärte, die Belehrungen und Erläuterungen des Zeugen verstanden zu haben. Auf Nachfrage teilte er mit, dass er grundsätzlich an der Aufklärung mitwirken und Angaben machen wolle.

Im Laufe der Spurensicherung und der rechtsmedizinischen Untersuchung machte der Angeklagte ungefragt Angaben zum Tatgeschehen und zum Sachverhalt. Unter anderem gab er an, dass der Streit zwischen ihm und L. K. während der Autofahrt eskaliert sei und er dann zugestochen habe. Er habe sich gewundert, „wie leicht“ das gehe. Es sei aber nicht seine Intention gewesen, sie zu verletzen. Man müsse ihm glauben, dass er dies nicht gewollt habe.

In der Hauptverhandlung ist der Polizeibeamte Wu. als Zeuge vernommen worden. Als die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft dem Zeugen die Frage stellte, welche Angaben der Angeklagte ihm gegenüber am 18. Oktober 2023 im Krankenhaus gemacht habe, beanstandete der Verteidiger dies als unzulässig. Daraufhin wurde die Vernehmung des Zeugen unterbrochen. Nachdem die Verfahrensbeteiligten Stellung zu der Beanstandung genommen hatten, wies die Strafkammer die Frage mit Gerichtsbeschluss zurück, weil die Angaben des Beschuldigten aufgrund seines Gesundheitszustandes dem Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot des § 136a StPO unterfielen. Zwar habe der Zeuge den Angeklagten ordnungsgemäß belehrt und ihm ausdrücklich mitgeteilt, dass aufgrund seines Zustandes von einer Vernehmung abgesehen werde. Die Gesamtsituation sei aber vernehmungsähnlich gewesen, da sie wie eine Vernehmung begonnen und es sich deshalb bei den Angaben des Angeklagten nicht um Spontanäußerungen aus freien Stücken gehandelt habe. Anschließend wurde der Zeuge Wu. wieder in den Sitzungssaal gerufen und eine Minute später entlassen.

bb) Das Landgericht hat rechtsirrig angenommen, dass die inmitten stehenden Angaben des Angeklagten nicht verwertet werden durften. Es wäre daher nach § 244 Abs. 2 StPO verpflichtet gewesen, den Polizeibeamten Wu. als Zeugen vom Hörensagen hierüber zu vernehmen, und hätte die hierzu gestellte Frage der Staatsanwaltschaft nicht nach § 241 Abs. 2 StPO zurückweisen dürfen.

(1) Ein Verwertungsverbot aus § 136a Abs. 3 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO scheidet schon deshalb aus, weil die Vorschrift aufgrund ihres Rechtscharakters als Norm des Strafverfahrensrechts und ihrer Stellung im Gesetz nur Aussagen erfasst, die der Beschuldigte in einer Vernehmung macht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 5 StR 464/19, BGHR StPO § 136a Abs. 1 Vernehmung 1; Urteil vom 30. April 1987 – 4 StR 30/87, BGHSt 34, 365, 369; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 136a Rn. 4; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 136a Rn. 6; LR-StPO/Geneuss, 28. Aufl., § 136a Rn. 10, 15; MüKo-StPO/ Schuhr, 2. Aufl., § 136a Rn. 12; aA SSW-StPO/Eschelbach, 5. Aufl., § 136a Rn. 2). Eine Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung liegt indes nur vor, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson (also dem Beschuldigten, dem Zeugen oder dem Sachverständigen) in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft (eine „Aussage“) verlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 – GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 145). An letzterem fehlt es hier: Der Polizeibeamte Wu. hat den Angeklagten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er ihn mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand nicht verneh- men werde. Die in Rede stehenden Aussagen hat der Angeklagte dementsprechend im Rahmen der Spurensicherung und der rechtsmedizinischen Untersuchung „ungefragt“ getätigt.

Es kommt daher auch nicht auf die Frage an, unter welchen Voraussetzungen die Befragung eines vernehmungsunfähigen Beschuldigten, dessen Beeinträchtigung seiner Willensentschließung und -betätigung nicht auf einem Verhalten der Strafverfolgungsbehörden oder des Gerichts beruht, einen Verstoß gegen § 136a StPO darstellen kann; insbesondere muss hier nicht abschließend geklärt werden, ob ein Verstoß gegen § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO in den Fällen, in denen die Vernehmungsunfähigkeit auf Umständen außerhalb der Sphäre der Strafverfolgungsbehörden beruht und die damit mangels Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung des Beschuldigten durch staatliche Organe nicht unmittelbar von § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO erfasst sind, ein pflichtwidriges Ausnutzen der Beeinträchtigung und damit zumindest eine Erkennbarkeit der Vernehmungsunfähigkeit durch den Vernehmenden voraussetzt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. Oktober 1983 – 2 StR 281/83; Beschlüsse vom 21. Oktober 2014 – 5 StR 296/14, BGHSt 60, 50, 51 f.; vom 4. Dezember 2023 – 5 StR 337/23; LR-StPO/Geneuss, 28. Aufl., § 136a Rn. 33; SSW-StPO/Eschelbach, 5. Aufl., § 136a Rn. 17 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 136a Rn. 10; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 136a Rn. 13; MüKo-StPO/Schuhr, 2. Aufl., § 136a Rn. 34).

(2) Ein Beweisverwertungsverbot folgt auch nicht aus dem verfassungsrechtlich verankerten Gebot der Selbstbelastungsfreiheit. Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung bedeutet, dass in einem Strafverfahren niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezich- tigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2024 – 3 StR 134/24, NJW 2024, 3603, 3604 mwN). Unter diesem Gesichtspunkt kann ein Verwertungsverbot – was die Strafkammer im Ansatz zutreffend erkannt hat – für Aussagen gegeben sein, die der Beschuldigte in einer vernehmungsähnlichen Situation macht. Vernehmungsähnliche Situationen sind indes dadurch gekennzeichnet, dass die Strafverfolgungsbehörden private oder verdeckt ermittelnde Personen veranlassen, den Beschuldigten gegen seinen Willen zu einer Selbstbelastung zu drängen und Äußerungen zum Tatgeschehen zu entlocken. Eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit kommt in diesen Fällen insbesondere dann in Betracht, wenn der Beschuldigte sich zuvor auf sein Schweigerecht berufen hat und die Ermittlungsbehörden durch das heimliche oder täuschende Ausfragen versuchen, dem Beschuldigten Angaben zu entlocken, die sie in einer Vernehmung nicht erlangen konnten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2024 – 3 StR 134/24 aaO; Urteil vom 15. Februar 2023 – 2 StR 270/22, NStZ 2023, 560, 562; Beschlüsse vom 31. März 2011 – 3 StR 400/10, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 fair-trial 7; vom 18. Mai 2010 – 5 StR 51/10; BGHSt 55, 138, 145 f.; vom 27. Januar 2009 – 4 StR 296/08, NStZ 2009, 343, 344).

Hiermit ist der zu entscheidende Fall nicht zu vergleichen: Der Zeuge Wu. und die weiteren Polizisten sind dem Angeklagten offen gegenübergetreten. Der Zeuge hat ihm den Tatvorwurf eröffnet, ihn ordnungsgemäß als Beschuldigten belehrt und ihm ausdrücklich mitgeteilt, dass mit Blick auf seinen Gesundheitszustand von einer Vernehmung abgesehen werde. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte sich nicht auf sein Schweigerecht berufen hatte, sondern sich von Be- ginn an zu dem Geschehen äußern wollte, wovon ihm die Polizeibeamten offenbar aus Fürsorge teils abgeraten (an der Unfallstelle) und worauf sie teils nicht eingegangen sind (im Krankenhaus). Ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit liegt danach nicht vor: Weder macht die Eröffnung des Tatvorwurfs mit Belehrung die „Gesamtsituation“ zu einer (unzulässigen) heimlichen oder täuschenden Befragung zur Umgehung des Schweigerechts noch kann von einem Zwang die Rede sein, gegen sich selbst auszusagen. Bei den in Rede stehenden Angaben, die der Angeklagte ungefragt gemacht hat, handelte es sich vielmehr um Spontanäußerungen, die uneingeschränkt der Verwertung unterliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 – 5 StR 195/19 Rn. 5).

cc) Das Urteil beruht insoweit auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer einen (bedingten) Tötungsvorsatz angenommen hätte, wenn es die Angaben des Angeklagten am 18. Oktober 2023 im Krankenhaus über die Befragung des Zeugen vom Hörensagen Wu. zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht und im Urteil verwertet hätte.

b) Die Ablehnung des Tötungsvorsatzes weist zudem sachlich-rechtliche Mängel auf. Das Landgericht hat sich schon nicht vom Wissenselement des bedingten Vorsatzes zu überzeugen vermocht. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung hält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2024 – 1 StR 276/24 Rn. 19 mwN) – der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Sie steht in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis mit den Ausführungen des Landgerichts im Zusammenhang mit der abgeurteilten Körperverletzung mit Todesfolge. Danach habe der Angeklagte der Geschädigten einmal kräftig auf den Oberkörper schlagen wollen und dabei billigend in Kauf genommen, ihr dadurch Schmerzen zuzufügen. Bei dem Schlag sei er sich des großen Messers in seiner Hand bewusst und es sei daher in seiner Situation erkennbar gewesen, dass er mit seinem Vorgehen L. K. tödlich verletzen könnte. Weshalb der Angeklagte trotz dieser Feststellungen nicht die Möglichkeit erkannt haben sollte, die junge Frau durch den bewussten „Schlag mit dem Messer“ gegen den Oberkörper zu töten, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht. Eine nähere Erörterung wäre aber nötig gewesen, weil das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes schon dann vorliegt, wenn der Täter den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2024 – 6 StR 340/24, NStZ 2025, 39, 40 mwN).

Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es seiner Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat. Denn es hat der – von ihm angenommenen – objektiv besonderen Gefährlichkeit der Gewalthandlung des Angeklagten keine maßgebliche Bedeutung beigemessen, weil er diese „nicht wahrgenommen“ habe. Danach scheint es davon ausgegangen zu sein, dass der Täter die Folge der besonders gefährlichen Gewalthandlung erkannt haben muss, damit dieser eine gewichtige Indizwirkung für den bedingten Tötungsvorsatz zukommen kann. Damit hätte sie aber die Beweisbedeutung äußerst gefährlicher Gewalthandlungen für die innere Tatseite verkannt. Insoweit gilt: Bei objektiv äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen. Dafür, dass dem Angeklagten, dem bewusst war, mit einem Messer mit einer Klingenlänge von zwölf Zentimetern „wenig steuerbar“ in Richtung des Oberkörpers seiner „in ihren Reaktionen kaum beherrschbaren“ Beifahrerin zu schlagen und damit eine äußerst gefährliche Gewalthandlung zu verüben, das Risiko der Tötung zur Tatzeit ausnahmsweise nicht bewusst gewesen sein könnte, lassen sich den Urteilsgründen keine tragfähigen beweiswürdigenden Erwägungen entnehmen (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 7. Juni 2023 – 5 StR 80/23, NStZ 2023, 729, 730).

Insoweit weist die Beweiswürdigung zudem eine Lücke auf. So bleibt unerörtert, welche Rückschlüsse angesichts der geschilderten geänderten Halteposition des Messers und der räumlichen Verhältnisse daraus zu ziehen sind, dass die Messerklinge nach den Feststellungen „senkrecht zum Brustkorb“ die linke Seite des Oberkörpers der Geschädigten traf.

Soweit das Landgericht als gegen das Wissenselement sprechend angeführt hat, es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte richtig vorhergesehen habe, wo noch sein Arm oder schon seine Faust mit dem Messer auf die Brust oder jenseits ihres Oberkörpers auftreffen würde, hat es einen unzutreffenden Maßstab angelegt. Es genügt, wenn er es als möglich erkannt hatte, die Geschädigte mit dem Messer im Oberkörper zu treffen. Dies ist angesichts seiner Einlassung, er habe sie auf die Höhe des Brustbereichs geschlagen, jedenfalls nicht fernliegend.

Das Landgericht ist zudem rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten von Annahmen ausgegangen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21): Zwar sei dem Angeklagten bewusst gewesen, das Messer in der Hand zu haben. Damit sei aber nicht zugleich gesagt, dass ihm die todesursächliche Ausrichtung der Klinge bei der Ausführung des Schlages aktuell bewusst gewesen sei. Auf welchen tatsächlichen Umständen diese Annahme beruht, hat das Landgericht nicht dargelegt. Dies wäre jedoch angesichts des „durchaus großen Messers“, das ihn beim Schalten gestört und dessen Position in der Hand er deshalb kurz zuvor gewechselt hatte, erforderlich gewesen.

Außerdem ist dem Landgericht bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten ein Rechtsfehler unterlaufen. Es hat seine Feststellungen – und somit auch die zum fehlenden Tötungsvorsatz – „ganz wesentlich“ auf die Einlassung des Angeklagten gestützt. Allerdings hat es ihm nicht geglaubt, dass er während der Fahrt vergessen habe, das Messer noch in der Hand zu halten, und sich daher dessen bei dem Schlag gegen das Opfer nicht bewusst gewesen sei. Werden aber zentrale Teile der Einlassung des Angeklagten als unglaubhaft bewertet, bedarf die Annahme der Glaubhaftigkeit anderer Teile der Einlassung einer erkennbar kritischen Würdigung (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2024 – 4 StR 377/23 Rn. 6). Daran mangelt es.

Schließlich ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Oberkörper des Opfers mit der Messerklinge mit mäßiger Wucht zwischen zwei Rippen getroffen habe. Diese Feststellung ist indes nicht beweiswürdigend belegt. Lediglich in der breit geschilderten Einlassung des Angeklagten wird die Wucht des Schlages erwähnt. Danach hat der Angeklagte jedoch angegeben, dass er sich dabei keine Gedanken gemacht habe und nicht wisse, mit welcher Wucht er mit dem Messer in der Hand auf den Oberkörper der Geschädigten geschlagen habe. Für die Vorsatzprüfung kann es aber auf die Frage ankommen, mit welcher Intensität die zum Tode führende Gewalthandlung ausgeführt wurde.

Auf die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigten weiteren Mängel bei der erforderlichen Gesamtwürdigung kommt es danach nicht mehr an.

c) Da die aufgezeigten Rechtsfehler die Feststellungen insoweit insgesamt betreffen, haben sie keinen Bestand.

3. Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung außerdem nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten lediglich wegen versuchter Körperverletzung statt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers M.

verurteilt hat.

a) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Landgericht eine versuchte gefährliche Körperverletzung in der Variante des hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) verneint hat. Die Beweiswürdigung weist insoweit keine Rechtsfehler auf. Insbesondere hat sich das Landgericht ausführlich mit den darauf hindeutenden Angaben der Mutter des Angeklagten in ihren Notrufen bei der Polizei auseinandergesetzt. Dass es aus dem Umstand, dass der Angeklagte sogleich nach dem Betreten der Wohnung die Schreckschusswaffe aus seinem Zimmer holte, nicht den Schluss auf einen hinterlistigen Überfall gezogen hat, stellt keinen Rechtsfehler dar.

b) Zu Recht hat der Generalbundesanwalt aber darauf hingewiesen, dass das Landgericht insoweit seine Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verletzt hat, als es nicht ersichtlich geprüft hat, ob sich der bereits wegen eines – indes in den Urteilsgründen nicht weiter gekennzeichneten – Waffendeliktes in Erscheinung getretene Angeklagte durch den Schuss mit der Schreckschusspistole auf den Nebenkläger M.

wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in der Variante der Begehung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) strafbar gemacht hat. Soweit es gemeint haben sollte, es könne sich mit dem Hinweis begnügen, der Angeklagte habe nicht billigend in Kauf genommen, dem Nebenkläger erhebliche Verletzungen zuzufügen,

reicht dies nicht aus. Denn eine geladene Schreckschusspistole ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs generell als „Waffe“ im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen einzuordnen, wenn beim Abfeuern der Explosionsdruck nach vorn aus dem Lauf austritt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2003 – GSSt 2/20, BGHSt 48, 197, 201 ff.; vom 11. November 2003 – 3 StR 345/03, NStZ-RR 2004, 169). Es hätte daher einer Erörterung bedurft, weil das Landgericht festgestellt hat, der Angeklagte habe mit Verletzungsvorsatz auf den Nebenkläger geschossen, obwohl ihm bewusst war, dass eine Schreckschusspistole dabei jedenfalls Plastikteile mit großem Druck abfeuern kann.

Der Generalbundesanwalt hat außerdem zutreffend darauf hingewiesen, dass die unterlassene Prüfung eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Waffendelikts ebenfalls eine Verletzung der Kognitionspflicht darstellt.

c) Die Feststellungen zum äußeren Geschehen zu dieser Tat sind von den Rechtsfehlern nicht berührt und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

III.

Die allein gegen die unterbliebene Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gerichtete Revision des Nebenklägers hat insoweit mit der Sachrüge aus den gleichen sachlich-rechtlichen Gründen wie die Revision der Staatsanwaltschaft umfassenden Erfolg.

IV.

Die nach § 301 StPO veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

V.

Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, die vom Generalbundesanwalt aufgezeigten Aspekte bei der Strafzumessung in den Blick zu nehmen.

Cirener Köhler Resch von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Kiel, 22.07.2024 - 2 KLs 598 Js 64335/23

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