7 W (pat) 302/11
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 302/11 Verkündet am 19. September 2012
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BESCHLUSS In der Einspruchssache betreffend das Patent 10 2004 038 297 …
BPatG 154 05.11
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hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2012 durch den Richter Dipl.Phys. Dipl.-Wirt.-Phys. Maile als Vorsitzenden, den Richter Schwarz, die Richterin Dipl.-Ing. Wickborn sowie den Richter Dipl.-Phys. Dr. Schwengelbeck beschlossen:
Das Patent 10 2004 038 297 wird widerrufen.
Gründe I.
Das am 6. August 2004 angemeldete Patent 10 2004 038 297 mit der Bezeichnung
„Verfahren zur Herstellung eines Positionserfassungssensors“ wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G01B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. Juli 2005 erteilt.
Der Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung (Merkmalsgliederung seitens des Senats hinzugefügt):
„1. Verfahren zur Herstellung eines zur Positionserfassung bewegbarer Komponenten (10) dienenden Sensors (2) unter Anwendung folgender Verfahrensschritte:
M1 - Herstellen eines aus Kunststoffmaterial bestehenden Gehäuseteils (5) durch Spritzgießen,
M2 wobei in dem Gehäuseteil (5) eine am Grund und umfangsseitig geschlossene Aufnahmevertiefung (7) ausgebildet wird, deren Innenfläche (17) über zur Bestückung mit Komponenten (18) einer elektrischen Schaltung (22) einschließlich mindestens eines Sensorelementes (18a) geeignete Bestückungsstrukturen (23) verfügt,
M3 - Einsetzen einer vorgefertigten dreidimensionalen Maskenstruktur (44) in die Aufnahmevertiefung (7),
M4 wobei die Maskenstruktur (44) derart gestaltet ist, dass sie die Innenfläche (17) der Aufnahmevertiefung (7) sowohl im Bereich des Vertiefungsgrundes (12) als auch im Bereich der umfangsseitigen Seitenwand (13) partiell abdeckt und lediglich solche Innenflächenbereiche (53) unabgedeckt bleiben, auf denen in einem nachfolgenden Verfahrensschritt elektrisch leitende Leitflächen (26) erzeugt werden sollen,
M5 - Aussetzen der das Gehäuseteil (5) und die Maskenstruktur (44) umfassenden Baugruppe, wenigstens im Bereich der Aufnahmevertiefung (7), einem flüssigen oder gasförmigen Beschichtungsmedium zum Abscheiden elektrisch leitfähigen Materials aus dem Beschichtungsmedium auf die unabgedeckten Innenflächenbereiche (53) der Aufnahmevertiefung (7) zur Bildung von Leitflächen (26), und M6 - Entfernen der Maskenstruktur (44) und M7 Bestücken der Aufnahmevertiefung (7) mit Schaltungskomponenten (18), sowie M8 elektrische Kontaktierung der Schaltungskomponenten (18) mit im Bereich der Bestückungsstrukturen (23) ausgebildeten Leitflächenabschnitten (27a) der Leitflächen (26).“
Die erteilten abhängigen Patentansprüche 2 bis 14 betreffen vorteilhafte Ausführungsformen und sind direkt oder indirekt auf den Patentanspruch 1 rückbezogen.
Gegen die am 29. Dezember 2005 veröffentlichte Patenterteilung hat die Einsprechende Einspruch erhoben und beantragt, das Patent aus den in § 21 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 1 bis 5 PatG genannten Gründen in vollem Umfang zu widerrufen. Zur Begründung hat die Einsprechende geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei und hierzu u.a. auf die Druckschrift DE 202 11 518 U1 (E1)
als Stand der Technik verwiesen.
Die Patentinhaberin hat mit Schriftsatz vom 26. September 2006 widersprochen und beantragt, das angefochtene Patent aufrechtzuerhalten.
Mit Zwischenbescheid vom 28. August 2012 hat der Senat die Verfahrensbeteiligten auf die Druckschrift DE 101 29 313 C1 (E2)
als Stand der Technik hingewiesen, der dem Gegenstand des Streitpatents möglicherweise i.V.m. der Druckschrift E1 hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit entgegenstehe.
Die Einsprechende hat schriftsätzlich den Antrag gestellt,
das Patent 10 2004 038 297 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
das Patent 10 2004 038 297 in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende sind, wie schriftsätzlich angekündigt, nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der - mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten - Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG a.F. auf Grund des Grundsatzes der „perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 - Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. – „Informationsübermittlungsverfahren II“).
B. Der zulässige Einspruch hat in der Sache Erfolg. Das Patent ist nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i.V.m. §§ 1 und 4 PatG zu widerrufen, weil das Verfahren nach Anspruch 1 unter Berücksichtigung der Druckschriften E1 und E2 für den zuständigen Fachmann nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Als Fachmann ist dabei ein Diplom-Physiker mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Herstellung von Sensoren und zugehöriger Beschichtungstechnik zur Bildung von Leiterbahnen anzusehen.
Die Frage der Zulässigkeit und der Neuheit des verteidigten Herstellungsverfahrens kann damit dahinstehen (vgl. BGH, GRUR 1991, 120, 121 li. Sp. Abs. 3 „Elastische Bandage“).
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines zur Positionserfassung bewegbarer Komponenten dienenden Sensors (Patentschrift, Abs. [0001]).
Gemäß Beschreibungseinleitung des Streitpatents ist bei herkömmlichen Herstellungsverfahren nachteilig, dass metallische Leiterzüge mit hohem Dimensionsgrad, also relativ starker dreidimensionaler Ausdehnung, nur unter deutlichem Aufwand zu realisieren sind. Bei hohen Ansprüchen werde daher meist auf ein ZweiKomponenten-Spritzgussverfahren zurückgegriffen, welches allerdings relativ teuer sei und sich überdies nur bei relativ großen Wandstärken und verhältnismäßig großen Strukturabständen empfehle (Patentschrift, Abs. [0003]).
Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren vorzuschlagen, mit dem sich ein Positionssensor auch bei minimaler Baugröße kostengünstig herstellen lässt (Patentschrift, Abs. [0005]).
Die Aufgabe wird durch den Einsatz einer vorgefertigten dreidimensionalen Maskenstruktur in die Aufnahmevertiefung eines Sensor-Gehäuseteils aus Kunststoff gelöst, wobei die Maskenstruktur derart gestaltet ist, dass sie die Innenfläche der Aufnahmevertiefung sowohl im Bereich des Vertiefungsgrundes als auch im Bereich der umfangsseitigen Seitenwand partiell abdeckt und lediglich solche Innenflächenbereiche unabgedeckt bleiben, auf denen in einem nachfolgenden Verfahrensschritt elektrisch leitende Leitflächen erzeugt werden sollen (vgl. Patentschrift, Abs. [0006]).
2. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beruht für den Fachmann unter Berücksichtigung des Stands der Technik gemäß den Druckschriften E1 und E2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus Druckschrift E1 ist ein Verfahren zur Herstellung eines zur Positionserfassung bewegbarer Komponenten (Kolben 4; vgl. Fig. 1 bis 4 mitsamt zugehörigem Text auf S. 7 sowie ab S. 9, erster Abs.) dienenden Sensors (Positionssensor 7 mit Hallelementen 27, 54; vgl. die Figuren 1 und 2 mitsamt zugehörigem Text ab S. 7, letzter Abs., sowie S. 10, zweiter Abs., und S. 17, erster Abs.) entnehmbar unter Anwendung folgender Verfahrensschritte:
− Herstellung eines aus Kunststoffmaterial bestehenden Gehäuseteils (Schaltungsträger 32 mit Trägerelement 34 und Hüllkörper 46) durch Spritzgießen (vgl. S. 11, zweiter und dritter Abs.: „ […] Schaltungsträger 32, der wenigstens teilweise die Funktion des Sensorgehäuses übernimmt […] Der Schaltungsträger enthält ein längliches Trägerelement 34 aus spritzgegossenem Kunststoff“; vgl. hierzu auch Fig. 3 und den Text auf S. 14, letzter Abs., in dem auf den „durch Spritzgießen angeformten Hüllkörper 46“ hingewiesen wird / Merkmal M1), wobei in dem Gehäuseteil eine am Grund und umfangsseitig durch Flächen des Schaltungsträgers 32 sowie des Hüllkörpers 46 geschlossene Aufnahmevertiefung (Aufnahmevertiefung 53; vgl. Fig. 3 und den Text auf S. 16, letzter Abs.) ausgebildet wird, deren Innenfläche über geeignete Bestückungsstrukturen (Schaltungsträger 32; Verbindungssteg 48; Tragplatte 49) verfügt, die zur Bestückung mit Komponenten (Elektronikkomponenten 43) einer elektrischen Schaltung einschließlich mindestens eines Sensorelementes (Hallplatte 27, Hall-Sensorelement 54) dienen (Merkmal M2),
− Aussetzen der das Gehäuseteil umfassenden Baugruppe im Bereich der Aufnahmevertiefung (Aufnahmevertiefung 53) einem flüssigen Beschichtungsmedium in Form eines galvanischen Bades („Strukturierung durch galvanische Behandlung“; vgl. S. 11, letzter Absatz, bis S. 12, erster Absatz) zum Abscheiden eines elektrisch leitfähigen Materials aus dem galvanischen Beschichtungsmedium auf Innenflächenbereiche der Aufnahmevertiefung zur Bildung von Leitflächen (dreidimensionales Leiterbild; Leiterbahnen 35; vgl. S. 12, erster Absatz und S. 16, letzter Abs. / Merkmal M5 teilweise, ohne vorgefertigte Maskenstruktur zur Abdeckung von Innenflächen), und
− Bestücken der Aufnahmevertiefung mit Schaltungskomponenten (kontaktierte Elektronikkomponenten 43; vgl. S. 15, zweiter Abs. / Merkmal M7),
− elektrische Kontaktierung der Schaltungskomponenten (kontaktierte Elektronikkomponenten 43) mit im Bereich der Bestückungsstrukturen ausgebildeten Leitflächenabschnitten der Leitflächen (dreidimensionales Leiterbild; Leiterbahnen 35 in Fig. 3; vgl. S. 12, zweiter Abs. / Merkmal M8).
Die Druckschrift E1 offenbart jedoch nicht das Einsetzen einer vorgefertigten dreidimensionalen Maskenstruktur in die Aufnahmevertiefung und dementsprechend auch nicht die zugehörige Gestaltung einer solchen vorgefertigten Maskenstruktur. Dementsprechend offenbart die Druckschrift E1 auch nicht das Entfernen einer vorgefertigten Maskenstruktur nach der Bildung der Leitflächen (Merkmale M3, M4 und M6 fehlen).
In der Druckschrift E1 wird hinsichtlich der Herstellung der elektrischen Leitflächen bzw. Leiterbahnen im Zusammenhang mit MID (Molded-Interconnected-Device)Spritzgusstechnik darauf hingewiesen, dass „beispielsweise“ eine großflächige Metallisierung des Trägerelementes 34 und eine nicht näher beschriebene „Strukturierung durch galvanische Behandlung“ möglich ist (vgl. S. 11, zweiter Absatz, bis S. 12, erster Absatz). Aufgrund der in der Druckschrift E1 genannten „Strukturierung durch galvanische Behandlung“ bei der Herstellung der dreidimensionalen elektrisch leitfähigen Flächen bzw. Leiterbahnen ist der Fachmann veranlasst, in Erfahrung zu bringen, wie eine solche Strukturierung im Einzelnen erzielt werden kann.
Einzelne Angaben zur Bildung von dreidimensionalen Leitflächen bzw. Leiterbahnen findet der Fachmann in der Druckschrift E2, die sich – wie die Druckschrift E1 – mit dem Einsatz von MID-Spritzgusstechnik im Zusammenhang mit dreidimensionalen Schaltungsträgern befasst (vgl. Druckschrift E2, Abs [0001] und [0014] sowie die Fig. 3 mitsamt zugehörigem Text in Abs. [0029]). Dabei lehrt die Druckschrift E2 den Einsatz einer vorgefertigten dreidimensionalen Maskenstruktur (Elektrodenmaske 2) auf einem sich in drei Raumrichtungen erstreckenden Schaltungsträger (Substrat), um auf dem Schaltungsträger eine dreidimensionale Leitfläche zu erzeugen (vgl. Abs. [0014]: „Die strukturierte Elektrodenmaske wird auf das Substrat gelegt, so daß eine präzise Abbildung der Struktur ermöglicht wird“, und Fig. 3 mitsamt zugehörigem Text in Abs. [0029], in dem ausgeführt wird, dass „das Substrat 1 eine dreidimensionale Oberflächenstrukturierung aufweist. In diesem Fall wird die Elektrodenmaske 2 exakt der Oberflächenstruktur des Substrates nachempfunden, so daß die Elektrodenmaske formschlüssig auf das Substrat aufgesetzt werden kann“ / Merkmal M3). Die vorstehend genannten Zitatstellen in der Druckschrift E2 legen dem Fachmann zudem nahe, eine vorgefertigte dreidimensionale Maskenstruktur beim Einsatz in einem Herstellungsverfahren gemäß Druckschrift E1 derart zu gestalten, dass sie im eingesetzten Zustand die Innenfläche einer Aufnahmevertiefung sowohl im Bereich des Vertiefungsgrundes als auch im Bereich der umfangsseitigen Seitenwand partiell abdeckt und lediglich solche Innenflächenbereiche unabgedeckt bleiben, auf denen in einem nachfolgenden Verfahrensschritt elektrisch leitende Leitflächen erzeugt werden sollen. Zwar offenbart die Druckschrift E2 – im Übrigen in Übereinstimmung mit einer im Anspruch 1 beanspruchten Ausführungsform – das Abscheiden eines gasförmigen Beschichtungsmediums (plasmagestützte CVDProzesse) unter Verwendung der Maske als Elektrode, jedoch wird der Fachmann den Einsatz der bekannten dreidimensionalen Maske auch in allgemeiner Weise, d.h. nicht ausschließlich in der Verwendung als Elektrodenmaske, in Erwägung ziehen (Merkmal M4).
Im Rahmen des Einsatzes der vorgefertigten dreidimensionalen Maskenstruktur bei der Herstellung eines Sensors gemäß Druckschrift E1 wird der Fachmann dann die elektrisch leitenden Leitflächen mittels eines flüssigen Beschichtungsmediums (galvanisch) auf die von der dreidimensionalen Maskenstruktur partiell nicht abgedeckten Flächen des Schaltungsträgers bzw. Substrats aufbringen (vgl. E2, Abs. [0006] / Merkmal M5 Rest, mit vorgefertigter Maskenstruktur). Der Fachmann liest dabei in der Druckschrift E2 mit, dass eine vorgefertigte Maskenstruktur, die sich bei der Fertigung elektrischer Leitflächen wiederholt verwenden lässt, nach dem Aufbringen der Leitflächen nicht in der hergestellten Vor- richtung verbleibt sondern wieder entfernt wird. Folglich liegt es für den Fachmann auch nahe, eine eingesetzte vorgefertigte Maskenstruktur bei der Herstellung eines Sensors gemäß Druckschrift E1 nach dem Aufbringen der elektrischen Leitflächen wieder zu entfernen und so zu einer im Anspruch 1 beanspruchten Verfahrensalternative gelangen (Merkmal M6).
Somit gelangt der Fachmann durch eine Kombination der Druckschriften E1 und E2 in naheliegender Weise zum Verfahren zur Herstellung eines Sensors nach Anspruch 1 des Streitpatents, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen.
3. Ob unabhängig vom nicht patentfähigen geltenden Anspruch 1 hinsichtlich der geltenden Unteransprüchen 2 bis 14 eine patentfähige Erfindung vorliegt, bedarf keiner Klärung, da auf die jeweiligen Unteransprüche kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet war (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 Leitsatz – „Informationsübermittlungsverfahren II“).
4. Bei vorliegender Sachlage war somit das Patent zu widerrufen.
Maile Schwarz Wickborn Dr. Schwengelbeck Hu