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IV ZR 283/22

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 283/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 25. Oktober 2023 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:251023UIVZR283.22.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 30. September 2023 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg - 8. Zivilsenat - vom 25. Juli 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 91.981 € festgesetzt.

Von Rechts wegen Tatbestand:

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht die Rückabwicklung von drei im Jahr 1998 nach dem sogenannten Policenmodell geschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherungsverträgen.

Mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1998 unterhielt der Versicherungsnehmer Christian S bei der Beklagten einen Versicherungsvertrag mit monatlich 400 DM Prämien. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2009 erklärte er die Kündigung und die Beklagte zahlte eine Rückvergütung von 20.344,67 € aus. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 mit, dass alle Ansprüche des Versicherungsnehmers an sie abgetreten worden seien.

Ebenfalls mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1998 unterhielt der Versicherungsnehmer Marcus S bei der Beklagten einen Versicherungsvertrag mit einem Monatsbeitrag von 400 DM. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2009 erklärte er die Kündigung und die Beklagte zahlte eine Rückvergütung von 20.859,92 € an ihn aus. Mit Schreiben vom

19. Dezember 2018 erklärte er den Widerspruch und mit Schreiben vom

19. Dezember 2019 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass alle Ansprüche des Versicherungsnehmers an sie abgetreten worden seien.

Mit Versicherungsbeginn zum 1. September 1998 unterhielt der Versicherungsnehmer Christoph S bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit einem Monatsbeitrag von 750 DM. Die Beklagte zahlte im September 2014 an den Versicherungsnehmer eine Versicherungsleistung von 34.713,78 €. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2018 erklärte er den Widerspruch. Mit Schreiben vom 11. und 13. September 2019 teilte die Klägerin mit, dass alle Ansprüche des Versicherungsnehmers an sie abgetreten worden seien.

Die maßgebliche durchgehend in Fettdruck gehaltene Widerspruchsbelehrung im letzten Absatz in dem jeweiligen Versicherungsschein lautet:

"Dem Abschluß dieses Vertrags können sie innerhalb von 14 Tagen ab Zugang dieser Unterlagen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs." Mit der Klage verlangt die Klägerin im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung Rückzahlung der eingezahlten Prämien abzüglich der Risikokosten und der erfolgten Auszahlungen und zuzüglich der gezogenen Nutzungen in den Sparanteilen, in den unverbrauchten Risikoanteilen und in den Verwaltungskostenanteilen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch der Klägerin aufgrund erklärten Widerspruchs gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB verneint. Die drei Versicherungsverträge seien nach dem sogenannten Policenmodell gemäß § 5a VVG in der maßgeblichen vom 21. Juli 1994 geltenden Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) zustande gekommen.

Die entscheidenden im Policenbegleitschreiben und in den Versicherungsscheinen jeweils enthaltenen Widerspruchsbelehrungen seien formell nicht zu beanstanden, insbesondere drucktechnisch hinreichend hervorgehoben. Zwar enthielten sie jeweils keinen Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich zu erheben war. Das führe jedoch nicht dazu, dass den Versicherungsnehmern im Zeitpunkt ihrer Erklärung noch ein Recht zum Widerspruch zugestanden hätte. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei nicht jede unrichtige Information über die Form der Erklärung des Widerspruchs als fehlerhafte Belehrung anzusehen. Werde dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, selbst wenn sie fehlerhaft sei, nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, beginne die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag vom Vertragsschluss an gleichwohl zu laufen. Der unzureichende Hinweis auf die einzuhaltende Schriftform habe den jeweiligen Versicherungsnehmern hier nicht die Möglichkeit genommen, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 BGB kann der Klägerin nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.

1. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Beklagte die jeweiligen Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte. Die Widerspruchsbelehrung enthielt jeweils keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 29. Juli 1994 gültigen Fassung erforderliche Schriftform des Widerspruchs. Dieses Formerfordernis konnten die jeweiligen Versicherungsnehmer nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 10; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24; jeweils m.w.N.).

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, einem fortbestehenden Widerspruchsrecht der jeweiligen Versicherungsnehmer stehe entgegen, dass der Belehrungsfehler im Streitfall nicht geeignet gewesen sei, die Versicherungsnehmer jeweils von der Ausübung eines fristgerechten Widerspruchs abzuhalten.

a) Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung mit Urteil vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 13 ff.; zur Veröffentlichung in BGHZ 236, 163 vorgesehen) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Information in der Widerspruchsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht.

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde den jeweiligen Versicherungsnehmern jedoch hier durch den fehlenden Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Schriftform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 15. März 2023 (IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler im oben genannten Sinne vor, wenn eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Form (hier: Schriftform) enthielt. Allein dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass zur Wahrung der Frist rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung genüge, wird der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Schriftform erforderlich ist. Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint - annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 aaO Rn. 16 ff.).

III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung sowie zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist im Streitfall auch angesichts der neueren Entscheidungen des Gerichtshofs (Urteile vom 24. Februar 2022, A u.a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge], C-143/20 und C-213/20, EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513; vom 9. September 2021, Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40; vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 22. Juli 2022 (VersR 2022, 1252) schon mangels abschließender Entscheidung des Senats nicht veranlasst (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 25).

Mit Urteil vom 19. Juli 2023 (IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151) hat der Senat in diesem Zusammenhang zudem entschieden und im Einzelnen begründet, dass auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union daran festzuhalten ist, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind, und zu diesem Einwand eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht geboten ist (Senatsurteil vom 19. Juli 2023 aaO Rn. 9, 13 ff.). Das Berufungsgericht hat zunächst im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen,

mit der Folge, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen könnte (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 25).

Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 09.08.2021 - 11 O 8377/20 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 25.07.2022 - 8 U 2963/21 -

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7 5 VVG
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2 267 AEUV
2 812 BGB
1 818 BGB
1 562 ZPO
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