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4 StR 476/24

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 476/24 URTEIL vom 28. August 2025 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Tötung u.a.

ECLI:DE:BGH:2025:280825U4STR476.24.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August 2025, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin,

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maatsch, Dr. Scheuß, Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Momsen-Pflanz, Marks als beisitzende Richter,

Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

– in der Verhandlung –

Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 13. Juni 2024 aufgehoben a) mit den Feststellungen zur inneren Tatseite, soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; b) im Gesamtstrafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten werden verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten richtet sich gegen den Strafausspruch. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer – vom Generalbundesanwalt vertretenen – Revision, die sich ebenfalls auf die Sachrüge stützt, insbesondere gegen die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Während das Rechtsmittel des Angeklagten erfolglos bleibt, erzielt die Revision der Staatsanwaltschaft den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

Das Landgericht hat – soweit hier von Relevanz – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte befuhr gegen 5.35 Uhr mit einem Pkw Opel Zafira die Bundesautobahn 33 auf dem Weg zu seiner Arbeitsstätte. Der nicht angeschnallte Zeuge G.

führte seinen Pkw VW Phaeton auf demselben zweispurigen Autobahnabschnitt; Beifahrer war sein ebenfalls unangeschnallter Cousin. Als der Zeuge G. einen Lastkraftwagen mit etwa 100 km/h überholte, näherte sich der Angeklagte auf der linken Fahrspur mit einem Geschwindigkeitsüberschuss. Er betätigte mehrfach das Fernlicht, fuhr nah auf den Pkw VW Phaeton auf und schaltete zudem die Warnblinkanlage ein. Im Anschluss an das Überholmanöver des Pkw VW Phaeton setzte sich der Angeklagte mit seinem Fahrzeug hinter diesen und nahm schnelle Lenkbewegungen vor, um – erfolglos – den Zeugen G.

zu provozieren. Nachdem der Angeklagte sodann das Fahrzeug VW Phaeton überholt und sich „dicht“ vor dieses gesetzt hatte,

betätigte er kurz das Bremspedal, so dass der Zeuge G. – wenn auch nicht stark – ebenfalls abbremste.

Nunmehr wechselte der Angeklagte erneut auf die Überholspur. Er ließ den weiter rechts fahrenden Pkw VW Phaeton aufschließen, bis die Fahrzeuge mit jeweils 110 bis 120 km/h seitlich versetzt nebeneinander fuhren. Das linke Vorderrad des Pkw VW Phaeton befand sich etwa auf Höhe der B-Säule des Pkw Opel Zafira. In dieser Situation vollzog der Angeklagte eine ruckartige Lenkbewegung nach rechts und überfuhr mit den rechten Rädern die Mittellinie, um den Fahrzeugführer des Pkw VW Phaeton erneut wegen seiner gemäßigten Fahrweise zu „maßregeln“. Der Angeklagte ging dabei ernsthaft davon aus, dass er gerade noch genügend Abstand zu dem anderen Fahrzeug halten könne, um so eine Kollision zu verhindern. Er vertraute ernsthaft auf das Ausbleiben von Sachschäden, körperlichen Verletzungen oder gar tödlichen Folgen. Durch den „Rechtsschlenker“ des Angeklagten kollidierten die beiden Fahrzeuge miteinander in einem spitzen Winkel von drei bis fünf Grad.

Das Fahrzeug des Zeugen G. geriet kollisionsbedingt trotz Gegenlenkens in eine Rotationsbewegung und in der Folge einen „Drift“. Der Pkw VW Phaeton prallte mit der Fahrzeugfront gegen die rechtsseitige Außenleitplanke, wurde über diese hinwegkatapultiert und durchbrach einen Wildschutzzaun. Das Fahrzeug überschlug sich schließlich auf dem abschüssigen bewachsenen Gelände mehrfach in Längs- und Querrichtung und riss in circa 100 Meter Entfernung vom Durchbruch der Außenleitplanke einen Baum um, auf dessen etwa 50 cm starken Stamm der zerstörte Pkw mit dem Unterboden prallte. Der aus dem Fahrzeug herausgeschleuderte Beifahrer erlitt unmittelbar tödliche Schädelund Hirnverletzungen. Der durch das Unfallgeschehen zunächst bewusstlose Zeuge G. zog sich u.a. eine Sternum- sowie diverse Gesichtsfrakturen, ein Schädelhirntrauma und eine beidseitige Lungenkontusion zu. Er ist seit dem Tatttag durchgängig krankgeschrieben.

2. Bei der Kollision lösten in dem vom Angeklagten bewegten Pkw Opel Zafira die Kopf- und Seitenairbags auf der Beifahrerseite aus. Der Angeklagte brachte das Fahrzeug auf dem Ausfädelungsstreifen der nächsten Anschlussstelle etwa 200 Meter hinter der Durchbruchstelle zum Stillstand. Er ging auf dem Ausfädelungsstreifen circa 50 Meter in Richtung des Kollisionsortes zurück, von wo aus er die beschädigte Außenleitplanke nicht sehen konnte. Er erkannte allerdings, dass es zu einem Anstoß gegen das andere Fahrzeug gekommen war und auch dieses erheblich beschädigt sein musste. Um 5.36 Uhr rief der Angeklagte seinen Chef an und teilte ihm mit, dass er einen Unfall gehabt habe. Der andere sei aber wohl weg- bzw. weitergefahren; ein kleiner Peugeot sei gegen seinen Pkw gefahren. Als der Vorgesetzte des Angeklagten gegen 6.30 Uhr an der Unfallstelle eintraf, hatte der Angeklagte – ohne Melde-, Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen vorgenommen oder eingeleitet zu haben – seine Fahrt bereits fortgesetzt und war in seine Unterkunft gefahren. Um 6.59 Uhr schrieb er seinem Vorgesetzten per WhatsApp: „Das Problem, Boss, ist, dass er mir reingefahren ist, und ich hätte jetzt tot sein können.“

II.

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Das Rechtsmittel erfasst neben dem gesamten Strafausspruch auch den Schuld- sowie den Maßregelausspruch. Insoweit ist die erklärte Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch, wie sie zudem in dem schriftsätzlichen Revisionsantrag zum Ausdruck kommt, unwirksam. Denn der Beschwerdeführer greift in seiner Revisionsbegründung mit dem festgestellten tatsächlichen Ablauf der Kollision und dem anschließenden Verhalten des Angeklagten zugleich die Grundlagen des Schuldspruchs sowie des Maßregelausspruchs an.

2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Beweiswürdigung der Strafkammer zum Tatgeschehen weist – gemessen an dem revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juli 2022 – 4 StR 28/22 Rn. 9 mwN) – keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Gleiches gilt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen für die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts. Insbesondere hat die Strafkammer dem Angeklagten entgegen dem Revisionsvorbringen nicht das verneinte Augenblicksversagen und damit das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes straferschwerend angelastet. Wie dem Fortgang der Ausführungen zu entnehmen ist, hat die Strafkammer insoweit vielmehr allein das in besonders hohem Maße pflichtwidrige Fahrverhalten strafschärfend herangezogen. Dagegen ist nichts zu erinnern.

III.

Die (unbeschränkte) Revision der Staatsanwaltschaft hat im Fall II. 2. der Urteilsgründe weitgehend Erfolg, im Übrigen ist das zuungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel unbegründet.

1. Der Schuldspruch (nur) wegen fahrlässiger Tötung im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält – mangels bejahten öffentlichen Interesses für eine fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen G. – rechtlicher Überprüfung stand.

a) Das Landgericht hat einen Tötungs- und Schädigungsvorsatz des Angeklagten bei seinem unfallursächlichen Fahrmanöver mit rechtsfehlerfreien Erwägungen abgelehnt. Daher schied über vorsätzliche Tötungs- und Körperverletzungsdelikte hinaus auch eine tateinheitliche Verurteilung wegen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a und 2 StGB aus (vgl. zum notwendigen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz beim verkehrsfeindlichen Inneneingriff nur BGH, Urteil vom 13. März 2025 – 4 StR 223/24 Rn. 21; Beschluss vom 22. Mai 2024 – 4 StR 503/23 Rn. 9; grundlegend BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237).

aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre oder sogar nähergelegen hätte

(st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 – 4 StR 32/23 Rn. 26 mwN; Urteil vom 16. Dezember 2021 ‒ 3 StR 302/21 Rn. 35; Urteil vom 30. Juli 2020 ‒ 4 StR 603/19 Rn. 6).

bb) Hieran gemessen erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts zu einem fehlenden Vorsatz des Angeklagten im ersten Tatkomplex als tragfähig. Entgegen den Ausführungen der Revision musste das Landgericht auf die als widerlegt angesehene Einlassung des Angeklagten hier nicht erneut eingehen, denn deren Unrichtigkeit allein vermochte keine dem Angeklagten nachteiligen Schlüsse zu tragen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 1 StR 503/15 Rn. 8 mwN). In der Sache konnte sich die Strafkammer schon nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte von einer seitlichen Überschneidung der Längsachsen der Fahrzeuge ausging, die bei dem Rechtslenken zu einer Kollision führen würde. Damit ist das kognitive Element eines Schädigungsvorsatzes verneint. Hierbei hat das Landgericht ohne Rechtsfehler das vorangegangene, nicht auf die Herbeiführung einer Kollision angelegte Fahrverhalten des Angeklagten berücksichtigt, ohne dadurch – anders als die Revision meint – einen nicht existenten Erfahrungssatz zu bemühen. Es ist vielmehr eine vertretbare tatrichterliche Bewertung, dass auch keine „Eskalationsspirale“ mit einem nunmehr vorsätzlich herbeigeführten Kollisionsgeschehen vorlag. Vorsatzkritisch konnte das Landgericht zudem eine erkannte mögliche Eigengefährdung des Angeklagten berücksichtigen, die es an seiner späteren Textnachricht über seinen möglichen Tod festgemacht hat. Auch darin liegt eine vertretbare Bewertung eines Indizes, die das Revisionsgericht nicht in einem abweichenden Sinne vornehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2024 – 3 StR 32/24 Rn. 8 mwN).

Die weiteren Überlegungen des Landgerichts stehen zu alldem nicht in einem durchgreifenden Widerspruch. Seine Ausführungen, der Angeklagte habe womöglich in Anbetracht der nahezu gleichen, von ihm als moderat eingeschätzten Geschwindigkeit der Fahrzeuge das eingetretene Unfallszenario für den gegnerischen Pkw im Falle eines Anstoßes nicht vorhergesehen, stellen insbesondere eine erkannte Eigengefährdung für den Fall einer Kollision nicht in Frage. Darüber hinaus liegen hierin und in den Ausführungen zur Persönlichkeit und den Lebensumständen des Angeklagten lediglich – im Hinblick auf einen Tötungsund Verletzungsvorsatz bei einer Kollision – Hilfserwägungen für die Verneinung des voluntativen Vorsatzelements.

b) Die Strafkammer hat zudem ohne Rechtsfehler eine Verurteilung des Angeklagten wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB abgelehnt.

2. Der Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe, der keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist (§ 301 StPO), hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten gegen die ihm obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen.

a) Das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft. Die gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der – durch die zugelassene Anklage abgegrenzte – Prozessstoff durch die vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. März 2024 – 4 StR 354/23 Rn. 26 mwN; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09 Rn. 6). Der Unrechtsgehalt der Tat ist ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrundeliegende Bewertung auszuschöpfen (vgl. § 264 Abs. 2 StPO), soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 StR 113/13 Rn. 4; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 264 Rn. 27 ff.).

Dies hat die Strafkammer unterlassen. Die getroffenen Feststellungen hätten ihr Anlass zur Prüfung geben müssen, ob der Angeklagte tateinheitlich zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort auch versuchter Tötungsdelikte zum Nachteil der Insassen des Pkw VW Phaeton schuldig ist.

b) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht (Tatentschluss; vgl. BGH, Urteil vom 10. September 2015 ‒ 4 StR 151/15 Rn. 13). Bei einem durch Unterlassen verwirklichten Tötungsdelikt müssen daher neben der Garantenpflicht, der Untätigkeit, der physisch-realen Handlungsmöglichkeit und dem zumindest möglichen Eintritt des Todeserfolges auch diejenigen Umstände Gegenstand dieser Vorstellung sein, die die Annahme einer hypothetischen Kausalität möglicher Rettungshandlungen (und die objektive Zurechnung des Erfolges) begründen. Hinsichtlich der hypothetischen Kausalität genügt bedingter Vorsatz; er liegt vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Eingreifen könne den tatbestandlichen Erfolg abwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2022 – 4 StR 200/21 Rn. 10; Urteil vom 29. September 2021 ‒ 2 StR 491/20 Rn. 22; Urteil vom 4. August 2021 ‒ 2 StR 178/20 Rn. 21; Urteil vom 19. August 2020 ‒ 1 StR 474/19 Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2016 ‒ 2 StR 588/15 Rn. 23).

Nach diesen Maßgaben hätte die Strafkammer im zweiten Tatkomplex eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Tötungsdelikte prüfen müssen. Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte den Anstoß gegen das Fahrzeug des Geschädigten bemerkte, das sich nicht mehr in seinem Sichtbereich befand. Dass das gegnerische Fahrzeug in der Vorstellung des Angeklagten die Ausfahrt genommen haben könnte, hat das Landgericht bei der Würdigung seiner Einlassung angesichts seines Sichtfeldes selbst verneint. Im nicht aufgelösten Widerspruch hierzu nimmt die Strafkammer nunmehr an, der Angeklagte sei nicht notwendig davon ausgegangen, der Unfallgegner müsse sich noch am Unfallort befinden. Angesichts der zuvor genannten Umstände hätte sich das Landgericht vielmehr gedrängt sehen müssen zu erörtern, welche Vorstellungen des Angeklagten im Hinblick auf etwaige eingetretene Verletzungsfolgen für den Fahrzeugführer und mögliche weitere Insassen mit dem „Verschwinden“ des gegnerischen Fahrzeugs von der Autobahn nach einer Kollision bei einer Geschwindigkeit von immerhin mindestens 110 km/h verbunden waren. Dies wird hier zudem dadurch nahegelegt, dass der Angeklagte 50 Meter in Richtung des Kollisionsortes zurückging und eine WhatsApp-Nachricht an seinen Vorgesetzten über den möglichen eigenen Tod verfasste.

Eine solche Erörterung war nicht deshalb entbehrlich, weil die Strafkammer den Tötungsvorsatz des Angeklagten bei dessen Fahrmanöver selbst rechtsfehlerfrei verneint hat. Denn nach der stattgehabten Kollision und seinem Anhalten bot sich ihm eine neue Situation, die Anlass für ein gewandeltes Vorstellungsbild gewesen sein könnte. Hätte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt ein Versterben der Geschädigten sowie ihre Rettung bei einem von ihm abgesetzten Notruf mit seinem Mobiltelefon (ggf. unter Einschaltung seines der deutschen Sprache mächtigen Chefs) auch nur für möglich gehalten, kommt aufgrund des pflichtwidrigen Vorverhaltens und der damit verbundenen Garantenstellung aus Ingerenz die Verwirklichung (untauglicher) versuchter Tötungsdelikte in Betracht.

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler bedingt die Aufhebung des Urteils im Fall II. 2. der Urteilsgründe. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO) und können bestehen bleiben.

Anders als der notwendig in Wegfall geratende Gesamtstrafausspruch hat hier zudem der Maßregelausspruch Bestand. Nach den Urteilsgründen hat das Landgericht eine charakterliche Ungeeignetheit des Angeklagten, Kraftfahrzeuge zu führen, bereits aufgrund des besonders rücksichtslosen Fahrverhaltens bejaht. Für die Länge der Sperrfrist hat es zudem rechtsfehlerfrei auf das dadurch begründete Maß der Verkehrsgefährdung abgestellt (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 69a Rn. 17 mwN). Diese Feststellungen bleiben im Rahmen des Tatgeschehens zu Ziffer II. 1. der Urteilsgründe erhalten. Denn der Schuldspruch und die Einzelstrafe in diesem Fall bleiben ebenfalls unberührt. Die fahrlässige Tötung stünde auch zu möglichen versuchten Tötungsdelikten des Angeklagten im Anschluss an das Unfallgeschehen, wie sie angesichts der festgestellten Unfallfolgen allein in Betracht kommen, in Tatmehrheit. Dies gilt selbst dann, wenn dasselbe Opfer betroffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2022 – 4 StR 200/21; Beschluss vom 9. März 2022 – 4 StR 200/21 Rn. 4, 6; Urteil vom 21. März 1955 – 4 StR 51/55, BGHSt 7, 287, 288 f.; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 211 Rn. 108). Eine innere Widersprüchlichkeit der Urteilsgründe droht durch die Aufrechterhaltung des Urteils im Fall II. 1. der Urteilsgründe ebenfalls nicht. Soweit dort in die Beweiswürdigung eingestellt ist, dass der Angeklagte am Nachmittag des Tattages noch keine (sichere) Kenntnis von den Folgen des Unfalls hatte, steht dies der etwaigen Feststellung eines nach der Kollision gefassten bedingten Tötungsvorsatzes mit einer entsprechenden Möglichkeitsvorstellung nicht entgegen.

3. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

IV.

Die Voraussetzungen für die von der Verteidigung begehrte Haftentscheidung des Senats liegen nicht vor (§ 126 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO; vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 24. Januar 2018 – 1 StR 36/17, BGHSt 63, 75 Rn. 7).

Quentin Maatsch Ri‘inBGH Dr. Momsen-Pflanz ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert.

Quentin Scheuß Marks Vorinstanz: Landgericht Osnabrück, 13.06.2024 - 6 Ks 4/24 1430 Js 68904/23

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Paragraphen in 4 StR 476/24

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Häufigkeit Paragraph
3 315 StGB
2 69 StGB
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1 2 StGB
1 120 StPO
1 126 StPO
1 261 StPO
1 301 StPO
1 349 StPO
1 353 StPO

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