VII ZB 36/21
BUNDESGERICHTSHOF VII ZB 36/21 BESCHLUSS vom 20. April 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:200422BVIIZB36.21.0 Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. April 2022 durch den Vorsitzenden Richter Pamp sowie die Richterinnen Sacher, Borris, Dr. Brenneisen und Dr. C. Fischer beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 28. April 2021 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Gegenstandswert: bis 25.000 €
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem im Januar 2014 bei einem Autohaus erworbenen Pkw Mercedes Benz Typ B 180 CDI BE in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Motor des Typs OM 651 ausgestattet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO genüge. Das Landgericht habe die Klage abgewiesen, weil die Behauptung der Klägerin, ihr Fahrzeug sei mit einer gesetzeswidrigen und manipulativen Motorsteuerungssoftware ausgestattet, eine Behauptung "ins Blaue hinein" darstelle. Konkrete Erkenntnisse zu der in dem Motor eingesetzten Software seien nicht vorgetragen worden. Das Fahrzeug habe keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) unterlegen und auch aus der von der Klägerin vorgelegten "Recall-Liste" folge nicht,
dass das Fahrzeug von einem Rückruf der Beklagten betroffen sei. Der Umstand, dass andere Fahrzeuge, bei denen der Motor OM 651 verbaut sei, von einem Rückruf betroffen seien, führe zu keiner anderen Bewertung. Auf diese Erwägungen sei die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung nicht konkret eingegangen. Der Verweis auf erstinstanzlichen Vortrag sei ebenso wenig ausreichend wie der Hinweis auf zwei landgerichtliche Entscheidungen. Die Klägerin stelle keinen Bezug zum Streitfall und seiner Beurteilung durch das Landgericht her.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin weder in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in dem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung der Klägerin entspreche inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung, ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu beanstanden.
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Juni 2021 - VII ZB 4/21 Rn. 10, juris; Beschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19 Rn. 5 f. m.w.N., NJW-RR 2020, 503).
b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin nicht gerecht.
aa) Das Landgericht hat seine Auffassung, wonach der klägerische Vortrag zum Vorliegen einer gesetzeswidrigen und manipulativen Motorsteuerungssoftware in dem Fahrzeug "ins Blaue hinein" erfolgt sei, insbesondere damit begründet, dass das Fahrzeug weder von einem Rückruf durch das KBA noch von einer Rückrufaktion der Beklagten selbst betroffen sei. Wegen der differenzierten Vorgehensweise des KBA, das nur einzelne mit dem Motor OM 651 ausgestattete Fahrzeugmodelle aus einzelnen Produktionszeiträumen zurückgerufen habe, zu denen das streitgegenständliche Fahrzeug offensichtlich nicht gehöre, folge aus der Tatsache, dass im klägerischen Fahrzeug dieser Motor verbaut sei, gerade nicht, dass er mit einer entsprechenden Manipulationssoftware ausgestattet sei.
bb) Diesen Erwägungen des Landgerichts ist die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung nicht entgegengetreten. Die Klägerin hat allein bereits erstinstanzlich gehaltenen und vom Landgericht beschiedenen Vortrag wiederholt, ohne konkret aufzuzeigen, weshalb die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft sein sollen. Sie hat lediglich darauf verwiesen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug den Motor OM 651 aufweise, der ausweislich der Rückrufaktion der Beklagten vom Dieselskandal betroffen sei. Die Berufungsbegründung greift damit weder die Feststellung des Landgerichts an, das Fahrzeug der Klägerin sei nicht von einem Rückruf durch das KBA betroffen, noch stellt sie in Abrede, dass das Fahrzeug auf der von der Berufungsbegründung erneut angeführten "Diesel Recall Mercedes-Benz"-Liste der Beklagten nicht aufgeführt ist. Dies stellt keine nach § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO notwendige vertiefte, aus sich heraus verständliche und Zweifel gegenüber dem Ersturteil begründende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil dar (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 19. Aufl., § 520 Rn. 34; Göertz in Anders/Gehle, 80. Aufl., § 520 Rn. 34). Genausowenig hat sie Umstände dargelegt, aus denen im Sinne des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO auf eine rechtlich fehlerhafte Bewertung ihres Vortrags durch das Landgericht als "ins Blaue hinein" und damit als unschlüssig geschlossen werden könnte. Mit dem Argument des Landgerichts, im Hinblick auf die differenzierte Rückrufpraxis des KBA beim OM 651 spreche allein die Ausstattung des Klägerfahrzeugs mit dem OM 651 gerade nicht für eine unzulässige Abschalteinrichtung, setzt sie sich nicht auseinander. Dazu reicht allein der Hinweis darauf, dass das Klägerfahrzeug im Straßenbetrieb einen erhöhten NOx-Ausstoß aufweise, nicht.
cc) Soweit die Klägerin daneben pauschal auf erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen hat, reicht dies für eine zulässige Berufungsbegründung nicht aus (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Juni 2021 - VII ZB 4/21 Rn. 10 m.w.N., juris). Gleiches gilt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, für die Bezugnahme auf Urteile der Landgerichte Hanau und Stuttgart. Zwar kann die Inbezugnahme einer anderen Entscheidung für eine Begründung der Berufung genügen. Erforderlich ist aber, dass es sich um ein im Wesentlichen sachverhaltsgleiches Parallelverfahren handelt, in dem alle Fragen, mit denen sich das Gericht in der vom Berufungsführer angegriffenen Entscheidung zu seinem Nachteil auseinandergesetzt hat, behandelt und im Sinne der klägerischen Argumentation entschieden werden (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2021 - VII ZB 4/21 Rn. 12, juris; BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 7/20 Rn. 10, NJW 2020, 3728). Dies hat die Berufungsbegründung der Klägerin nicht ansatzweise dargelegt. Es lässt sich nicht erkennen, ob und inwieweit sich die Argumentation der in Bezug genommenen Entscheidung auf die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung bezieht und damit überhaupt geeignet ist, diese infrage zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11, juris Rn. 15). Soweit in der Berufungsbegründung Teile dieser Entscheidungen wörtlich wiedergegeben worden sind, ist dies ohne erkennbaren Bezug zu den die Klageabweisung tragenden Erwägungen des Landgerichts erfolgt.
c) Die in der Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts enthaltenen weitergehenden Ausführungen sind nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) erfolgt und bereits deshalb nicht geeignet, die inhaltlichen Mängel der Berufungsbegründung zu heilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - III ZB 50/20 Rn. 28 m.w.N., MDR 2022, 267).
Pamp Brenneisen Sacher C. Fischer Borris Vorinstanzen: LG Aachen, Entscheidung vom 19.08.2019 - 11 O 48/19 OLG Köln, Entscheidung vom 28.04.2021 - 11 U 223/19 -