1 StR 537/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 537/24 BESCHLUSS vom 4. Februar 2025 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:040225B1STR537.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 4. Februar 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2024 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe: 1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Jedoch hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts gehörten der Angeklagte und der Geschädigte zwei aus dem Großraum S.
stammenden rivalisierenden Gruppen an, zwischen denen es in der Vergangenheit zu wiederkehrenden gewaltsamen Auseinandersetzungen – zuletzt verstärkt unter Schusswaffengebrauch – gekommen war. Die Trauerfeier vom 9. Juni 2023 zu Ehren eines Mitglieds der Gruppe, der auch der Angeklagte zugehörig war, nahm der insoweit rechtskräftig Verurteilte K.
zum Anlass, als Angriff gegen die gegnerische Gruppe eine Handgranate des Typs M75 in Richtung auf die mindestens 350 Personen – darunter auch der Angeklagte – umfassende Trauergemeinde zu werfen. Da der Sprengkörper zunächst in einem Ast hängenblieb und sodann auf einem Fußweg detonierte, wurden 15 Personen verletzt. Der vom Tatort flüchtende Geschädigte wurde von den Mitgliedern der dem Verstorbenen zuzuordnenden Gruppe als Täter identifiziert und von 20 bis 30 Personen verfolgt. Als er sich in ein wartendes Taxi geflüchtet hatte, wurde dieses umstellt, der Fahrer zum Öffnen der Zentralverriegelung gezwungen und der im Fahrzeug sitzende K.
durch Fußtritte malträtiert. Um den übrigen Verfolgern zu ermöglichen, den Geschädigten aus dem Taxi zu zerren sowie mit weiteren Tritten und Schlägen zu verletzen, löste der Angeklagte gewaltsam die Hände des K. , der sich zu seinem Schutz an einer Kopfstütze festhielt. Als der Geschädigte vor dem Fahrzeug auf dem Boden lag, wurden ihm weitere Fußtritte versetzt; mindestens einer davon wurde von dem Angeklagten ausgeführt. Der Angeklagte rechnete dabei mit der Möglichkeit, dass der Geschädigte durch die hervorgerufenen Verletzungen versterben könnte, und nahm dies billigend in Kauf. Aufgrund des schnellen Eingreifens von Polizei und Rettungskräften konnte K. , der sich aufgrund der ihm zugefügten schweren Verletzungen in Lebensgefahr befand, gerettet werden.
Das Landgericht hat seiner Bemessung der Strafe den nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB zugrundegelegt. Einen minder schweren Fall nach § 213 erste Alternative StGB hat es verneint, weil „der Tat [zwar] unmittelbar ein schweres Gewaltverbrechen seitens des hier Geschädigten voraus [gegangen sei], durch das aber weder der Angeklagte selbst noch einer seiner nahen Angehörigen verletzt“ worden sei.
b) Die Strafkammer hat dabei einen falschen rechtlichen Maßstab betreffend das Merkmal „zugefügte Mißhandlung“ zugrundegelegt.
aa) „Zugefügte Mißhandlung“ im Sinne des § 213 erste Alternative StGB ist nicht im technischen Sinne der Tatbestände des Strafgesetzbuchs zu verstehen. Für die Annahme einer dem Täter von dem Tatopfer zugefügten Misshandlung ist deshalb nicht erforderlich, dass diese vollendet wurde und einen tatbestandlichen Erfolg im Sinne des § 223 StGB herbeigeführt hat. Als Misshandlungen können sich nicht nur körperliche Beeinträchtigungen darstellen; in Betracht kommen auch seelische Misshandlungen. Eine solche kann je nach den Umständen – insbesondere der Gefährlichkeit der Bedrohung – auch in einem fehlgeschlagenen Angriff auf Leib oder Leben liegen. Entscheidend für die Anwendung des § 213 erste Alternative StGB kann bei einer am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung nicht sein, ob das körperliche Wohlbefinden des Täters durch eine Misshandlung mehr als unerheblich beeinträchtigt worden ist oder ihm Verletzungen zugefügt worden sind. Maßgeblich ist vielmehr, ob die zugefügte Misshandlung oder Beleidigung von dem Gewicht war, dass sie „eine gegen das Leben gerichtete Jähtat als verständliche Reaktion erscheinen“ lässt (BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2021 – 1 StR 123/21, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 6 Rn. 6 und vom 9. Februar 1995 – 4 StR 37/95 Rn. 8, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; jeweils mwN).
bb) Mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte unter den Trauergästen befand, denen der misslungene Anschlag des Geschädigten galt, ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des zutreffenden rechtlichen Maßstabs einen minder schweren Fall nach § 213 erste Alternative StGB angenommen hätte.
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch können bestehen bleiben, da es sich um einen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Jäger Wimmer Bär Leplow Welnhofer-Zeitler Vorinstanz: Landgericht Stuttgart, 18.07.2024 - 1 Ks 202 Js 73913/23