XI ZR 139/16
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES XI ZR 139/16 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 24. Juli 2018 Herrwerth Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2018:240718UXIZR139.16.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 19. Juni 2018 eingereicht werden konnten, durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Maihold und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Derstadt und Dr. Dauber für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger - soweit nach dem Senatsbeschluss vom 10. April 2018 noch anhängig - wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Kläger hinsichtlich des Klageantrags zu 3) zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Mit ihrer noch anhängigen Revision nehmen die Kläger die Beklagte auf Erstattung einer "Vorfälligkeitsentschädigung" und vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten nach Widerruf ihrer auf den Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen in Anspruch.
Die Parteien schlossen im September/Oktober 2008 einen Darlehensvertrag über 110.000 € (Vertragsnummer
). Dem Darlehensvertrag war folgende Widerrufsbelehrung beigefügt:
Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 6. Januar 2014 widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags Nr. gerichteten Willenserklärungen.
Die Kläger lösten das Darlehen vorzeitig ab, wofür die Beklagte eine "Vorfälligkeitsentschädigung" in Höhe von 10.767,50 € in Rechnung stellte.
Die Kläger haben die Beklagte hinsichtlich anderer, zum Teil ebenfalls widerrufener Darlehen auf Feststellung eines Rückabwicklungsschuldverhältnisses (Klageanträge zu 1 und 2), des Annahmeverzugs sowie einer Schadensersatzpflicht (Klageantrag zu 4), hinsichtlich des Darlehens mit der Nr.
auf Erstattung der "Vorfälligkeitsentschädigung" (Klageantrag zu 3)
und hinsichtlich aller widerrufenen Darlehen auf Feststellung der Höhe des Nutzungsersatzes (Klageantrag zu 5) sowie auf Zahlung vorgerichtlich verauslagter Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 6) in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger,
mit der sie erstmals einen bezifferten Zahlungsantrag auf Ersatz von Verzugsschäden (Klageantrag zu 7) und einen Hilfsantrag betreffend die Feststellung der Kündigung der Geschäftsbeziehung (Klageantrag zu 8) gestellt haben, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Revision, wie der Senat mit Beschluss vom 10. April 2018 im Einzelnen ausgeführt hat, beschränkt auf den Klageantrag zu 3) zur Rückzahlung der "Vorfälligkeitsentschädigung" für das Darlehen Nr.
und anteilig auf den Klageantrag zu 6) zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten, soweit er als Nebenforderung dazu geltend gemacht wird, zugelassen. Mit vorbezeichnetem Beschluss hat der Senat daher die Revision der Kläger, mit der sie - bis auf den Hilfsantrag zur Kündigung der Geschäftsbeziehung (Klageantrag zu 8) - die Klageanträge in der Berufungsinstanz in vollem Umfang weiter verfolgt haben, insoweit als unzulässig verworfen, als sich die Kläger dagegen gewendet haben, dass das Berufungsgericht die Berufung hinsichtlich der Klageanträge zu 1), 2), 4), 5) und 7) sowie hinsichtlich des Klageantrags zu 6) für einen über 1.461,32 € hinaus gehenden Betrag zurückgewiesen hat.
Entscheidungsgründe:
Soweit die Revision der Kläger nach dem Senatsbeschluss vom 10. April 2018 noch anhängig ist, hat sie teilweise Erfolg. Sie führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 4. März 2016 - 19 U 239/14, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für den noch anhängigen Teil der Revision von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
Den Klageantrag zu 3) auf Rückzahlung der "Vorfälligkeitsentschädigung" für das Darlehen Nr.
in Höhe von 10.767,50 € habe das Landgericht zu Recht abgewiesen. Selbst wenn sich die Kläger auf ein Widerrufsrecht für Verbraucherdarlehensverträge berufen könnten, stehe der Wirksamkeit eines möglichen Widerrufs im vorliegenden Fall der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen (§ 242 BGB). Die rechtsmissbräuchliche Aus- übung der formalen Rechtsposition liege darin, dass der Widerruf aus Gründen ausgeübt werde, die vom Schutzzweck des Widerrufs nicht gedeckt seien. Schutzzweck des Widerrufsrechts sei es nur, den Verbraucher vor vertraglichen Bindungen zu schützen, die er möglichweise übereilt und ohne gründliche Abwägung des Für und Wider eingegangen sei. Aufgrund des zeitlichen Abstands von nahezu sechs Jahren zwischen dem Abschluss des Darlehensvertrags im Jahr 2008 und dem Widerruf im Jahr 2014 sei offensichtlich, dass der Widerruf nicht mehr dazu geeignet sei, eine Überrumpelungssituation zu beseitigen.
Da die Klage mit den Hauptanträgen keinen Erfolg habe, sei auch der Klageantrag zu 6) auf Zahlung vorgerichtlich entstandener Rechtsverfolgungskosten unbegründet.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, die Ausübung des Widerrufs betreffend den Darlehensvertrag Nr.
sei rechtsmissbräuchlich. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und ausführlich begründet hat, kann ein Verstoß gegen § 242 BGB nicht daraus hergeleitet werden, der vom Gesetzgeber mit der Einräumung des Widerrufsrechts intendierte Schutzzweck sei für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht leitend gewesen ist (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR
501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 19 ff. und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 45 ff.).
III.
Das Berufungsurteil stellt sich nur insoweit aus anderen Gründen als richtig dar, als das Berufungsgericht die Berufung der Kläger hinsichtlich des Klageantrags zu 6) auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.461,32 € als Nebenforderung zum Klageantrag zu 3) zurückgewiesen hat (§ 561 ZPO). Im Übrigen hält das Berufungsurteil einer Überprüfung auch nicht mit anderer Begründung stand.
1. Den Klägern steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten zu. Aus Verzug können die Kläger selbst dann Zahlung nicht verlangen, wenn sich der Darlehensvertrag Nr.
aufgrund des Widerrufs in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt haben sollte. Da der zu diesem Zeitpunkt bereits mandatierte Rechtsanwalt unter dem 6. Januar 2014 den Widerruf erklärt hat,
ist er, was aber Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit wäre, nicht nach Eintritt des Schuldnerverzugs mandatiert worden (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar
- XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 31). Die Kläger können die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten auch nicht mit der Begründung verlangen, die Beklagte schulde ihnen Schadensersatz, weil sie ihre Verpflichtung zur Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verletzt habe (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 2017, aaO Rn. 34 f.) oder weil sie einen berechtigten Widerruf zurückgewiesen habe (vgl. Senatsurteil vom 19. September 2017 - XI ZR
523/15, juris Rn. 22). Der Zahlungsantrag zu den vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten ist daher, ohne dass es vorab eines Hinweises bedarf (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO), abweisungsreif.
2. Die Abweisung des Klageantrags zu 3) auf Erstattung der "Vorfälligkeitsentschädigung" in Höhe von 10.767,50 € kann nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden.
a) Mangels dahingehender Feststellungen des Berufungsgerichts ist zugunsten der Kläger revisionsrechtlich zu unterstellen, dass sie den Darlehensvertrag Nr.
im Jahr 2008 als Verbraucher geschlossen haben und ihnen daher nach § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen ist, ihre auf Abschluss dieses Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen gemäß
§ 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung (künftig aF) zu widerrufen.
b) Die Widerrufsfrist war am 6. Januar 2014 auch noch nicht abgelaufen.
aa) Sollte der Darlehensvertrag, was die Kläger behaupten und wozu das Berufungsgericht ebenfalls keine Feststellungen getroffen hat, als Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung geschlossen worden sein (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. Februar 2018 - XI ZR 160/17, WM 2018, 729 Rn. 20 und - XI ZR 187/17, juris Rn. 16), wäre die Belehrung fehlerhaft, weil sie keine Angaben zu den weiteren Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist gemäß § 312d Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 BGB in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 3. August 2009 geltenden Fassung enthielt.
bb) Die Belehrung genügte jedoch auch unabhängig davon, ob der Darlehensvertrag als Fernabsatzgeschäft geschlossen worden ist, nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB aF. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Beklagte unter der Überschrift "Widerruf bei bereits ausgezahlten Darlehen" im letzten Absatz Ausführungen zum Beginn einer
"Zwei-Wochen-Frist für die Rückzahlung" des Darlehens gemacht hat. Damit hat sie eine gesetzliche Regelung aufgegriffen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2008 nicht mehr galt. Nach § 506 Abs. 2 Satz 1 BGB in der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung konnte durch besondere schriftliche Vereinbarung noch bestimmt werden, dass der Widerruf als nicht erfolgt gilt,
wenn der Verbraucher das empfangene Darlehen nicht binnen zwei Wochen entweder nach Erklärung des Widerrufs oder nach Auszahlung des Darlehens zurückzahlt. Die Beklagte hat im Darlehensvertrag Nr.
- der gesetzlichen Lage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses insoweit noch entsprechend (§ 506 Satz 1 BGB in der vom 1. Juli 2005 bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung) - auf eine solche Vereinbarung zum Nachteil des Verbrauchers zwar verzichtet. Sie hat aber den hierauf bezogenen, nun unverständlichen und inhaltlich unzutreffenden Passus zum Beginn der Zwei-Wochen-Frist in ihrem Belehrungstext nicht gestrichen.
cc) Die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung kommt der Beklagten nicht zugute. Die Abweichungen der Belehrung gegenüber der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 1. April 2008 und dem 3. August 2009 geltenden Fassung gingen über das Maß hinaus, das der Senat als für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion unschädlich angesehen hat (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 20 ff.). Nach diesen Maßstäben entsprach der Belehrungstext auch nicht dem bis zum 31. März 2008 geltenden Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV, so dass sich Abweichendes auch nicht aus der Überleitungsvorschrift des § 16 BGB-InfoV in der vom 1. April 2008 bis zum 30. Juni 2018 geltenden Fassung ergibt.
c) Der tatrichterlichen Würdigung, ob der Ausübung des Widerrufsrechts § 242 BGB aus anderen als den bislang rechtsfehlerhaft in Erwägung gezogenen Umständen entgegensteht, kann der Senat nicht vorgreifen (st. Rspr., vgl. zuletzt Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11 und vom 21. November 2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 17).
IV.
Da die Sache, soweit das Berufungsgericht die Berufung hinsichtlich des Klageantrags zu 3) zurückgewiesen hat, nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ellenberger Maihold Matthias Derstadt Dauber Vorinstanzen: LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 07.11.2014 - 2-5 O 157/14 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 04.03.2016 - 19 U 239/14 -