AnwZ (Brfg) 11/24
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 11/24 BESCHLUSS vom
30. Juli 2024 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache ECLI:DE:BGH:2024:300724BANWZ.BRFG.11.24.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, die Richterinnen Dr. Liebert und Ettl sowie die Rechtsanwälte Dr. Kau und Geßner am 30. Juli 2024 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 17. November 2023 verkündete Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.
Gründe: I.
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. In den Jahren 2013, 2014 und 2018 erhob die Staatsanwaltschaft Du. in drei Verfahren Anklage gegen den Kläger zum Amtsgericht - Schöffengericht, wo die drei Verfahren verbunden wurden. Der Kläger machte im Zeitraum von Juli 2014 bis Februar 2022 bei mehreren Gelegenheiten in diesem Strafverfahren unter Vorlage von Attesten und Gutachten geltend, in Folge einer Unfallverletzung aus dem Jahre 2014, bei der er eine schwere Gehirnerschütterung erlitten hatte, nicht verhandlungsfähig zu sein.
Nach vorheriger Anhörung des Klägers erließ die Beklagte mit Bescheid vom 23. Januar 2023 die Anordnung an den Kläger, binnen zwei Monaten ab Eintritt der Bestandskraft auf seine Kosten ein Gutachten des Dr. med. Dipl.-Psych.
B.
, Neuro-Centrum D.
, über seinen Gesundheitszustand vorzulegen, um zu klären, ob eine nicht nur vorübergehende Berufsunfähigkeit im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO vorliege. Auf die Vermutungswirkung des § 15 Abs. 3 BRAO wurde der Kläger hingewiesen.
Gegen den ihm am 31. Januar 2023 zugestellten Bescheid hat der Kläger Klage auf Aufhebung des Bescheids erhoben. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angefochtenen Urteils mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es.
a) Der Kläger führt aus, das Urteil des Anwaltsgerichtshofs sei rechtsfehlerhaft, weil nicht erkannt werde, dass die Anforderung eines Gutachtens "über Ihren Gesundheitszustand" eine viel zu weitgehende, umfassende und in keiner Weise eingeschränkte Gutachtenanordnung darstelle. Es werde weder eine konkrete Gesundheitsfrage aufgeworfen noch eine konkrete Erkrankung benannt, die im Hinblick auf die Frage der Berufsunfähigkeit geklärt werden solle. Es sei in keinster Weise geklärt, ob der Gutachter sein Gutachten nur zu den Problematiken erstatten solle, die aus Sicht der Kammer Anlass für die Begutachtung gegeben hätten, noch, ob und in welcher Weise der Gutachter zu eigenen Ermittlungen im Hinblick auf die Krankengeschichte berechtigt und der Kläger zu einer Mitwirkung hieran verpflichtet sei. Mehrfach vom Bundesverfassungsgericht anerkannt und im Hinblick auf Art. 12 GG bei der Auslegung von § 15 BRAO zwingend zu berücksichtigen sei, dass das grundrechtlich geschützte Gut der Berufsausübungsfreiheit nur in engen Grenzen, im Kernbereich, angetastet werden könne. Die Kammer gebe bei ihrer Gutachtenanforderung keinerlei Vorgaben dazu, wann denn aus ihrer Sicht eine Berufsunfähigkeit vorliegen solle. Vorliegend überlasse die Kammer dies vollständig und frei der Willkür des Gutachters.
b) Diese Rüge greift nicht durch. Der Anwaltsgerichtshof hat sowohl geprüft, ob die Anordnung der Beklagten auf hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür beruht, den Gesundheitszustand des Klägers überprüfen zu lassen, als auch sich damit beschäftigt, ob die Anordnung inhaltlich bestimmt ist. Beide Fragen hat er mit ausführlicher Begründung - mit der sich der Kläger nicht auseinandersetzt - bejaht. Der Anwaltsgerichtshof folgt dabei der Rechtsprechung des Senats.
aa) Die Vorschrift des § 15 BRAO mutet dem betroffenen Anwalt zu, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Die darin liegenden Beeinträchtigungen finden ihre Rechtfertigung im Schutz des Rechtsverkehrs vor Anwälten, die ihrer Aufgabe aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer nicht gewachsen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 27. März 2014 - AnwZ (Brfg) 57/13, juris Rn. 15 und vom
28. März 2013 - AnwZ (Brfg) 70/12, juris Rn. 6 mwN). Nach der Rechtsprechung des Senats muss die Anordnung auf hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür beruhen, den Gesundheitszustand des Rechtsanwalts überprüfen zu lassen (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2022 - AnwZ (Brfg) 16/21, juris Rn. 4). Eine Gutachtenanordnung muss erkennen lassen, mit welchen Fragen zum Gesundheitszustand des Rechtsanwalts sich der Gutachter befassen soll (Senat, Beschluss vom 22. November 2010 - AnwZ (B) 74/07, juris Rn. 12). Die Präzisierung der gesundheitlichen Störung ist entbehrlich, wenn die Begutachtung an ein konkretes tatsächliches Geschehen anknüpfen soll, das sich selbst erklärt und die anstehenden Fragen auch ohne zusätzliche Verbalisierung klar zutage treten lässt (Senat, Beschluss vom 22. November 2010 - AnwZ (B) 74/07, juris Rn. 13). Die Rechtsanwaltskammer braucht sich nicht auf einen bestimmten Erkrankungsverdacht festzulegen. Sie ist auch nicht gehalten, Fragen nach konkreter bezeichneten Krankheitsbildern zu stellen. Die ärztliche Einordnung und Bewertung der Verdachtsumstände ist Aufgabe des zu beauftragenden Arztes, nicht der Rechtsanwaltskammer (vgl. Senat, Beschluss vom 22. November 2010 - AnwZ (B) 74/07, juris Rn. 14). Eine solche Untersuchungsanordnung ist eine gesetzlich vorgesehene Maßnahme im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, da sie ihre Grundlage im staatlichen Recht hat und auf einem ausreichend bestimmten Gesetz beruht (vgl. zu den Anforderungen EGMR, NJW 2021, 3647 Rn. 48 ff.).
bb) Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs bewegt sich im Rahmen dieser Anforderungen. Eine Abweichung wird vom Kläger weder aufgezeigt noch ist sie ersichtlich.
(1) Der Anwaltsgerichtshof hat ausgeführt, dass Umstände vorliegen müssten, die darauf hindeuteten, dass der gesundheitliche Zustand des Betroffenen sich zugleich und in schwerwiegender Weise auf seine Fähigkeiten auswirke, die Belange seiner Mandanten noch sachgerecht und mit der gebotenen Sorgfalt wahrzunehmen. Der Anwaltsgerichtshof hat hierfür auf die im Bescheid der Beklagten einzeln aufgeführten und vom Kläger über die Jahre hinweg vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und Gutachten verwiesen. Der Kläger trage in der Klage selbst vor, er könne sich nur über eine Zeit von etwa einer halben Stunde konzentrieren. Diese sehr geringe Aufmerksamkeitsspanne bestätige den Verdacht der Berufsunfähigkeit des Klägers. Es wäre nur schwer hinnehmbar, wenn der Anwalt während eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Verhandlungstermins nach dreißig Minuten den Gesprächen nicht mehr mit der gebotenen Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit folgen könne. Dass der Kläger - nach seiner Argumentation - nur noch im Rahmen seiner Konzentrationsfähigkeit arbeiten könne und sich nicht überanstrenge, stärke den Verdacht der bestehenden Berufsunfähigkeit, weil die eigenverantwortliche inhaltliche Bearbeitung gerade auch komplizierter Fälle den Kernbereich der Berufsausübung darstelle.
(2) Der Anwaltsgerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gutachtenanordnung den Bestimmtheitsanforderungen des § 15 BRAO genügt. Insoweit hat er zutreffend ausgeführt, dass die Gutachtenanordnung an die zu den in ihrer Begründung einzeln aufgeführten Ziffern geschilderten Behauptungen der Verhandlungsunfähigkeit des Klägers und die dazu herangezogenen Erkrankungen bzw. Symptome anknüpft. So wird in Ziffer 4 und 11 beispielsweise ausgeführt, dass eine unfallbedingte Gesundheitsstörung vorliege, durch deren Auswirkung der Kläger nicht jederzeit den Grad der geistigen Freiheit und Klarheit besitze, anderen das verständlich zu machen, was er sagen wolle, und zu verstehen, was andere sagten. In Ziffer 12 ist Bezug genommen auf eine neuropsychologische Stellungnahme, wonach die Gesundheitsschädigung zu einer überproportional schnellen Abnahme der Konzentrationsfähigkeit in komplexen Anforderungssituationen, einer allgemein verringerten Ausdauer der Konzentration und Belastbarkeit über den Tagesverlauf hinweg, Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächtnisses und der kognitiven Flexibilität sowie einer Minderleistung in der visuell-räumlichen Explorationsfähigkeit führe.
(3) Der Anwaltsgerichtshof hat zudem ausgeführt, dass für den beauftragten Arzt hinreichend klar sei, dass zu klären sei, ob die in den vorliegenden ärztlichen Berichten geschilderte Erkrankung den Kläger nicht nur vorübergehend außer Stande setze, seinen Beruf als Rechtsanwalt ordnungsgemäß auszuüben. In dem Bescheid der Beklagten wird der Kläger ausdrücklich darum gebeten, dem Sachverständigen den Bescheid zu seiner Information vorzulegen. Dort ist auch die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO angegeben und es wird ausgeführt, dass ernsthafte Anhaltspunkte bestünden, dass das Vermögen des Klägers, einen Sachverhalt mit dem gebotenen Abstand zu beurteilen, die rechtlichen Interessen und Möglichkeiten seiner Mandanten zutreffend einzuschätzen und die Mandantschaft demgemäß sachgerecht zu beraten und zu vertreten, wesentlich herabgesetzt sei. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass der Gutachter willkürlich den Begriff der Berufsunfähigkeit bestimmen könnte.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN). Soweit der Kläger ausführt, dass die Frage, welche Anforderungen an den Umfang einer Begutachtung und darüber, wie weitgehend ein Gesundheitszustand ausgeforscht werden darf, von grundsätzlicher Bedeutung ist, ist diese bereits von der oben aufgeführten Rechtsprechung des Senats beantwortet worden.
III. 14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 194 Abs. 1 BRAO und § 52 Abs. 1 GKG.
Schoppmeyer Kau Liebert Geßner Vorinstanz: AGH Hamm, Entscheidung vom 17.11.2023 - 1 AGH 7/23 - Ettl