4 StR 37/25
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 37/25 URTEIL vom 31. Juli 2025 in der Strafsache gegen wegen versuchter schwerer Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2025:310725U4STR37.25.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2025, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Sturm, Dr. Scheuß, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Momsen-Pflanz, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Gödicke als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
‒ in der Verhandlung ‒
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 11. Oktober 2024 aufgehoben a) im Fall II. 2. d. der Urteilsgründe mit den Feststellungen zur inneren Tatseite, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Schuldspruch im Fall II. 2. d. der Urteilsgründe und den Gesamtstrafenausspruch beschränkten Rechtsmittel, mit dem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, beanstandet ECLI:DE:BGH:2025:310725U4STR37.25.0 die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte insoweit nicht auch wegen versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt worden ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Soweit hier von Bedeutung, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte ist Mitglied der größten Ultra-Gruppierung der K.
Fußballfanszene. Gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern machte er sich am
11. November 2023 in einem Vereinsbus auf den Weg zu einer Fußballbegegnung des gegen den im R. stadion, die seitens der eingesetzten Polizeibeamten als Hochrisikospiel eingestuft wurde. Zur Unterstützung der vor Ort eingesetzten Ordnungskräfte waren Polizeibeamte tätig, die einheitliche Einsatzkleidung trugen, zu der auch Helme, Sturmhauben und Schutzwesten gehörten.
a) Um 17:45 Uhr befand sich der Angeklagte am Eingangsbereich für Gästefans, wo er zunächst versuchte, oberhalb eines Absperrzauns stehend einen Polizeibeamten mit einem zielgerichteten Faustschlag zu treffen (Fall II. 2. a. der Urteilsgründe), sowie, einen Polizeibeamten mit einem über ein hüfthohes Absperrgitter geführten kräftigen Fußtritt zu treten (Fall II. 2. b.). Nachdem ein rechtzeitiger Einlass der K. Fans vor Spielbeginn nicht mehr gesichert erschien, machte sich auf entsprechende Aufforderung der Ultragruppierungen neben einer großen Anzahl weiterer frustrierter Gästefans auch der Angeklagte auf den Rückweg zu den Bussen. Gegen 18:41 Uhr befand er sich in dichtem Gedränge vor einer Kette von Polizeibeamten, als er plötzlich und unvermittelt vordrang und versuchte, Polizeibeamte mit Faustschlägen zu attackieren, bevor er seinen Rückweg fortsetzte (Fall II. 2. c.).
b) Auch auf ihrem weiteren Weg zu den Busparkplätzen wurden die Fans von Polizeikräften begleitet, die hierbei aus der Gruppe heraus mehrfach verbal und körperlich – durch das Werfen von Gegenständen wie einer Flasche oder Pyrotechnik – attackiert wurden.
aa) Um kurz nach 19:00 Uhr entzündete der durch vorausgegangenen Alkohol- und Kokainkonsum enthemmte, nicht aber in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beeinträchtigte Angeklagte eine knapp 200 Gramm wiegende Handsignalfackel und warf sie gezielt in Richtung der maximal 14 Meter entfernten polizeilichen Einsatzkräfte, um sie zu attackieren. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Flamme der Fackel eine so hohe Temperatur erreichen kann, dass ein auch nur kurzzeitiger Kontakt mit der Haut eines Menschen zu erheblichen Verbrennungen und Verletzungen führt, und im Fall des Aufpralls der funkensprühenden Fackel die Möglichkeit besteht, dass es durch die Funkenbildung bzw. einen Funkenschlag trotz polizeilicher Schutzausrüstung zu erheblichen Verletzungen umstehender Personen kommt. Solche Verletzungen nahm er jedenfalls billigend in Kauf. Auch dass nicht sämtliche Polizeibeamten während des Einsatzes ihr am Helm befindliches Schutzvisier dauerhaft schützend nach unten geklappt hatten, war ihm bewusst.
bb) Die von dem Angeklagten geworfene Fackel traf zunächst auf den Helm des Zeugen POK B.
. Durch den Aufprall wurde die Anzündladung der Fackel herausgeschlagen und es kam zu einem Funkenregen, den der Zeuge als einen sich um sein geschlossenes Visier legenden Feuerschwall wahrnahm.
Die abprallende Fackel traf sodann unmittelbar gegen das ebenfalls heruntergeklappte Schutzvisier des Zeugen POK J. , der dies in Form eines grellen Lichtes und einer erheblichen Hitzeentwicklung wahrnahm. Anschließend fiel die Fackel zu Boden. Der Angeklagte, der über keine weitere Fackel verfügte und auch erkannte, von den Polizeibeamten zu weit entfernt zu stehen, um noch anderweitig körperlich gegen diese vorzugehen, setzte daraufhin seinen Weg zu den Bussen fort. Die beiden Zeugen blieben unverletzt. Wäre ein Polizeibeamter mit nicht geschlossenem Schutzvisier getroffen worden, hätte dies bei unmittelbarem Auftreffen im Gesichtsbereich zu Verbrennungen der nicht durch eine feuerschutzhemmende Maske geschützten Augenpartie führen können wie auch zu Schädigungen an der Netzhaut. Ein Auftreffen der Fackel im ungeschützten Gesichtsbereich wäre potentiell lebensgefährlich gewesen, da derartige Brandverletzungen zu einem möglicherweise tödlichen Infektionsgeschehen führen.
cc) Dass dem Angeklagten bei seinem Wurf eine lebensgefährdende Behandlung bewusst war und er eine solche billigend in Kauf genommen hat, hat das Landgericht nicht angenommen. Dass der Angeklagte annahm, die Fackel werde sich an der Schutzausrüstung der Polizeibeamten verhaken und dort für längere Zeit mit entsprechender Verletzungsgefahr brennend verweilen, vermochte die Kammer ebenso wenig festzustellen. Schließlich vermochte sich die Strafkammer auch nicht davon zu überzeugen, dass dem Angeklagten bewusst war und er billigend in Kauf nahm, dass ein Treffer mit der Fackel zum Verlust des Sehvermögens führen oder den Getroffenen – etwa durch großflächige Verbrennungen oder auffällige Narben im Gesichtsbereich – in erheblicher Weise dauernd entstellen könnte.
2. Das Landgericht hat angenommen, dass sich der Angeklagte durch die Taten II. 2. a. bis c. der Urteilsgründe jeweils wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung gemäß § 114 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 52 StGB und durch die Tat Il. 2. d. der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1, Abs. 2, § 113 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB schuldig gemacht hat. Die Handsignalfackel stelle ein anderes gefährliches Werkzeug im Sinne der § 113 Abs. 2 Nr. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB dar. Ebenso wie bei seinen vorherigen Taten sei der Angeklagte auch hier vom Versuch des Körperverletzungsdelikts nicht strafbefreiend zurückgetreten, da der Versuch fehlgeschlagen sei.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist gemäß § 344 Abs. 1 StPO wirksam auf den Schuldspruch im Fall II. 2. d. der Urteilsgründe und, dies nach sich ziehend, auf die Aussprüche über die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe beschränkt.
In ihrer Revisionsbegründungsschrift hat die Beschwerdeführerin zwar einen unbeschränkten Aufhebungsantrag gestellt. Für rechtsfehlerhaft erachtet sie das Urteil aber allein deshalb, weil das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 2. d. nicht auch wegen einer tateinheitlich begangenen versuchten schweren Körperverletzung schuldig gesprochen hat. Bei dieser Sachlage ergibt die unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV vorzunehmende Auslegung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 – 4 StR 401/22 Rn. 18 mwN), dass die Beschwerdeführerin das Angriffsziel ihres Rechtsmittels nicht durch den Wortlaut ihres Revisionsantrags, sondern durch den Inhalt ihrer Revisionsbegründung bestimmen wollte. Diese Revisionsbeschränkung ist auch wirksam, weil die Strafkammer die vier abgeurteilten Taten zutreffend als im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehend bewertet hat (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 StR 277/09 Rn. 14).
III.
1. Der Schuldspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1, Abs. 2, § 113 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB im Fall II. 2. d. der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 und 3, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB mit einer rechtsfehlerhaften Begründung abgelehnt hat.
a) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Dabei hat es jedoch den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden. Naheliegende Schlussfolgerungen sind zu erörtern. Bei alldem ist das Tatgericht – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. September 2024 – 4 StR 115/24 Rn. 44 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in Bezug auf die Ablehnung eines auch auf eine schwere Körperverletzung gerichteten Tatentschlusses nicht gerecht. Die Strafkammer begnügt sich insoweit mit der bloßen Mitteilung, sie habe nicht feststellen können, dass dem Angeklagten „im Zeitpunkt des Wurfes der Fackel bewusst war oder er billigend in Kauf genommen hätte, dass eine Verletzung zu einem Verlust des Sehvermögens der getroffenen Person führen könnte oder zu derart großflächigen Verbrennungen, die zu einer erheblichen dauerhaften Entstellung der Person führen könnten“. Welche Umstände sie an dieser Überzeugung hindern, teilt die Strafkammer weder mit, noch liegen solche auf der Hand. Obschon es sich aufdrängte, bleibt vielmehr unerörtert, dass der Angeklagte nach den Feststellungen erkannt hatte, dass die Flamme eine so hohe Temperatur erreichen kann, dass es im Falle eines auch nur kurzzeitigen Kontaktes mit der Haut eines Menschen zu erheblichen Verbrennungen und Verletzungen kommen kann. Ebenso war dem Angeklagten nach den Feststellungen bewusst, dass im Falle des Aufpralls der brennenden Fackel trotz polizeilicher Schutzausrüstung die Möglichkeit erheblicher Verletzungen umstehender Personen durch Funkenbildung bzw. Funkenschlag bestand, die er billigend in Kauf nahm. Ebenfalls bewusst war ihm, dass nicht sämtliche Polizeibeamten ihr am Helm befindliches Schutzvisier während des Einsatzes dauerhaft nach unten geklappt hatten.
2. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs gerät auch die im Fall II. 2. d. verhängte Einzelstrafe in Wegfall, was der Gesamtstrafe die Grundlage entzieht. Die zugehörigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das neue Tatgericht im Rahmen seiner Kognitionspflicht stärker als bislang geschehen in den Blick zu nehmen haben wird, ob im Fall Il. 2. d. der Urteilsgründe auch der Tatbestand einer versuchten gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB verwirklicht worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2025 – 4 StR 52/24 Rn. 13, 17; Beschluss vom 16. Januar 2024 – 4 StR 428/23, NStZ-RR 2024, 125, 126; Urteil vom 27. Juli 2023 – 3 StR 509/22, NStZ-RR 2023, 367, 368; Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173; Urteil vom 12. Oktober 1989 ‒ 4 StR 318/89, BGHSt 36, 262, 265; Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; Urteil vom 29. Februar 1952 – 1 StR 767/51, BGHSt 2, 160, 163; RG, Urteil vom 19. Januar 1884 – Rep. 3007/83, RGSt 10, 1, 2 f.).
Sollte das neue Tatgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 226 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB annehmen, wird es auf konkurrenzrechtlicher Ebene zu beachten haben, dass der Versuch der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 StGB) zwar zur versuchten gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) in Tateinheit steht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2023 – 2 StR 126/23; Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23, 24), zur gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) aber nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich im Fall von deren Vollendung (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1966 – 1 StR 450/66 Rn. 11 f.; Urteil vom 7. Februar 1967 – 1 StR 640/66, BGHSt 21, 194, 196; kritisch demgegenüber, bislang aber nicht tragend, BGH, Urteil vom 10. April 2025 – 4 StR 495/24 Rn. 22; Beschluss vom 12. März 2025 – 4 StR 329/24 Rn. 8; Beschluss vom 20. Juni 2023 – 2 StR 126/23; Beschluss vom 9. Februar 2021
– 3 StR 382/20; Beschluss vom 13. April 2017 – 4 StR 59/17; Beschluss vom 14. März 2017 – 4 StR 646/16).
Quentin Momsen-Pflanz Sturm Scheuß Gödicke Vorinstanz: Landgericht Bochum, 11.10.2024 ‒ II-4 KLs 320 Js 196/24-8/24