6 StR 532/23
BUNDESGERICHTSHOF StR 532/23 BESCHLUSS vom 12. Juni 2024 in der Strafsache gegen wegen banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung ECLI:DE:BGH:2024:120624B6STR532.23.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juni 2024 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 24. Mai 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Rüge einer Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Der Vorsitzende der Strafkammer erörterte bereits vor Beginn der Hauptverhandlung mit der zuständigen Dezernentin der Staatsanwaltschaft deren Straferwartung hinsichtlich des Angeklagten und fertigte darüber am 7. Februar 2022 einen Vermerk. Auf seine Anregung hin fanden im Anschluss an den ersten Sitzungstag Verständigungsgespräche mit dem Angeklagten und den Mitangeklagten statt, die er am 20. und 26. April 2022 dokumentierte. Der Angeklagte stimmte dem Verständigungsvorschlag vom 2. Mai 2022 nicht zu, der für ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und sechs Monaten vorsah. Nachdem das Verfahren gegen die Mitangeklagten abgetrennt worden war, unterbreitete die Verteidigung am 1. August 2022 für den Angeklagten einen Verständigungsvorschlag, der eine bewährungsfähige Strafe zum Inhalt hatte. Die Strafkammer und die Staatsanwaltschaft lehnten diesen außerhalb der Hauptverhandlung ab. In der Folge wurde diese wegen der Erkrankung einer Schöffin ausgesetzt. Die getrennten Verfahren wurden wieder zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.
Am ersten Tag der neu angesetzten Hauptverhandlung, dem 6. Dezember 2022, legte der Vorsitzende hinsichtlich der bisherigen Verständigungsgespräche den Inhalt der Vermerke vom 7. Februar, 20. und 26. April 2022 sowie des Beschlusses vom 2. Mai 2022 dar. Er informierte jedoch zu keiner Zeit über die Verständigungsbemühungen des Angeklagten vom 1. August 2022 und die sich anschließende Kommunikation. Die Sitzung vom 6. Dezember 2022 wurde sodann wegen neuerlicher Verständigungsgespräche unterbrochen, an denen zunächst die Strafkammer, die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger, zuletzt auch die Angeklagten teilnahmen. In dem Verständigungsgespräch äußerte der Verteidiger des Angeklagten seine Vorstellungen hinsichtlich einer zur Bewährung aussetzungsfähigen Gesamtfreiheitsstrafe. Zudem regte er im Hinblick auf zahlreiche Fälle eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO gegen Zahlung von 20.000 Euro an. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft trat diesem Vorschlag ebenso entgegen wie die Strafkammer. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung verkündete der Vorsitzende einen Beschluss, mit dem den Mitangeklagten Verständigungsangebote unterbreitet wurden, die diese annahmen; Angaben zum Angeklagten enthielt der Beschluss nicht. Der Vorsitzende informierte den Angeklagten lediglich darüber, „dass eine aussetzungsfähige Gesamtstrafe derzeit für ihn nicht in Betracht“ komme. Im Protokoll heißt es hierzu: „Der Vorsitzende teilte den Verlauf und das Ergebnis des Verständigungsgesprächs mit. Der Vorsitzende verkündete einen Beschluss, der als Anlage 1 zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde.“
2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist auch begründet.
a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende des Gerichts mitzuteilen, ob Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Die Mitteilungspflicht dient der Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens. Um dem Transparenzgebot gerecht zu werden, ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört in der Regel, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob sie bei ihnen auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. August 2023 – 3 StR 93/23, NStZ 2024, 125; vom 15. Juli 2020 – 2 StR 526/19, Rn. 10, NStZ 2021, 506; vom 10. Januar 2017 – 3 StR 216/16, Rn.14, NStZ 2017, 363, 364). Die Mitteilungspflicht besteht auch dann, wenn eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO letztlich nicht zustande kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 – 5 StR 115/20, Rn. 9, NStZ 2020, 751, 752).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht seine Informationspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO jedenfalls dadurch verletzt, dass dem Angeklagten nur das Ergebnis des ihn betreffenden, am 6. Dezember 2022 geführten Verständigungsgesprächs bekannt gegeben worden ist, nicht aber der von der Verteidigung unterbreitete Vorschlag und die Reaktionen seitens Staatsanwaltschaft und Gericht.
b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), zumal sich der Angeklagte nach dem gescheiterten Verständigungsgespräch teilgeständig eingelassen hat. Das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO kann nach dem um normative Kriterien angereicherten verfassungsrechtlichen Beruhensbegriff im Einzelfall nur ausgeschlossen werden, wenn die Gesetzesverletzung sich nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt haben kann, mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzeswidrigen Absprache gerichtet waren (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, Rn. 97 f.; BverfG, NStZ 2015, 172, 173 f.; kritisch dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 284/22; vom 15. Dezember 2021 – 6 StR 558/21, NStZ 2022, 246; vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355; Niemöller, NStZ 2015, 489).
Danach kann offen bleiben, ob der Strafkammer ein (weiterer) durchgreifender Rechtsfehler dadurch unterlaufen ist, dass der Vorsitzende nach Neubeginn der Hauptverhandlung nicht über den in der vorangegangenen ausgesetzten Hauptverhandlung unterbreiteten Verständigungsvorschlag vom 1. August 2022 informiert hat (vgl. zur Mitteilungspflicht BGH, Beschluss vom 24. April 2019 – 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12 Rn. 10).
Feilcke Tiemann von Schmettau RiBGH Wenske ist wegen Erkrankung an der Unterschriftsleistung gehindert.
Feilcke Arnoldi Vorinstanz: Landgericht Rostock, 24.05.2023 – 476 Js 7525/16 22 KLs 89/21 (1)