1 Ni 29/14
BUNDESPATENTGERICHT Ni 29/14 (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
12. Januar 2016 …
In der Patentnichtigkeitssache …
BPatG 253 08.05 betreffend das deutsche Patent 10 2010 007 378 hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2016 durch die Präsidentin Schmidt sowie die Richter Prof. Dr. Kortbein, Dipl.-Ing. Schlenk, Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder für Recht erkannt:
I. Das Deutsche Patent 10 2010 007 378 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass es folgende Fassung erhält:
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Der Beklagte ist Inhaber des beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 10 2010 007 378 registrierten deutschen Patents mit der Bezeichnung „Holzbearbeitungsanlage“, das am 10. Februar 2010 angemeldet wurde. Gegen das am 16. Mai 2013 veröffentlichte Streitpatent ist kein Einspruch eingelegt worden.
Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 14 Ansprüche, die wie folgt lauten:
Die Klägerin stützt die am 18. Februar 2014 beim Bundespatentgericht eingegangene Nichtigkeitsklage darauf, dass der Gegenstand des Streitpatents in vollem Umfang nicht patentfähig sei. Er sei weder neu gemäß § 3 PatG, noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG. Zudem habe sie den Beklagten mit Schreiben vom 11. April 2014 unter Nennung des in der Klage genannten Standes der Technik erfolglos zum Verzicht auf das Streitpatent aufgefordert. Da er weder auf das Streitpatent verzichtet, noch es beschränkt habe, sei die Erhebung der Nichtigkeitsklage notwendig gewesen.
Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf die folgenden Entgegenhaltungen:
Ni2 Ni3 Ni5 Ni6 Ni7 Ni8 Ni9 Ni11.1 Ni11.2 Ni11.3 Ni12.1 EP 0 988 924 A2 DE 198 31 284 A1 WO 2004/080649 A1 EP 0 267 156 A2 WO 02/36302 A1 EP 0 172 603 A1 DE 202 04 365 U1 Weck, M.: Werkzeugmaschinen Fertigungssyteme Bd.1, Springer Verlag, 1998, Seiten V-IX Weck, M.: Werkzeugmaschinen Fertigungssyteme Bd.1, Springer Verlag, 1998, Seiten 184-187, 568-571, 576-579 und 586-589 Weck, M.: Werkzeugmaschinen Fertigungssyteme Band 3.2, VDI-Verlag, 1995, Seiten 324-335 und 366-379 Fabrizi, D.: Automazione Industriale e Robotica, Parte I, 1993, Titelseite Ni12.2 Ni12.3 Ni13.1 Ni13.2 Ni14 Ni15 Fabrizi, D: Automazione Industriale e Robotica, Parte II, 1993, Seiten II.110, II.125-II.135 und II.141 Fabrizi, D: Automazione Industriale e Robotica, Parte II, 1993, Inhaltsverzeichnis und Seiten II.6-II.9 sowie II.13 Nwokah, O.D.I.; Hurmuzlu, Y.: The Mechanical Systems Design Handbook, CRC Press, 2002, Titel und Inhaltsverzeichnis Nwokah, O.D.I; Hurmuzlu, Y.: The Mechanical Systems Design Handbook, CRC Press, 2002, Kapitel 28 CN 101559598 A Abstract of CN 101559598 (A) (in englischer Sprache)
Die Klägerin beantragt,
1. das deutsche Patent 10 2010 007 378 in der durch den Schriftsatz des Beklagten vom 25. August 2014 beschränkten Fassung für nichtig zu erklären und
2. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen und 2. der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 25. August 2014 einen neuen Anspruchssatz mit 11 Ansprüchen vorgelegt, die den im Tenor genannten entsprechen. Gleichzeitig hat er in diesem Umfang der Klage rechtzeitig beschränkt widersprochen und erklärt, auf den darüber hinaus gehenden Schutz aus dem erteilten Streitpatent für die Vergangenheit und die Zukunft zu verzichten. Der Beklagte trägt vor, dass der Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung neu und nicht nahegelegt sei. Er macht weiterhin geltend, dass er vor Klageerhebung nicht zum Verzicht auf das Streitpatent aufgefordert worden sei und durch sein Verhalten nicht zur Erhebung der Nichtigkeitsklage Veranlassung gegeben habe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe Die zulässige Klage führt dazu, dass das Patent dadurch teilweise für nichtig erklärt wird, dass seine Ansprüche die durch den Schriftsatz des Beklagten vom 25. August 2014 beschränkte Fassung erhalten. Der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung erweist sich als neu (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 PatG) und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 PatG), so dass die auf die Nichtigerklärung des Patents auch in dieser Fassung gerichtete Klage insoweit abzuweisen ist.
I.
1. Gegenstand des Patents ist eine Holzbearbeitungsanlage, siehe die Patentschrift (PS), Abs. 0001.
Als gattungsbildender Stand der Technik ist in der Beschreibungseinleitung eine aus der Ni2 bekannte Holzbearbeitungsanlage genannt, die z. B. zur Durchführung von Abbundarbeiten an Holzbalken eingesetzt werden kann. Bei dieser ist zwischen einem vorderen und einem hinteren Auflagebereich einer Werkstückauflage ein Bearbeitungsaggregat angeordnet und weiterhin eine Transporteinrichtung zur Verschiebung der Werkstücke vorgesehen, siehe die PS, Abs. 0002.
Als Nachteil dieser bekannten Holzbearbeitungsanlage ist angegeben, dass bestimmte Bearbeitungen nicht ohne weiteres an allen sechs Seiten der Werkstücke ausgeführt werden könnten. Hierzu müssten die Werkstücke durch eine Umkanteinrichtung um ihre Längsachse gedreht werden, siehe die PS, Abs. 0002.
Als Aufgabe der Erfindung ist dementsprechend angegeben, eine universell einsetzbare Holzbearbeitungsanlage zu schaffen, die auch ohne zusätzliche Umkanteinrichtung eine 6-Seiten-Bearbeitung ermöglicht, siehe die PS, Abs. 0004.
Zur Lösung dieser Aufgabe war gemäß dem erteilten Anspruch 1 im Wesentlichen vorgesehen, dass das Bearbeitungsaggregat der Holzbearbeitungsanlage eine in zwei zueinander rechtwinkligen Linearachsen verfahrbare und um drei Drehachsen schwenkbare Bearbeitungseinheit enthält. Der nunmehr geltende Anspruch 1 ist demgegenüber um weitere Angaben vor allem zur Anordnung und Ausbildung des Bearbeitungsaggregats ergänzt.
2. Der geltende Anspruch 1 lässt sich wie folgt gliedern:
M0 M1 M2 M3 M4.1 M4.2 M4.3 Holzbearbeitungsanlage mit einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1), mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagebereich (2a) und einem von dem vorderen Auflagebereich (2a) beabstandeten hinteren Auflagebereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordneten Bearbeitungsaggregat (6) und einer Transporteinrichtung (7)
zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse),
wobei das Bearbeitungsaggregat (6) einen in einer zur ersten Linearachse (X-Achse) rechtwinkligen zweiten Linearachse (Y-Achse) und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse (Z-Achse) verfahrbaren Träger (17) enthält, an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildete Bearbeitungseinheit (15) um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbar angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Träger (17) ein quer zur Werkstückauflage (2)
zwischen vorderem Auflagebereich (2a) und hinterem Auflagebereich (2b) angeordneter horizontaler Querträger ist M5 und die Bearbeitungseinheit (15) an dem freien Ende eines an dem Träger (17) um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklige zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbaren Arms (23) um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist.
3. Als Fachmann beschäftigte sich mit dem Gebiet des Streitpatents zum Anmeldezeitpunkt ein Maschinenbauingenieur der Fachrichtung Fertigungstechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion von Holzbearbeitungsmaschinen.
4. Ausführungen zum Verständnis des Anspruchs 1 aus Sicht des Fachmanns sind nicht erforderlich; die Holzbearbeitungsmaschine mit ihren Bestandteilen ist, soweit entscheidungserheblich, im Anspruch 1 klar beschrieben.
5. Die geltenden Ansprüche 1 bis 11 sind zulässig. Ihre Gegenstände sind sowohl in der ursprünglichen Anmeldung (vgl. die Offenlegungsschrift OS) als auch im Patent (vgl. die PS) offenbart. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 wurde durch die hinzugefügten Merkmale beschränkt.
Im Einzelnen ergeben sich die Merkmale M0 bis M4.2 des geltenden Anspruchs 1 aus dem ursprünglich eingereichten und so auch erteilten Anspruch 1, dessen Merkmale vollständig übernommen und wie folgt ergänzt wurden:
- Die zusätzliche Angabe im Merkmal M2, dass der hintere Auflagebereich (2b) vom vorderen Auflagebereich (2a) beabstandet ist, ergibt sich aus dem jeweils zweiten Satz in Abs. 0015 der OS und Abs. 0016 der PS.
- Die zusätzliche Angabe im Merkmal M4.1, dass die zweite Linearachse (YAchse) zur ersten Linearachse (X-Achse) und zur dritten Linearachse (Z-Achse)
rechtwinklig ist, und ein Träger (17) in der Y- und Z-Achse verfahrbar ist, ergibt sich aus dem ursprünglichen und erteilten Anspruch 2, siehe die OS und die PS. - Die zusätzliche Angabe im Merkmal M4.2, dass die Bearbeitungseinheit (15) als Motorspindel zur Aufnahme eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildet ist, ergibt sich aus dem ursprünglichen und erteilten Anspruch 9, siehe die OS und die PS.
Merkmal M4.3 des geltenden Anspruchs 1 ergibt sich aus dem jeweils ersten Satz in Abs. 0020 der OS und Abs. 0021 der PS. Merkmal M5 des geltenden Anspruchs 1 ergibt sich aus dem ursprünglichen und erteilten Anspruch 3, siehe die OS und die PS.
Die geltenden Ansprüche 2 bis 11 entsprechen den ursprünglichen und erteilten Ansprüchen 4 bis 8 und 10 bis 14.
6. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu und ergibt sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 und § 4 PatG).
Die bereits in der Patentschrift, siehe Abs. 0001 und 0002 der PS, als gattungsbildender Stand der Technik genannte Ni2 offenbart unstreitig eine Holzbearbeitungsanlage entsprechend den Merkmalen M0 bis M3 des Oberbegriffs des Anspruchs 1 mit zwei Bearbeitungsaggregaten, einer Säge 50 und einer Frässtation 51. Zu diesen ist angegeben, dass die Säge um mindestens drei, die Fräsvorrichtung um fünf Achsen beweglich gelagert ist, Ni2, Abs. 0055, 0056.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Fachmann für Holzbearbeitungsanlagen hätte das Gebiet der Industrieroboter berücksichtigt und wäre in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt, indem er die in der Ni2 erwähnten Bearbeitungsaggregate (Säge und Fräse) durch einen Industrieroboter ersetzt hätte, wie er aus Ni11.2, Ni11.3, Ni12.2/12.3, Ni13.2 oder Ni14 bekannt sei.
Dies trifft auf die aus Ni11.2, Bild 6-7, Ni11.3, Bild 5-1, und Ni14, Fig. 1, bekannten Portalroboter bereits deshalb nicht zu, weil bei diesen derjenige Träger, an dem die Bearbeitungseinheit entsprechend Merkmal M5 anzuordnen wäre, entgegen dem Merkmal M4.3 kein horizontaler Träger, sondern ein vertikaler Träger ist. Es ist auch kein Anlass erkennbar, anstelle des jeweiligen vertikalen Trägers einen horizontalen Träger vorzusehen, da es gerade das Grundprinzip eines Portalroboters ist, dass der die jeweilige Bearbeitungseinheit tragende Träger von einem brückenartigen Portal vertikal nach unten in den Arbeitsbereich des Roboters hinein reicht.
Von den Druckschriften Ni12.2/12.3 und Ni13.2 offenbart keine einen Industrieroboter mit sämtlichen ausgehend von Ni2 gegenüber dem Anspruch 1 noch fehlenden Merkmalen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergab sich ein solcher Industrieroboter auch nicht im Rahmen einer einfachen Auswahl aus einer Anzahl gleichwertiger Möglichkeiten aus Ni12.2/12.3 oder aus Ni13.2.
Industrieroboter lassen sich hinsichtlich ihres kinematischen Aufbaus in der Regel beschreiben als zusammengesetzt aus
- einer Grundstruktur (Arm) mit mehreren (z. B. zwei bis vier), Hauptachsen genannten, translatorischen und/oder rotatorischen Freiheitsgraden, d. h. Verschiebe- und/oder Verdrehmöglichkeiten,
- einem Handgelenk mit mehreren (z. B. zwei oder drei), Nebenachsen genannten, meist rotatorischen Freiheitsgraden, d. h. Verdrehmöglichkeiten,
- und einem daran befestigten Aktuator/Effektor, d. h. einem Handhabungs- oder Bearbeitungswerkzeug.
Insgesamt ergibt sich vom Fundament bis zum Werkzeug eine kinematische Kette mit häufig 5 bis 7 Freiheitsgraden.
- 13 Ni13.2 offenbart in Fig. 28.7 sechs Industrierobotergrundstrukturen und für fünf davon jeweils 4 bis 6 als typisch bezeichnete Handgelenke:
Nach Auffassung der Klägerin wäre der Fachmann ausgehend von Ni2 mit Ni13.2 zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt, indem er - erstens aus den fünf Grundstrukturen, denen Handgelenke zugeordnet sind,
entweder die kartesische („cartesian robot“, Fig. 28.7 links oben) oder die zylindrische („cylindrical robot“, darunter) ausgewählt hätte, dabei im Fall der kartesischen Struktur die horizontale Verfahrbarkeit gegenüber dem Boden bzw. im Fall der zylindrischen Struktur die Verdrehbarkeit um die vertikale Achse weggelassen hätte (siehe die jeweils rechts daneben schematisch dargestellte zugehörige kinematische Kette „Kinematic Chain“), die verbleibende Struktur dann so aufgestellt hätte, dass der in der Darstellung der „Kinematic Chain“ jeweils oben erkennbare horizontale Träger quer zur Werkstückauflage der Holzbearbeitungsmaschine nach Ni2 angeordnet ist (Merkmale M4.1 und M4.3), - zweitens an diesem horizontalen Träger eines der zwei in Fig. 28.7 ganz rechts als fünftes bzw. siebtes von oben dargestellten Handgelenke und daran eine als Motorspindel ausgebildete Bearbeitungseinheit angebracht hätte (Merkmale M4.2 und M5).
Dies mag zu einem Gegenstand mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 führen, es ergab sich jedoch für den Fachmann nicht in naheliegender Weise.
Zum ersten ergab sich schon die Auswahl der Grundstruktur nicht in naheliegender Weise:
Ni13.2 gibt in Abs. 28.2.2.1 und 28.2.2.2 an, die kartesische Grundstruktur sei vor allem für Bearbeitungsaufgaben zu verwenden, bei denen Roboterbewegungen über große Flächen erforderlich sind, wie z. B. zum Wasserstrahl- oder Laserschneiden, und die zylindrische Struktur spiele nur noch eine untergeordnete Rolle und werde für Palettieraufgaben und das Beschicken von Maschinen benutzt. Dies kann dem Fachmann nicht einen Einsatz als Teil eines Bearbeitungsaggregats einer Holzbearbeitungsanlage gemäß Ni2 nahelegen.
Die Klägerin hat dazu unter anderem ausgeführt, der Fachmann hätte erkannt, dass die weiteren Strukturen jeweils einen überflüssigen Freiheitsgrad, d. h. eine überflüssige Bewegungsmöglichkeit, besitzen; er hätte diese weiteren Strukturen deshalb nicht in Erwägung gezogen. Auch die kartesische und die zylindrische Grundstruktur besitzen jedoch jeweils einen überflüssigen Freiheitsgrad, nämlich im Fall der kartesischen Struktur die horizontale Verfahrbarkeit gegenüber dem Boden und im Fall der zylindrischen Struktur die Verdrehbarkeit um die vertikale Achse. Das Vorhandensein eines überflüssigen Freiheitsgrades kann daher nicht begründen, dass der Fachmann in einigen Fällen die entsprechende Struktur grundsätzlich nicht in Erwägung gezogen hätte, in anderen Fällen dagegen den überflüssigen Freiheitsgrad weggelassen hätte.
Die Klägerin hat weiter ausgeführt, der Fachmann für Holzbearbeitungsanlagen hätte von vornherein nur kartesische Grundstrukturen in Betracht gezogen, also Strukturen, bei denen sämtliche Hauptachsen als zueinander senkrechte translatorische Achsen, d. h. Verschiebemöglichkeiten, ausgeführt sind; alles andere wäre atypisch. Er hätte deshalb ausgehend von Fig. 28.7 der Ni13.2 nur den
„cartesian robot“ ausgewählt oder den „cylindrical robot“ durch Weglassen der Verdrehmöglichkeit um die vertikale Achse zu einem kartesischen Roboter gemacht. Dieser Behauptung steht jedoch der von der Klägerin genannte Stand der Technik entgegen, wonach auf dem Gebiet der Holzbearbeitungsanlagen kartesische Strukturen unter anderem, aber nicht ausschließlich Verwendung finden. So offenbart die Ni3 ein Bearbeitungsaggregat für eine Holzbearbeitungsanlage, das für eine Holzbearbeitungsanlage gemäß der Ni2 geeignet ist, vergleiche die Fig. 3 der Ni3 mit der Fig. 1, Ziffer 51, der Ni2. Bei diesem Bearbeitungsaggregat, siehe Ni3, Fig. 3, folgen in der kinematischen Kette ausgehend vom Fundament auf eine horizontale translatorische Achse (V2) zunächst eine horizontale rotatorische Achse (D2), dann zwei weitere translatorische und zwei rotatorische Achsen (V3, V1, D1, D3). Dieses Beispiel zeigt, dass der Fachmann sich bei der Gestaltung von Bearbeitungsaggregaten für Holzbearbeitungsanlagen nicht auf kartesische Grundstrukturen beschränkt. Es zeigt darüber hinaus, dass der Fachmann sich nicht einmal auf eine Auswahl aus üblichen Robotergrundstrukturen und Handgelenken beschränkt – die Anzahl in Frage kommender Möglichkeiten ist somit wesentlich größer als in Fig. 28.7 der Ni13.2 dargestellt. Ni13.2 erläutert im Absatz 28.2.2, dass die Anzahl der möglichen kinematischen Ketten sich aus 6 hoch der Anzahl der Freiheitsgrade ergibt, dies sind für Strukturen mit insgesamt z. B. 5, 6 oder 7 Freiheitsgraden 7.776, 46.656 bzw. 279.936 Möglichkeiten.
Zum zweiten ergab sich auch die Auswahl des von der Klägerin angeführten Handgelenks und seine Kombination mit der Grundstruktur nicht in naheliegender Weise:
In Fig. 28.7 der Ni13.2 ist eine Vielzahl von Handgelenken dargestellt, ohne dass dabei ein Hinweis gegeben wäre, dass eines dieser Handgelenke besonders für ein Bearbeitungsaggregat einer Holzbearbeitungsanlage geeignet wäre. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, der Fachmann hätte von vornherein von den dargestellten Handgelenken nur diejenigen mit drei Freiheitsgraden (in Fig. 28.7 „DOF“, d. h. „degrees of freedom“ genannt) berücksichtigt, da drei rotatorische Achsen erforderlich seien, um eine Bearbeitung an einem frei wählbaren Ort in einer frei wählbaren Richtung ausführen zu können. Dieses Argument kann jedoch nur begrün- den, dass insgesamt drei rotatorische Achsen erforderlich sind, nicht dagegen dass das Handgelenk diese drei rotatorischen Achsen aufweisen muss. Denn wie Ni3, Fig. 3, zeigt, geht der Fachmann nicht von vornherein davon aus, dass beim Aufbau der kinematischen Kette vom Fundament bis zum Werkzeug auf ausschließlich kartesische Hauptachsen (Grundstruktur) ausschließlich rotatorische Nebenachsen (Handgelenk) folgen müssen, sondern berücksichtigt auch andere Möglichkeiten kinematischer Ketten.
Darüber hinaus hätte der Fachmann entgegen den in Fig. 28.7 der Ni13.2 als typisch vorgeschlagenen Kombinationen von Grundstrukturen und Handgelenken ein für eine Anwendung in Verbindung mit einem „spherical robot“ bzw. „articulated robot“ vorgesehenes Handgelenk mit einem „cartesian robot“ oder „cylindrical robot“ als Grundstruktur kombinieren müssen. Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass Ni13.2 eine solche Kombination nicht ausschließt; dies kann jedoch nicht ihr Naheliegen begründen.
Zum dritten fehlen nach Auswahl und Kombination von Robotergrundstruktur und Handgelenk zum Gegenstand des Anspruchs 1 noch die Anordnung quer zur Holzbearbeitungsanlage (Merkmal M4.3) und die Ausbildung der Bearbeitungseinheit als Motorspindel (Merkmal M4.2).
Nachdem jedoch bereits die Auswahl und Kombination von Grundstruktur und Handgelenk sich nicht in naheliegender Weise im Rahmen einer einfachen Auswahl aus einer Anzahl gleichwertiger Möglichkeiten ergab, sondern vielmehr darüber hinausgehende Überlegungen erforderlich waren, kann dahinstehen, ob die Anordnung quer zur Holzbearbeitungsanlage und die Ausbildung der Bearbeitungseinheit als Motorspindel naheliegend gewesen wären.
Ni12.2/12.3 beschreibt vergleichbar Ni13.2 den Aufbau eines Industrieroboters als zusammengesetzt aus Arm (braccio) und Handgelenk (polso), an dem ein Aktuator/Werkzeug (attuatore finale) angebracht werden kann, siehe Fig. 7.5 auf Seite II.125 und Fig. 7.33 auf Seite II.141. Ni12.2/12.3 offenbart dazu in den Fig. 7.5 bis 7.33 eine Reihe von Industrierobotergrundstrukturen bzw. Armen sowie damit kombinierbare Handgelenke und Aktuatoren.
- 17 Nach Auffassung der Klägerin wäre der Fachmann ausgehend von Ni2 auch mit Ni12.2/12.3 zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt, indem er - erstens aus den Grundstrukturen der Ni12.2/12.3 die kartesische Struktur aus Fig. 7.6 oben links ausgewählt hätte und dabei die horizontale Verfahrbarkeit gegenüber dem Boden weggelassen hätte, die verbleibende Struktur dann so aufgestellt hätte, dass der horizontale Träger quer zur Werkstückauflage der Holzbearbeitungsmaschine nach Ni2 angeordnet ist (Merkmale M4.1 und M4.3), - und zweitens an dem horizontalen Träger das in Fig. 7.23 ganz unten dargestellte Handgelenk und daran eine als Motorspindel ausgebildete Bearbeitungseinheit angebracht hätte (Merkmale M4.2 und M5):
Auch dies mag zu einem Gegenstand mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 führen, es ergab sich jedoch für den Fachmann nicht in naheliegender Weise. Hierzu wird auf die Ausführungen zum Nichtnaheliegen durch Ni2 in Verbindung mit Ni13.2 verwiesen, die entsprechend gelten. Die Offenbarung der Ni12.2/12.3 unterscheidet sich von derjenigen der Ni13.2 insoweit nur dadurch, dass einerseits eine größere Anzahl von Beispielen für mögliche Grundstrukturen aufgeführt ist, und dass andererseits keine konkreten Vorschläge zur Kombination von Grundstruktur und Handgelenk analog Fig. 28.7 der Ni13.2 gemacht werden, über die der Fachmann sich hinwegsetzen müsste. Beides führt jedoch hinsichtlich der Frage des Naheliegens nicht zu einem anderen Ergebnis.
Die weiteren Druckschriften liegen weiter ab und haben zu Recht in der mündlichen Verhandlung keine Rolle mehr gespielt.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 und § 93 ZPO.
Gemäß § 93 ZPO fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt und nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hatte.
Vorliegend hat der Beklagte durch die mit Schriftsatz vom 25. August 2014 eingereichten beschränkten Ansprüche 1 bis 11 und die Erklärung, auf den darüber hinausgehenden Schutz zu verzichten, den Anspruch der Klägerin teilweise anerkannt. Daraus folgt, dass die Prozesskosten verhältnismäßig anteilig dem Beklagten aufzuerlegen wären, wenn die weitere Voraussetzung erfüllt wäre, dass er durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hatte.
Dies wäre der Fall, wenn der Beklagte einer ordnungsgemäßen Verzichtsaufforderung nicht entsprochen hätte. Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr Schreiben vom 11. April 2014 sei als Verzichtsaufforderung auszulegen. In diesem Schreiben hatte sie neben einer ausführlichen Erörterung ihrer Bereitschaft zu einem Treffen und einer einvernehmlichen Lösung mit dem Beklagten zur Frage der Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage ausgeführt: „Wenn Ihr Auftraggeber daher nicht an einem Treffen interessiert sein sollte, so wiesen wir ausdrücklich darauf hin, dass unsere Mandantin dann im Hinblick auf das bereits erteilte deutsche Patent DE 10 2010 007 378 in Betracht ziehen kann, ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung der Nichtigkeit dieses Schutzrechts zu beginnen.“
Eine ausreichend deutliche, klare Aufforderung, auf das Patent zu verzichten oder eine Erklärung abzugeben, aus dem Patent keine Rechte geltend zu machen, ist diesem Schreiben jedoch nicht zu entnehmen, zumal die Klägerin in diesem Schreiben mehrfach ausdrücklich ihre Bereitschaft, eine einvernehmliche Lösung zu suchen, betont.
Auf die Frage der Rechtzeitigkeit dieses Schreibens, das den Beklagten nach Einreichen der Klage, aber vor Entrichten der Klagegebühr durch die Klägerin erreicht hat, kommt es daher nicht an. Eine anteilige Kostenauferlegung zu Lasten des Beklagten ist nicht veranlasst.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
III.
Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift, die auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) vom 24. August 2007 (BGBl. I S. 2130) eingereicht werden kann, muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet oder im Fall der elektronischen Einreichung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz oder mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur versehen sein, die von einer internationalen Organisation auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes herausgegeben wird und sich zur Bearbeitung durch das jeweilige Gericht eignet. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Die Berufungsschrift muss innerhalb eines Monats schriftlich beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, eingereicht oder als elektronisches Dokument in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes (www.bundesgerichtshof.de/erv.html) übertragen werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist ist nur gewahrt, wenn die Berufung vor Fristablauf beim Bundesgerichtshof eingeht.
Schmidt Kortbein Schlenk Krüger Ausfelder Ko