V ZR 10/24
BUNDESGERICHTSHOF V ZR 10/24 BESCHLUSS vom 23. Oktober 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:231024BVZR10.24.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2024 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel und Dr. Malik, die Richterin Laube und den Richter Dr. Schmidt beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 18. Dezember 2023 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 82.835,16 €.
Gründe:
I.
Mit notariellem Vertrag vom 27. März 2015 veräußerten der Kläger und der nicht mehr an dem Verfahren beteiligte Drittwiderbeklagte (im Folgenden einheitlich: Kläger) an die Beklagte zu einem Kaufpreis von 295.000 € ein vermietetes Mehrfamilienhaus. Am 24. April 2015 schlossen die Vertragsparteien eine Vereinbarung, in welcher die Rechte und Pflichten der Beklagten bis zur Eigentumsumschreibung geregelt wurden. Nach § 1 der Vereinbarung ist die Beklagte verpflichtet, monatlich „den verbleibenden Mietüberschuss“ an den Eigentümer
(Kläger) auszuzahlen. Nachdem die Immobilie am 1. Juni 2015 übergeben worden war, übernahm die Beklagte die Verwaltung des Mietshauses und zog die Mieten ein. Diese beliefen sich in der Zeit vom 1. Juni 2015 bis zu der am 31. August 2017 erfolgten Eintragung der Beklagten in das Grundbuch auf einen Gesamtbetrag von 85.375,16 €.
Mit der Klage verlangt der Kläger Zahlung eines Betrages von 82.835,16 € nebst Zinsen. Die Differenz zu den Gesamtmieteinnahmen beruht darauf, dass 2.160 € als Verwaltungsaufwand der Beklagten für die Vermietung der Immobilie und 380 € Kontoführungskosten berücksichtigt worden sind. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die hiermit verbundene Nichtzulassung der Revision wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
II.
Das Berufungsgericht teilt die Ansicht des Landgerichts, dass der Beklagten keine Einwendungen gegen den auf die Vereinbarung vom 24. April 2015 gestützten Anspruch des Klägers zustünden. Ihr Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 7. März 2023 - so das Landgericht - lasse keinen Rückschluss zu, wofür die in den vorgelegten Aufstellungen genannten Beträge jeweils konkret angefallen seien und inwiefern sie im Zusammenhang mit der Vermietung der Immobilie stünden. Die beantragte Einräumung einer Frist nach § 283 Satz 1 ZPO für eine schriftliche Stellungnahme zu dem Schriftsatz des Klägers vom 10. Mai 2023, in dem dieser auf den Schriftsatz der Beklagten vom 7. März 2023 erwidert habe, habe das Landgericht zu Recht abgelehnt. Der Kläger habe nämlich sowohl die Wochenfrist des § 132 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingehalten als auch sein Vorbringen nach § 282 Abs. 2 ZPO so zeitig mitgeteilt, dass die Beklagte die erforderliche Erkundigung noch bis zum Termin am 24. Mai 2023 hätte einholen können. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass das Landgericht das Vorbringen der Beklagten aus dem nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 15. Juni 2023 nicht zum Anlass genommen habe, nach § 156 Abs. 1, § 296a Satz 2 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Die Beklagte erläutere in keiner Weise die Abweichung der nunmehr geltend gemachten Ausgaben von den in dem Schriftsatz vom 7. März 2023 zugrunde gelegten Ausgaben. Nach § 156 Abs. 2 ZPO sei eine Wiedereröffnung ohnehin nicht geboten gewesen. Da es deshalb nicht auf einem Verfahrensmangel des Landgerichts beruhe, dass die Beklagte das neue Vorbringen aus ihrem Schriftsatz vom 15. Juni 2023 nicht schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug geltend gemacht habe, sei dieses Vorbringen auch nicht nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO im Berufungsrechtszug zuzulassen.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren Vortrag aus dem Schriftsatz vom 15. Juni 2023 nicht hätte zurückweisen und unberücksichtigt lassen dürfen.
1. Bleibt ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich der Anspruch der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. September 2020 - IV ZR 74/20, juris Rn. 8; Beschluss vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 13). Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden. Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen oder eine Partei als beweisfällig angesehen worden, ohne dass ihr durch einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags oder neuer Beweismittel im Berufungsrechtszug als eine offenkundig unrichtige Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO dar (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2018 - VII ZR 177/17, NJW 2018, 2202 Rn. 7).
2. So liegt es hier.
a) Das Landgericht hielt die Darlegungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 7. März 2023 zu den von ihr in Ansatz gebrachten Aufwendungen für unzureichend. Es hätte deshalb der Beklagten gemäß § 139 Abs. 1, 2 und 4 ZPO rechtzeitig mitteilen müssen, dass und in welcher Hinsicht es eine Ergänzung des Vortrags für erforderlich hielt. Eine Partei darf nämlich darauf vertrauen, dass das Gericht sie darauf hinweist, wenn es ihren bisherigen Vortrag als nicht ausreichend substantiiert erachtet, und dass sie sodann Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags erhält (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Januar 2016 - V ZR 183/15, juris Rn. 8 mwN). Einen solchen Hinweis hat das Landgericht nicht erteilt.
b) Dass der Kläger in seinem Schriftsatz vom 10. Mai 2023 den Vortrag der Beklagten als unzureichend gerügt hatte, veranlasst keine abweichende Beurteilung. Anders als das Landgericht meint, ändert es nämlich an der Hinweispflicht nichts, wenn der Gegner seinerseits die fehlende Substantiierung rügt. Eine Partei kann in aller Regel - und so auch hier - nicht wissen, ob das Gericht die Einschätzung des Gegners, der den Vortrag in tatsächlicher Hinsicht für unzureichend hält, teilt (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2023 - V ZR 93/22, juris Rn. 12; Beschluss vom 22. März 2023 - V ZR 128/22, NJW-RR 2023, 718 Rn. 14).
c) Da das Landgericht hiernach seine Hinweispflichten verletzt hat, hätte es den nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz der Beklagten vom 15. Juni 2023 zum Anlass nehmen müssen, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen und den ergänzenden Vortrag zum Gegenstand des Prozesses zu machen. Gemäß § 296a Satz 2, § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist das Gericht nämlich zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, wenn dies erforderlich ist, um einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler, insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör, abzuwenden.
d) Wegen der Verfahrensfehler des Landgerichts durfte das Berufungsgericht das Vorbringen der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 15. Juni 2023 nicht als verspätet zurückweisen, sondern hätte es nach § 531 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO berücksichtigen müssen.
3. Die hieraus folgende Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn es das ergänzende Vorbringen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 15. Juni 2023 berücksichtigt hätte. Ein etwaiger Widerspruch zu dem vorangegangenen Schriftsatz vom 7. März 2023, auf den das Berufungsgericht ergänzend hinweist, hat nicht die Unerheblichkeit des neuen Vorbringens zur Folge. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2022 - V ZR 25/22, juris Rn. 9 mwN). Ob - und wenn ja in welchem Umfang die in dem Schriftsatz vom 15. Juni 2023 aufgeführten Aufwendungen in Abzug gebracht werden können, bedarf deshalb der Prüfung durch das Berufungsgericht, das sich zunächst mit der - von dem Landgericht ausdrücklich offen gelassenen Frage - beschäftigen muss, wie der in der Vereinbarung vom 24. April 2015 von den Parteien verwendete Begriff „Mietüberschuss“ zu verstehen ist und welche Kosten abgezogen werden können.
IV.
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Beklagten führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Brückner Laube Göbel Schmidt Malik Vorinstanzen:
LG Flensburg, Entscheidung vom 16.06.2023 - 2 O 160/18 OLG Schleswig, Entscheidung vom 18.12.2023 - 11 U 85/23 -