AK 77/25
BUNDESGERICHTSHOF AK 77/25 2 BJs 65/25-3 BESCHLUSS vom 10. September 2025 in dem Strafverfahren gegen wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:100925BAK77.25.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeschuldigten und seines Verteidigers am 10. September 2025 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Kammergericht übertragen.
Gründe:
I. 1 Der Angeschuldigte wurde am 21. Februar 2025 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 22. Februar 2025 ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten von diesem Tag, sodann – nach Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt – aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. Februar 2025. Nach Anklageerhebung wurde schließlich diese Entscheidung durch den Haftbefehl des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Kammergerichts vom 13. August 2025 (1 St 3/25) ersetzt; er wurde dem Angeschuldigten am 18. August 2025 eröffnet. 2 Gegenstand des aktuell vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am 21. Februar 2025 als Heranwachsender durch dieselbe Handlung versucht, einen Menschen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zu töten, mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung eine andere Person körperlich misshandelt sowie an der Gesundheit geschädigt und versucht, sich an einer Vereinigung im Ausland zu beteiligen, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB), Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a StGB und des § 239b StGB zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 211 Abs. 2 Varianten 4 und 5, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Variante 2, Nr. 5, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB, §§ 1, 105 ff. JGG.
Unter dem 17. Juli 2025 hat der Generalbundesanwalt wegen dieses Tatvorwurfs Anklage zum Kammergericht erhoben.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten. Angehörige der irakischen und syrischen Armee,
aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Darüber hinaus beging der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.
Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS – nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz – sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt. Tausende von IS-Kämpfern sowie Zehntausende Frauen und Kinder wurden in Gefängnissen und Lagern, etwa in Al-Hol oder Roj im Nordosten Syriens, interniert.
Trotz des Zusammenbruchs des Kalifats mit quasi staatlichen Strukturen war der IS als militant-dschihadistische und international agierende Organisation nicht zerstört. Vielmehr verblieb die Vereinigung unter Aufrechterhaltung ihrer ideologischen Ausrichtung in der Folgezeit in ihrem Kerngebiet Syrien/Irak, insbesondere in der syrisch-irakischen Grenzregion sowie der syrischen Wüste. Auch passte sich der IS an die veränderten Rahmenbedingungen an. So benannte er kurz nach der Tötung der beiden Führungspersonen einen neuen Sprecher und einen neuen Emir, setzte seine Propagandatätigkeiten fort und operierte zunehmend aus dem Untergrund. Schätzungen zufolge verfügt er gegenwärtig im Kerngebiet über etwa 2.500 aktive Kämpfer. Seit 2019 verübte er mehrere tausend terroristische Anschläge in Syrien und im Irak. Derartige militärische Operationen führte er auch in Somalia, Ägypten/Sinai, Jemen, Nigeria, Tschad und Burkina Faso aus.
Mit der Ausrufung weltweiter Provinzen außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und fortwährender terroristischer Aktivitäten in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai, West- und Zentralafrika sowie in der Provinz Khorasan, bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan, unterstreicht der IS seinen Anspruch, ein global agierender Akteur zu sein. Erst jüngst bekannte er sich zu Anschlägen in Europa, die von Personen verübt wurden, welche über soziale Medien von der Vereinigung angeleitet worden waren.
bb) Der in Syrien geborene und dort aufgewachsene Angeschuldigte lebt seit seiner Einreise im Mai 2023 in Deutschland. Infolge einer religiösen Radikalisierung spätestens im Lauf des Jahres 2024 vorwiegend über das Internet teilte er die religiös-politische Ideologie des IS. Auf der Grundlage seiner ihr entsprechenden islamistisch-jihadistischen Glaubensvorstellung entwickelte er spätestens zwei bis drei Wochen vor dem 21. Februar 2025 die Absicht, als Akt eines von ihm befürworteten weltweiten „Heiligen Kriegs“ im Namen des und für den IS öffentlichkeitswirksam einen in Deutschland lebenden Menschen, nach Möglichkeit jüdischen Glaubens, zu töten. Als zu diesem Zweck geeigneten Tatort wählte er dabei das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin aus.
Zugleich beabsichtigte der Angeschuldigte, sich in die ausländische terroristische Vereinigung IS einzugliedern. Zur Andienung als Mitglied übersandte er zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor dem oder am 21. Februar 2025 an den Medienapparat des IS ein Lichtbild von sich selbst, auf dem er den sogenannten Tauhid-Finger zeigte, um seine Bereitschaft zur Teilnahme an der Tätigkeit der Organisation zu bekunden und seine Aufnahme in die Vereinigung zu erreichen. Der Angeschuldigte ging davon aus, durch die Übersendung des Lichtbilds an einen Vertreter der offiziellen Medienstelle des IS und die anschließende Begehung des beabsichtigten Mordes im Namen des IS alles Erforderliche dafür getan zu haben, dass die Vereinigung ihn als Mitglied aufnehmen und sich zu der Tat bekennen werde. Er wollte sich auch anschließend in ihrem Sinne betätigen.
cc) Am 21. Februar 2025 begab sich der 19-jährige Angeschuldigte, bewaffnet mit einem Messer mit einer gebogenen Klinge von etwa 16 Zentimetern Länge, nach Berlin zu dem vorgenannten Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Gegen 17:58 Uhr trat er zwischen den Stelen des Denkmals unvermittelt von hinten an den Geschädigten heran, der zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Angriff auf Leib und Leben rechnete und daher wehrlos war. In bewusster Ausnutzung dieses Umstands packte der Angeschuldigte den Geschädigten mit der linken Hand an der linken Schulter und schnitt ihm in der Absicht, ihn zu töten, mit dem in der rechten Hand geführten Messer in den Hals vom mittleren Drittel ausgehend bis kurz vor den rechten Kieferwinkel. Als sich der Geschädigte dem Angriff entziehen wollte, schnitt der Angeschuldigte ihm ein weiteres Mal mit dem Messer in die rechte Gesichtshälfte. Dem Geschädigten gelang nun die Flucht, während der Angeschuldigte ihm die Losung „Allahu akbar“ nachrief. Er rechnete nunmehr damit, alles zur Tötung Erforderliche getan zu haben.
Der Geschädigte erlitt – wie von dem Angeschuldigten beabsichtigt – eine tiefgehende etwa 14 Zentimeter lange Schnittwunde am Hals sowie eine sechseinhalb Zentimeter lange Schnittwunde in der rechten Gesichtshälfte. Zudem erlitt er – wie von dem Angeschuldigten für möglich gehalten und zumindest billigend in Kauf genommen – eine knapp vier Zentimeter lange Schnittwunde am Zeigefinger der rechten Hand, mit der er versucht hatte, sein Gesicht zu schützen.
Der Geschädigte überlebte den Angriff aufgrund sofortiger notärztlicher und anschließender intensivmedizinischer Versorgung einschließlich einer Notoperation. Es war dabei bloßem Zufall zu verdanken, dass große, zentralversorgende Gefäßstrukturen um wenige Millimeter verfehlt wurden.
dd) Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Kammergerichts und die Anklageschrift Bezug genommen.
b) Der dringende Tatverdacht gründet sich im Wesentlichen auf folgende Umstände:
aa) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS beruht er auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie auf verschiedenen polizeilichen Auswerteberichten.
bb) Die hochwahrscheinlich vom Angeschuldigten beabsichtigte Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) ist belegt insbesondere durch das ausweislich eines Behördenzeugnisses des Bundesnachrichtendiensts vom Angeschuldigten im Vorfeld der Tat an die vereinigungseigenen Medienstelle übersandten Lichtbild, den in seinem Rucksack aufgefundenen handschriftlichen und auf den Tattag datierten Treueeid auf den damaligen Anführer des IS (SAO Bd. 6 S. 76 ff.) sowie Zeugenaussagen.
Im Hinblick auf die Täterschaft des Angeschuldigten und das Tatgeschehen stützt sich der dringende Tatverdacht auf seine Einlassung gegenüber den Polizeibeamten vor Ort, denen gegenüber er die Tatbegehung und seine religiöspolitischen Beweggründe eingeräumt hat, nachdem er sich etwa zweieinhalb Stunden nach der Tat selbst der Polizei gestellt hatte. Dies steht in Übereinstimmung mit seinen ebenfalls geständigen Einlassungen gegenüber Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt und einem Mitgefangenen. Daneben gründet sich der dringende Tatverdacht insbesondere auf die Zeugenaussagen des Geschädigten,
seiner Begleiter und zahlreicher weiterer Zeugen, DNA-Gutachten, nach denen sich sowohl an der bei dem Angeschuldigten sichergestellten Tatwaffe als auch an seinen Händen und Kleidungsstücken die DNA des Geschädigten befunden hat, Lichtbilder der Verletzungen des Geschädigten, das rechtsmedizinische Gutachten zu den Verletzungsfolgen sowie die Ergebnisse der Auswertung der Videoaufnahmen von Überwachungskameras und des Mobiltelefons des Angeschuldigten. Zudem ergibt sich der Umstand, dass der Angeschuldigte nach der letzten Verletzungshandlung damit rechnete, der Geschädigte werde alsbald an seinen Verletzungen versterben, insbesondere aus der Zeugenaussage des Mitgefangenen S. , dem gegenüber der Angeschuldigte zunächst angegeben hat, er wisse nicht, ob der Geschädigte verstorben sei oder nicht, und er habe erst später erfahren, dass der Geschädigte noch lebe (SAO Bd. 8 Bl. 107, 115).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vollzogenen Haftbefehl und das in der Anklageschrift dargestellte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen.
c) In rechtlicher Hinsicht ist der dem Angeschuldigten angelastete Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass er des versuchten heimtückischen Mordes aus niedrigen Beweggründen gemäß § 211 Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4, Gruppe 2 Variante 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB sowie mit versuchter mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB dringend verdächtig ist.
Der Versuch der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist gemäß § 129a Abs. 1, § 129b Satz 1, § 12 Abs. 1, § 23 Abs. 1 StGB strafbar. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung setzt zum einen eine gewisse einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation (die Mitgliedschaft), zum anderen eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele (die Beteiligungshandlung) voraus (zu den insoweit nach st. Rspr. anzulegenden Maßstäben s. BGH, Beschluss vom 21. April 2022 – AK 14/22, juris Rn. 28 ff. mwN). Eine mitgliedschaftliche Beteiligung eines in Deutschland lebenden Täters an einer Vereinigung im Ausland ist nach den allgemeinen Maßstäben möglich, soweit eine Förderung der Vereinigung von innen vorliegt (MüKoStGB/Anstötz, 5. Aufl., § 129 Rn. 84). Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne von § 22 StGB liegt bei Handlungen vor, die nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert sind und im Falle ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19, NStZ 2020, 353, 354; vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20, BGHSt 65, 15 Rn. 4 jeweils mwN).
Das dem Angeschuldigten vorgeworfene Verhalten ist in diesem Sinne als unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes zu werten. Er hatte die Vorstellung, den IS nicht nur von außen zu unterstützen, sondern nach Eingliederung in die Organisation in Unterwerfung unter die Befehlsgewalt der Vereinigung in Deutschland für diese tätig zu sein; bereits durch die Begehung des (versuchten) Mordes wollte er ihre Ziele fördern. Dies zeigt neben der Kontaktaufnahme zur IS-Medienstelle insbesondere auch der bei ihm aufgefundene Treueeid auf den damaligen Anführer des IS sowie seine Angabe gegenüber dem Zeugen S. , dass er vom IS sei. Die Betätigung für die Vereinigung sollte über den Anschlag hinausgehen. Den Bekundungen dieses Mitgefangenen zufolge ging der Angeschuldigte nicht von seiner Inhaftierung aus. Während der Untersuchungshaft machte er – als potenzielle Beteiligungsakte – Angaben, wonach er die Mordtat als Mitglied des IS begangen habe. In diesem Sinne sind namentlich seine für die Vereinigung werbenden Äußerungen gegenüber dem Mitinsassen sowie diejenigen in einem Gespräch mit einer Psychologin und einer Dolmetscherin zu verstehen (SAO Bd. 8 Bl. 71, 81 f., 108 ff.).
Eine Strafbarkeit wegen vollendeter mitgliedschaftlicher Beteiligung ist somit nur deshalb nicht gegeben, weil aufgrund der bisherigen Beweislage keine Erkenntnisse zur Reaktion der Empfänger des an die organisationseigene Medienstelle übersandten Lichtbilds vorliegen und der IS sich nicht zu der Tat bekannte, so dass eine Aufnahme des Angeschuldigten in die Vereinigung nicht im Sinne eines dringenden Tatverdachts festgestellt werden kann. Die Vorstellung des Angeschuldigten, die Mordtat zwar im Anschluss an seine Beitrittserklärung, aber gegebenenfalls vor seiner Aufnahme in die Vereinigung zu begehen, was dahin gewertet werden könnte, dass es sich bei der Tat selbst noch nicht um eine intendierte Beteiligungshandlung als Mitglied handeln könnte, ist unter den gegebenen Umständen für den Versuch des Vereinigungsdelikts ohne Bedeutung. Denn für den Fall der Aufnahme läge hochwahrscheinlich eine weitergehende Beteiligung vor.
Das Bundesministerium der Justiz hat die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und zukünftiger Taten im Zusammenhang mit dem IS am 13. Oktober 2015 erteilt (SAO Bd. 22 Bl. 1 SA; § 129b Abs. 1 Satz 3 und 4 Alternative 2 StGB). Deutsches Strafrecht ist gemäß §§ 3, 9 Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB anwendbar, da der Angeschuldigte die verfahrensgegenständliche Tathandlung im Bundesgebiet ausführte.
2. Die Zuständigkeit des Kammergerichts für den Erlass des Haftbefehls ergibt sich aus § 125 Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2023 – AK 29/23, BGHR GVG § 120 Zuständigkeit 3 Rn. 10; vom 15. Mai 2025 – AK 30/25, juris Rn. 11).
3. Es bestehen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie – auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) – der Haftgrund der Schwerkriminalität.
a) Nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte – sollte er auf freien Fuß gelangen – dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Er hat im Falle seiner Verurteilung – je nach Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht – mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Verhängung einer ganz erheblichen Freiheits- oder Jugendstrafe zu rechnen. Diese Straferwartung begründet einen hohen Fluchtanreiz, dem keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegenstehen. Der Angeschuldigte ist syrischer Staatsangehöriger, und seine Familie lebt mit Ausnahme eines Bruders im Ausland. Eine tragfähige soziale Einbindung des ledigen und kinderlosen Angeschuldigten im Bundesgebiet besteht nicht, zumal er zuletzt über keine Arbeitsstelle und lediglich über eine befristete Aufenthaltserlaubnis verfügte. Dem steht nicht entgegen, dass er sich kurz nach der Tatbegehung selbst der Polizei stellte. Insoweit gab er gegenüber dem Zeugen S. an, er habe nicht gedacht, dass er in Untersuchungshaft komme, sondern gleich abgeschoben werde, und zudem angenommen, dass er bei einer Entlassung aus der Haft nach Syrien zurückkehren würde (SAO Bd. 8 S. 109, 114).
b) Daneben ist der Angeschuldigte dringend verdächtig, mehrere der in § 112 Abs. 3 StPO genannten Delikte versucht zu haben (zum den Versuch umfassenden Anwendungsbereich s. KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 112 Rn. 41 mwN). Nach den vorgenannten Umständen des Einzelfalls ist eine Fluchtgefahr jedenfalls nicht ausgeschlossen (zu den an diesen Haftgrund zu stellenden Anforderungen vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Dezember 1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342, 349 ff.; vom 9. März 2020 – 2 BvR 103/20, juris Rn. 74; BGH, Beschluss vom 20. April 2022 – StB 15/22, juris Rn. 11 f.).
c) Eine – bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche – Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht auf der Grundlage weniger einschneidender Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden.
Die Ermittlungen mit der Vernehmung zahlreicher Zeugen, der Auswertung mehrerer Telekommunikationsgeräte und einer Vielzahl von Chat-, Videound Bilddateien sowie kriminaltechnischen Untersuchungen waren und sind umfangreich. Insbesondere die Auswertung des Mobiltelefons des Angeschuldigten, auf dem 15.053 Bild- und 55 Videodateien sowie drei Chats mit 1.037 Nachrichten gefunden worden sind, hat einige Zeit in Anspruch genommen, da sie teilweise auch mithilfe eines Dolmetschers und eines Islamwissenschaftlers hat durchgeführt werden müssen.
Nunmehr hat der Generalbundesanwalt am 17. Juli 2025 Anklage erhoben. Die Vorsitzende des Staatsschutzsenats des Kammergerichts hat am 21. Juli 2025 die Zustellung der Anklageschrift und deren Übersetzung verfügt. Im Rahmen eines Vorgesprächs am 18. August 2025 hat das Kammergericht zudem bereits mögliche Hauptverhandlungstage mit den Verfahrensbeteiligten abgestimmt. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens beabsichtigt es, die Hauptverhandlung am 20. November 2025 zu beginnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 20. August 2025 und den Beschluss des Kammergerichts vom 18. August 2025 Bezug genommen.
5. Schließlich steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht zu der Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
VRiBGH Prof. Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben.
Berg Berg Voigt