VII ZR 231/23
BUNDESGERICHTSHOF VII ZR 231/23 BESCHLUSS vom 19. März 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:190325BVIIZR231.23.0 Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. März 2025 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, den Richter Halfmeier sowie die Richterinnen Graßnack, Sacher und Dr. Hannamann beschlossen:
Der Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.
Das Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 31. Oktober 2023 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Widerklage der Beklagten hinsichtlich des geltend gemachten Mietausfallschadens in Höhe von 1.721.331,28 € zuzüglich Zinsen und der Avalgebühren in Höhe von 142.265,05 € zuzüglich Zinsen abgewiesen worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 31. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gegenstandswert: bis 8.300.000 €
Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin: 2.544.790,75 €
Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten: 5.521.808,48 €
Wert des aufgehobenen Teils: 1.863.596,33 €
Gründe:
I.
Die Klägerin fordert von der Beklagten restlichen Werklohn aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Generalunternehmervertrag. Die Beklagte macht widerklagend Schadensersatzansprüche geltend.
Die Parteien schlossen am 10. Juli 2009 unter Einbeziehung der VOB/B einen Generalunternehmervertrag über Bauleistungen an einem Gebäude in der Münchener Innenstadt zu einem Pauschalfestpreis in Höhe von 5.150.000 € netto, der durch Zusatzvereinbarung vom 26. Februar/1. März 2010 ergänzt wurde. Gegenstand der Zusatzvereinbarung war unter anderem ein Bauzeitenplan, wonach die Leistungen bis zum 19. April 2010 fertigzustellen waren. Im Vertrag war zu Lasten der Klägerin eine Vertragsstrafe bei einem von ihr zu vertretenden Verzug vereinbart worden. Vertragsgemäß stellte die Klägerin der Beklagten eine Vertragserfüllungsbürgschaft. Im Gegenzug stellte die Beklagte der Klägerin entsprechend der vertraglichen Vereinbarung eine Zahlungsbürgschaft als Sicherheit für die Erfüllung der nach dem Vertrag zu erbringenden Zahlungen. Im Vertrag war vereinbart, dass jede Partei die Avalzinsen für die von ihr gestellte Bürgschaft übernimmt.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2010 beanstandete die Beklagte Mängel der Ausführung. Mit Schreiben vom 28. Juni 2010 rügte die Beklagte, dass zahlreiche Leistungen entgegen der in der Zusatzvereinbarung getroffenen Abrede nicht bis zum 19. April 2010 fertig gestellt, insbesondere auch nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden seien. Unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 17. Mai 2010 forderte sie die Klägerin zur Beseitigung der Mängel mit Fristsetzung bis zum 9. Juli 2010 auf und drohte die Entziehung des Auftrags für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs an. Mit Schreiben vom 5. Juli 2010 erläuterte die Klägerin, dass und aus welchen Gründen eine vertragsgemäße Fertigstellung innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich sein werde und kündigte an, der Beklagten in Kürze einen angepassten Terminplan zu übergeben.
Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 7. Juli 2010 daraufhin die außerordentliche Kündigung des Vertrags mit der Begründung, ein Abwarten des Ablaufs der gesetzten Frist sei ihr unzumutbar. Mit weiterem Schreiben vom 9. Juli 2010 untersagte die Beklagte der Klägerin eine Weiterarbeit auf der Baustelle. Die Klägerin erklärte ihrerseits mit Schreiben vom 12. Juli 2010 die außerordentliche Kündigung des Vertrags unter Hinweis darauf, dass die Kündigung der Beklagten unberechtigt gewesen sei.
Die Parteien nahmen mehrere Abnahmebegehungen vor. Eine Abnahme der Bauleistungen wurde von der Beklagten dabei nicht erklärt.
Nachdem die Beklagte das Hausverbot gegenüber der Klägerin aufgehoben hatte, führte diese in der Folge noch Mängelbeseitigungsarbeiten durch.
Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 2.156.668,84 € sowie die Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft geltend gemacht. Daneben hat sie die Erstattung von Avalgebühren und die Feststellung verlangt, die Beklagte befinde sich hinsichtlich der Abnahme im Verzug.
Außerdem hat sie die Eintragung einer Sicherungshypothek auf dem Baugrundstück begehrt. Die Beklagte hat widerklagend den Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten in Höhe von 536.832,44 € sowie Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 3.145.718,12 € nach näherer Maßgabe, den Ersatz eines Mietausfallschadens in Höhe von 1.721.331,28 €, die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 251.151,43 € und den Ersatz von Avalgebühren in Höhe von 142.265,05 € begehrt und beantragt, festzustellen, dass die Klägerin die Beklagte von Forderungen der C. & W. H.
GmbH freistellen müsse. Daneben hat sie die Herausgabe der Zahlungsbürgschaft verlangt.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage hin zur Zahlung in Höhe von 469.877,31 € (Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 218.725,88 € + Vertragsstrafe in Höhe von 251.151,43 €) sowie zur Herausgabe der Zahlungsbürgschaft verurteilt. Den von der Beklagten gestellten Feststellungsantrag hat es als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat einen Anspruch auf Ersatz der Fertigstellungsmehrkosten mit der Begründung verneint, dass die Kündigung der Beklagten vom 7. Juli 2010 unwirksam gewesen sei.
Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, mit der sie ihre Anträge, soweit sie vom Landgericht abgewiesen worden sind, weiterverfolgt haben, mit Ausnahme des von der Beklagten geltend gemachten und erfolglos gebliebenen Feststellungsantrags und des von der Klägerin gestellten Antrags auf Eintragung einer Sicherungshypothek. Hinsichtlich des Letzteren ist der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden. In der Berufungsinstanz haben beide Parteien eine Zwischenfeststellungsklage erhoben, die Klägerin mit dem Ziel, festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 7. Juli 2010 unwirksam und die von ihr erklärte Kündigung vom 12. Juli 2010 wirksam gewesen ist, die Beklagte mit dem Ziel, die Wirksamkeit der von ihr erklärten Kündigung und die Unwirksamkeit der klägerischen Kündigung feststellen zu lassen.
Das Berufungsgericht hat auf die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin festgestellt, dass der Vertrag durch die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 12. Juli 2010 beendet worden sei und die von der Beklagten erklärte außerordentliche Kündigung das Vertragsverhältnis nicht beendet habe; die im Wege der Widerklage erhobene Zwischenfeststellungsklage der Beklagten hat es abgewiesen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht unter teilweiser Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung dem Antrag der Klägerin auf Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft stattgegeben und die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung auf einen Betrag in Höhe von 251.151,43 € (Vertragsstrafe) ermäßigt.
Hiergegen wenden sich sowohl die Klägerin als auch die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie die Abänderung des Berufungsurteils erreichen wollen, soweit jeweils zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
II.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche der Beklagten auf Ersatz von Mietausfall in Höhe von 1.721.331,28 € und auf Erstattung von Avalgebühren in Höhe von 142.265,05 € abgewiesen. Eine Begründung hierfür enthält die angefochtene Entscheidung nicht.
2. Hiermit hat das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - VII ZR 871/21 Rn. 8, BauR 2024, 1424; Beschluss vom 4. November 2020 - VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178; Beschluss vom 14. Dezember 2017 - VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669; Beschluss vom 16. November 2016 - VII ZR 23/14 Rn. 10, ZfBR 2017, 146).
b) Nach diesen Maßstäben beanstandet die Beklagte zu Recht, dass das Berufungsgericht ihr Vorbringen zur Begründung des Anspruchs auf Ersatz eines Mietausfallschadens in Höhe von 1.721.331,28 € und auf Erstattung von Avalgebühren in Höhe von 142.265,05 € nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.
aa) Das Berufungsgericht hat die Abweisung dieser Ansprüche entgegen § 547 Nr. 6 ZPO nicht begründet. Damit hat es das zu ihrer Begründung gehaltene Vorbringen der Beklagten unter Verstoß gegen das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unberücksichtigt gelassen.
bb) Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens der Beklagten eine für sie günstigere Entscheidung getroffen hätte.
Die Beklagte hat vorgetragen, infolge des Überschreitens des vereinbarten Fertigstellungstermins vom 19. April 2010 sei eine Vermietung an zum Einzug bereite Mietinteressenten erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich gewesen. Dies ist von der Beklagten im Einzelnen anhand einer konkreten Übersicht der jeweils in Aussicht genommenen Vermietungen und der tatsächlich geschlossenen Mietverträge unter Darlegung der jeweils entgangenen Mieten dargelegt und unter Beweis gestellt worden (vgl. Berufungsbegründungsschrift vom 4. August 2020, S. 179 ff.). Zu dem weiteren hypothetischen Verlauf der Dinge musste die Beklagte keinen weiteren Vortrag halten (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 5. Juli 2001 - VII ZR 201/99, BauR 2001, 1577 = NZBau 2001, 623, juris Rn. 31).
Die Beklagte hat zudem einen - durch Vereinbarung der Parteien nicht abdingbaren (§ 648a Abs. 7 BGB a.F.) - Anspruch auf Ersatz von Avalkosten und -gebühren aus § 648a Abs. 3 BGB a.F. schlüssig dargelegt. Zur Höhe der angefallenen Avalkosten und -gebühren hat die Beklagte unter Vorlage von Belegen im Einzelnen substantiiert vorgetragen (vgl. Berufungsbegründung vom 4. August 2020, S. 181 ff.).
3. Das angefochtene Urteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
4. Soweit die Beschwerden der Beklagten und der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil zurückgewiesen werden, wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Pamp Sacher Halfmeier Graßnack Hannamann Vorinstanzen: LG München I, Entscheidung vom 21.02.2020 - 15 HK O 3933/11 OLG München, Entscheidung vom 31.10.2023 - 28 U 1742/20 Bau -