XII ZB 69/25
BUNDESGERICHTSHOF XII ZB 69/25 BESCHLUSS vom 20. August 2025 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein FamFG § 117 Abs. 1; ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 Satz 1 B, D a) Das Verschulden des Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten einer Partei oder eines Beteiligten an einer Fristversäumung kann nur bei einem anderweitigen - der Partei oder dem Beteiligten nicht zuzurechnenden - Ereignis entfallen, das ursächlich für die Fristversäumung geworden ist (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom 17. Juni 2025 - VIII ZB 54/24 - juris und vom 9. Mai 2019 - IX ZB 6/18 - FamRZ 2019, 1339).
b) Die Versäumung einer Mitteilung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht entbindet den Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers nicht von der Verpflichtung zur Einreichung der Beschwerdebegründung beim Beschwerdegericht.
BGH, Beschluss vom 20. August 2025 - XII ZB 69/25 - OLG Celle AG Lüneburg ECLI:DE:BGH:2025:200825BXIIZB69.25.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. August 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Pernice und Dr. Recknagel beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 14. Januar 2025 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen. Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Wert: bis 22.000 €
Gründe: I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung seiner Beschwerde in einer Unterhaltssache.
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit ihm am 5. September 2024 zugestelltem Beschluss zur Zahlung von Kindesunterhalt an die Antragstellerin verpflichtet. Hiergegen hat der Antragsgegner fristgerecht beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Mit an das Amtsgericht gerichtetem Schriftsatz vom 5. November 2024, dort eingegangen am selben Tage, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Beschwerde begründet. Die vom Amtsgericht weitergeleitete Beschwerdebegründung ist am 6. November 2024 beim Oberlandesgericht eingegangen.
Der Antragsgegner hat auf Hinweis des Oberlandesgerichts Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt und zur Begründung ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist weder vom Beschwerdegericht eine Eingangsbestätigung und die Mitteilung eines Aktenzeichens erhalten noch habe das Amtsgericht eine Abgabemitteilung erteilt. Ohne Kenntnis des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens, das ihm erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist mitgeteilt worden sei, habe keine formell korrekte und eindeutige Beschwerdebegründung abgefasst und beim Oberlandesgericht eingereicht werden können. Für das Oberlandesgericht wäre die Zuordnung eines Schriftsatzes ohne Angabe des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens nicht möglich bzw. nicht zumutbar gewesen. Mangels gerichtlicher Information über den Fortgang des Verfahrens sei nur die Einreichung der Beschwerdebegründung beim Amtsgericht erfolgversprechend gewesen.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde des Antragsgegners verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die nach §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner weder in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) noch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und eine willkürfreie Entscheidung (Art. 3 Abs. 1 GG). Auch liegt der Entscheidung kein von Rechtssätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichender Obersatz zugrunde.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Beschwerde sei unzulässig, weil innerhalb der Begründungsfrist keine Beschwerdebegründung bei ihm eingegangen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ein diesem zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung treffe, das darin liege, dass er die Beschwerdebegründung am Tag des Fristablaufs beim insoweit unzuständigen Amtsgericht eingereicht habe. Der Verfahrensbevollmächtigte hätte sich beim Beschwerdegericht nach dem Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens erkundigen und die Beschwerdebegründungsschrift, die im Übrigen auch ohne Angabe des Aktenzeichens dem richtigen Verfahren hätte zugeordnet werden können, dort einreichen müssen. Jedenfalls hätte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Beschwerdebegründungsschrift unter den gegebenen Umständen so frühzeitig dem Amtsgericht zuleiten müssen, dass dieses den Schriftsatz noch rechtzeitig vor Fristablauf im ordentlichen Geschäftsgang an das Beschwerdegericht hätte weiterleiten können. Schließlich hätte es nahegelegen, die Begründungsschrift zur Vermeidung einer Verfristung vorsorglich sowohl beim Amtsgericht als auch beim Beschwerdegericht einzureichen.
2. Dies hält sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
a) Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass die nach §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderliche Beschwerdebegründung entgegen § 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG nicht binnen zwei Monaten ab schriftlicher Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses beim Beschwerdegericht eingegangen ist. Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde sind auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt. Denn der Antragsgegner hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet im Sinne von § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO versäumt. Vielmehr beruht das Versäumnis auf einem Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten, das er sich nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdegerichts lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
aa) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, hat das Beschwerdegericht zutreffend angenommen, dass den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist trifft, weil dieser die Beschwerdebegründung am Tag des Fristablaufs beim - insoweit unzuständigen - Amtsgericht und nicht bei dem hierfür zuständigen Oberlandesgericht eingereicht hat. Insbesondere entbindet eine - selbst unverschuldete Unkenntnis des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens den Verfahrensbevollmächtigten entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht von der sich aus § 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergebenden Verpflichtung zur fristgerechten Einreichung der Beschwerdebegründung beim Beschwerdegericht. Schon deshalb kommt es auch nicht darauf an, dass es dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nach der zutreffenden Auffassung des Beschwerdegerichts ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre, das Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens beim Beschwerdegericht zu erfragen.
bb) Mit ihrem Einwand, das Beschwerdegericht habe mit seinem Versäumnis, gleich nach Eingang der Verfahrensakten eine Eingangsmitteilung unter Angabe des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens zu erteilen, die entscheidende Ursache für die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist gesetzt, hinter der ein etwaiges Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zurücktrete, dringt die Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht durch. Auch eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung liegt insoweit nicht vor.
Die hierzu von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommene höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH Urteil vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 NJW 1998, 908 f. und Beschluss vom 11. Februar 1998 - VIII ZB 50/97 NJW 1998, 2291, 2292) ist bereits nicht einschlägig. Das Verschulden des Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten einer Partei oder eines Beteiligten kann nur bei einem anderweitigen - der Partei oder dem Beteiligten nicht zuzurechnenden - Ereignis entfallen, das ursächlich für die Fristversäumung geworden ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 17. Juni 2025 - VIII ZB 54/24 - juris Rn. 43 mwN und vom 9. Mai 2019 - IX ZB 6/18 - FamRZ 2019, 1339 Rn. 19 mwN). Dies ist bei der unterbliebenen Mitteilung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens durch das Beschwerdegericht nicht der Fall, weil die (auch unverschuldete) Unkenntnis des Aktenzeichens den Verfahrensbevollmächtigten nicht der Verpflichtung zur Einreichung der Beschwerdebegründungsschrift beim Beschwerdegericht enthebt.
cc) Auch die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor. Das Beschwerdegericht hat seiner Entscheidung keinen von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweichenden abstrakten Obersatz zugrunde gelegt, sondern im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH Beschlüsse vom 17. Juni 2025 - VIII ZB 54/24 - juris Rn. 43 mwN und vom 9. Mai 2019 - IX ZB 6/18 - FamRZ 2019, 1339 Rn. 19 mwN) angenommen, dass den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners auch unter Berücksichtigung des Versäumnisses des Beschwerdegerichts ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist trifft.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling Pernice Klinkhammer Recknagel Botur Vorinstanzen: AG Lüneburg, Entscheidung vom 05.09.2024 - 32 F 42/24 OLG Celle, Entscheidung vom 14.01.2025 - 17 UF 183/24 -