AK 32/24
BUNDESGERICHTSHOF AK 32/24 BESCHLUSS vom 4. April 2024 in dem Strafverfahren gegen alias:
wegen versuchter mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:040424BAK32.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers am 4. April 2024 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Koblenz übertragen.
Gründe:
I. 1 Der Angeklagte wurde am 20. September 2023 vorläufig festgenommen und befindet sich - zunächst - aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom 21. September 2023 (30 Gs 8278/23) seit diesem Tag in Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 22. September 2023 leitete der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“) ein und gab dieses an die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ab. Der Haftbefehl des Amtsgerichts wurde durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. September 2023 (OGs 56/23) ersetzt. Durch Beschluss des Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 1. März 2024 (1 St 6 OJs 16/23) wurde der Haftbefehl nach Anklageerhebung geändert, ergänzt und dem Angeklagten am selben Tag eröffnet. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe in der Zeit vom 28. Januar 2022 bis zum 20. September 2023 in P.
als Jugendlicher mit Verantwortungsreife in fünf Fällen einem vollziehbaren Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG zuwidergehandelt, davon in zwei Fällen tateinheitlich in einer Weise, die geeignet gewesen sei, den öffentlichen Frieden zu stören, durch Verbreiten eines Inhalts einen Mord oder einen Totschlag gebilligt sowie versucht, sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu beteiligen, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10,
oder § 12 VStGB) zu begehen, und zudem entgegen § 2 Abs. 3 WaffG in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.1 WaffG ein Springmesser mit einer seitlich aus dem Griff herausspringenden Klinge mit einer Klingenlänge von 9 cm besessen, strafbar gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 Alternative 2 VereinsG, § 140 Nr. 2 in Verbindung mit § 126 Abs. 1 Nr. 3, §§ 52, 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1,
§§ 22, 23 StGB, § 52 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.1 WaffG, §§ 1, 3 JGG, § 53 StGB.
Unter dem 10. Januar 2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz wegen dieser Taten Anklage beim Oberlandesgericht Koblenz erhoben. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts hat mit Beschluss vom 1. März 2024 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Gegenstand der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO, § 2 Abs. 2 JGG ist der vollzogene Haftbefehl des Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts vom 1. März 2024, der den Haftbefehl der Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts wegen derselben Tat geändert und ergänzt hat. Der in dem Haftbefehl vom 1. März 2024 zusätzlich enthaltene Vorwurf eines Verstoßes gegen das Waffengesetz hat keine neue Frist für die besondere Haftprüfung in Lauf gesetzt, weil er für sich allein die Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen vermöchte.
2. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl angelasteten Taten dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hatte seit 2010 bis zu seiner Tötung im Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Seitdem ernannte die Vereinigung mehrere neue Anführer, die ebenfalls getötet wurden. Zur Tatzeit wurde der IS ab August 2023 von Abu Hafs al Hashimi al Qurashi geführt.
Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Die Vereinigung setzte ihre Ziele durch offenen militärischen Bodenkampf im Irak und in Syrien sowie durch Sprengstoff- und Selbstmordanschläge, aber auch durch Entführungen, Erschießungen und spektakulär inszenierte, grausame Hinrichtungen durch. Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und errichtete einen Geheimdienstapparat; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch in Gegnerschaft zum IS stehender Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Verantwortung.
Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. In den Jahren 2013 und 2014 gelang es dem IS zudem, weite Teile im Norden und Osten Syriens unter seine Gewalt zu bringen.
Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Die irakischen Sicherheitskräfte erklärten im Dezember 2017 den Krieg gegen den IS für beendet, nachdem sie in einem letzten Schritt die Kontrolle von Gebieten an der syrischirakischen Grenze vollständig zurückerlangt hatten.
Auch in Syrien büßte der IS im Laufe des Jahres 2018 große Gebiete ein. Ende 2018 verblieb ihm nur noch ein kleines Territorium im Raum Baghouz in der Provinz Deir Ezzor, in das sich die IS-Kämpfer zurückziehen konnten. Am 9. Februar 2019 begann die finale Offensive der Syrian Democratic Forces (SDF) um den Ort Baghouz, wobei sie Luftunterstützung durch die Anti-IS-Koalition erhielten. Am 23. März 2019 kapitulierten dort die letzten IS-Kämpfer; tausende von ihnen sowie zehntausende Frauen und Kinder wurden in Gefängnissen und Lagern - etwa in Al-Hol oder Roj im Nordosten Syriens - interniert. Damit brach das territoriale Kalifat des IS mit quasi-staatlichen Strukturen zusammen. Weitere Rückschläge erlitt die Vereinigung durch die Tötung ihres Anführers Abu Bakr alBaghdadi und ihres offiziellen Sprechers in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 im Rahmen einer US-amerikanischen Militäraktion in der syrischen Provinz Idlib.
Trotz des Zusammenbruchs des Kalifats war der IS als militant-dschihadistische und international agierende Organisation nicht vollständig zerstört. Vielmehr verblieb die Vereinigung unter Aufrechterhaltung ihrer ideologischen Ausrichtung in der Folgezeit in ihrem Kerngebiet Syrien/Irak, insbesondere in der syrisch-irakischen Grenzregion sowie der syrischen Wüste. Auch passte sich der IS an die veränderten Rahmenbedingungen an: So benannte er kurz nach der Tötung der beiden Führungspersonen einen neuen Sprecher und einen neuen Emir, setzte seine Propagandatätigkeiten fort und operierte zunehmend aus dem Untergrund heraus. Schätzungen zufolge verfügt er im Kerngebiet weiterhin über 4.000 bis 6.000 aktive Kämpfer. In den Jahren 2019 bis 2021 verübte er mehrere tausend terroristische Anschläge in Syrien und im Irak in Form von Sturm- und Raketenangriffen sowie Selbstmord- und Sprengstoffanschlägen. Derartige militärische Operationen führte er auch in Somalia, Ägypten/Sinai, Jemen, Nigeria, Tschad und Burkina Faso aus. Daneben nahm er gezielt Tötungen und Hinrichtungen von Einzelpersonen wie beispielsweise sunnitischen Stammesältesten, Kämpfern des SDF und solchen des syrischen Regimes vor.
Mit der Ausrufung weltweiter Provinzen außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und fortwährender terroristischer Aktivitäten in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai, West- und Zentralafrika sowie in der Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan - dort agierend unter der Bezeichnung „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) - unterstreicht der IS seinen Anspruch, ein global agierender Akteur zu sein.
bb) Der Angeklagte kam als syrischer Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland. Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt, möglicherweise bereits vor seiner Einreise, begann er, sich religiös zu radikalisieren und Sympathien für den IS sowie dessen Anführer und für die von den Angehörigen der Organisation begangenen Kriegsverbrechen und Terroranschläge zu entwickeln.
Der Angeklagte verschaffte sich im Internet zahllose Bilder und Videos,
die grausame Tötungen von Gegnern und Gefangenen des IS zeigen, und speicherte diese auf seinen Kommunikationsendgeräten. Dabei gelang es dem Angeklagten auch, Zugriff auf den Online-Speicherort des IS „
“(
) zu erlangen, der von Angehörigen der Vereinigung nach dem Verlust der von ihr in Syrien und im Irak kontrollierten Gebiete im Jahr 2018 zur Bewahrung ihrer Propagandatätigkeit angelegt wurde und seitdem durch ihre Anhänger gepflegt wird. Die dort abgelegten Propagandavideos und Bilder lud er herunter, bearbeitete sie und unterlegte sie mit Texten und Tonspuren, die Aussagen führender IS-Mitglieder enthalten.
Der Angeklagte betrieb auf dem Internetnachrichtendienst Twitter die Accounts „@
“, „@
“, „@
“ und „@
“.
Die Accounts waren im Tatzeitraum öffentlich einsehbar und die zumeist arabischsprachigen Inhalte damit für eine Vielzahl von Personen wahrnehmbar. Im Einzelnen:
(1) Am 28. Januar 2022 veröffentlichte der Angeklagte auf dem Twitter- Account „@
“ eine Zeichnung, die eine männliche Person in typischer Kleidung der Angehörigen des IS zeigt. Über der rechten Schulter trägt die Person ein Sturmgewehr und hält in der rechten Hand eine schwarze Fahne, die in weißer Schrift den Text des islamischen Glaubensbekenntnisses enthält. Die zeichnerische Gestaltung der Fahne entspricht der durch den IS verwendeten Fahne, wobei das auf der Fahne des IS ebenfalls enthaltene sog. „Prophetensiegel“ aufgrund der zeichnerischen Darstellung nicht zu erkennen ist. Die Zeichnung kommentierte der Angeklagte mit den Worten „Ein Bild, das mir sehr gefällt (nichts für Transen)“.
(2) Am 29. Januar 2022 veröffentlichte der Angeklagte auf dem Profil „@ “ ein Bild einer in den von den kurdischen Milizen in Syrien verwendeten Farben Gelb, Grün und Rot gestalteten Toilettenpapierrolle. Auf dieser sind der Umriss Syriens und die Grenze zu den unter der militärischen Kontrolle kurdischer Milizen stehenden Gebiete Syriens markiert. Rechts neben der Papierrolle ist die Aufschrift „kurdische Milizen für den billigen Gebrauch“ angebracht. Dieses Bild kommentierte der Angeklagte mit den Worten „Das ist das, wozu die kurdischen Milizen für Qasad nach Ghuiran noch gut sind: Islamischer_Staat!“ Bei Ghuiran bzw. der Operation Ghuiran handelt es sich um den Angriff von Kämpfern des IS auf das unter kurdischer Kontrolle stehende Gefängnis Ghuiran in Hassaka im Januar 2022, mit dem dort inhaftierte Angehörige des IS aus kurdischer Haft befreit werden sollten. Aus dem Angriff entwickelten sich schwere Gefechte mit kurdischen Milizen, die sich über mehrere Tage hinzogen und auch auf kurdischer Seite zahlreiche Tote und Verletzte forderten.
(3) Am 29. Januar 2022 postete der Angeklagte auf dem Account „@ “ eine Grafik, die unter anderem Handschellen zeigt. Auf der Grafik ist der folgende Text enthalten:
„Gott ist groß Die Schlacht am Ghuiran Gefängnis. Acht Tage lang, zwischen dem 14. und 24. Dschumada al-Akhira (21.01.28.01.2022) 260 Getötete und Verletzt. 27 militärische Ziele vernichtet. Das Ziel war es, die Mauer des Gefängnisses niederzureißen und die muslimischen Gefangenen zu befreien.
Ablauf des Angriffs:
Es begann mit zwei Selbstmordattentätern. Es handelte sich um die Ausgereisten A.
und Ab.
. Sie fuhren mit zwei Autos, die mit Sprengstoff gefüllt waren, zum Tor und zu den Mauern des Gefängnisses und sprengten sich dort in die Luft. Danach folgte die Attacke der übrigen Selbstmordattentäter von vier verschiedenen Seiten aus.
‚Oh ihr Soldaten des Kalifats, zu den schlimmsten Dingen, die einem widerfahren können, zählen Gefängnisaufenthalte. (Gedenkt) eurer Brüder, (gedenkt) eurer Brüder. Seid entschlossen, sie zu befreien und reißt die Mauern ein. Zerstört ihre Fesseln. Das ist der Befehl und der Wille Eures Propheten - Gott segne ihn und schenke ihm Heil. Zögert nicht, sie zu befreien, auch wenn dabei Gewalt unausweichlich sein sollte. Zeigt keine Gnade gegenüber ihren Metzgern, Vernehmern, Richtern und allen Arschlöchern, die ihnen Unrecht getan haben.‘
Schaykh Abu Bakr al-Baghdadi, Gott empfange ihn.“
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(4) Auf dem Profil „@
“ gab der Angeklagte im April 2022 an
„Wir bringen euch Nachrichten, die die meisten bekannten Medien nicht zeigen könnten ... Wahre Nachrichten ohne Fälschung und ohne Manipulation ... Nachrichten, die nicht die Tragödien der Muslime berichten, sondern über Stärke und Errungenschaften der Muslime ...“
Es folgen: „Ortsangabe: Der Islamische Staat“ sowie ein Herz-Emoji.
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(5) Am 16. April 2022 griff der Angeklagte auf dem Profil „@
“
einen anderen Twitter-Nutzer verbal an, der den IS kritisiert und geäußert hatte,
man könne nicht weiter schweigen über die Mörder, die ihre Taten für Gottes Gesetz halten. Er erwiderte, diese Personen würden das Gesetz Gottes befolgen. Und weiter: „Wir sind die Mörder von Gottes Feinden, wir sind die Mörder der Amerikaner und die Mörder der Ablehner. Und darauf bin ich sehr stolz, weil die Feinde vertragsbrüchig und gewissenlos sind.“
cc) Spätestens ab dem 9. Juli 2023 nahm der Angeklagte über Internetnachrichtendienste Kontakt zu Personen auf, von denen er annahm, diese seien Mitglieder des IS. Dabei handelte der Angeklagte in der Absicht, sich der Vereinigung ebenfalls als Mitglied anzuschließen, in die Organisation einzugliedern, ihrer Befehlsgewalt zu unterstellen und mitgliedschaftlich an ihr zu beteiligen. Er hegte den Wunsch, schnellstmöglich im Namen des IS ein Attentat zu begehen und als Märtyrer zu sterben.
So erkundigte sich der Angeklagte bei einem unbekannten Nutzer des Internetnachrichtendiensts Vidogram am 9. Juli 2023 danach, ob sein Treuegelöbnis, das seine Arbeit betreffe, veröffentlicht werde. Als der Chatpartner mitteilte, dass dies von der „Art der Arbeit“ und weiter davon abhänge, ob das Treuegelöbnis verschlüsselt sei, erwiderte der Angeklagte in Bezug auf die „Art der Arbeit“, die er erbringen wolle, „Martyrium mit Allahs Erlaubnis“.
Zudem nahm er am 5. August 2023 Kontakt zu einem weiteren, bislang nicht identifizierten Nutzer des Internetnachrichtendiensts Vidogram auf. Hierbei nannte sich der Angeklagte „
“ und gab an, er wolle seine vorherige Tä- tigkeit wiederaufnehmen. Parallel hierzu übermittelte er eine frühere Nachricht dieses Chatpartners mit einem Code. Am 7. August 2023 erhielt der Angeklagte von dem unbekannten Chatpartner die Aufforderung, seinen Treueschwur zu übermitteln, woraufhin der Angeklagte einen Treueeid auf den seit Anfang August amtierenden aktuellen Anführer des IS „Abu Hafs“ übersandte. Daraufhin erhielt der Angeklagte eine Codemitteilung und eine Gebrauchsanweisung.
Ob es sich bei beiden Vidogram-Nutzern um Angehörige des IS handelte, ist nicht geklärt, da eine Identifizierung bislang nicht möglich war.
In der Folge nahm der Angeklagte über den Internetnachrichtendienst Vidogram Kontakt zu anderen Nutzern des Messengers auf, von denen er annahm, dass diese ebenfalls Mitglieder oder Unterstützer des IS sind. Dabei gab er sich selbst als Angehöriger des IS aus. Auf Aufforderung eines seiner Chatpartner bearbeitete er in der Folgezeit aus dem Internet heruntergeladene Videos und Bilder des IS, unterlegte sie mit Text- und Tonspuren, die Aussagen führender IS-Mitglieder enthalten, und übermittelte sie dem Chatpartner mit dem Ziel der weiteren Verbreitung.
Wegen der Inhalte der Textnachrichten im Einzelnen wird auf deren Darstellung in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. September 2023 (unter I. 1. b)) Bezug genommen.
Auf einem sichergestellten Tablet-Computer des Angeklagten befand sich eine Anleitung zur Herstellung eines Sprengsatzes.
dd) Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt nach dem 24. August 2023 verschaffte sich der Angeklagte ein Springmesser mit einer seitlich herausspringenden Klinge von 9 cm Länge. Das Messer wurde am 20. September 2023 in seinem Zimmer unter dem Nachttisch aufgefunden. Dem Angeklagten war bekannt, dass es sich bei dem Messer um einen Gegenstand handelt, dessen Besitz nach dem Waffengesetz verboten ist.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
aa) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung „Islamischer Staat“ beruht er auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie auf verschiedenen polizeilichen Auswerteberichten.
bb) Zu den Tatvorwürfen hat sich der Angeklagte bislang nicht im Einzelnen eingelassen. Sein Verteidiger hat mit Schreiben vom 5. September 2023 mitgeteilt, dass der Angeklagte nicht hinter den Bildern und Texten stehe und die Inhalte der Texte nicht selbst billige. In einem weiteren Schreiben vom 12. März 2024 hat der Verteidiger zudem ausgeführt, dass der Angeklagte sich nicht von radikalen, terroristischen Ideen abkehre oder abwenden wolle, er solche vielmehr nie innerlich getragen habe.
Der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten ergibt sich aus einer Behördenerklärung der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz nebst Screenshots von Veröffentlichungen auf den von dem Angeklagten genutzten Accounts, aus der Auswertung der bei den Durchsuchungen am 24. August 2023 und 20. September 2023 sichergestellten Asservaten, Auswertevermerken des Landeskriminalamts RheinlandPfalz sowie - hinsichtlich des Vorwurfs der versuchten mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung maßgeblich - aus Telekommunikationsinhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Haftbefehle vom 29. September 2023 und vom 1. März 2024 sowie die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz (S. 44 bis 69) und die dort jeweils angeführten Nachweise aus der Sachakte Bezug genommen.
Dass der Angeklagte seine Äußerungen, sich als Kämpfer oder Märtyrer für den IS zu betätigen, mit großer Wahrscheinlichkeit ernst meinte, ergibt sich unter anderem aus der auf einem Tablet gespeicherten Anleitung zur Herstellung eines Sprengsatzes, auch wenn mit dieser ein funktionstüchtiger Sprengsatz mit Detonationswirkung nicht hergestellt werden konnte.
c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter II. 2. a) geschilderte Sachverhalt im Haftbefehl vom 1. März 2024 zutreffend gewürdigt. Im Einzelnen:
aa) Der unter Gliederungspunkt II. 2. a) bb) geschilderte Sachverhalt ist richtigerweise dahin gewertet, dass der Angeklagte in fünf Fällen einer Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot, davon in zwei Fällen tateinheitlich dazu der Billigung von Straftaten, dringend verdächtig ist (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG, § 140 Nr. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 3, §§ 52, 53 StGB).
(1) Mit Verfügung vom 12. September 2014 verbot das Bundesministerium des Innern gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 und § 18 Satz 2 VereinsG die Betätigung der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ im Ausland - als ausländischer Verein ohne Organisation oder Sitz im Inland - im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes und ordnete die sofortige Vollziehung an.
(2) Für die Strafbarkeit eines nicht mitgliedschaftlich und auch sonst nicht organisatorisch in den mit dem Betätigungsverbot belegten Verein eingebundenen Dritten nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 18 Satz 2 VereinsG gilt:
(a) Im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handelt einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG auch ein solcher Außenstehender zuwider, wenn sein Verhalten auf die verbotene Vereinstätigkeit bezogen und dieser förderlich ist. Hierfür genügt es, dass das Täterhandeln konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen; auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens kommt es nicht an. In Betracht kommen insbesondere auch unterstützende Handlungen im Bereich verbotener Propaganda, so etwa das Skandieren von Parolen während einer Kundgebung, die auf den Verein bezogen sind, oder die Teilnahme an einer Demonstration, aus der heraus für die Ziele des Vereins agitiert wird, an einer für diesen werbenden Plakatklebeaktion oder an einer Solidarisierungskampagne mittels massenhafter Selbstbezichtigungserklärungen.
Die Tätigkeit des Dritten muss im Bereich der Propaganda Außenwirkung in dem Sinne erlangen, dass seine eigene werbende Tätigkeit irgendwie nach außen hervortritt oder er einen nach außen wirksamen Beitrag zu der von anderen organisierten Propagierung der Ideen und Parolen des Vereins leistet.
(b) Darüber hinaus verlangt § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG, dass das Handeln des Außenstehenden (wie auch des organisatorisch Eingebundenen) eine gewisse Erheblichkeitsschwelle dergestalt überschreitet, dass es unter dem Gesichtspunkt der Gründe des Betätigungsverbots bedeutsam ist (so insgesamt BGH, Urteil vom 13. Juni 2019 - 3 StR 133/19, NStZ 2020, 362 Rn. 9-12).
(2) Gemessen daran, ist die Würdigung im Haftbefehl, der Angeklagte habe sich im Inland für den IS betätigt, zutreffend. Der Angeklagte übte als Außenstehender Propagandatätigkeiten für den IS aus und tat seine eigene werbende Meinung in allen fünf Fällen kund.
In den unter Gliederungsziffer II. 2. a) bb) (2) und (3) genannten Fällen ist tateinheitlich zu der Zuwiderhandlung gegen das Vereinsgesetz der dringende Tatverdacht einer Straftat nach § 140 Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben. In beiden Veröffentlichungen verherrlichte der Angeklagte die bewaffneten Angriffe des IS auf das Gefängnis in Hassaka und die in diesem Zusammenhang begangenen Tötungsdelikte zum Nachteil kurdischer Milizen. Er erklärte in seinen Beiträgen die Zustimmung zu den Taten und billigte diese.
Die Beiträge waren zudem geeignet, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören. Öffentlicher Friede ist ein Zustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie das begründete Vertrauen der Staatsbürger in die Fortdauer dieses Zustands (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1987 - 4 StR 55/87, BGHSt 34, 329, 331; Beschluss vom 19. Mai 2010 - 1 StR 148/10, NStZ 2010, 570; SSW-StGB/ Geneuss, 6. Aufl., § 140 Rn. 14). Die Äußerungen hatten das Potenzial, (auch) in Deutschland die Furcht vor weiteren Angriffen und Anschlägen von Anhängern des IS zu fördern, zumal bei den in Deutschland lebenden Kurden. Dies gilt besonders für den zweiten Beitrag, in dem explizit zur Befreiung muslimischer Gefangener aufgerufen wurde, „auch wenn dabei Gewalt unausweichlich sein sollte“ (vgl. zum Erfordernis einer kriminogenen Inlandswirkung bei Billigung von ausländischen Straftaten BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 435/16, NStZ 2017, 699, 700).
bb) Der unter Gliederungspunkt II. 2. a) cc) geschilderte Sachverhalt ist zutreffend dahin gewertet, dass der Angeklagte zudem der versuchten mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig ist (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, §§ 22, 23 StGB).
Der Versuch der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist gemäß § 129a Abs. 1, § 129b Satz 1, § 12 Abs. 1, § 23 Abs. 1 StGB strafbar.
Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung setzt zum einen eine gewisse einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation (die Mitgliedschaft), zum anderen eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele (die Beteiligungshandlungen) voraus (zu den insoweit nach st. Rspr. anzulegenden Maßstäben s. BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 28 ff. mwN). Eine mitgliedschaftliche Beteiligung eines in Deutschland lebenden Täters an einer Vereinigung im Ausland ist nach den allgemeinen Maßstäben möglich (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 84).
Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne von § 22 StGB liegt bei Handlungen vor, die nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert sind und im Falle ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2020 - 4 StR 397/19, NStZ 2020, 353, 354; vom 28. April 2020 - 5 StR 15/20, BGHSt 65, 15 Rn. 4 jeweils mwN). Eine versuchte mitgliedschaftliche Beteiligung kann in Betracht kommen bei einem Eintritt in eine terroristische Vereinigung, wenn es wegen des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden zu mitgliedschaftlichen Tätigkeiten nicht mehr gekommen ist (vgl. LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129a Rn. 113).
Das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten ist in diesem Sinne als unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes zu werten. Die Gesamtwürdigung der festgestellten Aktivitäten des Angeklagten ergibt, dass er bereits die Vorstellung hatte, den IS nicht nur von außen zu unterstützen, sondern nach Eingliederung in die Organisation in Unterwerfung unter die Befehlsgewalt des IS und in Ausführung der von einem anderen IS-Mitglied übermittelten Anweisungen in Deutschland für die Vereinigung tätig zu sein. Der Angeklagte leistete einen Treueeid gegenüber einer Person, den er als Mitglied des IS ansah. Er gab ferner in einem Chat an, zur „Brigade“ zu gehören und damit Mitglied der Vereinigung zu sein. Überdies entfaltete der Angeklagte auf Aufforderung eines Chatpartners, den er ebenfalls für ein Mitglied des IS hielt, Tätigkeiten im Sinne des IS, indem er aus vorhandenem Video- und Bildmaterial neues IS-Propagandamaterial in Form von Videos und Texten erstellte und dem Chatpartner übersandte, damit diese verbreitet werden. Eine Strafbarkeit wegen vollendeter mitgliedschaftlicher Beteiligung ist nur deshalb nicht gegeben, weil aufgrund der bisherigen Beweislage nicht im Sinne eines dringenden Tatverdachts festgestellt werden kann, dass die Gesprächspartner des Angeklagten zur Entgegennahme von Erklärungen durch den IS ermächtigt bzw. ihrerseits für den IS tätig waren.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des IS vor. Deutsches Strafrecht ist nach § 3 Abs. 1 und § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB anwendbar.
cc) Der unter Gliederungspunkt II. 2. a) dd) geschilderte Sachverhalt ist zutreffend dahin gewertet, dass der Angeklagte überdies des Besitzes eines verbotenen Gegenstandes (Springmesser) dringend verdächtig ist (§ 52 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.1 WaffG).
dd) Ausweislich des vorläufigen schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. S.
ist der Angeklagte, der zu den Tatzeiten Jugendlicher war, strafrechtlich verantwortlich, da er im genannten Zeitraum die sittliche und geistige Entwicklungsreife besaß, das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§§ 1, 3 JGG).
3. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität.
a) Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Jugendstrafe zu rechnen. Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
aa) Der Angeklagte hat in seinen Chatnachrichten geäußert, nach Möglichkeit nach Syrien, wo seine Schwester lebt, ausreisen und dort in den bewaffneten Kampf ziehen zu wollen. Einer Behördenerklärung der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz zufolge erkundigte sich der Angeklagte in einem Reisebüro bereits nach Flugverbindungen nach Syrien.
bb) Dem Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Eine tragfähige soziale Einbindung des Angeklagten im Bun- desgebiet besteht nicht. Aufgrund der Ermittlungen besteht Grund zu der Annahme, dass er den sozialen Zusammenhalt zu seiner Familie verloren hat. Aus Textnachrichten sowie einer Behördenerklärung der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz ergibt sich, dass die Eltern des Angeklagten keinen Einfluss mehr auf diesen ausüben können und die Mutter befürchtet, er könnte sie töten. Über weitere soziale Bindungen verfügt der Angeklagte nicht.
b) Die zu würdigenden Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) ebenso auf den dort geregelten Haftgrund gestützt werden kann.
4. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder andere Maßnahmen (§ 72 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 4, § 71 JGG) sind nicht geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft in gleicher Weise zu erfüllen. Der Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 71 Abs. 2 JGG oder eine mit Auflagen nach § 116 StPO, § 2 Abs. 2 JGG verbundene Haftverschonung kommen nicht in Betracht. Wie der Staatsschutzsenat zutreffend ausgeführt hat, scheiden solche Maßnahmen vor dem Hintergrund der sich aus den bisherigen Ermittlungen ergebenden Chatinhalte und der übermittelten Videos und Bilder, die eine erhebliche Gewaltaffinität des Angeklagten zeigen, seiner erklärten Bereitschaft, als Selbstmordattentäter sterben zu wollen, und des Umstandes, dass er über ein verbotenes Messer verfügt, derzeit aus. Heime der Jugendhilfe sind zudem nicht in gleicher Weise fluchtsicher wie Jugendhaftanstalten.
5. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen mit der Auswertung zahlreicher Telekommunikationsgeräte mit einer Vielzahl von Chat-, Video- und Bilddateien haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Ermittlungsverfahren ist mit der in Jugendhaftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Die Anklage ist im Januar 2024 erhoben, dem Angeklagten und seinem Verteidiger zugestellt und übersetzt worden. Der Staatsschutzsenat hat mit Beschluss vom 1. März 2024 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit Verfügung vom 12. März 2024 hat die Vorsitzende des Senats Termin zum Beginn der Hauptverhandlung auf den 12. April 2024 bestimmt und weitere Termine zur Fortsetzung der Hauptverhandlung anberaumt.
6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Berg Hohoff Anstötz