VIa ZR 575/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 575/21 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:250625UVIAZR575.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 16. Juni 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Messing und Dr. Tausch sowie die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2011 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten und im Jahr 2010 erstzugelassenen BMW 318d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe N 47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Freistel-
-3lung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe: 3 Die Revision hat Erfolg.
I. 4 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: 5 Der Kläger habe gegen die Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Denn sein Vortrag, der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor weise unzulässige Abschalteinrichtungen auf, sei - soweit er nicht das unstreitig vorhandene "Thermofenster" betreffe - als Behauptung ins Blaue hinein unbeachtlich. Die Verwendung eines "Thermofensters" allein reiche nicht aus, um den Vorwurf eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten zu begründen. Darüber hinausgehende Umstände habe der Kläger nicht vorgetragen. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sei nicht gegeben, weil es sich bei den genannten Normen nicht um Gesetze zum Schutz des Vermögensinteresses von Fahrzeugerwerbern handle.
II. 6 Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB dem Grunde nach verneint hat. Die insoweit erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung vom 21. April 2009 (BGBl. I 872, 873; künftig EG-FGV aF) aus Rechtsgründen abgelehnt hat.
a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Dasselbe gilt für die hier mit Blick auf den Zeitpunkt der Erstzulassung des Fahrzeugs im Jahr 2010 zur Anwendung kommenden Vorläufernormen der damals geltenden Fassung der EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 - VIa ZR 374/22, NJW-RR 2024, 577 Rn. 9 ff.).
b) Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober
- VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV aF zu treffen haben.
C. Fischer Tausch Möhring Messing Pastohr Vorinstanzen: LG Ravensburg, Entscheidung vom 19.12.2019 - 2 O 293/19 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 15.10.2021 - 16a U 147/20 - VIa ZR 575/21
-6- Verkündet am: 25. Juni 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle