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V B 77/12

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 17.9.2012, V B 77/12 Ordnungsgeld nach Klagerücknahme Leitsätze

1. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens sowie die Androhung und Festsetzung eines Ordnungsgeldes (§ 80 Abs. 1 FGO) dienen der Sachverhaltsaufklärung und der Verfahrensbeschleunigung.

2. Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks ist der Wortlaut des § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO dahingehend einzuschränken, dass Ordnungsgeld im Regelfall nur festgesetzt werden darf, wenn das unentschuldigte Ausbleiben zu einer Verfahrensverzögerung führt. Daran fehlt es bei einer Klagerücknahme im Laufe der mündlichen Verhandlung.

Tatbestand I. Die Beschwerde der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von jeweils 200 EUR.

In dem beim Finanzgericht (FG) anhängigen Hauptsacheverfahren 10 K 400/11 der Grundstücksgemeinschaft (Klägerin) wandte sich diese gegen die Festsetzung und die Höhe eines Verspätungszuschlags in Höhe von 1.030 EUR. Zu der auf den 26. April 2012 terminierten mündlichen Verhandlung hatte das FG den Prozessbevollmächtigten der Klägerin und die Beschwerdeführer geladen. Hinsichtlich der Beschwerdeführer war deren persönliches Erscheinen angeordnet und für den Fall des Nichterscheinens ein Ordnungsgeld in Höhe von jeweils 200 EUR angedroht worden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Vorsitzende fest, dass die Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen waren. Nach dem Vortrag des Sach- und Streitstands durch den Berichterstatter und die Erörterung der Rechtslage mit dem Beklagtenvertreter und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nahm dieser die Klage für die Klägerin zurück. Das Verfahren wurde daraufhin gemäß § 72 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt.

Durch die Beschlüsse vom 4. Mai 2012 setzte das FG gegen die Beschwerdeführer jeweils ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 EUR fest. Zur Begründung führte es aus, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens erfolgt sei, um mit den Beschwerdeführern die Gründe für die verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärung zu erörtern. Da diese ohne Angaben von Gründen zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen waren, wurde das gegen sie angedrohte Ordnungsgeld festgesetzt.

Gegen diese Beschlüsse legten die Beschwerdeführer am 23. Mai 2012 beim FG Beschwerde ein, ohne sie zu begründen. Nachdem eine Begründung auch nicht innerhalb der vom FG gesetzten Frist erfolgt war, beschloss das FG am 4. Juni 2012, den Beschwerden nicht abzuhelfen.

Entscheidungsgründe II. Die Beschwerde ist begründet.

Das FG hat zu Unrecht gegen die beiden Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld festgesetzt. Das FG hatte für diese zwar ordnungsgemäß ein persönliches Erscheinen angeordnet und bei Nichterscheinen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 200 EUR angedroht. Nachdem die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten jedoch die Klage im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. April 2012 zurückgenommen hatte, durfte das angedrohte Ordnungsgeld nicht mehr festgesetzt werden.

1. Nach § 80 Abs. 1 FGO kann das Gericht das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Für den Fall des Ausbleibens kann es Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen androhen. Bei schuldhaftem Ausbleiben setzt das Gericht durch Beschluss das angedrohte Ordnungsgeld fest. Ist der Beteiligte --wie im Streitfall-- eine Vereinigung, so ist das Ordnungsgeld dem nach Gesetz oder Satzung Vertretungsberechtigten anzudrohen und gegen ihn festzusetzen (§ 80 Abs. 2 FGO).

Als ergänzende Vorschrift zu § 76 Abs. 1 FGO dient die Vorschrift der Aufklärung des Sachverhalts durch Mitwirkung der Beteiligten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Dezember 2010 X B 103/10, BFH/NV 2011, 618 II.1.a; Stöcker in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 80 FGO Rz 1 und 2; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 80 FGO Rz 11) sowie der Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens (Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 80 Rz 1; Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 12). Die Pflicht zum Erscheinen bei Gericht ist daher kein Selbstzweck (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 80 FGO Rz 3).

§ 80 FGO entspricht wörtlich § 95 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Ähnliche Vorschriften über die Anordnung des persönlichen Erscheinens finden sich in § 141 der Zivilprozessordnung (ZPO) und § 111 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), wobei hinsichtlich der Festsetzung von Ordnungsgeld durch § 202 SGG auf § 141 Abs. 3 ZPO verwiesen wird.

2. Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO setzt das Gericht bei schuldhaftem Ausbleiben das angedrohte Ordnungsgeld durch Beschluss fest. Dabei ist zwar umstritten, ob die Festsetzung von Ordnungsgeld --ebenso wie deren Androhung-- im Ermessen des Gerichts steht (so Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71, unter Hinweis auf das verwaltungsrechtliche Schrifttum zur Rechtslage nach § 95 VwGO) oder ob eine grundsätzliche Festsetzungspflicht besteht. Diese Streitfrage kann der Senat jedoch offen lassen, da auch dann, wenn dem Gericht bei der Ordnungsgeldfestsetzung kein Ermessen zugebilligt wird, eine Festsetzung von Ordnungsgeld in der Regel nur dann erfolgen darf, wenn das unentschuldigte Ausbleiben zu einer Verfahrensverzögerung führt. Eine Verfahrensverzögerung liegt jedoch dann nicht vor, wenn sich das Ausbleiben des Beteiligten für das Verfahren als unschädlich erweist.

a) Nach höchstrichterlicher Zivilrechtsprechung zu § 141 Abs. 3 ZPO ist die Verhängung eines Ordnungsgeldes ermessensfehlerhaft, wenn im Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits keine Fragen zum Sachverhalt offen geblieben sind und der Rechtsstreit ohne weiteren Vortrag durch Urteil entschieden wird (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 12. Juni 2007 VI ZB 4/07, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2007, 1364; Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. August 2007 3 AZB 50/05, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2008, 252). Da der Zweck der Ordnungsgeldfestsetzung nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1997 2 BvR 429/97 (NJW 1998, 892) nicht darin bestehe, eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern, könne ein Ordnungsgeld nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert habe (BGH-Urteil in NJW-RR 2007, 1364 II.2.a).

b) Diese Rechtsprechungsgrundsätze betreffen zwar die Auslegung von § 141 Abs. 3 ZPO, der die Festsetzung eines Ordnungsgeldes --im Unterschied zu § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO-- in das Ermessen des Gerichts stellt. Selbst wenn es sich bei den unterschiedlichen Formulierungen nicht um ein bloßes Redaktionsversehen des Gesetzgebers (so Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71 Fußnote 3) handeln sollte, gebietet jedenfalls der mit § 141 Abs. 3 ZPO übereinstimmende Normzweck eine einschränkende Auslegung des Tatbestands von § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO dahingehend, dass bei schuldhaftem Ausbleiben ein Ordnungsgeld nur festzusetzen ist, wenn hierdurch die Sachaufklärung erschwert und der Prozess verzögert wird. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes verliert dagegen ihre Berechtigung, wenn sich das Ausbleiben des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters nicht verfahrensverzögernd ausgewirkt hat (vgl. Leipold in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 21. Aufl., § 141 Rz 35a), weil der Prozess im Laufe der mündlichen Verhandlung --wie im Streitfall-- durch Klagerücknahme beendet wurde (vgl. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 3. August 1987 13 Ta 6/87, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 1987, 827). In Übereinstimmung damit wird im finanzgerichtlichen Schrifttum allgemein vertreten, dass in derartigen Fällen von der Festsetzung eines Ordnungsgeldes abzusehen ist (vgl. Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71; Stöcker in Beermann/Gosch, a.a.O., § 80 FGO Rz 53; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 80 FGO Rz 3; Koch in Gräber, a.a.O., § 80 Rz 10).

c) Im Streitfall hat das FG die Festsetzung des Ordnungsgeldes damit begründet, dass das persönliche Erscheinen der Beschwerdeführer angeordnet worden sei, um mit ihnen persönlich die Gründe für die verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2009 zu erörtern. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Laufe der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hatte und dadurch das Verfahren beendet war, entfiel dieser Grund für die Anordnung des persönlichen Erscheinens und eine Verzögerung des Verfahrens war ausgeschlossen. Unter diesen Umständen ist ein schuldhaftes Ausbleiben der Beschwerdeführer nicht mit einem Ordnungsgeld zu belegen. Die angefochtenen Beschlüsse waren daher aufzuheben.

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