• Suche
  • Impressum

caselaw.de²

  • caselaw.de²

  • Suche
  • Impressum

  • Suche
  • Filter
  • Ergebnis
  • Entscheidung
Entscheidung
Paragraphen
Original
Teilen

V ZB 41/14

BUNDESGERICHTSHOF V ZB 41/14 BESCHLUSS vom

8. Dezember 2016 in dem Zwangsversteigerungsverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ:

nein BGHR:

ja EuInsVO Art. 5 Abs. 1; ZVG § 10 Abs. 1 Nr. 3; GrStG § 12 Öffentliche Lasten des Grundstücks (hier: Grundsteuerforderungen) sind als dingliche Rechte im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Insolvenzverordnung anzusehen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804).

BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - V ZB 41/14 - LG Hannover AG Burgwedel ECLI:DE:BGH:2016:081216BVZB41.14.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 7. Februar 2014 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Schuldnerin, eine Société Civile Immobilière nach französischem Recht, ist Eigentümerin des im Rubrum genannten Grundstücks in W. , Deutschland. Mit Urteil vom 6. Mai 2013 ordnete der Tribunal de Grande Instance de Mulhouse, Frankreich, das Betriebssanierungsverfahren („procédure de redressement judiciaire“) für die Schuldnerin an und beauftragte einen gerichtlich bestellten Verwalter mit deren Betreuung („administrateur judiciaire avec mission d‘assistance“). Am 15. Mai 2013 beantragte die Gemeinde W. wegen rückständiger Grundsteuern für die Zeit vom 1. Oktober 2012 bis zum 30. Juni 2013 in Höhe von 7.471,19 € die Zwangsversteigerung des Grundstücks und bescheinigte die Vollstreckbarkeit der Forderungen.

Mit Beschluss vom 21. Mai 2013 hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung angeordnet. Der dagegen gerichteten Erinnerung der Schuldnerin hat es nicht abgeholfen. Das Landgericht hat ihre sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin erreichen, dass die Anordnung der Zwangsversteigerung aufgehoben und der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch gelöscht wird. Mit Beschluss vom 12. März 2015 (veröffentlicht u.a. in WM 2015, 1768 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1; Europäische Insolvenzverordnung, nachfolgend EuInsVO) eine nationale Regelung erfasst, wonach Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz dulden muss. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Vorlagefrage mit Urteil vom 26. Oktober 2016 (C-195/15, EU:C:2016:804, veröffentlicht u.a. in ZIP 2016, 2175 ff.) entschieden.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Zwangsversteigerung zu Recht angeordnet worden. Die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens wirke sich insoweit nicht aus. Da die rückständigen Grundsteuern gemäß § 12 GrStG als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhten, stehe der Gläubigerin gemäß § 49 InsO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu. Dieses Recht werde gemäß § 351 InsO durch die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht berührt.

Eine Umschreibung des Titels auf den Insolvenzverwalter und eine Zustellung an diesen sei nicht erforderlich, da die Zwangsversteigerung aufgrund eines auf § 58 NVwVG gestützten behördlichen Ersuchens erfolgt sei.

III.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Ob sich das ausländische Insolvenzverfahren auf die Anordnung der Zwangsversteigerung auswirkt, bestimmt sich allerdings nicht nach § 351 InsO. Maßgeblich ist vielmehr die Europäische Insolvenzverordnung, die in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des in §§ 335 ff. InsO geregelten deutschen Internationalen Insolvenzrechts vorgeht (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rn. 11 mwN). Der Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung ist eröffnet, da es sich bei dem Verfahren des "redressement judiciaire" um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. Anhang A der Verordnung genannten Insolvenzverfahren handelt und der für die Schuldnerin auftretende "administrateur judiciaire" zu den in Art. 2 Buchstabe b EuInsVO i.V.m. Anhang C der Verordnung bezeichneten Verwaltern gehört.

2. Nach der Europäischen Insolvenzverordnung unterliegt das Insolvenzverfahren zwar dem französischen Recht (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO bleiben aber dingliche Rechte eines Gläubigers an unbeweglichen Gegenständen, die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Die Grundsteuerforderungen, die zu der Anordnung der Zwangsversteigerung geführt haben, sind als dingliches Recht im Sinne dieser Norm anzusehen, da sie als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen (§ 12 GrStG). Das infolgedessen maßgebliche deutsche Insolvenzrecht gewährt gemäß § 49 InsO ein Recht auf abgesonderte Befriedigung.

a) Maßgeblich für die Einstufung als dingliches Recht ist zunächst das deutsche Recht als Recht des Belegenheitsorts (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804 Rn. 20). Danach sind öffentliche Lasten als dingliche Verwertungsrechte anzusehen, weil der Eigentümer gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dulden muss; funktionell entsprechen öffentliche Lasten einem Grundpfandrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 12. März 2015 in dieser Sache Bezug genommen (WM 2015, 1768 Rn. 6 ff.).

b) Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf die Vorlage des Senats entschieden hat, ist Art. 5 Nr. 1 EuInsVO dahingehend auszulegen, dass auch solche dinglich ausgestalteten öffentlichen Lasten unter den Begriff des dinglichen Rechts fallen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804). Weder die steuerrechtliche Natur der Forderungen noch deren Entstehung ipso iure (vgl. hierzu auch EuGH, Urteil vom 16. April 2015, Lutz, C-557/13, EU:C:2015:227 Rn. 27 f.) stehen dieser Einordnung entgegen.

c) Die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sind auch im Übrigen gegeben. Insbesondere entstand die öffentliche Last jedenfalls überwiegend vor der Eröffnung des „redressement judiciaire“ (vgl. zu dieser Voraussetzung Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1996, Nr. 96, abgedruckt u.a. in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren). Denn die Steuer entsteht gemäß § 9 Abs. 2 GrStG zu Beginn des Jahres; selbst wenn die auf die Zeit nach der Verfahrenseröffnung entfallenden Steuern kein dingliches Recht mehr begründen sollten, wären die Forderungen aus der Zeit vom 1. Oktober 2012 bis zum 5. Mai 2013 vor Verfahrenseröffnung entstanden.

3. Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin, der Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung sei dem französischen Insolvenzverwalter nicht bekanntgegeben worden. Ob eine solche Bekanntgabe erforderlich ist, richtet sich nach deutschem Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung (vgl. Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 15 Rn. 34.4 a.E.; BFHE 158, 310, hierzu BVerfG, KKZ 1991, 90).

4. Ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht bei der Beitreibung von Steuerschulden (anders als bei der Vollstreckung von Urteilen) nicht zu prüfen. Dies ist vielmehr Aufgabe der Finanzbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juli 1951 - V ZB 4/51, BGHZ 3, 140, 144 f.). Zuständige Behörde ist nach dem niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) die Gemeinde (§ 6 Abs. 1 NVwVG). Bestätigt diese - wie hier - in ihrem Antrag, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sind die Gerichte daran gebunden (§ 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 NVwVG). Insbesondere darf das Vollstreckungsgericht nicht prüfen, ob ein Duldungsbescheid gegen den ausländischen Insolvenzverwalter erforderlich und ob dieser ergangen ist (dazu MüKo-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 49 Rn. 53). Die Schuldnerin (bzw. der Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor den Finanzgerichten ergreifen (vgl. BFHE 152, 53; 158, 310).

5. Schließlich ist es unerheblich, dass die Anordnung nach Eröffnung des „redressement judiciaire“ der Schuldnerin und nicht dem Insolvenzverwalter zugestellt worden ist. Selbst wenn die Zustellung an den Insolvenzverwalter erforderlich sein sollte, stellt dies jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebung der Anordnung dar.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift ist hier anwendbar, weil sich die Parteien bei dem Streit um die Anordnung der Zwangsversteigerung wie in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 8).

Stresemann Kazele Brückner Hamdorf Weinland Vorinstanzen:

AG Burgwedel, Entscheidung vom 23.10.2013 - 6 K 16/13 LG Hannover, Entscheidung vom 07.02.2014 - 4 T 52/13 -

Wir stellen das Dokument etwas schmaler dar, um die Lesbarkeit zu erhöhen.

Bitte nutzen Sie nur das Original für den Druck des Dokuments.

Werbung

Urheber dieses Dokuments ist der Bundesgerichtshof. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.

▲ Anfang

Paragraphen in V ZB 41/14

Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit Paragraph
2 12 GrStG
2 49 InsO
2 351 InsO
1 77 AO
1 9 GrStG
1 335 InsO
1 97 ZPO
1 10 ZVG

Die aufgeführten Paragraphen wurden durch eine ausgeklügelte Software ermittelt.

Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass dabei auch falsche Kombinationen aus Paragraph und Gesetz ermittelt werden können.

Sollte ein Gesetz in Gänze übersehen worden sein, dann teilen Sie uns diesen Umstand bitte mit.

Sortiert nach dem Alphabet
Häufigkeit Paragraph
1 77 AO
1 9 GrStG
2 12 GrStG
2 49 InsO
1 335 InsO
2 351 InsO
1 97 ZPO
1 10 ZVG

Original von V ZB 41/14

Der nachfolgende Link führt Sie zum originalen Dokument. Aufgrund der technischen Natur des Internets ist es möglich, dass der Link zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir nicht alle Links einer ständigen Prüfung unterziehen können.

Öffnen

Bitte nutzen Sie möglichst das Original für den Druck des Dokuments.

Teilen von V ZB 41/14

Wenn Sie in einer E-Mail auf diese Entscheidung hinweisen möchten, dann können Sie diese komfortabel erstellen lassen, wenn Ihr Mail-Programm diese Option unterstützt. Alternativ können Sie den nachfolgenden Link in Ihre E-Mails und Webseiten einbauen:

Bitte nutzen Sie den Link in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Google+.

Das ist ein wirksames Mittel um mehr Menschen auf unsere Dienste aufmerksam zu machen.

Eine Dienstleistung von caselaw.de | Diese Datensammlung unterliegt der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 DE | Impressum