VIa ZR 194/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 194/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR194.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. August 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen, die Richter Dr. Ostwaldt, Dr. Tausch und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. Januar 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2016 von einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz CLS 220 BlueTec, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. 2 Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, auf Feststellung des Annahmeverzugs und ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR194.22.0 auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe: 3 Die Revision hat Erfolg.
I. 4 Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: 5 Der Kläger habe keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Selbst bei unterstellter Unzulässigkeit der temperaturgesteuerten Abgasrückführung ("Thermofenster"), der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (“KSR“) und der SCR-Steuerung sei der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht gerechtfertigt. Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung dieser Funktionen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Insbesondere einen Prüfstandsbezug der implementierten Funktionen habe er nicht dargelegt.
ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR194.22.0 II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision hat jedoch deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR194.22.0
- VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Tausch Brenneisen Pastohr Ostwaldt Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 24.06.2021 - 10 O 8252/20 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 05.01.2022 - 5 U 2458/21 - ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR194.22.0
-6Verkündet am: 12. August 2025 Sutter-Stumm, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR194.22.0