VIa ZR 148/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 148/23 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 4. Juni 2024 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:040624UVIAZR148.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 3. Mai 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille, die Richter Liepin und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Berufung der Beklagten das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 22. April 2022 abgeändert und die Klage betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs insgesamt abgewiesen worden ist.
Im Übrigen wird die Revision der Klägerin gegen das vorbezeichnete Berufungsurteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Anschlussberufung der Klägerin als unzulässig verworfen wird.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin erwarb im Januar 2015 von der Beklagten einen von dieser hergestellten Neuwagen Mercedes-Benz GLK 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine KühlmittelSolltemperatur-Regelung (KSR).
Die Klägerin hat die Beklagte in erster Linie unter dem Gesichtspunkt ihrer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs und in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag in Anspruch genommen. Sie hat in erster Instanz zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Werts gezogener Nutzungen nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Klageantrag zu 2) sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen (Klageantrag zu 3) verlangt. Wegen einer ursprünglich höheren Forderung hat sie den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat dem Klageantrag zu 1 in Höhe von 12.702,68 € nebst Verzugszinsen unter Zug-umZug-Vorbehalt sowie dem Klageantrag zu 2 stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Beklagte Berufung mit dem Ziel der vollständigen Abweisung der Klage eingelegt. Die Klägerin hat mit ihrer Anschlussberufung ihre Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt.
Das Berufungsgericht hat durch Versäumnisurteil auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin, die zu dem ersten Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht erschienen ist, das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt und den Rechtsstreit in Bezug auf den Klageantrag zu 1 wegen eines weiteren Teilbetrags einseitig für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Mit ihrer vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Berufungsanträge weiter, soweit sie diese auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe:
Soweit die Revision sich gegen die Zurückweisung der Anschlussberufung wendet, ist sie mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen ist. Denn die Klägerin hat, was der Senat von Amts wegen zu beachten hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - X ZR 120/15, BGHZ 215, 89 Rn. 36 mwN), die Anschlussberufung nicht in einer § 524 Abs. 3, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise begründet. Im Übrigen führt die Revision, die sämtliche deliktischen Schadensersatzansprüche erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 8 ff.; Urteil vom 11. September 2023 - VIa ZR 1470/22, juris Rn. 5 f.), zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Die Klägerin trage mangels tatsächlicher Anhaltspunkte in nicht zu berücksichtigender Weise ins Blaue hinein vor, dass Repräsentanten der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hinsichtlich Entwicklung und/oder Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen - ihr Vorliegen unterstellt - vorsätzlich gehandelt hätten, insbesondere diese wissentlich zur Erschleichung der EG-Typgenehmigung eingesetzt hätten. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 303/20, juris Rn. 12 f.; BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung der Klägerin verneint, weil es dem Klägervorbringen keinen greifbaren Anhaltspunkt für einen bewussten Gesetzesverstoß entnommen hat. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei gehörswidrig nicht eingegangen auf den unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin, dass die KSR von der Beklagten zu dem Zweck der Manipulation eingesetzt worden sei, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Möhring Liepin Krüger Wille Katzenstein Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 22.04.2022 - 17 O 635/21 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 17.01.2023 - 24 U 1455/22 -