Paragraphen in 20 W (pat) 50/13
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 50/13 Verkündet am 17. Oktober 2016
…
BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
BPatG 154 05.11 betreffend das Patent 11 2007 001 481 hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2016 durch den Richter Dipl.-Ing. Musiol als Vorsitzenden, die Richterin Dorn sowie die Richter Dipl.-Ing. Albertshofer und Dipl.-Geophys. Dr. Wollny beschlossen: Der Beschluss der Patentabteilung 55 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27.09.2012 wird aufgehoben und das Patent 11 2007 001 481 wie folgt aufrechterhalten:
Bezeichnung:
System und Verfahren zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließelements Anmeldetag:
08.06.2007 Patentansprüche:
Patentansprüche 1 bis 25, dem BPatG als neuer Hauptantrag überreicht in der mündlichen Verhandlung am 17.10.2016 Beschreibung:
Beschreibungseiten 2, 2a, 3 bis 8, dem BPatG überreicht in der mündlichen Verhandlung am 17.10.2016 Zeichnungen: Figuren wie Patentschrift.
Gründe I.
Auf die am 8. Juni 2007 eingereichte Patentanmeldung wurde vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) das Patent 11 2007 001 481 mit der Bezeichnung „System und Verfahren zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließelements“ erteilt. Die Patenterteilung wurde am 8. September 2011 im Patentblatt veröffentlicht. Das Patent umfasst insgesamt 29 Patentansprüche.
Gegen das Patent wurde am 6. Dezember 2011 Einspruch erhoben, mit dem der vollständige Widerruf des Patents begehrt wurde. Der Einspruch stützt sich auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG). Die Einsprechende hatte ihren Einspruch auf die folgenden Druckschriften gestützt: (Nummerierung aus dem Einspruchsbeschluss)
D1 DE10 2004 031 897 A1 D2 US 4,577,437 A D3 DE 692 18 391 T2 D4 DE 196 18 484 A1 D5 DE 197 00 811 A1 D6 US 2006 / 0191204 A1 D7 WO 01 / 36 772 A1 (aus Prüfungsverfahren)
Mit am Ende der Anhörung vom 27. September 2012 verkündetem Beschluss hat die Patentabteilung 55 des DPMA das Patent widerrufen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und die Lehre, wie sie gemäß der Hilfsanträge 1 und 2 beansprucht worden ist, nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Der Beschluss wurde der Patentinhaberin am 21. November 2012 zugestellt.
Hiergegen wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer am 21. Dezember 2012 eingelegten Beschwerde.
Der Bevollmächtigte der Patentinhaberin beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 55 des Deutschen Patent- und Markennamts vom 27.09.2012 aufzuheben und das Patent 11 2007 001 481 auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten: Patentansprüche: Patentansprüche 1 bis 25, dem BPatG als neuer Hauptantrag überreicht in der mündlichen Verhandlung am 17.10.2016 Beschreibung: Beschreibungseiten 2, 2a, 3 bis 8, dem BPatG überreicht in der mündlichen Verhandlung am 17.10.2016 Zeichnungen: Figuren wie Patentschrift.
Der Bevollmächtigte der Einsprechenden beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
„System zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems, das aufweist: ein Schließelement (104); einen kontaktfreien Sensor (114, 114b), der so gestaltet ist, dass er ein Hindernis in dem Weg des Schließelementes (104) erfühlt und ein Hindernissignal (120) als Antwort auf das Erfühlen eines Hindernisses (118) erzeugt; und einen Controller (108) in Verbindung mit dem kontaktfreien Sensor (114a, 114b), wobei der Controller (108) so gestaltet ist, dass er das Öffnen und Schließen des Schließelementes (104) steuert, wobei der Controller (108) so gestaltet ist, dass er das Schließelement (104) mit einer ersten Geschwindigkeit betreibt, solange das Hindernissignal (120) nicht erzeugt wird, und auf eine zweite Geschwindigkeit als Antwort darauf, dass der kontaktfreie Sensor (114a, 114b) das Hindernissignal (120) erzeugt, absenkt,
dadurch gekennzeichnet, dass die Absenkung von der ersten auf die zweite Geschwindigkeit mit einer durchlaufenen Übergangsgeschwindigkeit (V) erfolgt, die durch einen Geschwindigkeit-AbstandAlgorithmus mit V = V1 x (1 - K x X/X1) festgelegt ist, wobei V1 eine Anfangsgeschwindigkeit, X1 ein anfänglicher Abstand von dem Hindernis (118), X ein momentan durchlaufener Abstand zu dem Hindernis (118) und K eine Proportionalitätskonstante ist.“
Der nebengeordnete Patentanspruch 13 lautet:
„Verfahren zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems, das aufweist:
Überwachen eines Weges eines Schließelementes (104) mit einem Hindernissensor auf ein Hindernis (118) hin; Erzeugen eines Hindernissignals (120) als Antwort auf das Erfühlen eines Hindernisses (118); und Betreiben des Schließelementes (104) mit einer ersten Geschwindigkeit, solange kein Hindernissignal (120) erzeugt wird, und als Antwort darauf, dass das Hindernissignal (120) erzeugt wird, Absenken der Geschwindigkeit des Schließelementes (104) auf eine zweite Geschwindigkeit,
dadurch gekennzeichnet, dass das Absenken von der ersten Geschwindigkeit auf die zweite Geschwindigkeit das Berechnen einer durchlaufenen Übergangsgeschwindigkeit (V) umfasst, mit der das Schließelement beim Absenken betrieben wird, wobei ein Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus mit V = V1 x (1 - K x X/X1) verwendet wird, wobei V1 eine Anfangsgeschwindigkeit, X1 ein anfänglicher Abstand von dem Hindernis (118), X ein momentan durchlaufener Abstand zu dem Hindernis (118) und K eine Proportionalitätskonstante ist, und wobei
(i) eine Messung des momentanen Abstands (X) zwischen dem Hindernis (118) und dem Schließelement (104) vorgenommen wird, wenn mit dem Hindernissensor ein Hindernis (118) in dem Weg des Schließelements (104) erfühlt wird, woraufhin
(ii) die Geschwindigkeit des Schließelementes (104) auf die jeweils gemäß dem Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus berechnete Übergangsgeschwindigkeit (V) abgesenkt wird, woraufhin
(iii) festgestellt wird, ob das Schließelement (104) mit dem Hindernis (118) in Kontakt gekommen ist, woraufhin,
(iv) die Schritte (i)-(iii) wiederholt werden, wenn im Schritt (iii) festgestellt worden ist, dass das Schließelement (104) nicht mit dem Hindernis (118) in Kontakt gekommen ist.“
An den geltenden Patentanspruch 1 schließen sich die abhängigen Patentansprüche 2 bis 12 und an den geltenden Patentanspruch 13 die abhängigen Patentansprüche 14 bis 25 an, bezüglich derer jeweils auf die Akte verwiesen wird.
Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die Gegenstände der geltenden Patentansprüche patentfähig seien.
Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, dass die geltenden Ansprüche unzulässig und deren Gegenstände gegenüber der Druckschrift DE 692 18 391 T2 (D3) nicht patentfähig seien.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet mit der Folge, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent in der nunmehr beantragten Fassung zu erteilen ist.
1. Der Patentgegenstand betrifft ein Schließsystem und ein Verfahren zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems, um Schließelemente automatisch zu öffnen und zu schließen (vgl. Streitpatent, Absatz [0001]).
Herkömmliche Schließsysteme würden im Allgemeinen eine Hinderniserkennung verwenden, um zu erfassen, ob ein Hindernis ein Schließelement beim Öffnen oder Schließen blockiere. Das Streitpatent gehe von einem aus der Druckschrift WO 01/36 772 A1 (D7) bekannten System aus, bei dem die Geschwindigkeit eines Schließsystems gesteuert werde. Das bekannte System weise ein Schließsystem und einen kontaktfreien Sensor in Form einer kombinierten Sende-/Empfängereinheit auf, der so gestaltet sei, dass er ein Hindernis in dem Weg des Schließelementes erfühle und ein Hindernissignal als Antwort auf das Erfühlen eines Hindernisses erzeuge. Bei Erkennung eines Hindernisses könne der Motor eines Schließsystems verlangsamt werden (vgl. Streitpatent, Abs. [0004]).
Das Streitpatent stellt sich die Aufgabe, das bekannte System und Verfahren zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließelementes zu verbessern, indem für einen sanften Übergang von einer ersten auf die zweite Geschwindigkeit gesorgt wird (vgl. Streitpatent, Absatz [0005]).
Der geltende Patentanspruch 1 setzt sich aus den erteilten Patentansprüchen 1 und 5 mit weiteren textuellen Änderungen zusammen. Er lässt sich folgendermaßen gliedern (textuelle Änderungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 unterstrichen bzw. durchgestrichen):
1.1 System zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems, das aufweist:
1.2 ein Schließelement; 1.3 einen kontaktfreien Sensor, der so gestaltet ist, dass er ein Hindernis in dem Weg des Schließelementes erfühlt und ein Hindernissignal als Antwort auf das Erfühlen eines Hindernisses erzeugt; und 1.4 einen Controller in Verbindung mit dem kontaktfreien Sensor, wobei der Controller so gestaltet ist, dass er das Öffnen und Schließen des Schließelementes steuert, 1.5 wobei der Controller so gestaltet ist, dass er das Schließelement mit einer ersten Geschwindigkeit betreibt, solange das Hindernissignal nicht erzeugt wird, und 1.6 auf eine zweite Geschwindigkeit als Antwort darauf, dass der kontaktfreie Sensor das Hindernissignal erzeugt, übergeht absenkt, dadurch gekennzeichnet, dass 1.7 die Absenkung von der ersten auf die zweite Geschwindigkeit mit einer durchlaufenen die Übergangsgeschwindigkeit (V) erfolgt, die durch einen Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus mit V = V1 x (1 - K x X/X1) festgelegt ist, wobei V1 eine Anfangsgeschwindigkeit, X1 ein anfänglicher Abstand von dem Hindernis, X ein momentan durchlaufener Abstand zu dem Hindernis und K eine Proportionalitätskonstante ist.
2. Als für die Beurteilung der Lehre des Streitpatents relevanten Fachmann sieht der Senat einen Diplomingenieur der Elektrotechnik mit dem Fachgebiet Regelungstechnik an, der mehrere Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung von Einklemmschutzsystemen aufweist.
3. Ausgehend von dem Fach- und Erfahrungswissen dieses Fachmanns legt der Senat dem Anspruch 1 folgende Bedeutungsinhalte bei:
Bei dem anspruchsgemäßen System wird die Geschwindigkeit von Schließelementen, z. B. Hebetüren, Kofferraumverschlüssen, Schiebedächern, Fenstern, Türen und anderen Einheiten von Fahrzeugen (vgl. Streitpatent Abs. [0001]) gesteuert (Merkmale 1 und 1.1). Das System weist hierfür einen kontaktfreien Sensor auf, der ein Hindernis in dem Weg des Schließelementes erfühlt und ein Hindernissignal als Antwort auf das Erfühlen eines Hindernisses erzeugt (Merkmal 1.3). Ein Controller steuert das Öffnen und Schließen des Schließelementes, d. h. er steuert die Geschwindigkeit, mit der das Schließelement angetrieben wird (Merkmal 1.4). Solange der Sensor kein Hindernissignal erzeugt, betreibt der Controller das Schließelement konstant mit einer ersten Geschwindigkeit (Merkmal 1.5). Wird ein Hindernis detektiert, reduziert der Controller daraufhin die Geschwindigkeit des Schließelements auf eine zweite Geschwindigkeit (Merkmal 1.6), wobei die Absenkung von der ersten auf die zweite Geschwindigkeit mit einer durchlaufenen Übergangsgeschwindigkeit V erfolgt, die durch einen Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus festgelegt ist. Unter der durchlaufenen Übergangsgeschwindigkeit versteht der Fachmann dabei den zeitlichen Verlauf der Geschwindigkeit während des Übergangs von der ersten auf die zweite Geschwindigkeit des Schließelements (vgl. Streitpatent, Fig. 6). Diese durchlaufene Geschwindigkeit V wird anspruchsgemäß durch einen Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus gemäß der Formel V = V1 x (1 - K x X/X1) festgelegt. Aus fachmännischer Sicht handelt es sich bei der Anfangsgeschwindigkeit V1 um eine Konstante, die der ersten Geschwindigkeit aus Merkmal 1.5 entspricht. Die Konstante X1 entspricht dem anfänglichen Abstand von dem Hindernis, d. h. dem Abstand des Schließelements vom Hindernis bei Erkennung desselben durch den Sensor. Die Variable X entspricht dem momentan durchlaufenen Abstand zu dem Hindernis, d. h. es handelt sich um die Differenz aus dem Abstand X1 des Schließelements zum Zeitpunkt der Erkennung des Hindernisses abzüglich des momentan gemessenen Abstandes des Schließelements zum Hindernis (Merkmal 1.7).
4. Die geltenden Patenansprüche 1 und 13 sind zulässig.
Dass die Geschwindigkeit des Schließelementes bei Erkennung eines Hindernisses abgesenkt werden soll (Änderung in Merkmal 1.6), ergibt sich unmittelbar aus Absatz [0044] und der Figur 6 des Streitpatents.
Der Meinung der Einsprechenden und Beschwerdegegnerin, dass die Änderungen im Merkmal 1.7 des geltenden Patentanspruchs 1 in der Patentschrift so nicht offenbart seien und Anspruch 1 deshalb nicht zulässig sei, kann sich der Senat aus folgenden Gründen nicht anschließen:
a) Dass die Absenkung von der ersten auf die zweite Geschwindigkeit mit einer durchlaufenen Übergangsgeschwindigkeit (V) erfolgt, ergibt sich unmittelbar aus der Figur 6 des Streitpatents, wonach die Geschwindigkeit von der ersten Geschwindigkeit (in der Figur beispielsweise der Wert 20.0) auf eine zweite Geschwindigkeit (in der Figur beispielsweise der Wert 5.0) einem linearen Verlauf folgt, mithin eine Übergangsgeschwindigkeit durchlaufen wird.
Abbildung 1: Figur 6 aus dem Streitpatent b) Die weitere Änderung in Merkmal 1.7, dass X „ein momentan durchlaufener Abstand zu dem Hindernis“ ist, ist ebenfalls in dem Streitpatent offenbart. Dabei ist zu beachten, dass eine offenbarte Lehre aus fachmännischer Sicht grundsätzlich als ein sinnvolles Ganzes zu verstehen ist; ihre Aussagen sollen weder zu einem widersprüchlichen noch zu einem sinnlosen Bedeutungsgehalt führen (vgl. BGH Urteil vom 8. September 2015 - X ZR 113/13 - PALplus, juris Rn. 35). Im erteilten Patentanspruch 1 und in der Beschreibung (vgl. Streitpatent, Abs. [0036]) ist X allgemein als „momentaner Abstand“ definiert. Worauf sich dieser Abstand X bezieht, bleibt offen. Der Figur 6, die den Verlauf der anspruchsgemäßen, durchlaufenen Übergangsgeschwindigkeit für unterschiedliche Proportionalitätskonstanten K zeigt (vgl. Streitpatent, Abs. [0038]), entnimmt der Fachmann unmittelbar und eindeutig, dass auf der X-Achse des Diagramms ein „Durchlaufener Abstand zum Hindernis“ aufgetragen ist. Da gemäß Streitpatent immer dann, wenn der Hindernissensor ein Hindernis in dem Weg bzw. Gebiet des Schließelementes erfühlt, der Abstand zwischen dem Hindernis und dem Schließelement gemessen wird (vgl. Streitpatent, Abs. [0044]), ergibt sich für den Fachmann zwanglos, dass es sich bei dem „momentan durchlaufenen Abstand zu dem Hindernis“ gemäß der Figur 6 um die Differenz aus dem Abstand X1 des Schließelementes zum Zeitpunkt der Erkennung des Hindernisses und dem momentan gemessenen Abstand des Schließelementes zum Hindernis handelt. Der Fachmann erkennt auch, dass eine alternative Definition der Variablen X als „momentaner Abstand von dem Hindernis“ – wie es die Einsprechende vorgetragen hat – zu einem sinnlosen Bedeutungsgehalt des beanspruchten Algorithmus führen würde, da sich z. B. bei einer Proportionalitätskonstanten K=1 die Geschwindigkeit sofort auf null verringern und anschließend bis zum Kontakt mit dem Hindernis wieder auf V1 ansteigen würde. Dies widerspricht jedoch ersichtlich dem Gedanken des Streitpatents, die Geschwindigkeit umso weiter abzusenken, je näher das Hindernis der Tür kommt, um für einen „weichen“ Kontakt zu sorgen (vgl. Streitpatent, Abs. [0007] – [0009]). In dem Abstand X erkennt der Fachmann mithin den - seit der Erkennung des Hindernisses - momentan durchlaufenen Abstand zum Hindernis. Bestärkt wird er in diesem Verständnis durch die völlige Widerspruchsfreiheit zwischen dem Geschwindigkeitsverlauf, wie er in Figur 6 des Streitpatentes gezeigt ist, und der vorgenannten Abstandsdefinition. Der Fachmann hat auf dieser Grundlage keine Probleme, die beanspruchte Lehre auszuführen. Dies gilt in gleicher Weise für die entsprechenden Änderungen im nebengeordneten Patentanspruch 13. Die weiteren Änderungen (i) bis (iv) im Patentanspruch 13 gehen aus dem Absatz [0044] des Streitpatents hervor.
Da die vorgenommenen Änderungen gleichermaßen in den ursprünglichen Unterlagen offenbart sind, sind die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 13 zulässig.
Auch bezüglich der Zulässigkeit der abhängigen Patentansprüche - wozu die Einsprechende nichts vorgetragen hat - hat der Senat keine Bedenken.
5. Sowohl das zweifellos gewerblich anwendbare System zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems nach dem Patentanspruch 1 als auch das Verfahren nach dem Patentanspruch 13 gelten als neu (§ 3 PatG).
a) Die von der Einsprechenden als nächstkommender Stand der Technik angesehene Druckschrift D3 (DE 692 18 391 T2) betrifft ein Sicherungssystem zum optimalen Schutz von Personen im Aktionsradius einer automatischen Tür, z. B. einer Schwingtür (D3, vgl. Titel und S. 1, erster Absatz.; S. 18, letzter Absatz). Dabei sind Detektoren vorgesehen, um die relative Geschwindigkeit oder den relativen Abstand zwischen der Tür und einem Lebewesen oder Gegenstand, das/der sich in ihrem Aktionsfeld aufhält, zu messen. Die Detektoren sind z. B. bekannte Detektoren zur Nutzung des Doppler-Effekts, die auf der Technologie der Ultrahochfrequenzen basieren, aber auch andere Technologien sind anwendbar, wie z. B. die Ultraschalltechnologien (D3, vgl. S. 11, letzter Absatz). Eine Regelungsschaltung wirkt auf die Geschwindigkeit des Motors der Türanlage ein, so dass die Geschwindigkeit z. B. an den langsamsten anwesenden Benutzer angepasst wird (D3, vgl. S. 15, dritter Absatz). Als Regelungssignal wird dabei die vom Detektor gemessene Relativgeschwindigkeit verwendet (D3, vgl. S. 16, zweiter Absatz , bis S. 17, erster Absatz, in Verbindung mit Fig. 12). Alternativ ist es möglich, den relativen Abstand zwischen dem Flügel und dem Hindernis zu messen und diesen zur Regelung der Geschwindigkeit zu verwenden, um zwischen der Tür und dem Hindernis einen bestimmten Abstand aufrechtzuerhalten (D3, vgl. S. 17, letzter Absatz, bis S. 18, zweiter Absatz).
Aus der Druckschrift D3 geht somit ein System zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems hervor (D3, vgl. S. 5, zweiter Absatz; Merkmal 1.1). Dieses System weist ein Schließelement (D3, „Drehtür“, „Schwingtür“; Merkmal 1.2) und einen kontaktfreien Sensor („Hindernissensor“) auf, der so gestaltet ist, dass er ein Hindernis in dem Weg des Schließelementes erfühlt und ein Hindernissignal als Antwort auf das Erfühlen eines Hindernisses erzeugt (D3, vgl. S. 4, letzter Absatz, bis S. 5, erster Absatz; Merkmal 1.3). Ein Controller („Steuerschalter“) steht in Verbindung mit dem kontaktfreien Sensor, wobei der Controller so gestaltet ist, dass er das Öffnen und Schließen des Schließelementes („Drehtür“) steuert (D3, vgl. S. 5, erster Absatz; S. 14, vierter Absatz; Merkmal 1.4). Dieser Controller (“Steuerschalter“) ist so gestaltet, dass er das Schließelement mit einer ersten Geschwindigkeit betreibt, solange das Hindernissignal nicht erzeugt wird (D3, vgl.
Fig. 12, Zeit vor t0, Geschwindigkeit der Tür = V, vgl. S. 15, erster Absatz, „…Geschwindigkeit der Tür in Abwesenheit eines Benutzers…“; Merkmal 1.5). Als Antwort darauf, dass der kontaktfreie Sensor ein Hindernissignal erzeugt, wird die Geschwindigkeit auf eine zweite Geschwindigkeit abgesenkt (D3, vgl. S. 15, vorl. Absatz, „Verlangsamung der Tür“; S. 18, vorl. Absatz, „Verlangsamung auf eine vorbestimmte Geschwindigkeit“; Fig. 12, Bezz. „V“; Merkmal 1.6).
Ein Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus entsprechend der Formel in Merkmal 1.7 kann dieser Druckschrift nicht entnommen werden.
b) Keine der weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften D1, D2 und D4 bis D7 zeigt einen Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus gemäß Merkmal 1.7. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist daher bereits aus diesem Grund neu gegenüber diesen Druckschriften. Gegenteiliges wurde seitens der Einsprechenden auch nicht vorgetragen.
c) Da das Merkmal 1.7 dem kennzeichnenden Teil des nebengeordneten Patentanspruchs 13 entspricht, gelten die Ausführungen zum Patentanspruch 1 insoweit entsprechend.
6. Sowohl das System zum Steuern der Geschwindigkeit eines Schließsystems nach dem geltenden Patentanspruch 1 als auch das Verfahren nach dem geltenden Patentanspruch 13 beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).
a) Der Meinung der Einsprechenden und Beschwerdegegnerin, ausgehend von der Lehre der Druckschrift D3 wäre der Fachmann auf Grund seines Fachwissens bei einem kontinuierlichen Regelungsverfahren zu dem beanspruchten Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus gekommen, kann sich der Senat nicht anschließen.
Zur Überzeugung des Senats war für den Fachmann bereits kein Anlass ersichtlich, die Lehre der Druckschrift D3 derart abzuwandeln, dass ein GeschwindigkeitAbstand-Algorithmus gemäß Merkmal 1.7 verwendet würde.
Bei dem aus der Druckschrift D3 bekannten System wird mittels einer Regelung die Geschwindigkeit des Schließelementes an die Geschwindigkeit des Benutzers angepasst, der sich am langsamsten in einem Abschnitt des Schließelementes bewegt (D3, vgl. S. 18, fünfter Absatz). D. h. die Geschwindigkeit des Schließelementes wird an die Geschwindigkeit des Hindernisses angepasst, sodass sich z. B. ein Mindestabstand vom Hindernis zum Schließelement einstellt (vgl. D3, S. 18, zweiter Absatz). Damit soll ein In-Kontakt-treten eines Hindernisses mit dem Flügel einer Tür verhindert werden (D3, vgl. S. 15, letzter Absatz, bis S. 16, erster Absatz).
Die Lehre der Druckschrift D3 unterscheidet sich vom Gegenstand nach dem geltenden Patentanspruch 1 bereits darin, dass kein Algorithmus angegeben ist, der eine Übergangsgeschwindigkeit berechnet. Es ist der Druckschrift lediglich zu entnehmen, eine Bremseinstellung an den Steuerautomatismus der Tür zu senden. Zu der Bremseinstellung werden, außer dass sie sich durch eine Verminderung der Geschwindigkeit bemerkbar macht, keine weiteren Ausführungen gemacht (D3, vgl. S. 16, dritter Absatz; Fig. 12), auch nicht dazu, dass diese Bremseinstellung von der Geschwindigkeit des Schließelementes bei Erkennung des Hindernisses (= Konstante V1 in Merkmal 1.7) abhängen soll. Des Weiteren handelt es sich bei dem dort auf Seite 18, erster Absatz, beschriebenen „relativen Abstand“ um den Abstand des Hindernisses vom Schließelement zum Zeitpunkt der jeweiligen Messung in Bezug auf einen vorgegebenen Wert (vgl. D3, S. 18, zweiter Absatz: „Die von dem Steuerschalter 30 berechnete und an den Steuerautomatismus der Drehtür übermittelte Geschwindigkeitseinstellung muß dem Regelungsverfahren ermöglichen, zwischen dem Hindernis und der Tür einen Abstand aufrechtzuerhalten, der höher als ein gegebener Wert ist.“; Unterstreichung hinzugefügt). Der Fachmann entnimmt der Druckschrift D3 mithin, dass dieser Vergleichswert fest vorgegeben ist. Dieser Vergleichswert entspricht somit nicht dem anspruchsgemäßen Abstand des Schließelementes vom Hindernis bei Erkennung desselben gemäß Streitpatent (=X1). Es handelt sich bei dem „relativen Abstand“ gemäß der Druckschrift D3 auch nicht um den momentan durchlaufenen Abstand zum Hindernis gemäß Merkmal M1.7, der sich – wie oben unter Ziff. 4 dargelegt – aus der Differenz des Abstands X1 des Schließelementes zum Zeitpunkt der Erkennung des Hindernisses und dem momentan gemessenen Abstand des Schließelementes zum Hindernis ergibt.
Da der Fachmann der Druckschrift D3 keinen Hinweis entnehmen kann, diese Werte (V1, X1) in einem Algorithmus zur Berechnung einer Übergangsgeschwindigkeit zu verwenden, wird er deshalb ausgehend von der Lehre der Druckschrift D3 auch keinen Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus in Erwägung ziehen, bei dem diese Werte (V1, X1) – wie in Merkmal 1.7 des geltenden Patentanspruchs 1 vorgesehen – von Bedeutung sind. Er muss vielmehr erfinderisch tätig werden, um in Kenntnis der Druckschrift D3 zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 zu gelangen.
b) Keine der weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften D1, D2 und D4 bis D7 offenbart überhaupt einen Geschwindigkeit-Abstand-Algorithmus, sodass auch diese eine fehlende erfinderische Tätigkeit nicht begründen können. Diesbezüglich hat die Einsprechende auch nichts Gegenteiliges vorgetragen.
c) Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
d) Da das Merkmal 1.7 ebenfalls in dem kennzeichnenden Teil des nebengeordneten Patentanspruchs 13 enthalten ist, gelten die Ausführungen zum Patentanspruch 1 insoweit entsprechend und das Verfahren nach Patentanspruch 13 beruht ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.
e) Die auf die Patentansprüche 1 bzw. 13 direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 bzw. 14 bis 25 bilden die Gegenstände ihres Bezugsanspruches in nicht selbstverständlicher Weise weiter und erweisen sich daher ebenfalls als patentfähig.
7. Aus diesen Gründen war der angefochtene Beschluss der Patentabteilung 55 aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der geltenden Ansprüche beschränkt aufrechtzuerhalten.
Rechtsbehelfsbelehrung Gegen diesen Beschluss des Beschwerdesenats steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten die Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Absatz 2, § 100 Absatz 1, § 101 Absatz 1 des Patentgesetzes). Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist
(§ 100 Absatz 3 des Patentgesetzes).
Die Rechtsbeschwerde ist beim Bundesgerichtshof einzulegen (§ 100 Absatz 1 des Patentgesetzes). Sitz des Bundesgerichtshofes ist Karlsruhe (§ 123 GVG).
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof schriftlich einzulegen (§ 102 Absatz 1 des Patentgesetzes). Die Postanschrift lautet: Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe.
Sie kann auch als elektronisches Dokument eingereicht werden (§ 125a Absatz 2 des Patentgesetzes in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesge- richtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) vom 24. August 2007 (BGBl. I S. 2130)). In diesem Fall muss die Einreichung durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes erfolgen (§ 2 Absatz 2 BGH/BPatGERVV).
Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass der Beschluss auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 101 Absatz 2 des Patentgesetzes). Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Begründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 102 Absatz 3 des Patentgesetzes). Die Begründung muss enthalten:
1. die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird;
2. die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm; 3. insoweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben
(§ 102 Absatz 4 des Patentgesetzes).
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 102 Absatz 5 des Patentgesetzes).
Musiol Dorn Albertshofer Wollny Hu
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