V ZB 15/24
BUNDESGERICHTSHOF V ZB 15/24 BESCHLUSS vom
5. Juni 2025 in der Grundbuchsache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
ja Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 1, 45, 46, 53 Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art. 45, 46 und Art. 53 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass bei der Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung die zur Vollstreckung zuständige Stelle des ersuchten Mitgliedstaats ohne eigenständige Prüfung bereits aufgrund der von dem Ursprungsgericht nach Art. 53 der Verordnung erteilten Bescheinigung davon ausgehen muss, dass die Entscheidung in den sachlichen Anwendungsbereich nach Art. 1 der Verordnung fällt?
BGH, Beschluss vom 5. Juni 2025 - V ZB 15/24 - OLG Oldenburg AG Varel ECLI:DE:BGH:2025:050625BVZB15.24.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel, Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Dr. Grau beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art. 45, 46 und Art. 53 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass bei der Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung die zur Vollstreckung zuständige Stelle des ersuchten Mitgliedstaats ohne eigenständige Prüfung bereits aufgrund der von dem Ursprungsgericht nach Art. 53 der Verordnung erteilten Bescheinigung davon ausgehen muss, dass die Entscheidung in den sachlichen Anwendungsbereich nach Art. 1 der Verordnung fällt?
Gründe:
I.
Die Beteiligte zu 2 ist eine regionale Staatsanwaltschaft am Rechnungshof Venedig. Sie erwirkte am 3. Oktober 2019 vor einer Rechtssprechungssektion des italienischen Rechnungshofes (im Folgenden: Rechnungshof) ein Dekret, mit dem eine Sicherstellungsbeschlagnahme nach italienischem Recht gegen den Beteiligten zu 1 genehmigt wurde. Gesichert werden soll ein Zahlungsanspruch des staatseigenen italienischen Betreibers für Energiedienstleistungen der G. S. E.
S.p.A. (nachfolgend: GSE) gegen den Beteiligten zu 1,
den die Beteiligte zu 2 geltend macht. Dem Beteiligten zu 1 wird vorgeworfen, in strafbarer Weise an einer betrügerischen Erlangung von Fördermitteln (Subventionen) im Zusammenhang mit der Erzeugung von Strom mit Photovoltaikanlagen mitgewirkt zu haben.
Unter Vorlage des Dekrets vom 3. Oktober 2019 nebst Bescheinigung nach Art. 53 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) und Zustellnachweis hat die Beteiligte zu 2 zu ihren Gunsten bei dem zuständigen Grundbuchamt in Deutschland die Eintragung einer Zwangssicherungshypothek an dem im Rubrum genannten, in Deutschland belegenen Grundbesitz des Beteiligten zu 1 in das Grundbuch beantragt. Das Amtsgericht - Grundbuchamt - hat die Eintragung am 7. November 2019 vorgenommen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht das Grundbuchamt angewiesen, von Amts wegen einen Widerspruch gegen die vorgenommene Eintragung der Sicherungshypothek einzutragen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Beteiligte zu 1 beantragt, will die Beteiligte zu 2 die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung erreichen.
II.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Beschwerde mit dem Ziel der Eintragung eines Amtswiderspruchs gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 GBO zulässig und auch in der Sache begründet. Es sei ein Amtswiderspruch nach § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO in das Grundbuch einzutragen, weil die vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen für die Eintragung einer Sicherungshypothek nicht vorlägen. Es fehle an einem zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel (§ 750 Abs. 1 ZPO). Bei dem von der Beteiligten zu 2 vorgelegten dinglichen Arrest - dem Dekret des Rechnungshofes - handele es sich aufgrund einer Gesamtschau nicht um eine nach Art. 39 EuGVVO vollstreckbare Entscheidung in einer Zivil- und Handelssache i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO, sondern um eine hoheitliche Maßnahme. Hierfür genüge es zwar nicht, dass die Entscheidung im Ausgangsverfahren nicht durch ein Zivilgericht getroffen worden sei, sondern die regionale Staatsanwaltschaft bei dem Rechnungshof die Sicherungsbeschlagnahme erwirkt habe. Der hoheitliche Charakter ergebe sich aber aus den Besonderheiten des Verfahrens vor dem Rechnungshof und der Geltendmachung eines verwaltungsrechtlichen Haftungsanspruchs.
Nach Art. 1 Nr. 1 der Prozessordnung des Rechnungshofs umfasse dessen Gerichtsbarkeit nämlich „Rechnungslegungsverfahren, Verfahren betreffend die verwaltungsrechtliche Haftung für Schäden zum Nachteil der öffentlichen Hand sowie sonstige Verfahren im Bereich des öffentlichen Rechnungswesens.“ Privatpersonen könnten sich dagegen nicht an den Gerichtshof wenden. Nach den Artikeln 73 ff. der Prozessordnung seien „Klagen zum Schutz der Forderungen der öffentlichen Hand“ vor dem Rechnungshof zu erheben und zwar nach Art. 86 der Prozessordnung nur durch den Staatsanwalt. Dieser könne im Vorfeld einer Klage „zum Schutz der Forderungen der öffentlichen Hand“ nach Art. 74 der Prozessordnung eine Sicherstellungsbeschlagnahme beantragen, wie dies hier erfolgt sei. Ausweislich der Begründung der Sicherstellungsbeschlagnahme beruhe die Haftung auf einem betrügerischen Verhalten zum Nachteil der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit der Erlangung von Subventionen, auf die kein Anspruch bestanden habe. Auch wenn sich der verfahrenseinleitende Antrag der Beteiligten zu 2 vordergründig auf einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung beziehe, solle eine Forderung der öffentlichen Hand gesichert werden. Es komme hinzu, dass der Sachverhalt dem Antrag zufolge durch die italienische Finanzpolizei im Rahmen von Befugnissen ermittelt worden sei, die regelmäßig von Privatpersonen weder veranlasst noch ausgeübt werden könnten. Die Anordnung der Sicherungsbeschlagnahme stelle sich insgesamt als eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse dar, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abwichen und deshalb von Art. 1 Abs. 1 EuGVVO nicht erfasst würden.
III.
Die Begründetheit der statthaften (§ 78 Abs. 1 und 3 GBO) und auch im Übrigen zulässigen (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde hängt in entscheidungserheblicher Weise von der Beantwortung der im Tenor formulierten Vorlagefrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union ab.
1. Wie das Beschwerdegericht zutreffend sieht, ergeben sich die Voraussetzungen für die Eintragung eines Amtswiderspruchs aus § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO als Vorschrift des nationalen Rechts. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
„Ergibt sich, dass das Grundbuchamt unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften eine Eintragung vorgenommen hat, durch die das Grundbuch unrichtig geworden ist, so ist von Amts wegen ein Widerspruch einzutragen.“
a) Wird - wie hier - im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Eintragung einer Sicherungshypothek gemäß § 867 Abs. 1 Satz 1 ZPO beantragt, hat das nach nationalem Recht zuständige Grundbuchamt unter anderem die Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen. Hierzu gehört insbesondere ein geeigneter Vollstreckungstitel (§ 750 Abs. 1 ZPO; vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2013 - V ZB 151/12, NJW 2013, 3786 Rn. 7; Beschluss vom 13. Dezember 2018 - V ZB 175/15, DGVZ 2019, 101 Rn. 8). Ein solcher Vollstreckungstitel ist ein im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergangener dinglicher Arrest (§ 917 Abs. 1 ZPO). Dessen Vollstreckung bzw. Vollziehung kann unter anderem durch Eintragung einer Sicherungshypothek erfolgen. Die einschlägige nationale Vorschrift des § 932 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO lautet wie folgt:
„Die Vollziehung des Arrestes in ein Grundstück (…) erfolgt durch Eintragung einer Sicherungshypothek für die Forderung (…)“.
b) Ist eine Sicherungshypothek gemäß § 867 Abs. 1 Satz 2 ZPO in das Grundbuch eingetragen worden, obwohl es an einem geeigneten Vollstreckungstitel fehlt, ist sie nicht entstanden; die Eintragung ist ohne materiell-rechtliche Wirkung (vgl. OLG München, IBRRS 2019, 0943; Demharter, GBO, 33. Aufl., Anh. § 44 Rn. 68a). Dann ist die Eintragung i.S.d. § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO zugleich unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften vorgenommen worden, durch die das Grundbuch unrichtig geworden ist. Deshalb ist ein Widerspruch in das Grundbuch einzutragen. Hiervon geht das Beschwerdegericht in seiner Entscheidung aus.
2. Hier wurde die Sicherungshypothek nicht aufgrund eines deutschen Vollstreckungstitels in Gestalt eines dinglichen Arrests eingetragen, sondern aufgrund einer durch ein italienisches Gericht genehmigten Sicherstellungsbeschlagnahme, die nach der unbeanstandeten Feststellung des Beschwerdegerichts einem dinglichen Arrest deutschen Rechts entspricht (vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2018 - V ZB 175/15, DGVZ 2019, 101 Rn. 9). Dies steht im Ausgangspunkt einer Zwangsvollstreckung nicht entgegen.
a) Wie das Beschwerdegericht richtig sieht, ist gemäß Art. 39 EuGVVO eine in einem Mitgliedstaat (hier: Italien) ergangene Entscheidung, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar ist, in den anderen Mitgliedstaaten (hier: Bundesrepublik Deutschland) vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. Unter den Voraussetzungen der Art. 42 Abs. 2, Art. 41 Abs. 1, 2 EuGVVO i.V.m. §§ 928 ff. ZPO kann sie durch Eintragung einer Sicherungshypothek vollzogen werden (§ 932 i.V.m. § 867 Abs. 1 ZPO; vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2018 - V ZB 175/15, DGVZ 2019, 101 Rn. 9).
b) Die in Art. 39 EuGVVO eingeräumte Vollstreckungsmöglichkeit setzt allerdings voraus, dass die Verordnung anwendbar ist. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO ist sie in „Zivil- und Handelssachen“ anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt u.a. in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten nicht. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass das Grundbuchamt als die zur Vollstreckung zuständige Stelle des ersuchten Mitgliedstaates zu prüfen hat, ob die zu vollstreckende Entscheidung in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Ob es zutrifft, dass eine solche Prüfungskompetenz besteht, lässt sich jedoch ohne Entscheidung des für die Auslegung der Verordnung zuständigen Gerichtshofs der Europäischen Union nicht beantworten und ist Gegenstand der Vorlagefrage.
aa) Auf der einen Seite ordnet Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO an, die Verordnung nur auf Zivil- und Handelssachen anzuwenden, weswegen der ersuchte Mitgliedstaat zur Vollstreckung anderer Entscheidungen nicht verpflichtet ist. Auf der anderen Seite sind in anderen Mitgliedstaaten ergangene Entscheidungen nach Art. 39 EuGVVO im Zweitstaat unmittelbar vollstreckbar, und ihre Vollstreckung darf nach Art. 46 i.V.m. Art. 45 EuGVVO nur aus bestimmten Gründen versagt oder nach Art. 41 Abs. 2 EuGVVO aus im nationalen Recht vorgesehenen Gründen verweigert oder ausgesetzt werden. Die Vollstreckbarkeit ist nach Art. 53 EuGVVO durch das Ursprungsgericht zu bescheinigen. Die Verordnung listet damit auf, in welchen Punkten die zu vollstreckende Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat überprüft werden darf. Das Nichtvorliegen einer Zivil- und Handelssache zählt nicht dazu.
bb) Der Senat kann die Auslegung der Verordnung nicht selbst vornehmen. Die Vorlagefrage ist weder Gegenstand eines bereits gestellten Vorabentscheidungsersuchens oder einer gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofs („acte éclairé“) noch derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt („acte claire“).
(1) Allerdings hat der Gerichtshof der Europäischen Union zu der vergleichbaren Rechtslage nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/01 S. 1) geklärt, dass die Angaben der dort in Art. 54 vorgesehenen Bescheinigung vom Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats überprüft werden können (EuGH, Urteil vom 6. September 2012, Trade Agency/Seramico, C-619/10, EU:C:2012:531, Rn. 46).
(2) In der später entschiedenen Rechtssache Weil (Urteil vom 6. Juni 2019, C-361/18, EU:C:2019:473) hat der Gerichtshof demgegenüber ein Prüfungsrecht von Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates verneint. Er hat dort ausgeführt, dass die Gerichte des Ursprungsstaates spätestens bei Ausstellung der Bescheinigung über die Vollstreckbarkeit der Entscheidung zu prüfen haben, ob der Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Dies hat er unter anderem deswegen für erforderlich gehalten, weil das in der Verordnung vorgesehene Vollstreckungsverfahren „jeder späteren Prüfung durch ein Gericht des ersuchten Mitgliedstaats … entgegensteht“, ob die Ursprungsklage in den Anwendungsbereich der Verordnung falle, weil „die Gründe, aus denen ein Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung dieser Entscheidung eingelegt werden kann, … in dieser Verordnung abschließend geregelt“ seien (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2019, Weil, C-361/18, EU:C:2019:473, Rn. 35; zustimmend Schnichels/Stein, EuZW 2020, 869, 870).
(3) Diese Entscheidung ist zwar noch zu der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/01 S. 1) ergangen. Der Gerichtshof hat jedoch in einem obiter dictum ausdrücklich klargestellt, dass für das Vollstreckungsverfahren nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 nichts anderes gelte (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2019, Weil, C-361/18, EU:C:2019:473, Rn. 35: „ebenso wie eine Vollstreckung nach der Verordnung Nr. 1215/2012“). Danach dürfen die Gerichte des ersuchten Mitgliedstaates nicht mehr prüfen, ob die im Ursprungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, weil die nach Art. 53 EuGVVO erteilte Bescheinigung sie dieser Prüfung enthebt und das Nichtvorliegen einer Zivil- oder Handelssache keiner der in Art. 46 i.V.m. Art. 45 EuGVVO abschließend aufgeführten Vollstreckungsversagungsgründe ist (ähnlich zum Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 [BGBl 1958 II, 577] BGH, Beschluss vom 26. November 1975 - VIII ZB 26/75, BGHZ 65, 291, 298).
(4) Hiermit wurde die Vorlagefrage aber nicht im Sinne eines acte éclairé entschieden, weil sie weder Gegenstand der damaligen Vorlagefrage war noch die Rechtsprechung des Gerichtshofes hierzu bisher gesichert ist. In der Rechtssache H Limited hat der Generalanwalt in seinem Schlussantrag nämlich die Auffassung vertreten, dass die entsprechenden Ausführungen ernste Fragen aufwürfen, die dazu führen müssten, dass diese nicht tragenden Erwägungen der Entscheidung nicht zu berücksichtigen seien (vgl. Schlussantrag des Generalanwalts vom 16. Dezember 2021, H Limited, C-568/20, EU:C:2021:1026, Rn. 20 ff.). Dem vorangegangen war eine entsprechende Vorlagefrage des österreichischen Obersten Gerichtshofes, der ebenfalls erkennen ließ, ein Prüfungsrecht der Gerichte des ersuchten Mitgliedstaates weiterhin zu befürworten (vgl. OGH, Beschluss vom 23. September 2020 - 3 Ob 126/20f, Rn. 35 ff.). Da die Vorlagefrage nur unter Bedingungen gestellt war, hatte der Gerichtshof der Europäischen Union indes keine Gelegenheit, diese zu beantworten (vgl. EuGH, Urteil vom 7. April 2022, H Limited, C-568/20, EU:C:2022:264, Rn. 48).
(5) Auch in der nationalen Literatur wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaates selbstständig zu prüfen haben, ob die zu vollstreckende Entscheidung in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt (vgl. BeckOK ZPO/Neumayr [1.3.2025], Art. 39 EuGVVO Rn. 6 und 36; Stein/Jonas/Koller, ZPO, 23. Aufl., Art. 39 EuGVVO Rn. 36; Art. 37 EuGVVO Rn. 8; vor Art. 36 EuGVVO Rn. 7; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 36 EuGVVO Rn. 9, 11; HK-ZPO/Dörner, 10. Aufl., Art. 39 Rn. 3; Pohl, IPRax 2013, 109, 113 Fn. 62; Mankowski, IPRax 2020, 541, 542; siehe auch BT-Drucks. 18/823 S. 21). Dieser Auffassung haben sich im Ergebnis das Beschwerdegericht und das OLG Frankfurt a. M. (IPRax 2020, 567 Rn. 15) angeschlossen.
3. Die Vorlagefrage ist für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde erheblich. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es nur dann, wenn die Antwort auf die Frage, wie auch immer sie ausfällt, keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben kann (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C-561/19, EU:C:2021:799, Rn. 34 mwN). Hier kommt es auf die Vorlagefrage an.
a) Ergibt die Auslegung des Unionsrechts, dass das Grundbuchamt von der Anwendbarkeit der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ohne eigene Prüfung auszugehen hatte, lag der für die Eintragung der Zwangshypothek erforderliche Vollstreckungstitel vor mit der weiteren Folge, dass das Grundbuch nicht unrichtig ist und deshalb die Eintragung eines Widerspruchs i.S.d. § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO ausscheidet. Damit hätte die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 Erfolg und führte zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückweisung der Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1.
b) Hatte das Grundbuchamt demgegenüber die Anwendbarkeit der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 zu prüfen, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts ist die italienische Sicherstellungsbeschlagnahme nicht in einer Zivil- oder Handelssache i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO ergangen. Damit liegt kein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Vollstreckungstitel vor, so dass die von dem Beschwerdegericht angeordnete Eintragung eines Widerspruchs in das Grundbuch nach § 53 GBO gerechtfertigt und die Rechtsbeschwerde damit unbegründet ist. Dass der Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO nicht eröffnet ist, lässt sich anhand der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beurteilen.
aa) Ob eine Zivil- oder Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO vorliegt, richtet sich nicht danach, welchem Rechtsgebiet die zugrundeliegenden Bestimmungen nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates - hier Deutschlands - oder des Mitgliedstaates, in dem die Entscheidung ergangen ist - hier Italiens -, zuzuordnen ist. Maßgeblich ist vielmehr die Auslegung, die der Begriff unter Berücksichtigung der Zielsetzungen und der Systematik der Verordnung sowie der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, durch den Europäischen Gerichtshof erfahren hat (st. Rspr. des Gerichtshofs, vgl. nur EuGH, Urteil vom 21. September 2021, Nemzeti Útdíjfizetési Szolgáltató Zrt, C-30/21, EU:C:2021:753, Rn. 24; Urteil vom 25. März 2021, Obala, C-307/19, EU:C:2021:236, Rn. 60).
bb) Grundsätzlich ist danach der Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ und damit der Anwendungsbereich der Verordnung weit zu fassen. Auch bestimmte Rechtsstreitigkeiten, in denen sich eine Behörde und eine Person des Privatrechts gegenüberstehen, können in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 fallen; es verhält sich jedoch anders, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2022, Eurelec Trading Scrl, C-98/22, EU:C:2022:1032, Rn. 21; Urteil vom 25. März 2021, Obala, C-307/19, EU:C:2021:236, Rn. 61 ff.; Urteil vom 16. Juli 2020, Movic, C-73/19, EU:C:2020:568, Rn. 34 f.). Daher sind die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Rechtsbeziehung und der Gegenstand dieses Rechtsstreits zu ermitteln oder, alternativ, die Grundlage der Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2022, Eurelec Trading Scrl, C-98/22, EU:C:2022:1032, Rn. 23; Urteil vom 16. Juli 2020, Movic, C-73/19, EU:C:2020:568, Rn. 37).
cc) Wie das Beschwerdegericht jedenfalls im Ergebnis richtig feststellt, hat die Beteiligte zu 2 hoheitliche Befugnisse im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgeübt.
(1) Zweifelhaft ist allerdings die Annahme des Beschwerdegerichts, die Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten sei öffentlich-rechtlicher Natur, weil der Rechnungshof nach Art. 1 Nr. 1 seiner Prozessordnung - soweit hier von Bedeutung - nur für Verfahren betreffend die verwaltungsrechtliche Haftung für Schäden der öffentlichen Hand zuständig sei. Denn der Begriff „Zivil- und Handelssache“ erfasst die Klage einer Behörde eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige natürliche und juristische Personen auf Ersatz des Schadens, der durch eine haftungsauslösende unerlaubte Verabredung zur Hinterziehung von Mehrwertsteuer entstanden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 12. September 2013, Sunico ApS, C-49/12, EU:C:2013:545, Rn. 37, 44; siehe auch EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021, Toto SpA, C-581/20, EU:C:2021:808, Rn. 43). Es spricht einiges dafür, einen Schadensersatzanspruch zur Rückgewähr von Fördermitteln genauso zu behandeln.
(2) Darauf kommt es aber nicht an, weil die Beteiligte zu 2 bei den Modalitäten der Sicherstellungsbeschlagnahme Befugnisse wahrgenommen hat, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regelungen abweichen; jedenfalls deshalb ist keine Zivil- oder Handelssache i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO gegeben.
(a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt keine zivilrechtliche Beziehung zwischen den Beteiligten vor, wenn eine Behörde im Rahmen des in Rede stehenden Verfahrens in irgendeiner Form Beweise verwendet, die mittels ihrer hoheitlicher Befugnisse erlangt wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020, Movic, C-73/19, EU:C:2020:568, Rn. 59; Urteil vom 12. September 2013, Sunico ApS, C-49/12, EU:C:2013:545, Rn. 42). Dies ist etwa der Fall, wenn eine Klage auf der Grundlage von Beweisen erhoben wurde, die im Rahmen der Durchsuchung von Räumlichkeiten und der Beschlagnahme von Dokumenten erlangt wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2022, Eurelec Trading Scrl, C-98/22, EU:C:2022:1032, Rn. 26). Andererseits kann etwa das bloße Sammeln und Zusammenstellen von Beweisen, wie es auch Privatpersonen tun könnten, der Ausübung derartiger hoheitlicher Befugnisse nicht gleichkommen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020, Movic, C-73/19, EU:C:2020:568, Rn. 57).
(b) Hier hat sich die Beteiligte zu 2 nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht darauf beschränkt, Beweise in einer Weise zusammenzustellen bzw. zu sammeln, wie es auch jedem Privaten möglich wäre. Vielmehr ist der Sachverhalt durch die italienische Finanzpolizei ermittelt worden. Solche Ermittlungen können von Privatpersonen weder veranlasst noch vorgenommen werden. Die Ermittlungsergebnisse sind der Beteiligten zu 2 als der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt und zum Gegenstand des von ihr gestellten Antrags auf Erlass einer Sicherstellungsbeschlagnahme gemacht worden.
Brückner Malik Göbel Grau Hamdorf Vorinstanzen:
AG Varel, Entscheidung vom 07.11.2019 - Friesische Wehde Blatt 13945 OLG Oldenburg, Entscheidung vom 07.03.2024 - 12 W 124/23 -