VIa ZR 1106/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 1106/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 22. April 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 4. Juli 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im September 2016 von einem Dritten kreditfinanziert einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q7, der mit einem 3.0 l V6-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Nach Klageerhebung veräußerte er das Fahrzeug weiter.
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0 Das Landgericht hat die auf Zahlung von 23.611,25 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abgabe eines Angebots des Klägers an die Beklagte auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen an den Rechtsschutzversicherer gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe: 3 Die Revision hat Erfolg.
I. 4 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: 5 Das Landgericht habe einen Anspruch aus § 826 BGB jedenfalls im Ergebnis zu Recht verneint. Die Entscheidung erweise sich aus anderen Gründen als richtig. Das Oberlandesgericht München sei wiederholt im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Technologie zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes angerufen worden und habe insoweit entschieden, dass diese Technologie nicht geeignet sei, eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB zu rechtfertigen.
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0 Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 komme nicht in Betracht. Der Bundesgerichtshof habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass diese EG-Norm keinen Schutzgesetzcharakter habe. Die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 2. Juni 2022 in der Rechtssache C-100/21 stellten die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Frage.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0 Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0
§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Ingolstadt, Entscheidung vom 30.11.2021 - 21 O 2451/20 Die OLG München, Entscheidung vom 04.07.2022 - 28 U 16/22 - ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0
-7Verkündet am: 14. Mai 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1106.22.0